Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.12.2009, Az.: 7 K 248/04

Anspruch eines nicht geringfügig beschäftigten serbischen Studenten auf Kindergeld nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
09.12.2009
Aktenzeichen
7 K 248/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 34283
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2009:1209.7K248.04.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 07.03.2013 - AZ: V R 61/10

Fundstellen

  • EFG 2010, 1227-1231
  • EStB 2010, 463

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Kindergeld - Einspruchsentscheidung vom 16.03.2004

  1. 1)

    Zur Entscheidungsbefugnis des Gerichts in Kindergeldsachen für Zeiträume nach der Einspruchsentscheidung

  2. 2)

    Zum deutsch-jugoslawischen Sozialabkommen:

    Anspruch eines zur Rentenversicherung versicherungspflichtig und nicht geringfügig beschäftigten serbischen Studenten, der aufgrund seines Studiums nicht zur Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig ist.

Tatbestand

1

Streitig ist für den Zeitraum August 2000 bis einschließlich Juli 2007, ob der Kläger aufgrund seiner renten-, jedoch nicht arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung einen Anspruch auf Kindergeld nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (vom 12. Oktober 1968, BGBl. II 1969, S. 1437, in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30. September 1974, BGBl. II 1975, S. 389, im Folgenden: Abkommen, deutsch-jugoslawisches Sozialabkommen) hat.

2

Der Kläger stammt aus ... (früher Jugoslawien, dann Serbien-Montenegro, dann Serbien, jetzt Kosovo) und ist jugoslawischer bzw. jetzt serbischer Staatsangehöriger. Er ist Vater des Sohnes ..., geb. März 2000 und der Tochter ..., geb. Juni 2007. Beide Kinder sind in Deutschland (X) geboren und leben hier von Geburt an bis heute zusammen mit ihren Eltern. Der Kläger und die Mutter der Kinder haben im Oktober 2000 geheiratet. Die Ehe besteht. Die Vaterschaft des Klägers für den Sohn ist unmittelbar nach der Geburt festgestellt worden.

3

Der Kläger ist examinierter Krankenpfleger. Die Ausbildung absolvierte er in Jugoslawien, das Anerkennungsjahr im Jahr 1993 in X. Im Jahr 1999 besuchte er das Studienkolleg in X und erlangte die Hochschulzugangsberechtigung. Seit 1999 studierte er an der Universität X im Fach .... Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger sein Studium ernsthaft betrieben hat. Daneben arbeitete er als Krankenpfleger an der ...-klinik X und stellte so den Lebensunterhalt seiner Familie sicher.

4

Beginnend mit August 2000 und im gesamten streitigen Zeitraum war der Kläger bei der ...-klinik X nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VI beitragspflichtig zur Deutschen Rentenversicherung beschäftigt und erwarb durch die von ihm und seiner Arbeitgeberin geleisteten Beitragszahlungen Rentenansprüche. Mit Wirkung ab ... 2004 wurde ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen. Mit Wirkung ab August 2007 wurde ein umfangreicherer Arbeitsvertrag geschlossen. Aufgrund des Studiums des Klägers bestand zunächst keine Beitragspflicht zur Bundesanstalt bzw. zur Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Arbeitslosenversicherung) nach dem SGB III. Ab August 2007 war die Tätigkeit des Klägers so ausgestaltet, dass er auch zur Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig wurde.

5

Der Kläger hatte in dem streitigen Zeitraum Aufenthaltstitel inne, die ihn nach Auffassung der Beteiligten nicht zum Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG berechtigten (neben Duldungen überwiegend Aufenthaltstitel aufgrund seines Studiums, d.h. Aufenthaltsbewilligungen nach § 28 Ausländergesetz -AuslG- bzw. nach § 16 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz -AufenthG-, und Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 4 AufenthG). Wegen der Aufenthaltstitel im Einzelnen wird auf die Bescheinigung der Stadt X vom ... Bezug genommen.

6

Am ... Dezember ... stellte der Kläger bei der Familienkasse erstmalig einen Antrag auf Kindergeld für seinen Sohn. Die ...-klinik bescheinigte, dass der Kläger dort seit ... August 2000 ohne Unterbrechung beschäftigt war; die Sozialversicherungsbeiträge würden an den zuständigen deutschen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung unter der angegebenen Versicherungsnummer des Arbeitnehmers abgeführt. Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit würden nicht entrichtet. Die Arbeitgeberin gab hierzu an: "weil 'Studentenstatus' ". Kindergeld werde nicht ausgezahlt.

7

Mit Bescheid vom ... Dezember 2003 lehnte die Familienkasse den Antrag ab. Die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG lägen nicht vor. Auch fänden die Sonderregelungen für anerkannte Flüchtlinge, Asylberechtigte und für Kontingentflüchtlinge keine Anwendung. Eine Berücksichtigung nach überstaatlichen Rechtsvorschriften könne nicht erfolgen, da die Voraussetzungen hierfür (beitragspflichtige Beschäftigung bzw. Bezug von Lohnersatzleistungen) nicht erfüllt seien.

8

Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, als jugoslawischer Staatsangehöriger sei für ihn das deutsch-jugoslawische Sozialabkommen anzuwenden. Gemäß Artikel (Art.) 28 des Abkommens hätten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Kindergeld unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel. Er gehe einer Beschäftigung nach, wie belegt.

