Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.04.2006, Az.: 2 ME 585/06

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.04.2006
Aktenzeichen
2 ME 585/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 45571
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2006:0407.2ME585.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - AZ: 6 B 4/06

In der Verwaltungsrechtssache

Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,

gegen

den Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel,

Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,

Streitgegenstand: Langzeitstudiengebühren

-einstweiliger Rechtsschutz -

hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 2. Senat - am 7. April 2006

beschlossen:

Tenor:

  1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 6. Kammer - vom 30. Januar 2006 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

    Der auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtete Antrag wird abgelehnt.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 250,00 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Erhebung von Langzeitstudiengebühren, die die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 30. November 2005 erstmals für das Sommersemester 2006 geltend gemacht hat. Nachdem die Antragstellerin gegen diese Heranziehung Klage erhoben und zeitgleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht hatte, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. Januar 2006 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Gebührenbescheid angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass es für die Erhebung von Langzeitstudiengebühren für den hier maßgeblichen Zeitraum des Sommersemesters 2006 an einer tragfähigen Rechtsgrundlage fehle. Durch Art. 6 des mit seinen hier relevanten Regelungen am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 15. Dezember 2005 (Nds. GVBl. 2005, 426) habe der Landesgesetzgeber unter anderem die bislang geltende Ermächtigungsgrundlage des § 13 NHG neu gefasst und in der ebenfalls geänderten Fassung des § 72 Abs. 12 NHG bestimmt, dass Studiengebühren nach § 13 in der ab 1. Januar 2006 geltenden Fassung erstmals zum Wintersemester 2006/2007 zu erheben seien. Der durch die Neufassung von § 72 Abs. 12 NHG bewirkte Aufschub der Erhebung der in neuer und inhaltlich geänderter Fassung vorgeschriebenen Langzeitstudiengebühren erfasse daher auch die Gebührenerhebung für das Sommersemester 2006, die angesichts der nicht fortdauernden Geltung des § 13 NHG a.F. unzulässig geworden sei.

2

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts richtet sich die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin, die auch in der Sache Erfolg hat.

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Insoweit kann es für die Entscheidung des Senats allerdings auf sich beruhen, ob der Auffassung der Antragsgegnerin zu folgen wäre, nach der bei der Suche nach einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Gebührenbescheid entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht allein auf den Wortlaut der §§ 13, 72 Abs. 12 NHG n.F. i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Haushaltsbegleitgesetz 2006 abzustellen sei, sondern sich die Gesetzesauslegung maßgeblich an der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der vorliegend anzuwendenden Normen zu orientieren habe. Denn die Beschwerde ist ungeachtet der Frage der vorzugsweise heranzuziehenden Auslegungsmethode schon deshalb begründet, weil der Niedersächsische Landesgesetzgeber mit Blick auf die Erhebung von Langzeitstudiengebühren für das Sommersemester 2006 inzwischen für die von der Vorinstanz vermisste Klarstellung der Gesetzeslage gesorgt hat. Wie bereits in der Beschwerdebegründung durch die Antragsgegnerin angekündigt, ist im Verlauf des Beschwerdeverfahrens am 28. Februar 2006 das Gesetz zur Neufassung des Niedersächsischen Verwaltungszustellungsgesetzes sowie zur Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes vom 23. Februar 2006 verkündet worden (GVBl. 2006, 72), dass mit seinem hier maßgeblichen Art. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 mit Wirkung vom 1. Januar 2006 das Niedersächsische Hochschulgesetz geändert und § 72 Abs. 12 Satz 1 NHG in der zuletzt durch Art. 6 des Gesetzes vom 15. Dezember 2005 - Haushaltsbegleitgesetz 2006 - geänderten Fassung um den Zusatz ergänzt hat, dass bis zur erstmaligen Erhebung von Studienbeiträgen nach § 11 NHG und Langzeitstudiengebühren nach § 13 NHG in der ab dem 1. Januar 2006 geltenden Fassung zum Wintersemester 2006/2007 die §§ 11, 13 Abs. 1, 2 und 5 sowie 14 Abs. 2 NHG in der am 31. Dezember geltenden Fassung anzuwenden sind. Daraus folgt, dass für die Zeitspanne bis zum Wintersemester 2006/2007, also maßgeblich für das Sommersemester 2006, weiterhin Langzeitstudiengebühren erhoben werden können, deren Rechtmäßigkeit sich nach §§ 11 und 13 Abs. 1, 2 und 5 NHG a.F. beurteilt.

