Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 17.07.2007, Az.: 2 A 543/05
Aufenthaltsbefugnis: Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis; Inländer, faktischer; Kurde,; Niederlassungserlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 17.07.2007
- Aktenzeichen
- 2 A 543/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 62068
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2007:0717.2A543.05.0A
Rechtsgrundlagen
- AufenthG 102 II
- AufenthG 104 II
- AufenthG 25 V
- AufenthG 26 IV
- AufenthG 9 II
- § 8 EMRK
Aus dem Entscheidungstext
Die 1991 geborene Klägerin stammt aus dem Libanon und ist nach Aktenlage staatenlose Kurdin. Sie reiste am 10. November 1990 in das Bundesgebiet ein und erhielt hier zunächst Duldungen. Am 23. April 1991 schloss sie die Ehe mit Herrn F. G., alias B.. Der Ehemann stammt ebenfalls aus dem Libanon, wird jedoch vom Beklagten als türkischer Staatsangehöriger behandelt, da er unter dem Namen G. in einem türkischen Personenstandsregister geführt wird. Dem vor ihr in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Ehemann der Klägerin hatte der Beklagte auf Grund der Bleiberechtsregelung vom 18. Oktober 1990 für aus dem Libanon stammende Personen, die vor dem 01. August 1990 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist waren, einer Aufenthaltsbefugnis nach dem damals geltenden § 30 Ausländergesetz erteilt. Auf Grund der Eheschließung erteilte der Beklagte der Klägerin erstmals mit Verfügung vom 04. März 1993 eine Aufenthaltsbefugnis und stellte für sie ein Reisedokument aus.
Im Laufe der Zeit unternahm der Beklagte erhebliche Anstrengungen, um die Staatsangehörigkeit des Ehemannes der Klägerin zu klären. Im März 2000 ging der oben genannte türkische Personenstandsregisterauszug für Herrn F. G. dem Beklagten zu. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Januar 2001 nahm der Beklagte die dem Ehemann der Klägerin und den gemeinsamen Kindern erteilte Aufenthaltsbefugnis zurück. Einen am 28: Mai 2001 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand lehnte der Beklagte mit ebenfalls bestandskräftigem Bescheid vom 05.06.2001 ab.
Auf ihren Antrag vom 07. März 2001 verlängerte der Beklagte die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin zunächst mit Bescheid vom 09. Mai 2001. Die Geltungsdauer der Aufenthaltsbefugnis war bis zum 13. März 2003 befristet und der Bescheid an die Klägerin unter dem Namen G. adressiert. Am 31. Oktober 2001 stellte der Beklagte der Klägerin unter dem neuen Namen ein Reisedokument aus. Auf ihren weiteren Antrag vom 11. März 2003 erteilte der Beklagte der Klägerin erneut mit Beschied vom 12. März 2003 eine bis zum 13. März 2005 befristete Aufenthaltsbefugnis.
Seit dem 01. Juli 2000 bezieht die Familie der Klägerin Sozialleistungen nicht mehr. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt aus Einkünften, die der Ehemann der Klägerin aus dem Betrieb eines Döner-Imbisses erzielt. Seit dem 01. Juni 2003 besteht zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin arbeitet in dem genannten Imbiss, erhält einen Bruttomonatslohn von circa 500,00 Euro und ist kranken- und rentenversichert. Auf Grund der Anrechnung von Kindererziehungszeiten für ihre insgesamt sechs, sämtlich in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kinder beträgt die Pflichtbeitragszeit der Klägerin ausweislich der Klärung ihres Versicherungskontos durch die Deutsche Rentenversicherung Braunschweig - Hannover vom 11. Juli 2007 derzeit 152 Monate. Fünf der sechs Kinder besuchen hier die Schule, das Jüngste den Kindergarten. Die Klägerin ist strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
Am 22. August 2003 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Offenbar erst im Zusammenhang mit diesem Verfahren wurde dem Beklagten bewusst, dass die Aufenthaltsbefugnis des Ehemannes der Klägerin, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableitete, erloschen war.