9

Mit Bescheid vom ... März 2004 wies die Familienkasse den Einspruch zurück. Arbeitnehmer im Sinne des Abkommens sei, wer in Deutschland eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe oder im Anschluss an eine solche Beschäftigung Erziehungsgeld erhalte oder sich bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis im Erholungsurlaub befinde oder Arbeitslosengeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. Übergangsgeld wegen medizinischer Reha-Maßnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung beziehe. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, weil der Kläger keine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe. Im Einzelnen wird auf den Einspruchsbescheid Bezug genommen.

10

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, dass er einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehe, wie sich aus seinen Gehaltsmitteilungen ergebe. Hierzu hat er seine gesamten Gehaltsmitteilungen der ...-klinik X für den Monat Juni 2000 und für sämtliche Monate beginnend mit Oktober 2000 eingereicht sowie eine Aufstellung der Deutschen Rentenversicherung vom ... über seinen Versicherungsverlauf. Hieraus ergibt sich, dass der Kläger bei der ...-klinik X beitragspflichtig zur Rentenversicherung seit August 2000 beschäftigt war (teilweise neben einer anderweitigen zusätzlichen geringfügigen Beschäftigung). Das von der ...-klinik gezahlte Gehalt war in keinem der Monate des streitigen Zeitraums nur geringfügig. Die Arbeitgeberin führte aus dem Gehalt des Klägers Lohnsteuer ab.

11

Der Kläger trägt vor, nach dem Abkommen setze die Zahlung von Kindergeld ausschließlich eine Beschäftigung im Vertragsstaat voraus. Die Ausübung einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung als Voraussetzung für die Gewährung von Kindergeld lasse sich dem Abkommen nicht entnehmen.

12

Im November 2007 beantragte der Kläger nochmals Kindergeld für den Sohn und auch für die im Juni 2007 geborene Tochter. Mit Bescheid vom ... März 2008 setzte die Familienkasse Kindergeld für ... und ... ab August 2007 bis laufend fest. Kindergeld habe nur rückwirkend ab August 2007 festgesetzt werden können, weil der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen erst ab dem genannten Monat erfülle. Der Bescheid werde Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens. Die Zeit ab August 2007 ist im vorliegenden Verfahren nicht mehr streitbefangen. Das Gericht hat das von den Beteiligten insoweit für erledigt erklärte Verfahren vom vorliegenden Verfahren abgetrennt.

13

Die Beteiligten haben sich in der mündlichen Verhandlung dahingehend verständigt, dass die Arbeitsbedingungen des Klägers so gestaltet waren unter Berücksichtigung der Bedingungen seines Studiums und nach dem Gesamtbild der Verhältnisse, dass der Kläger, so wie von der ...-klinik bescheinigt, in der Zeit von August 2000 bis einschließlich Juli 2007 bei der ...-klinik nicht beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung beschäftigt war. Sie haben sich weiter dahingehend verständigt, dass der Kläger in sämtlichen Monaten, beginnend mit August 2000 bis einschließlich Juli 2007 bei der ...-klinik in einem rentenversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis beschäftigt war und in keinem dieser Monate nur geringfügig bei der ...-klinik beschäftigt war.

14

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Änderung der angefochtenen Bescheide zugunsten des Klägers das Kindergeld für ... für die Zeit von August 2000 bis einschließlich Juli 2007 und für ... für die Monate Juni und Juli 2007 festzusetzen.

15

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Sie hält - nachdem zunächst der Ausgang mehrerer beim Bundesfinanzhof (BFH) und beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängiger Verfahren abgewartet wurde - an ihrer Auffassung fest. Art. 28 des Abkommens bestimme, wann ein Antragsteller Anspruch auf Kindergeld habe. Darin sei der Begriff "beschäftigt" gewählt, jedoch nicht näher umschrieben.

17

Nach Auffassung der Beklagten sei jedoch davon auszugehen, dass in das Abkommen alle Arbeitnehmer einbezogen werden sollten, die dem Arbeitsmarkt ebenso zur Verfügung stünden wie die, für die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO (EWG) Nr. 1408/71). Dies ergebe sich auch aus Satz 2 von Art. 28 Abs. 1 des Abkommens, nach dem alternativ zu einer Beschäftigung der Bezug von Kranken- oder Arbeitslosengeld genannt werde.

18

Begünstigt seien demnach nur solche Arbeitnehmer, die während ihrer Beschäftigung gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit stünden oder lediglich nach § 28 Nr. 1 SGB III wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, nicht aber aus anderen Gründen versicherungsfrei seien. Diese Auffassung beruht auf der Geschäftsanweisung der Bundesanstalt für Arbeit vom 3. Dezember 2002 (Anlage 2 zum Rundbrief 76/2002, abgedruckt in Helmke/Bauer Familienleistungsausgleich, Loseblattkommentar, D III.3). Aus den Angaben der ...-klinik gehe hervor, dass der Kläger wegen seines Studentenstatus keine Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit entrichte.

19

Nach der aktuellen Neufassung der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs vom 30. September 2009 (Da-FamEStG, BStBl. I 2009, 1030 ff.) sind Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einem der dort genannten Abkommensstaaten (u.a. Serbien, Kosovo) Personen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, ohne dass nach der Sozialversicherungspflicht zu bestimmten Zweigen der Sozialversicherung differenziert wird (DA 62.4.3 Abs. 2). Der Vertreter der Beklagten hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er sich gehindert sehe, den Anspruch des Klägers anzuerkennen, weil die Geschäftsanweisung vom 3. Dezember 2002 nicht ausdrücklich aufgehoben worden sei.

20

Wegen des weiteren Sachverhaltes und Vorbringens wird auf den Inhalt der Kindergeldakte, die gewechselten Schriftsätze, nebst Anlagen, und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist begründet.