4

Aus der Feststellung einer für die streitbefangene Gebührenerhebung tragfähigen Rechtsgrundlage folgt auch in Ansehung von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, wonach das Oberverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren nur die dargelegten Gründe - hier die Ausführungen der Antragsgegnerin zu der nach ihrer Auffassung gegebenen gesetzlichen Ermächtigung - prüft, noch nicht zugleich, dass die Beschwerde schon allein aus diesem Grund Erfolg haben müsste. Denn von dem nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für das Beschwerdegericht maßgeblichen Prüfungsumfang ist die weitergehende Frage zu trennen, wie zu verfahren ist, wenn das Beschwerdegericht die gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichteten Angriffe ganz oder teilweise für zutreffend hält, wenn die zur Begründung der Beschwerde vorgebrachten Argumente die angefochtene Entscheidung also als unrichtig erscheinen lassen. In einem solchen Fall ist das Beschwerdegericht nicht daran gehindert, in eine sich an den einschlägigen Maßstäben des vorläufigen Rechtsschutzes orientierende Prüfung des im Beschwerdeverfahren verfolgten Antragsbegehrens einzutreten, und berechtigt und verpflichtet, gegebenenfalls auch für die Entscheidung erhebliche Aspekte zu erörtern, die aus welchen Gründen auch immer im ersten Rechtszug keine Berücksichtigung gefunden haben oder die von der Vorinstanz nach Auffassung des Beschwerdegerichts fehlerhaft gewürdigt worden sind. Insoweit bleibt es auch in Ansehung von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für das Beschwerdegericht bei den Prüfungselementen, wie sie auch bei einer uneingeschränkten Beschwerdemöglichkeit anzunehmen wären (so bereits Senatsbeschluss v. 30.11.2004 - 2 NB 430/03 u.a. -; ferner OVG NRW, Beschl. v. 18.03.2002, NVwZ 2002, 1390; OVG Berlin, Beschl. v. 12.04.2002 - EZAR 240, Nr. 10; Hess. VGH, Beschl. v. 03.12.2002, NVwZ-RR 2003, 756; Bay. VGH, Beschl. v. 21.05.2003, BayVBl. 2004, 437; OVG Hamburg, Beschl. v. 22.12.2004 - 3 Nc 59/04 -).

5

Danach hätte der Senat gegebenenfalls auch zu erörtern, ob sich der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts unter Umständen deshalb im Ergebnis als richtig erweisen könnte, weil die Antragstellerin, wie von ihr geltend gemacht, gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG a.F. für die Erziehung ihrer Kinder ein höheres Studienguthaben als von der Antragsgegnerin mit zusätzlich drei Semestern anerkannt in Anspruch nehmen könnte. Diese Frage erweist sich indes nicht als entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht bereits zu Unrecht von der Zulässigkeit des Aussetzungsantrags ausgegangen ist.

6

Dem Begehren der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes steht bereits entgegen, dass sie vor Stellung des gerichtlichen Aussetzungsantrags das behördliche Vorverfahren nach § 80 Abs. 6 VwGO nicht durchgeführt hat. Bei der Erhebung einer Langzeitstudiengebühr handelt es sich um die Anforderung einer öffentlichen Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, so dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage kraft Gesetzes entfällt. Deshalb war gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO grundsätzlich ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Antragsgegnerin zu stellen. Soweit das Verwaltungsgericht diesen Antrag in einer nicht näher datierten telefonischen Nachfrage der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin mit dem Ziel einer möglichen Neuberechnung des Studienguthabens gesehen hat, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Dabei kann es auf sich beruhen, ob die Einleitung eines behördlichen Vorverfahrens im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO für den Antrag wie für dessen Ablehnung durch die Behörde die Schriftform erfordert (so OVG Koblenz, Beschl. v. 26.02.1999, NVwZ-RR 1999, 810) oder einem Formerfordernis nicht unterliegt (so OVG NRW, Beschl. v. 18.04.1996, NVwZ 1997, 87). Maßgeblich ist in erster Linie, dass der Abgabenschuldner der Behörde mit seinem Antrag erkennbar macht, wogegen er sich wendet und was er von ihr begehrt; daran fehlt es, wenn dem Begehren des Abgabenschuldners nicht hinreichend klar zu entnehmen ist, dass auch die Aussetzung der Vollziehung eines Gebührenbescheides gefordert wird. Nur ein solches Verständnis über den Inhalt eines Aussetzungsantrags wird dem Erfordernis des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO gerecht, das nicht nur oberflächlich oder als lästige Formalie zu handhaben ist, soll die mit ihr verfolgte Regelung nicht leer laufen. Mit der Vorschaltung des behördlichen Vorverfahrens nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, den Vorrang der verwaltungsinternen Kontrolle zu stärken und die Verwaltungsgerichte zu entlasten (Begründung des Gesetzentwurfs, BT.-Drucks. 11/7030, S. 24). Diese Forderung lässt sich nur erfüllen, wenn die Behörde aufgrund eines besonderen dahingehenden Vorbringens des Abgabenschuldners veranlasst wird, zu prüfen und zu entscheiden, ob sie entsprechend den sich insbesondere aus § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ergebenden Maßstäben, also entweder unter dem Gesichtspunkt ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts oder wegen einer mit dem Vollzug des Abgabenbescheides verbundenen unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotenen Härte, die kraft Gesetzes gegebene sofortige Vollziehbarkeit des Abgabenbescheides ganz oder teilweise aussetzt. Daher kann von einem Antrag im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nur gesprochen werden, wenn der Bürger das von ihm angestrebte Ziel, nämlich die Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheides, an die Behörde für diese erkennbar heranträgt (vgl. dazu OVG Saarlouis, Beschl. v. 15.04.1992, NVwZ 1993, 490). Ein solches Begehren kann in dem zum Bestandteil der Klagebegründung vom 29. Dezember 2005 gemachten Hinweis auf eine nicht näher datierte und inhaltlich festgelegte telefonische Nachfrage mit der Möglichkeit, eine Neuberechnung des Studienguthabens zu erreichen, nicht gesehen werden.

