Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.04.2006, Az.: 2 A 59/05

Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit zwischen Jagdgenossenschaften hinsichtlich der Zugehörigkeit einer bestimmten Fläche zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk; Voraussetzung für das Bilden eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks i.S.v. § 8 Abs. 1 Bundesjagdgesetz (BJagdG); Anforderungen an eine jagdrechtliche Angliederungsverfügung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.04.2006
Aktenzeichen
2 A 59/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 36061
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2006:0403.2A59.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg
AG Uelzen - 29.09.2003
LG Lüneburg - 24.03.2004
nachfolgend
AZ: 8 LA 62/06

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Grundsätzlich bilden alle nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehörenden Grundflächen verschiedener Eigentümer innerhalb des Bezirks einer politischen Gemeinde kraft Gesetzes den gemeinschaftlichen Jagdbezirk, sofern die Mindestgröße (150 Hektar) erreicht wird.

  2. 2.

    Durch Ein- und Ausgemeindungen, etwa im Zusammenhang mit einer Gebiets- und Verwaltungsreform, vergrößert oder verkleinert sich der gemeinschaftliche Jagdbezirk von Gesetzes wegen, weil sich aus dem Grundsatz des § 8 Abs. 1 BJagdG nach herrschender Meinung ergibt, dass die Grenzen des gemeinschaftlichen Jagdbezirks sich mit den Grenzen der politischen Gemeinde decken.

  3. 3.

    Gemäß § 5 Abs. 1 BJagdG können Jagdbezirke durch Abtrennung, Angliederung oder Austausch von Grundsflächen abgerundet werden, wenn dies aus Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung notwendig ist. Dabei ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass der Bestand einer Angliederungsverfügung von kommunalen Neugliederungsmaßnahmen unberührt bleibt.
    Selbst gesetzliche Änderungen im Bereich des Jagdrechts, so etwa das Inkrafttreten der §§ 6 und 7 BJagdG, führen nicht zur unmittelbaren oder konstitutiven Aufhebung des Fortbestehens von früher verfügten Angliederungen.

  4. 4.

    Materielle Voraussetzung einer Angliederung ist regelmäßig, dass sie "aus Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung notwendig ist" (§ 5 BagdG). Das ist dann der Fall, wenn es sich nicht nur um eine wünschenswerte Lösung handelt, sondern um eine Regelung, die einen den Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung widersprechenden Zustand beendet und eine jagdlich mögliche Lösung herbeiführt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob eine bestimmte Fläche in der Gemarkung G. zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Klägerin oder der Beigeladenen gehört.

2

Die Fläche mit der Flurbezeichnung "Große Heide" umfasst ca. 60 Morgen. Bis zur Gebiets- und Verwaltungsreform im Raum Uelzen im Jahre 1972 gehörte sie als Enklave zur politischen Gemeinde K.. Sie liegt zwischen den damaligen selbstständigen Gemeinden A., L. und G.. Nach der Gebietsreform gehört K. - mit der Enklave - zusammen mit der Gemeinde Bockholt zur Gemeinde Soltendieck. Die ehemaligen Gemeinden Ostedt und Könau kamen zur Gemeinde M.. Bis 1983 wurde die "Große Heide" katastermäßig als Bestandteil der Flur 3 der Gemarkung A. geführt. In Umsetzung der Gebietsreform von 1972 wird diese Fläche nunmehr als Teil der Flur 1 in der Gemarkung G. geführt.

3

Die Klägerin sah die "Große Heide" von altersher als Bestandteil ihres gemeinschaftlichen Jagdbezirks an. Dieses ergebe sich aus der Feldmarks-Beschreibung von 1859, die als Archivakte Nr. 13/150-7.1 im Kreisarchiv Uelzen geführt werde. Anlässlich einer jagdrechtlichen Auseinandersetzung im Jahre 2001 erhob der N. Jagdpächter Zivilklage gegen den O. Jagdpächter auf Unterlassung der Jagd auf der "Großen Heide". Das Amtsgericht Uelzen gab der Klage mit Urteil vom 29. September 2003 im wesentlichen mit der Begründung statt, dass die Enklave seit der Gebietsreform von 1972 zur politischen Gemeinde Soltendieck gehöre und damit in den gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Jagdgenossenschaft G. falle. Eine ausdrückliche Angliederungsverfügung oder eine Zusammenlegung im Sinne des § 8 Abs. 2 BJagdG liege nicht vor. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das Landgericht Lüneburg mit Beschluss vom 24. März 2004 zurück.

4

Mit Schreiben vom 12. November 2004 an den Beklagten beanspruchte die Klägerin die Anerkennung ihres Jagdbezirks in der Festlegung von 1859. Dieses lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 22. November 2004 unter Hinweis auf die Gebiets- und Verwaltungsreform sowie die zivilgerichtlichen Urteile ab.