22

1.

Gegenstand des Klageverfahrens und der materiell-rechtlichen Entscheidung des Gerichts ist entsprechend dem Klageantrag (noch) der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für die Zeit von August 2000 bis einschließlich Juli 2007.

23

Der im Dezember ... gestellte Antrag des Klägers umfasst auch den Zeitraum ab August 2000, weil die Familienkasse über diesen Zeitraum noch nicht bestandskräftig entschieden hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein "Kindergeldantrag, der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, seinem objektiven Inhalt nach dahin zu verstehen, dass die Kindergeldfestsetzung auch für die Vergangenheit begehrt wird." (BFH, Urteil vom 28. Januar 2004, VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786).

24

Die Entscheidung des Gerichts umfasst auch den nach Ergehen der Einspruchsentscheidung ab März 2004 liegenden Zeitraum bzw., nachdem die Familienkasse im Verlaufe des Klageverfahrens das Kindergeld ab August 2007 festgesetzt hat, den Zeitraum bis einschließlich Juli 2007. Zwar erstreckt sich nach der Rechtsprechung des BFH die Bindungswirkung eines bestandskräftigen Bescheides, mit dem eine Kindergeldfestsetzung abgelehnt worden ist, auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (Urteil vom 25. Juli 2001, VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl. II 2002, 89, Urteil vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03 a.a.O., ständige Rechtsprechung). Diese Rechtsprechung hat entscheidende Bedeutung für die Frage, ab welchem Monat auf einen neu gestellten Antrag hin Kindergeld festgesetzt werden könnte, schließt jedoch die Entscheidungsbefugnis des Gerichts für einen nach der Einspruchsentscheidung liegenden Zeitraum nicht aus. Der mit der Klage angefochtene Ablehnungsbescheid ist nicht bestandskräftig geworden; ob er bestandskräftig wird, ergibt sich erst aus der Entscheidung des Gerichts.

25

Gegenstand des Klageverfahrens ist die Frage, ob die Familienkasse verpflichtet ist, das Kindergeld im streitigen Zeitraum festzusetzen; die Klage ist eine Verpflichtungsklage im Sinne des § 101 Finanzgerichtsordnung - FGO - (BFH, Urteil vom 2. Juni 2005, III R 66/04, BFHE 210, 265 [BFH 02.06.2005 - III R 66/04], BStBl. II 2006, 184). Soweit die Ablehnung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht nach § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung der Finanzbehörde (Familienkasse) aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es nach § 101 Satz 2 FGO die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Spruchreife i.S. des § 101 Satz 1 FGO bedeutet, dass nach der für den Streitfall maßgeblichen Sach- und Rechtslage der Anspruch auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakts besteht. Wird der Erlass eines gebundenen Verwaltungsaktes - wie der Festsetzung von Kindergeld - begehrt, kommt es bei der Entscheidung, ob Anspruch auf den Erlass des begehrten Verwaltungsaktes besteht, "grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des FG an ... Das gilt insbesondere bei der Prüfung eines Anspruchs auf Festsetzung monatlich wiederkehrender Leistungen wie dem Kindergeld ..., für die die gesetzlichen Voraussetzungen für jeden Monat neu erfüllt sein müssen." (BFH, Urteil vom 2. Juni 2005, III R 66/04, a.a.O., unter Hinweis auf das Urteil vom 21. Juli 1992, VII R 28/91, BFH/NV 1993/440, Urteil vom 17. Mai 1977, VII R 101/76, BFHE 122, 376 [BFH 17.05.1977 - VII R 101/76], BStBl. II 1977, 706, Gräber/von Groll, Kommentar zur FGO, 6. Aufl. 2006, Rdz. 6 zu § 101 FGO, Tipke/Kruse, Loseblattkommentar zur FGO, Tz. 8 zu § 101 FGO).

26

Allerdings hat der BFH in seinem Urteil vom 2. Juni 2005 (III R 66/04, a.a.O.) auch entschieden, dass das Finanzgericht (FG) nicht in jedem Fall verpflichtet ist, die Sache zur Spruchreife zu bringen. Aufgabe der Gerichte ist es, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassen auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben. Insbesondere darf danach das FG nicht von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte aufgreifen und durch eigene Ermittlungen klären. Es hat lediglich die Pflicht, den Sachverhalt bis zur Entscheidungsreife für den Erlass eines sog. Bescheidungsurteils aufzuklären (vgl. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1983, IV R 170/81, BFHE 139, 553, BStBl. II 1984, 200; vom 7. April 1987 IX R 103/85, BFHE 150, 124, BStBl II 1987, 707, unter 2. der Gründe; vom 20. April 2004 VIII R 13/03, BFH/NV 2004, 1253, m.w.N.); andernfalls würde dem Kläger eine außergerichtliche Instanz genommen.

27

Im Streitfall ist die Sache bezogen auf den der Entscheidung des Gerichts zugrundeliegenden Zeitraum von August 2000 bis Juli 2007 spruchreif. Das Klagebegehren zielt auf die Verpflichtung der Familienkasse, das Kindergeld für diesen Zeitraum festzusetzen und es insbesondere nicht mit dem von der Familienkasse angeführten Argument zu versagen, der Anspruch auf Kindergeld nach dem Abkommen bestehe deshalb nicht, weil der Kläger nicht nach dem SGB III beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung beschäftigt war. Reicht die nach dem SGB VI zur Rentenversicherung beitragspflichtige Beschäftigung aus, um einen Anspruch des Klägers nach dem Abkommen zu begründen, hat er einen Anspruch auf Kindergeld. Es sind keine Gründe von den Beteiligten vorgetragen oder sonst wie ersichtlich, die einem Anspruch des Klägers auf Kindergeld für den Zeitraum bis Juli 2007 entgegenstehen könnten. Insbesondere haben die Kinder ihren Wohnsitz bei ihren Eltern im Inland und sind noch nicht 18 Jahre alt (§§ 62, 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 EStG) und es werden keine anderen Leistungen i.S. des § 65 EStG für sie gezahlt.

28

2.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG. Aufgrund der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses des Kindergeldanspruchs von Ausländern nach § 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz - BKGG - (Beschluss vom 6. Juli 2004, 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97 und 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160) wurde die (mit § 1 Abs. 3 BKGG inhaltlich ähnliche) Regelung in § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 neu gefasst und ist nach § 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Die dem Kläger im streitigen Zeitraum teilweise für Zwecke des Studiums erteilte Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG, die ihn eingeschränkt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte, gilt nach § 101 Abs. 2 AufenthG entsprechend dem ihrer Erteilung zu Grunde liegenden Aufenthaltszweck und Sachverhalt fort und entspricht der ihm später erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG, die sodann nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend galt. Aufgrund der Rückausnahme in § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG hat der Kläger keinen Anspruch auf Kindergeld; Ausländer, die aufgrund ihres Studiums eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, haben nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 a EStG keinen Kindergeldanspruch.

29

Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen über die Nichtgewährung von Kindergeld an Ausländer unter bestimmten aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen sind auch nach der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG Bedenken erhoben worden, ferner gegen die ab Januar 2006 erfolgte rückwirkende Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG auf alle offenen Altfälle (FG Köln, Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 9. Mai 2007, 10 K 1690/07, EFG 2007, 1247 und Urteil vom 9. Mai 2007, 10 K 983/04, EFG 2007, 1254 unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. Oktober 2005 in der Sache 59140/00, Okpisz, BFH/NV 2006, Beilage 3, 357 [BFH 29.06.2005 - II R 3/04]).

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Der BFH ist der Auffassung des FG Köln nicht gefolgt und hält in ständiger Rechtsprechung die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG und deren rückwirkende Anwendung auf noch offene Fälle für verfassungsgemäß (Urteile vom 15. März 2007, III R 93/03, BFHE 217, 443, BStBl. II 2009, 905, BFH/NV 2007, 1234 [BFH 15.03.2007 - III R 93/03], vom 15. März 2007, III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298, vom 22. November 2007, III R 54/02, BFHE 220, 45, BStBl. II 2009, 913, BFH/NV 2008, 457 [BFH 22.11.2007 - III R 54/02], vom 28. Mai 2009, III R 43/07, BFH/NV 2009, 1641, ständige Rechtsprechung). Der Gesetzgeber habe verfassungskonform und im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums gehandelt, als er typisierend die in § 62 Abs. 2 EStG gestellten Anforderungen für einen Kindergeldanspruch bestimmt habe. Die vom FG Köln angeführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. Oktober 2005 stehe nicht entgegen, weil sie zu § 1 Abs. 3 BKGG, nicht aber zu § 62 Abs. 2 EStG n.F. ergangen sei. Das BVerfG hat die vom FG Köln mit Beschluss vom 9. Mai 2007 vorgelegte Frage inhaltlich nicht entschieden. Es hat die Vorlage für unzulässig erklärt, da die Entscheidungserheblichkeit und die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Norm nicht hinreichend dargelegt worden seien (BVerfG, Beschluss vom 6. November 2009, vgl. Pressemitteilung des BVerfG Nr. 132/2009 vom 20. November 2009). Ein weiteres, einem Vorlagebeschluss des FG Köln an das BVerfG zugrundeliegendes Verfahren (2 BvL 3/07) war bereits im Jahr 2008 anderweitig erledigt worden.

31

Bis zum Ende des Jahres 1989 wurde Kindergeld gleichermaßen an im Inland lebende deutsche und ausländische Familien gezahlt. Seit 1990 knüpfte § 1 Abs. 3 BKGG den Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld u.a. an den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis an. Hierzu entschied das BVerfG in seinem Beschluss vom 6. Juli 2004 (a.a.O.), die am Aufenthaltstitel orientierte Ungleichbehandlung in § 1 Abs. 3 BKGG sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die Regelung habe insbesondere diejenigen ausländischen Eltern getroffen, deren Einkommen einerseits so niedrig war, dass sie nicht oder nicht in vollem Umfang von den steuerlichen Kinderfreibeträgen profitierten, andererseits aber so hoch, dass sie nicht ausschließlich von Sozialleistungen leben mussten. Durch den Ausschluss vom Kindergeld sei deren verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt worden. Gewichtige Gründe hierfür seien nicht ersichtlich. Das BVerfG gab dem Gesetzgeber auf, die verfassungswidrige Regelung durch eine Neuregelung bis zum 1. Januar 2006 zu ersetzen; andernfalls sei auf noch nicht abgeschlossene Verfahren das bis zum 31. Dezember 1993 geltende Recht anzuwenden.