Nach vorheriger Anhörung nahm der Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 07. September 2004 die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin ab dem Zeitpunkt der letzten Verlängerung, dem 12. März 2003 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück. Gleichzeitig forderte er die Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollzeihung auf, das für sie ausgestellte Reisedokument zurückzugeben. Ferner lehnte er ihren Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihr, für den Fall, dass sie ihrer hieraus resultierenden Ausreisepflicht nicht bis zum 20. Dezember 2004 nachkomme, die Abschiebung in den Libanon oder ein Drittland an, welches bereit sei, die Klägerin aufzunehmen. Zur Begründung dieses Bescheides gab der Beklagte an, die der Klägerin mit Bescheid vom 12. März 2003 erteilte Aufenthaltsbefugnis sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 i.V.m. § 30 Abs. 4 AuslG bei Erlass des Bescheides nicht vorgelegen hätten. Da ihr Ehemann nicht im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis gewesen sei, hätte auch ihr, der Klägerin, eine solche nicht erteilt werden dürfen. Das Interesse der Klägerin am Bestand der Aufenthaltsbefugnis sei geringer zu gewichten als das öffentliche Interesse an der Rücknahme, weil der Fortbestand der rechtswidrig verlängerten Aufenthaltsbefugnis gegen den Grundsatz des Verwaltungshandelns (Anm. d. Gerichts: Gemeint ist wohl der Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns) verstoßen würde. Darüber hinaus läge ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, da anderen Ausländern in vergleichbar gelagerten Situationen eine Aufenthaltsbefugnis nicht erteilt oder verlängert worden wäre bzw. wird. Die rechtswidrig verlängerte Aufenthaltsbefugnis der Klägerin dürfe deshalb nicht zu einer Bevorzugung der Klägerin gegenüber anderen Ausländern führen.
Da die Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis danach nicht mehr besitze, dürfe für sie auch kein Reisedokument ausgestellt werden und das fälschlich ausgestellte Reisedokument sei zurückzugeben.
Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis könne der Klägerin nicht erteilt werden, weil sie die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 AuslG nicht erfülle. Sie sei nicht seit acht Jahren im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis, da diese von ihm, dem Beklagten, mit Rückwirkung auf den 12. März 2003 zurückgenommen worden sei. Da sie nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung sei, sei sie zur Ausreise verpflichtet, weshalb die Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist anzudrohen sei.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2005 im Wesentlichen unter Wiederholung der Erwägungen des angefochtenen Bescheides und unter Einbeziehung der neuen Rechtslage nach dem Aufenthaltsgesetz zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 23. November 2005 Klage erhoben.
Sie hält die Rücknahme ihrer Aufenthaltsbefugnis durch den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig, weil ihre Aufenthaltsbefugnis trotz Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis für ihren Ehemann mit Bescheid vom 11. Januar 2001 im Jahre 2001 und im Jahre 2003 erneut verlängert worden war. Der Beklagte habe das Recht zur Rücknahme ihrer Aufenthaltsbefugnisse verwirkt und zudem gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Im Übrigen sei die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis ihres Ehemannes rechtswidrig gewesen, was unter dem Gesichtspunkt des Folgenbeseitigungsanspruches auch für ihr Begehren zu berücksichtigen sei. Schließlich macht sie geltend, sowohl nach § 25 Abs. 5 AufenthG als auch nach der Niedersächsischen Bleiberechtsregelung vom 06. Dezember 2006 nach § 23 Abs. 1 AufenthG Anspruch auf einen Aufenthaltstitel zu haben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 07. September 2004 und seinen Widerspruchsbescheid vom 18. November 2005 in Ziffern 2, 3 und 4 des Bescheides vom 07. September 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen,
hilfsweise,
der Klägerin unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 07. September 2004 und des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2005 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sowie
festzustellen, dass die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis der Klägerin ab dem Zeitpunkt der letzten Verlängerung dem 12. März 2003 rechtswidrig gewesen ist und
festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem klägerischen Vorbringen im Wesentlichen unter Bezugnahme auf seinen Widerspruchsbescheid vom 18. November 2005 entgegen und weist darüber hinaus darauf hin, ihr Ehemann sei eindeutig türkischer Staatsangehörigkeit. Der Klägerin sei es deswegen zuzumuten, mit ihm in die Türkei auszureisen, wenn sie denn infolge des Fehlens von libanesischen Personaldokumenten in den Libanon nicht ausreisen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten in diesem und im Verfahren 1 A 378/06 betreffend die Klage des Ehemannes der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist insgesamt zulässig, insbesondere auch hinsichtlich des Feststellungsantrages statthaft. Insoweit handelt es sich um eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.
Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch dann statthaft ist, wenn die Erledigung eines Verwaltungsaktes bereits vor Klageerhebung eingetreten ist. Die vom Beklagten mit Bescheid vom 07. September 2004 verfügte rückwirkende Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis der Klägerin hat sich in diesem Sinne dadurch erledigt, dass die Aufenthaltsbefugnis bis zum 13. März 2005 befristet gewesen ist. Sie wäre, unabhängig von der Rücknahme, daher durch Zeitablauf zu diesem Zeitpunkt ohnehin erloschen. Ein über dem 13. März 2005 hinausgehender Regelungsgehalt kommt ihr nicht zu. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Rücknahmeentscheidung. Denn von diese Feststellung hängt die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland ab dem 12. März 2003 ab. Wäre die angefochtene Rücknahmeentscheidung rechtmäßig, wäre der Aufenthalt der Klägerin seit dem 12. März 2003 unrechtmäßig, wäre der Bescheid rechtswidrig, wäre es der Aufenthalt nicht.
Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsbegehrens und des Verpflichtungsbegehrens, soweit es auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gereichtet ist, begründet; ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis steht der Klägerin demgegenüber nicht zur Seite, sodass die Klage insoweit unbegründet ist.
Der Bescheid des Beklagten vom 07. September 2004 und sein Widerspruchsbescheid vom 18. November 2005 sind rechtswidrig, soweit mit ihnen die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin ab dem Zeitpunkt der letzten Verlängerung, dem 12. März 2003 zurückgenommen wird. Antragsgemäß ist dies vom Gericht festzustellen.
Diese Rücknahme lässt sich nicht auf § 48 VwVfG, der für die Rücknahme rechtswidriger Aufenthaltstitel anwendbar ist (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 52 Rn. 3) stützen. Dies folgt, unabhängig von weiteren rechtlichen Bedenken, wie insbesondere der Einhaltung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG daraus, dass der Beklagte das ihm zustehende Rücknahmeermessen nicht entsprechend dem gesetzlichem Zweck ausgeübt hat, sodass ein Ermessensfehler vorliegt.
Der Beklagte hat zwei wesentliche Ermessensgesichtspunkte, die sich ihm hätten aufdrängen müssen, nicht in seine Überlegungen eingestellt. Dies ist zum Einen der Umstand, dass er die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid rückwirkend aufgehoben hat. Grundsätzlich kommt eine Rücknahme erteilter Aufenthaltstitel nur mit Wirkung ex nunc in Betracht (Renner a.a.O., allg. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, § 48 Rn. 113). Ist die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, muss die Behörde jedoch in diesem Fall besondere Überlegungen darüber anstellen, ob und weshalb dem Ausländer der Aufenthaltstitel, mit der Folge, dass sein weiterer Aufenthalt ohne Rechtsgrund erfolgt, rückwirkend zurückgenommen werden soll. Derartige Überlegungen zeigt der angefochtene Bescheid nicht auf. Er erschöpft sich in dem nichtssagenden Hinweis auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und die Ansicht, die Klägerin dürfe nicht besser gestellt werden als vergleichbare Ausländer.
Der zweite, einen Ermessensfehler begründende Umstand ist der, dass der Beklagte die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin mit Verfügungen vom 09. Mai 2001 und 12. März 2003 noch zweimal verlängert hat, obwohl die Aufenthaltsbefugnis des Ehemannes der Klägerin, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableitete, bereits seit Februar 2001 bestandskräftig zurückgenommen worden war. Der Beklagte hat durch dieses Verhalten der Klägerin gegenüber einen Vertrauenstatbestand gesetzt, der es zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen hätte, ihre Aufenthaltsbefugnis zurückzunehmen, der es jedoch im Rahmen der Ermessenserwägungen zwingend erforderlich gemacht hätte, zu diesen zweimaligen Verlängerungen Stellung zu nehmen und auszuführen, warum ausgerechnet jetzt zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 07. September 2004 die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis der Klägerin angezeigt erscheine. Auch insoweit sind die angestrengten Ermessenerwägungen nichtssagend.
Die auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gerichtete Klage hat demgegenüber keinen Erfolg.
Zunächst erfüllt die Klägerin nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG. Denn sie ist nicht, was § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG fordert, seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Zwar ist die Klägerin seit weit mehr als fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis und hat, wie weiter unten auszuführen ist, derzeit auch Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis sind jedoch nicht auf die Frist des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG anzurechnen. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 102 Abs. 2 AufenthG. Danach wird auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 01. Januar 2005 angerechnet. Aus der Tatsache, dass eine ausdrückliche Anrechnung lediglich im Rahmen des § 26 Abs. 4 AufenthG erfolgt, ist zu schließen, dass eine entsprechende Anwendung im Rahmen von § 9 Abs. 2 AufenthG ausgeschlossen ist (so auch Renner a.a.O., § 9 Rn 15 ff.; VGH Baden Württemberg, Beschluss vom 29.05.2007 - 11 S 2093/06 -, zitiert nach Juris).
Die Möglichkeit, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, ergibt sich auch nicht aus § 26 Abs. 4 AufenthG. Danach kann im Übrigen einem Ausländer, der seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 - 9 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen; wegen § 104 Abs. 2 AufenthG finden dabei § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 8 AufenthG hier keine Anwendung. Wie dargelegt, sind für die Frist des § 26 Abs. 4 AufenthG die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 102 Abs. 2 AufenthG anzurechnen. Daraus folgt, dass die Klägerin die zeitlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG erfüllt. Jedoch scheitert die Erteilung einer solchen Niederlassungserlaubnis daran, dass die Klägerin keine Aufenthaltserlaubnis beziehungsweise -befugnis nach diesem Abschnitt besitzt. Mit diesem Abschnitt ist der Abschnitt 5 des AufenthG gemeint, der den Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen regelt. Vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes sind die aus solchen Gründen folgenden Aufenthaltstitel in §§ 32 ff. AuslG geregelt gewesen. Der Klägerin, die infolge ihrer Einreise erst am 10. November 1990 nicht unter die Bleiberechtsregelung für libanesische Flüchtlinge fällt, wurde ihre Aufenthaltsbefugnis nach altem Ausländerrecht gemäß § 31 AuslG erteilt. Eine entsprechende Regelung enthält nunmehr § 30 AufenthG. Diese Vorschrift befindet sich im 6. Abschnitt des AufenthG. Darauf folgt, dass der Klägerin in der Vergangenheit die Aufenthaltsbefugnisse nicht nach dem 5., sondern dem 6. Abschnitt des AufenthG erteilt worden sind.
Die Kammer hat erwogen, das Verfahren insoweit bis zum Inkrafttreten des bisher als Entwurf vorliegenden neuen Aufenthaltsgesetzes auszusetzen oder zum Ruhen zu bringen. Sie hat davon Abstand genommen, weil sich voraussichtlich auch aus der Neuregelung in § 104 Abs. 7 AufenthG-E (Artikel 1 Nr. 81 des Gesetzentwurfes, BT Ds 16/5065 vom 23.04.2007) die Möglichkeit, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG zu erteilen, nicht ergeben wird. Nach dieser künftigen Vorschrift kann eine Niederlassungserlaubnis auch Ehegatten eines Ausländers erteilt werden, die vor dem 01. Januar 2005 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 des AuslG waren, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 erfüllt sind und sie weiterhin die Voraussetzungen erfüllen, wonach einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 des AuslG erteilt werden durfte. An dieser letzten Voraussetzung wird die Anwendung des § 104 Abs. 7 AufenthG-E voraussichtlich scheitern. Denn die Voraussetzungen des § 31 AuslG sind nicht - mehr - erfüllt. Wie dargelegt, hat der Ehemann der Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen nicht mehr.
Schließlich ergibt sich ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht aus der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 - Daueraufenthaltsrichtlinie -EU - (Amtsblatt EU L 16/44 v. 23.01.2004). Zwar vermag diese Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist des Art. 26 der Richtlinie, dem 23.01.2006, unmittelbar Ansprüche zu vermitteln. Der Anspruch nach dieser Richtlinie ist jedoch gemäß Art. 8 Abs. 2 auf die Erteilung einer "langfristigen Aufenthaltsberechtigung -EG" gerichtet. Entsprechend sieht § 9 a Abs. 1 AufenthG-E die Einführung eines neuen, selbständigen Aufenthaltstitels "Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EG" vor. Die Klägerin mag Tatbestandsvoraussetzungen dieses Aufenthaltstitels erfüllen, insbesondere die zeitliche Voraussetzung eines 5-jährigen Aufenthalt im Bundesgebiet mit Aufenthaltstitel, es handelt sich jedoch nicht um eine mit der Klage begehrte Niederlassungserlaubnis, sondern einen eigenständigen Aufenthaltstitel. Eine Prüfung im Einzelnen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitel vorliegen, ist daher entbehrlich (§ 88 VwGO).
Die Klage ist jedoch mit dem Hilfsantrag insoweit begründet, als die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gegen den Beklagten hat. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Ein solches rechtliches Ausreisehindernis ergibt sich für die derzeit vollziehbar ausreisepflichtige Klägerin aus dem durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Privatleben.
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat Jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; Art. 8 Abs. 2 EMRK regelt die Zulässigkeit von Eingriffen von staatlichen Stellen in die Ausübung dieses Rechts. Wesentliches Ziel der Vorschrift ist der Schutz des Einzelnen vor willkürlicher Einmischung der öffentlichen Gewalt in sein Privat- und Familienleben. Grundsätzlich wirkt Art. 8 EMRK auf die Auslegung und Anwendung des Ausländerrechts ein, ohne unmittelbar Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu begründen. Die EMRK und damit auch die Garantien des Art. 8 Abs. 1 enthalten nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten und nicht ausgewiesen zu werden. Über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden, ist nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen vielmehr das Recht der Vertragsstaaten. Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung jedoch dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum Einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum Anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-) Integration in seinem Heimatland ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschlands, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichendem Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Mit zu berücksichtigen ist insoweit auch die Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts: Denn ein unerlaubter Aufenthalt und die damit verbundene Unsicherheit des Aufenthaltsstatus stehen in der Regel der Führung eines schutzwürdigen Privatlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegen (vgl. aus der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts Beschlüsse v. 11.05.2006 - 12 ME 138/06; v. 17.11.2006 - 10 ME 220/06 -; v. 29.06.2007 - 10 MC 147/07 -, zitiert nach der Internet-Entscheidungssammlung d. Nds. OVG, jeweils mit umfangreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR).
Gemessen an diesen Grundsätzen ergibt sich für die Klägerin ausnahmsweise ein unmittelbarer Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG als faktische Inländerin.
Vorauszuschicken ist, dass im Fall der Klägerin für die Frage, ob ihre (Re-) Integration im Heimatland möglich ist, nicht auf eine Rückkehr in den Libanon abgestellt werden kann. Als staatenlose Kurdin erhält sie vom libanesischen Staat, das ist gerichtsbekannt, weder Pass- noch Passersatzpapiere. Eine Ausreise in den Libanon wird ihr nicht möglich sein. Allenfalls denkbar, und vom Beklagten angestrebt, ist eine freiwillige Ausreise der Klägerin mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern in die Türkei. Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin für die Türkei aufenthaltsberechtigt sein wird, ist für die Frage der Integration in dieses Land zu berücksichtigen, dass die Klägerin dort weder über Familienangehörige oder sonstige persönliche Kontakte verfügt noch türkische Sprachkenntnisse besitzt. Ihre Integration in die Türkei erscheint demnach nahezu ausgeschlossen.
Demgegenüber weisen gewichtige Anhaltspunkte darauf hin, dass die Klägerin persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat, die sie als faktische Inländerin erscheinen lassen. Sie lebt seit nunmehr fast 17 Jahren, und damit annähernd die Hälfte ihres Lebens, in der Bundesrepublik. Strafrechtlich ist sie nie in Erscheinung getreten. Sie bezieht aus ihrer nichtselbständigen Beschäftigung im Imbiss ihres Ehemannes ein für ihren Lebensunterhalt allein gesehen ausreichendes Einkommen. Sie ist in diesem Arbeitsverhältnis sowohl kranken- wie auch rentenversichert und bezieht, wie ihre gesamte übrige Familie seit dem 01.07.2000 öffentliche Mittel nicht mehr. Daneben verfügt sie über einen festen Wohnsitz. Davon, dass die Klägerin ausreichend gute deutsche Sprachkenntnisse hat, konnte sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen. Sie konnte dem Verhandlungsverlauf weitgehend ohne Zuhilfenahme der Dolmetscherin folgen; soweit Rückfragen zum Gesprochenen an die Dolmetscherin erfolgten, standen diese im Zusammenhang mit schwierigen Ausdrücken der Rechtsprache oder komplexen Sachverhaltserörterungen. Nicht unberücksichtigt bleiben darf für die Frage der Integration in der Bundesrepublik Deutschland der Umstand, dass die Klägerin ihre 6 Kinder, von denen 5 hier mit Erfolg die Schule besuchen, Kinder betreut. Dies bedingt ständige soziale Kontakte insbesondere auch im schulischen Umfeld. Schließlich ist zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 04.03.1993, der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis rechtmäßig ist. Da die rückwirkende Rücknahme ihrer Aufenthaltsbefugnis mit dem angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 07.09.2004 aus den o.g. Gründen rechtswidrig war, war ihr Aufenthalt bis zum 13.03.2005 durch eine Aufenthaltsbefugnis gedeckt und damit rechtmäßig. Zwar besaß die Klägerin danach einen Aufenthaltstitel nicht mehr, da ihr Widerspruch vom 10.09.2004 gegen den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 07.09.2004 und ihrer Klage vom 23.11.2005 gemäß § 72 Abs. 1 AuslG bzw. § 84 Abs. 1 AufenthG aufschiebende Wirkung nicht hatten. Dies darf der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG für die Beurteilung ihrer Integration jedoch nicht entgegen gehalten werden. Der Beklagte hat die Versagung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AuslG darauf gestützt, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis gewesen sei. Deren rückwirkende Rücknahme war jedoch, wie ausgeführt, rechtswidrig. Der Beklagte hätte der Klägerin, seiner eigenen Bescheidbegründung folgend, ohne diese rechtswidrige Rücknahme eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Zudem spricht viel dafür, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auch bereits im Zeitpunkt des Ablaufes der Befristung der letzten Aufenthaltbefugnis der Klägerin, im März 2005, vorgelegen haben.
Nach alledem ist die Klägerin als faktische Inländerin anzusehen und ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, weil das dem Beklagten durch die Vorschrift eingeräumte Ermessen durch die Bindungswirkung des Art. 8 EMRK auf Null geschrumpft ist, so dass sich ein Anspruch ergibt.
Da die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, fehlt sowohl der Rückforderung ihres Reisedokuments (Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides) wie auch der gegen sie verfügten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides) die Rechtsgrundlage. Der Bescheid ist insoweit aufzuheben.
Streitwertbeschluss:
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Soweit die Klägerin mit ihrem Begehren auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unterliegt, bewertet das Gericht dieses Unterliegen mit 1/3 des Gesamtstreitwertes.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO für notwendig zu erklären, weil die rechtsunkundige Klägerin in Anbetracht der schwierigen Sach- und Rechtslage der anwaltlichen Unterstützung im Vorverfahren bedurfte, um ihre Rechte geltend zu machen.