5

Am 17. März 2005 hat die Klägerin Feststellungsklage erhoben. Ihr Feststellungsinteresse ergebe sich daraus, dass nicht offen bleiben könne, zu welchem Jagdbezirk die "Große Heide" gehöre. Die zwischen den Pächtern ergangenen zivilgerichtlichen Urteile entfalteten keine Rechtskraftwirkung zwischen den Jagdgenossenschaften und dem Beklagten. Die Klage sei auch begründet, da nach der amtlichen Verfügung vom 9. Mai 1859 des Königlichen Amtes Oldenstadt die strittige Fläche zwar der Dorfschaft K. zugehörig sei, aber dem Feldmark-Jagdbezirk A. angeschlossen sei. Diese amtliche Zuordnung der Fläche zu ihrem Jagdbezirk sei in der Folgezeit weder durch die preußischen Jagdgesetze von 1907 und 1934 noch durch das Reichsjagdgesetz von 1935 wieder aufgehoben worden. Durch die Gebietsreform im Raum Uelzen seien zwar K. und G. der Gemeinde P. zugeschlagen worden, doch habe dieses nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Auswirkungen auf frühere Angliederungsverfügungen. Mit der katastermäßigen Umschreibung von 1983 sei ebenfalls keine Aufhebung der Angliederung verbunden. Hierfür sei das Katasteramt auch nicht zuständig. Auch der Beklagte habe die Zuordnungsverfügung von 1859 nicht aufgehoben. In seinen Schreiben habe er keine Regelung getroffen, sondern allein auf seine - unzutreffende - Rechtsauffassung hingewiesen.

6

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Grundstücke Gemarkung G. Flur 1, Flurstück 2/10, 3/10, 4/10, 5/10, 6/10, 7/10, 8/10, 9/10, 10/10 und 11/10 mit einer Fläche von rund 60 Morgen zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk A. gehören.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie sei bereits unzulässig, da es der Klägerin am Rechtsschutz- und am Feststellungsinteresse fehle. Es liege kein feststellungsfähiges öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis vor. Es gehe um eine zivilrechtliche Streitigkeit zwischen den Jagdgenossenschaften G. und A., die allerdings bereits in den Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts gewürdigt worden sei. Im Februar 2001 seien die Klägerin und die Beigeladene zu einem Gesprächstermin geladen worden. Dort sei darauf hingewiesen worden, dass der Landkreis keinen Handlungsbedarf sehe und lediglich versuche, vermittelnd zwischen beiden Jagdgenossenschaften tätig zu werden. Weiterhin sei darüber informiert worden, dass per Gesetz die Jagdbezirksgrenzen mit den Gemarkungsgrenzen einhergehen würden, somit die strittige Fläche zur Gemeinschaftsjagd G. gehöre. Eine Zugehörigkeit zur Gemeinschaftsjagd A. sei nur durch eine entsprechende Angliederung möglich. Aus der Archivakte Nr. 13/150-7.1 ergebe sich nichts anderes.

9

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist als Feststellungsklage zulässig. Der Klägerin kann das rechtliche Interesse an der Klärung der Frage, zu welchem von mehreren in Frage kommenden gemeinschaftlichen Jagdbezirken die "Q." gehört, nicht abgesprochen werden. Zu Recht hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass sich an diese Feststellung jagdrechtliche Rechte und Pflichten knüpfen, wie etwa die Ausübung des Jagdrechts in diesem Bereich, die Zuständigkeit der Jagdgenossenschaft und die Verpflichtung zur Zahlung von Jagdsteuer.

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Die Klage ist aber unbegründet. Die "Q." gehört nicht zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Klägerin. Gemäß § 8 Abs. 1 BJagdG bilden alle Grundflächen einer Gemeinde oder abgesonderten Gemarkung, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehören, einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk, wenn sie im Zusammenhang mindestens 150 Hektar umfassen. Das bedeutet, dass grundsätzlich alle nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehörenden Grundflächen verschiedener Eigentümer innerhalb des Bezirks einer politischen Gemeinde kraft Gesetzes den gemeinschaftlichen Jagdbezirk bilden, sofern die Mindestgröße - was vorliegend problematisch ist - erreicht wird. Durch Ein- und Ausgemeindungen etwa im Zusammenhang mit einer Gebiets- und Verwaltungsreform vergrößert oder verkleinert sich der gemeinschaftlichen Jagdbezirk von Gesetzes wegen, weil sich aus dem Grundsatz des § 8 Abs. 1 BJagdG nach herrschender Meinung ergibt, dass die Grenzen des gemeinschaftlichen Jagdbezirks sich mit den Grenzen der politischen Gemeinde decken (Mitzschke/Schäfer, BJagdG, Komm. 4. Aufl. 1982, § 8 Rdn. 2, 6 ff). Unter den Verfahrensbeteiligten ist auch unstrittig, dass mit der Gebiets- und Verwaltungsreform im Raum Uelzen aus dem Jahre 1972 die "Große Heide" mit der damaligen politischen Gemeinde K. und der Gemeinde G. zur Gemeinde P. gekommen ist und damit nunmehr grundsätzlich nicht mehr in den gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Jagdgenossenschaft A., sondern der Jagdgenossenschaft G. fällt.