7

Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat auch der Auffassung, dass im vorliegenden Fall auf die Durchführung eines behördlichen Aussetzungsverfahrens nicht verzichtet werden durfte. Nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO ist dies unter anderem dann der Fall, wenn dem Abgabenschuldner die Vollstreckung droht. Hiervon ist wiederum dann auszugehen, wenn die Behörde durch konkrete Ankündigungen, Fristsetzungen oder sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen die im Bescheid festgesetzte Abgabe alsbald durchzusetzen gedenkt (vgl. OVG Saarlouis, a.a.O.; Bay. VGH, Beschl. v. 02.12.1999, BayVBl. 2000, 724; ferner Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 80, RdNr. 186). Dafür, dass die Antragsgegnerin bereits konkrete Vorbereitungen für eine alsbaldige Vollstreckung getroffen haben könnte, liegen keine Anhaltspunkte vor; solche ergeben sich weder aus dem bisherigen Verhalten der Antragsgegnerin noch werden sie in dem angefochtenen Beschluss von der Vorinstanz angenommen. Aber auch wenn man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgehen würde, dass es bei der Annahme des Ausnahmetatbestands nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO nicht allein darauf ankommt, ob die Behörde eine wirksam festgesetzte Abgabe zwangsweise beizutreiben gedenkt, vielmehr auch Raum für eine analoge Anwendung der genannten Bestimmung für die Fälle bleibt, in denen die Behörde an eine vollziehbare Gebührenforderung anderweitig rechtlich nachteilige Konsequenzen für den Abgabenschuldner knüpft, ist auch in Ansehung des Umstands, dass eine solche nachhaltige Konsequenz gegebenenfalls auch in einem neuen, eigenständigen Verwaltungsakt wie der Exmatrikulation gesehen werden könnte (vgl. dazu Bay. VGH, Beschl. v. 02.12.1999, a.a.O.), ist vorliegend für einen Verzicht auf das behördliche Vorverfahren nach § 80 Abs. 6 VwGO nichts gewonnen. Denn auch insoweit wäre erforderlich, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf anderweitige, aus der Nichtzahlung der Studiengebühr abzuleitende Konsequenzen, nämlich eine mögliche Exmatrikulation hingewiesen oder eine derart einschneidende Maßnahme angekündigt hätte. Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. November 2005 weist zwar darauf hin, dass die Zahlung der Langzeitstudiengebühr für eine ordnungsgemäße Rückmeldung der Antragstellerin zum Sommersemester 2006 erforderlich sei; weitergehende Konsequenzen, die auf eine mögliche Exmatrikulation bei Nichtzahlung abzielen, lassen sich dem Bescheid indes nicht entnehmen. Im Gegensatz dazu bietet die Antragsgegnerin der Antragstellerin in dem genannten Bescheid sogar für den Fall weiterer Rückfragen eine zusätzliche telefonische Beratung an.

8

Nach allem fehlt es daher für den Aussetzungsantrag der Antragstellerin an der Zugangsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 VwGO, so dass das Verwaltungsgericht das vorläufige Rechtsschutzgesuch bereits als unzulässig hätte abweisen müssen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht mit der vom Verwaltungsgericht angenommenen Reduzierung auf ein Viertel des Ausgangswertes auf §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

10

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.