32

Der Kläger gehört zu der vom BVerfG angesprochenen Gruppe ausländischer Eltern, die durch einen Ausschluss des Kindergeldes besonders betroffen sind. Die Familie des Klägers hat im streitigen Zeitraum nicht ausschließlich von Sozialleistungen gelebt; vielmehr hat der Kläger durch seine Beschäftigung den Lebensunterhalt seiner Familie sichergestellt und Beiträge zur Rentenversicherung und Lohnsteuer gezahlt. Die Günstigerberechnung nach § 31 Satz 4 EStG würde angesichts der Höhe seines Gehalts im Falle eines Anspruchs auf Kindergeld dazu führen, dass das Kindergeld günstiger als der Abzug des Kinderfreibetrages wäre.

33

Im vorliegenden Verfahren kann das Gericht dahinstehen lassen, ob die Neuregelung des § 62 EStG verfassungsgemäß und auch rückwirkend auf Zeiträume vor Januar 2006 anzuwenden ist, weil der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld nach dem deutsch-jugoslawischen Sozialabkommen hat.

34

3.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Kindergeld nach Art. 28 des Abkommens. Für den Anspruch reicht die mit eigenen Beitragsleistungen zur Rentenversicherung nach dem SGB VI versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers, aufgrund derer er eigene Rentenansprüche erworben hat, aus. Die Versicherungspflicht nach dem SGB III zur Arbeitslosenversicherung ist nicht erforderlich.

35

Das 1968 vereinbarte Abkommen gilt auch nach dem Zerfall der jugoslawischen Republik jedenfalls für den im Streitfall maßgeblichen Sachverhalt weiter, weil zumindest der Staat Serbien - Montenegro bzw. Serbien nach Loslösung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken kontinuierlicher Folgestaat des Altstaates Jugoslawien ist und für den streitigen Zeitraum noch kein neues Abkommen zwischen Deutschland und Serbien-Montenegro bzw. Serbien geschlossen wurde. Das Bundessozialgericht (BSG) hat seinen Vorlagebeschluss vom 23. Mai 2006 zur Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens im Verhältnis insbesondere zu Bosnien und Herzegowina (vom 23. Mai 2006, B 13 RJ 17/05 R, SGb 2007, 227), das teilweise einen anderen Sachverhalt (die Frage der multilateralen Fortgeltung des Abkommens sowohl in Bezug auf Kroatien als auch Bosnien-Herzegowina) betraf, mit Beschluss vom 26. Juni 2008 (B 13 R 63/08 R) aufgehoben. Das Gericht folgt der im Urteil des BSG vom 12. April 2000 dargelegten Auffassung, dass das deutsch-jugoslawische Sozialabkommen im Verhältnis zu den Nachfolgestaaten Jugoslawiens - bis zum Abschluss neuer Vereinbarungen - fort gilt (B 14 KG 3/99 R, BSGE 86, 115 [BSG 12.04.2000 - B 14 KG 3/99 R], NVwZ 2001, Beilage Nr. 1, 14-16, mit umfangreichen weiteren Nachweisen, vgl. auch FG Düsseldorf, Urteil vom 21. Januar 1999, 10 K 5596/97 Kg, EFG 1999, 567, Niedersächsisches FG, Urteil vom 26. November 2002, 1 K 3/02, EFG 2003, 786). Diese Auffassung entspricht der in der DA-FamEStG wiedergegebenen Auffassung der Familienkasse, die von der Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens im Verhältnis zu denjenigen Nachfolgestaaten Jugoslawiens, mit denen noch keine neuen Vereinbarungen getroffen wurden, ausgeht (DA-FamEStG 62.4.3 Abs. 2, ebenso Hinweis 31 im amtlichen Einkommensteuer-Handbuch 2008).

36

Das Abkommen bezieht sich nach Art. 2 Abs. 1 d) u.a. auf die deutschen Rechtsvorschriften über das Kindergeld für Arbeitnehmer und nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 d) auf die jugoslawischen Rechtsvorschriften über das Kindergeld. Die Beschränkung in Abs. 1 Nr. 1 d) auf die deutschen Rechtsvorschriften über das Kindergeld "für Arbeitnehmer" folgt aus dem Umstand, dass das Ziel des Abkommens eine Einbeziehung der Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates in die sozialen Sicherungssysteme des anderen Staates ist und in Jugoslawien nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kindergeld hatten (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000, B 14 KG 3/99 R a.a.O.).

37

Nach Art. 3 Abs. 1 a) des Abkommens stehen, soweit das Abkommen nichts anderes bestimmt, bei Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates dessen Staatsangehörigen u.a. gleich Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates, wenn sie sich im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten. Nach Art. 4 Abs. 1 des Abkommens gelten, soweit das Abkommen nichts anderes bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die in Art. 3 Abs. 1 genannten Personen, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten.

38

Für das Kindergeld bestimmte Art. 28 Abs. 1 zunächst: "Eine Person, die im Gebiet des einen Vertragsstaates beschäftigt ist und den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, hat nach dessen Rechtsvorschriften für Kinder, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld, als hielten sich die Kinder gewöhnlich im Gebiet des ersten Vertragsstaates auf." Art. 28 Abs. 1 des Abkommens beinhaltete zunächst nur diesen Satz. Der von der Familienkasse für die Auslegung des Satzes 1 herangezogene Satz 2 des Art. 28 Abs. 1 wurde erst durch das Abkommen zur Änderung des Abkommens vom 12. Oktober 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 30. September 1974 (BGBl. II 1975, 389 ff.) eingefügt. Art. 28 Abs. 1 des Abkommens lautet nunmehr: "Nach Maßgabe der folgenden Absätze hat eine Person, die im Gebiet des einen Vertragsstaates beschäftigt ist und den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, nach dessen Rechtsvorschriften für Kinder, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld, als hielten sich die Kinder gewöhnlich im Gebiet des ersten Vertragsstaates auf. Satz 1 gilt auch für eine Person, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung, soweit Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in Betracht kommen Arbeitslosengeld, erhält und sich im Gebiet des ersten Vertragesstaates gewöhnlich aufhält." Art. 28 Abs. 1 in der Fassung vom 30. September 1974 entspricht fast wortgleich der in Art. 33 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei über Soziale Sicherheit (abgedruckt in Helmke/Bauer a.a.O., D II.3) bezüglich des Kindergeldes getroffenen Regelung, sodass die zu Art. 33 des mit der Türkei geschlossenen Sozialabkommens ergangene Rechtsprechung für die Auslegung des deutsch-jugoslawischen Sozialabkommens herangezogen werden kann.

39

Als Abkommen über soziale Sicherheit galt das Abkommen zunächst für die Sozialleistung Kindergeld nach dem BKGG. Durch das Jahressteuergesetz 1996 wurde das Kindergeld für unbeschränkt steuerpflichtige Berechtigte in eine Steuervergütung umgestaltet (§ 31 Satz 3 EStG). Hieraus folgt nicht, dass zuvor bezüglich der Sozialleistung Kindergeld geschlossene Sozialabkommen hinfällig geworden sind.# Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch die Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das nach § 31 Satz 3 EStG im laufenden Kalenderjahr als Steuervergütung monatlich gezahlte Kindergeld bewirkt. Soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es nach § 31 Satz 2 EStG der Förderung der Familie. Auch mit diesem Förderanteil ist das Kindergeld formell eine Steuervergütung; materiell handelt es sich jedoch insoweit um eine Sozialleistung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2004 a.a.O, Teil B, III, 2 der Gründe, BFH, Urteil vom 26. Februar 2002, VIII R 92/98, BFHE 198, 201, BStBl. II 2002, 596, Ziffer 3 b der Entscheidungsgründe, Urteil vom 11. März 2003, VIII R 76/02, BFH/NV 2003, 130, Ziffer 2 c der Entscheidungsgründe, Beschluss vom 31. Januar 2007, III B 167/06, BFH/NV 2007, 865 [BFH 31.01.2007 - III B 167/06], Schmidt/Loschelder, Kommentar zum EStG 28. Aufl. 2009, Rdz. 8 zu § 31 EStG, Pust in Litzmann/Bitz/Pust, Loseblattkommentar zum Einkommensteuer, Rdz. 220 ff. zu § 31 EStG).

40

Art. 28 des Abkommens regelt den Anspruch auf Kindergeld der im Gebiet eines Vertragsstaates beschäftigten Person für Kinder, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten. Eine Regelung für diejenigen Kinder, die sich in dem Gebiet desselben Vertragsstaates wie die beschäftigte Person aufhalten - wie im Streitfall -, war nach der bei Vereinbarung des Art. 28 des Abkommens geltenden Rechtslage des BKGG nicht erforderlich, weil bis zur Einführung des § 1 Abs. 3 BKGG im Jahr 1990 Kindergeld gleichermaßen an im Inland lebende deutsche und ausländische Familien gezahlt wurde. Voraussetzung war i.d.R., dass die Kinder im Inland lebten (§ 1 Abs. 5 BKGG). Im Hinblick auf die Regelung in § 1 Abs. 5 BKGG stellte Art. 28 Abs. 1 des Abkommens die in Jugoslawien lebenden Kinder den im Inland lebenden Kindern gleich. Hieraus ist einerseits nicht zu folgern, dass der vorliegende, in Art. 28 Abs. 1 des Abkommens ausdrücklich nicht geregelte Sachverhalt - der Kläger und die Kinder leben gemeinsam im Inland - nicht dem Anwendungsbereich des Art. 28 des Abkommens unterfällt und dem Kläger deshalb bereits aufgrund der allgemeinen Gleichstellung der Staatsangehörigen beider Staaten nach Art. 3 Abs. 1 a) des Abkommens unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen in Art. 28 des Abkommens ein Anspruch auf Kindergeld zusteht. Nach der Regelung in Art. 2 Abs. 1 d) des Abkommens bezieht sich das Abkommen auf die deutschen Rechtsvorschriften über das Kindergeld "für Arbeitnehmer". Dass einem jugoslawischen Staatsangehörigen, der mit seinen Kindern im Inland lebte, bis zur Einführung des § 1 Abs. 3 BKGG bzw. nachfolgend des § 62 Abs. 2 EStG Kindergeld unabhängig von seinem Aufenthaltstitel zustand, folgte nicht aus dem Abkommen, sondern aus der inländischen Regelung im BKGG. Anderseits ist Art. 28 des Abkommens unter Einbeziehung der territorialen Gleichstellung nach Art. 4 Abs. 1 des Abkommens dahingehend auszulegen, dass unter den übrigen in Art. 28 genannten Voraussetzungen ein Kindergeldanspruch auch für die im selben Vertragsstaat lebenden Kinder besteht; nach Art. 4 Abs. 1 des Abkommens darf es keinen Unterschied machen, ob die Kinder im Inland oder im anderen Vertragsstaat leben.

41

Die Voraussetzungen des Art. 28 des Abkommens für den Anspruch des Klägers auf Kindergeld liegen im streitigen Zeitraum vor. Die Vaterschaft des Klägers für den zunächst unehelich geborenen Sohn ist festgestellt; die Tochter ist ehelich (Art. 28 Abs. 2 a) und e) des Abkommens). Einer anderen im Inland beschäftigten Person steht das Kindergeld nicht zu (Art. 28 Abs. 3 des Abkommens).