13

Allerdings können gemäß § 5 Abs. 1 BJagdG Jagdbezirke durch Abtrennung, Angliederung oder Austausch von Grundsflächen abgerundet werden, wenn dies aus Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung notwendig ist. Dabei ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass der Bestand einer Angliederungsverfügung von kommunalen Neugliederungsmaßnahmen unberührt bleibt. Es gilt der Grundsatz des § 43 Abs. 2 VwVfG , wonach ein Verwaltungsakt wirksam bleibt, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Selbst gesetzliche Änderungen im Bereich des Jagdrechts, so etwa das Inkrafttreten der §§ 6 und 7 BJagdG, führen nicht zur unmittelbaren oder konstitutiven Aufhebung des Fortbestehens von früher verfügten Angliederungen (BVerwG, Urteil 16. 11. 1995 - 3 C 28/94 -, Buchholz 451.16 § 5 BJagdG Nr. 26). Das gilt selbst dann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Angliederungsverfügung zur Zeit ihres Erlasses fehlten oder wenn die Angliederung nach dem jetzigen Recht nicht neu hätte ausgesprochen werden dürfen. Diese beiden Umstände können nur Anlass geben, eine Änderung durch Verwaltungsakt in Erwägung zu ziehen. Aus dem Bundesjagdgesetz selbst lässt sich kein Rechtssatz entnehmen, wonach alte Abrundungsverfügungen ihre Wirksamkeit verlieren (Urteil vom 18. 4. 1996 - 3 C 4/95 -, Buchholz 451.16 § 5 BJagdG Nr. 28).

14

Vorliegend scheitert die Klage letztlich daran, dass in den unter der Archivnummer 13/150-7.1 im Kreisarchiv Uelzen aufbewahrten Dokumenten keine Angliederungsverfügung enthalten ist. Dazu im Einzelnen:

15

Bei einer Angliederungsverfügung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, das heißt um eine hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 35 Abs. 1 VwVfG). Materielle Voraussetzung einer Angliederung ist regelmäßig, dass sie "aus Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung notwendig ist" (§ 5 BagdG). Das ist dann der Fall, wenn es sich nicht nur um eine wünschenswerte Lösung handelt, sondern um eine Regelung, die einen den Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung widersprechenden Zustand beendet und eine jagdlich mögliche Lösung herbeiführt (Mitzschke/Schäfer, § 5 Rdn. 7). Aus ihr muss der Wille erkennbar sein, durch Ausgliederung von Flächen aus dem einen Bezirk und Angliederung dieser Flächen in einen anderen Bezirk einen für jagdlich unhaltbar gehaltenen Zustand zu beenden.

16

Diesen Anforderungen an einer Angliederungsverfügung genügen die vorgelegten Dokumente nicht. Dabei handelt es sich lediglich um die "Beschreibung" der Feldmarks-Jagdbezirke. Unter der "Bezeichnung" A. wird "beschrieben", dass "60 Morgen Heide der Dorfschaft R. gehörig, ... der obigen Feldmarks-Jagdbezirke angeschlossen (sind)". Damit wird ein Zustand beschrieben, der im Jahre 1859 gegolten hat. Dieser Beschreibung der Feldmarks-Jagdbezirke kommt aber weder der Rechtscharakter einer Angliederungsverfügung zu, noch ist er ihr gleichzusetzen. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass aus jagdlichen Erfordernissen bestimmte Flächen aus einem Jagdbezirk ausgegliedert und einem anderen Jagdbezirk angegliedert werden. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin handelt es sich dabei also nicht um eine Verfügung, mit der eine bisherige Zuordnung von Flächen geändert wurde, sondern lediglich um eine Beschreibung der seinerzeit geltenden Jagdbezirke. Ihr kommt bereits kein Regelungscharakter zu. Mangels nachgewiesener Angliederungsverfügung bleibt es vorliegend mithin bei dem Grundsatz des § 8 Abs. 1 BJagdG, dass alle Grundflächen einer Gemeinde oder abgesonderten Gemarkung, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehören, einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk bilden.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO).