Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 13.12.2017, Az.: L 15 AS 323/16

Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Keine Übernahme von Fahrkosten für den Kindergartenbesuch als Bedarf für Bildung und Teilhabe; Erforderlichkeit tatsächlicher Aufwendungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
13.12.2017
Aktenzeichen
L 15 AS 323/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 36391
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - AZ: S 6 AS 425/15

Fundstelle

  • FEVS 2018, 574-576

Amtlicher Leitsatz

1. § 28 Abs. 4 SGB II umfasst nicht die Übernahme von Fahrkosten für den Besuch eines Kindergartens oder einer Kindertagesstätte.

2. Ein Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II setzt voraus, dass tatsächlich Aufwendungen für die Beförderung entstanden sind.

Redaktioneller Leitsatz

§ 28 Abs. 4 SGB II umfasst nicht die Übernahme von Fahrkosten für den Besuch eines Kindergartens oder einer Kindertagesstätte.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Im Streit steht die Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Beförderung zum Kindergarten im Jahr 2015. Die am 23. September 1974 geborene Klägerin zu 1. und ihre am 23. Dezember 2008 geborene Tochter, die Klägerin zu 2., stehen beim Beklagten seit längerem im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Für den strittigen Leistungszeitraum sind folgende Bewilligungsbescheide ergangen: Bescheid vom 9. Oktober 2014, Änderungsbescheid vom 1. Dezember 2014, Änderungsbescheid vom 16. Dezember 2014 (Leistungszeitraum 1. November 2014 bis 30. April 2015) Bescheid vom 28. April 2015, Änderungsbescheide vom 16. Juni 2015, Änderungsbescheid vom 16. Oktober 2015 (Leistungszeitraum 1. Mai bis 31. Oktober 2015) Bescheid vom 16. Oktober 2015 und Änderungsbescheid 3. November 2015 (Leistungszeitraum 1. November 2015 bis 30. April 2016). Mit Schreiben vom 7. Dezember 2014 beantragte die Klägerin zu 1. die Kostenübernahme für eine Monatskarte zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel für die Klägerin zu 2. Sie berief sich insoweit auf § 28 Abs. 4 SGB II und teilte mit, dass die Klägerin zu 2. den Kindergarten in der I. in J. besuche. Dieser liege sechs Haltestellen von ihrer Wohnung entfernt. Nach einem Umzug sei ihnen von der Stadt dieser Platz im Kindergarten zugewiesen worden. Es handele sich damit um den "nächstgelegenen" Kindergarten. Am 23. Dezember 2014 werde die Klägerin zu 2. sechs Jahre alt und habe keinen Anspruch mehr auf eine kostenlose Beförderung. Insofern entständen sodann monatliche Kosten von 24,30 EUR, die nicht aus dem Regelsatz erbracht werden könnten. Mit Bescheid vom 16. Dezember 2014 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf abgedeckt und stelle keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin zu 1. mit Schreiben vom 2. Januar 2015 Widerspruch ein. Es bestehe ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Stadtticket, da der Weg zum Kindergarten nicht anders bewältigt werden könne und es sich hierbei um eine Maßnahme zur Teilhabe handele. Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2015 als unbegründet zurück. Ein Anspruch folge insbesondere nicht aus § 23 Abs. 4 (gemeint: Nr. 4) SGB II analog, da dieser nur einen Mehrbedarf wegen Behinderung regele. Die Klägerin zu 1. und die Klägerin zu 2. seien als Leistungsberechtigte nach dem SGB II berechtigt, das ermäßigte Stadtticket zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu erwerben. Das begehrte Kinderstadtticket koste in 2014 monatlich 24,30 EUR und ab 2015 monatlich 26,70 EUR. Die nicht ermäßigte Schülermonatskarte würde demgegenüber 44,00 EUR kosten. Die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel werde somit durch das Kinderstadtticket um monatlich 17,30 EUR ermäßigt ermöglicht. Durch diese Ermäßigung seien die Kosten für die Beförderung vertretbar und stellten keinen unabweisbaren Bedarf dar. Sofern die Klägerin zu 2. in 2015 erstmalig die Schule besuche, könne ab dem Schulbesuch ein Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II auf Übernahme der Aufwendungen für die Schülerbeförderung bestehen. Diese Vorschrift gelte jedoch nicht für die Beförderungskosten zum Kindergarten. Hiergegen hat die Klägerin am 18. März 2015 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben und die Übernahme der Kosten für ein Kinderstadtticket begehrt. Der Besuch einer Vorschule oder eines Kindergartens sei zur Teilhabe wünschenswert.

Damit komme eine analoge Anwendung zur Förderung der Bildung und Herstellung von Chancengleichheit in Betracht. Mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein Kinderstadtticket für die Klägerin zu 2. bestehe nicht. Insbesondere ergebe sich ein solcher Anspruch nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 28 Abs. 4 SGB II. Danach würden bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsganges auf Schülerbeförderung angewiesen seien, die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen würden und der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden könne, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Als zumutbare Eigenleistung gelte i. d. R. ein Betrag i. H. v. 5,00 EUR monatlich. Das Gericht habe bereits Zweifel, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 SGB II im streitgegenständlichen Falle vorlägen. Der Wohnort der Klägerinnen sei vom Kindergarten 2 km reine Wegstrecke entfernt. Es erscheine zumutbar, diese Entfernung mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückzulegen, sodass zumindest bei entsprechenden Wetterverhältnissen es nicht zwingend notwendig erscheine, mit dem Bus oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Davon unabhängig scheitere der Anspruch aber jedenfalls daran, dass § 28 Abs. 4 SGB II nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Schülerinnen und Schüler Anwendung finde und eine analoge Anwendung auf Kindergartenkinder ausscheide. Es liege bereits keine planwidrige Regelungslücke vor, da nicht davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber es bloß versehentlich versäumt habe, eine Regelung zur Kostenübernahme von Beförderungskosten für Kindergartenkinder zu treffen. Mit Schriftsatz vom 30. September 2015 haben die Klägerinnen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Das SG hat am 17. November 2016 eine mündliche Verhandlung durchgeführt und sodann durch Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen sowie die Berufung zugelassen. Es hat erneut darauf hingewiesen, dass bereits Zweifel bestünden, dass die Klägerin zu 2. auf die Schülerbeförderung angewiesen sei. Unabhängig davon scheitere der Anspruch aber daran, dass § 28 Abs. 4 SGB II nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Schülerinnen und Schüler Anwendung finde und eine analoge Anwendung auf Kindergartenkinder ausscheide. Gegen dieses der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen am 25. November 2016 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen am 27. Dezember 2016 Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung erfolgte nicht. Mit Verfügung vom 27. Juli 2017 sind die Klägerinnen u. a. aufgefordert worden, die begehrten Leistungen nach dem SGB II konkret hinsichtlich der Höhe zu beziffern, Nachweise über die entstandenen Kosten für die Kindergartenbeförderung (Fahrkarten) einzureichen und zudem einen Nachweis über die Zuweisung des benannten Kindergartenplatzes einzureichen. Es ist zudem darauf hingewiesen worden, dass Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der gesetzten Frist - 15. September 2017 - vorgebracht würden, vom Gericht zurückgewiesen werden können und das Gericht ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn die Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung nicht genügend entschuldigt wird. Eine Reaktion der Klägerinnen erfolgte hierauf nicht. Die Klägerinnen beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß, das Urteil des SG Bremen vom 17. November 2016 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 16. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2015 zu verpflichten, die Kosten für ein Kinderstadtticket für die Klägerin zu 2. für den Besuch des Kindergartens in der I. für das Jahr 2015 zu übernehmen.

Der Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2017 hat die Berichterstatterin des Senats den Beteiligten mitgeteilt, dass eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht komme und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die dem Senat bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

II.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten kann der Senat die Berufung gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ein Einverständnis der Beteiligten zu dieser Vorgehensweise ist nicht erforderlich. Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klage der Klägerin zu 1. ist - entgegen der Annahme des SG - bereits unzulässig. Der im Streit stehende Anspruch für Aufwendungen der Kindergartenbeförderung i. S. d. § 28 SGB II, kann nur isoliert und allein als Anspruch des minderjährigen Kindes - hier also der Klägerin zu 2. - gerichtlich durchgesetzt werden (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 10. September 2013 - B 14 AS 12/13 R). Die Klägerin zu 1. ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Inhaberin eines solchen Anspruches. Die Klägerin zu 2. hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein Kinderstadtticket für die Zeit des Besuches des Kindergartens in der I. in J.im Jahr 2015. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 28 Abs. 4 SGB II.

Nach § 28 Abs. 4 SGB II werden bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsganges auf Schülerbeförderung angewiesen sind, die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Der Anspruch scheitert bereits daran, dass nicht festgestellt werden kann, dass Aufwendungen für die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln überhaupt angefallen sind (zu dieser Voraussetzung vgl. O. Loose in: GK-SGB II, § 28 Rn. 90; Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 28 Rn. 34). Obwohl der Senat den Klägerinnen unter Fristsetzung aufgegeben hat, einen Nachweis über möglicherweise entstandene Kosten für die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu dem von der Klägerin zu 2. besuchten Kindergarten vorzulegen, haben diese hierauf nicht reagiert. Es ist daher bereits nicht feststellbar, dass für die Klägerin zu 2. überhaupt Kosten durch die Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln angefallen sind. Bereits aus diesem Grund kommt ein Erstattungsanspruch nicht in Betracht. Unabhängig davon hat das SG zutreffend festgestellt, dass eine Anwendung von § 28 Abs. 4 SGB II auch deswegen ausscheidet, da dieser nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Schülerinnen und Schüler Anwendung findet. § 28 Abs. 4 SGB II umfasst nicht die Übernahme von Fahrkosten für den Besuch eines Kindergartens oder einer Kindertagesstätte (SG Detmold, Urteil vom 10. September 2015 - S 18 AS 248/14; Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 28 Rn. 32). Der Senat macht sich die insoweit überzeugenden und zutreffenden Ausführungen des SG zu Eigen und sieht gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Begründung ab.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.