42

Der Kläger war im streitigen Zeitraum Arbeitnehmer. Er war auch beschäftigt im Sinne des Art. 28 Abs. 1 des Abkommens. Arbeitnehmer im Sinne des Abkommens ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und des BFH, wer einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht, es gilt ein enger Arbeitnehmerbegriff (BSG, Urteil vom 12. April 2000, a.a.O., BFH, Urteile vom 21. Februar 2008, III R 79/03, BFHE 220, 439, BFH/NV 2008, 1036, vom 15. März 2007, III R 93/03 und III R 54/05, a.a.O., m.w.N., Beschluss vom 4. November 2002, VIII B 131/02, BFH/NV 2003, 168, FG Hamburg, Urteil vom 31. Oktober 2008, 3 K 200/08, EFG 2009, 1040). Eine nur geringfügige Beschäftigung reicht nach dem Urteil des BFH vom 21. Februar 2008 (III R 79/03, BFHE 220, 439, BFH/NV 2008, 1036) nicht aus.

43

Der Begriff der Beschäftigung selbst ist im Abkommen nicht definiert. Nach Art. 1 Nr. 7 des Abkommens bedeutet der Ausdruck "Beschäftigung" eine Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der anzuwendenden Rechtsvorschriften; dies sind nach Art. 1 Nr. 3 des Abkommens die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und sonstige allgemein rechtsetzenden Akte, die sich auf die in Art. 2 Abs. 1 des Abkommens bezeichneten Zweige der Sozialen Sicherheit beziehen. In Art. 2 Abs. 1 des Abkommens sind hinsichtlich der deutschen Rechtsvorschriften die Krankenversicherung und der Schutz der erwerbstätigen Mutter, die Unfallversicherung, die Rentenversicherung und das Kindergeld für Arbeitnehmer aufgeführt, nicht hingegen die Arbeitslosenversicherung.

44

Der Kindergeldanspruch nach Art. 28 des Abkommens setzt mithin voraus, dass der Berechtigte "einer Beschäftigung im Sinne des deutschen Sozialversicherungsrechts nachgeht .... Gemäß § 7 Abs. 1 des 4. Buchs des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis" (BSG, Urteil vom 9. Dezember 1987, 10 RKg 3/86, SozR 5870 § 2 Nr. 55 zu Art. 33 Abs. 1 des mit der Türkei geschlossenen Abkommens).

45

§ 7 SGB IV definiert allgemein für alle Zweige der Sozialversicherung, wann eine Beschäftigung vorliegt. Der Kläger war im streitigen Zeitraum in einem Arbeitsverhältnis und damit im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV beschäftigt. Aufgrund dieser Beschäftigung war er zu einem der in Art. 2 Abs. 1 des Abkommens aufgeführten Zweige der Sozialversicherung versicherungspflichtig, nämlich nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zur gesetzlichen Rentenversicherung (Art. 2 Abs. 1 c des Abkommens). Insbesondere war der Kläger nicht aufgrund einer nur geringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV oder aufgrund der Ableistung eines im Rahmen seines Studiums vorgeschriebenen Praktikums versicherungsfrei (§ 5 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 SGB VI) und nicht nach § 6 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit; dies wird durch die Aufstellung der Deutschen Rentenversicherung über den Versicherungsverlauf und die darin ausgewiesenen Pflichtbeitragszeiten belegt.

46

Für aus dem früheren Jugoslawien stammende, geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer, für die der Arbeitgeber pauschale Sozialversicherungsbeiträge abführt, hat der BFH im Urteil vom 21. Februar 2008 (III R 79/03, a.a.O.) einen Kindergeldanspruch nach Art. 28 des Abkommens abgelehnt, weil der Arbeitnehmer durch die von seinem Arbeitgeber geleisteten pauschalen Beiträge zur Rentenversicherung keine eigenen Ansprüche, sondern nur Bonuspunkte und durch die pauschalen Beiträge zur Krankenversicherung keine zusätzlichen Leistungsansprüche erwerbe. Der Kläger war anders als in dem vom BFH entschiedenen Fall nicht nur geringfügig beschäftigt. Aufgrund der Höhe seines Gehalts leisteten sowohl er als Arbeitnehmer als auch seine Arbeitgeberin Beiträge zur Rentenversicherung, durch die er eigene Rentenansprüche erworben hat, wie sich aus den in der Aufstellung der Deutschen Rentenversicherung angegebenen Pflichtbeitragszeiten ergibt.

47

Der Kläger war im streitigen Zeitraum nicht versicherungspflichtig zur Arbeitslosenversicherung. Das Gericht lässt dahingestellt, ob es an die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der Sozialversicherung tatsächlich erfolgte (und im Zweifel nicht mehr rückwirkend änderbare) Durchführung des Arbeitsverhältnisses als eines insoweit nicht beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses gebunden ist. Darauf kommt es nicht an, weil der Kläger im streitigen Zeitraum nicht arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Arbeitsförderung ist im SGB III geregelt. Versicherungspflichtig sind insoweit nach § 25 Abs. 1 SGB III Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind; sie stehen in einem Versicherungspflichtverhältnis nach § 24 Abs. 1 SGB IV. Der Kläger war gegen Arbeitsentgelt, jedoch aufgrund seines Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule nach§ 27 Abs. 4 Nr. 2 SGB IV versicherungsfrei beschäftigt. Die Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 Nr. 2 SGB IV setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass der Beschäftigte tatsächlich studiert und dass der Beschäftigung neben dem Studium keine prägende Bedeutung zukommt (vgl. Niesel/Brand, Kommentar zum SGB III, 4. Aufl. 2007, Rdz. 23 ff. zu§ 27 SGB III). In der Regel ist dies der Fall, wenn der Student während der Vorlesungszeit wöchentlich nicht mehr als 20 Stunden arbeitet oder seine Beschäftigung im Voraus auf höchstens zwei Monate bzw. 50 Arbeitstage begrenzt ist. Diese Kriterien sind jedoch nicht allein entscheidend; vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. In den Semesterferien ist generell eine zeitlich unbegrenzte Beschäftigung bei Fortdauer der Versicherungsfreiheit möglich. Aus den Gehaltsmitteilungen des Klägers ergibt sich zwar, dass er auch während der Vorlesungszeit mehr als 20 Stunden wöchentlich gearbeitet hat. Nach der tatsächlichen Ausgestaltung seines Studiums und des Arbeitsverhältnisses kam jedoch im streitigen Zeitraum der Beschäftigung des Klägers neben dem von ihm betriebenen Studium keine prägende Bedeutung zu; entsprechend haben sich die Beteiligten zulässigerweise in der mündlichen Verhandlung verständigt. Erst ab August 2007 war der Kläger nicht mehr nach § 27 SGB III versicherungsfrei beschäftigt.

48

Dass der Kläger nicht beitragspflichtig nach den §§ 24, 25 SGB III beschäftigt war, steht seinem Anspruch auf Kindergeld nach Art. 28 des Abkommens nicht entgegen. Nach der Regelung in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens reicht eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, d.h. eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV, die die Beitragspflicht zu (nur) einer der in Art. 2 Abs. 1 des Abkommens genannten Zweige der Sozialversicherung begründet, aus.

49

Nach Auffassung der Beklagten sollten in das Abkommen alle Arbeitnehmer einbezogen werden, die dem Arbeitsmarkt ebenso zur Verfügung stehen wie die, für die die VO (EWG) Nr. 1408/71 gilt; dies seien nur nach §§ 24, 25 SGB III versicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer (wobei sich das Erfordernis einer Pflichtversicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit nicht unmittelbar aus Art. 1 a, ii der VO ergibt, sondern aus dem für Deutschland geltenden Anhang betreffend den persönlichen Geltungsbereich der VO). Dieser Auffassung folgt das Gericht nicht. Ein Zusammenhang zwischen dem Abkommen und der VO (EWG) Nr. 1408/71 besteht nicht (vgl. Helmke/Bauer a.a.O., D, II. Kommentierung Abkommen mit Jugoslawien, Rdz. 7, gleichlautend mit der Kommentierung zu Art. 33 Abs. 1 des Abkommens mit der Türkei). Jugoslawien bzw. jetzt Serbien gehörte im streitigen Zeitraum nicht zum europäischen Wirtschaftsraum bzw. zur EU. Es kann auch nicht angenommen werden, dass bei der Vereinbarung des deutsch-jugoslawischen Abkommens im Jahr 1968 der Arbeitnehmerbegriff der erst danach im Jahr 1971 erfolgten VO (EWG) Nr. 1408/71 zugrunde gelegt wurde.

50

Auch aus Satz 2 des Art. 28 Abs. 1 des Abkommens kann nicht gefolgert werden, dass eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegen muss. Das Gericht versteht Art. 28 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens dahingehend, dass sämtliche zu einem der in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des Abkommens aufgeführten Zweige der deutschen Sozialversicherung unter Erwerb von eigenen Versicherungsansprüchen versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Art. 28 des Abkommens einen Anspruch auf Kindergeld haben sollen. Die Regelung in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 des Abkommens, nach der Satz 1 u.a. auch für eine Person gilt, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhält, stellt, wie durch die nachträgliche Einfügung des Satzes 2 bestätigt wird, nicht eine Einschränkung "hintenherum" des Anwendungsbereichs des Satzes 1, sondern eine Erweiterung des Kreises der anspruchsberechtigten Personen dar. Das Gericht teilt die Auffassung des BSG, dass das Änderungsabkommen im Jahr 1974 die Position der anspruchsberechtigten Personen "verbesserte ...; der enge Arbeitnehmerbegriff wurde allerdings nur geringfügig erweitert, indem Bezieher von Krankengeld und Arbeitslosengeld einbezogen wurden" (Urteil vom 12. April 2000 a.a.O., anderer Auffassung Helmke/Bauer a.a.O.). Dass die Vertragsstaaten bei der Neufassung des Art. 28 Abs. 1 des Abkommens im Jahr 1974 dessen Satz 1 im Wesentlichen (bis auf erforderliche redaktionelle Änderungen im Hinblick auf die nachfolgenden Absätze) unverändert ließen, zeigt, dass sie nicht den Anwendungsbereich des Satzes 1 bzw. den Kreis der anspruchsberechtigten Personen einschränken, sondern ihn vielmehr erweitern wollten.

51

Da die zur Rentenversicherung versicherungspflichtige, nicht nur geringfügige Tätigkeit des Klägers, aus der er eigene Rentenansprüche erworben hat, eine Beschäftigung im Sinne des Art. 28 Abs. 1 des Abkommens darstellt und auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 28 des Abkommens sowie des EStG für den Anspruch auf Kindergeld vorliegen, ist die Beklagte verpflichtet, das Kindergeld wie erkannt festzusetzen.

52

Der vorliegende Sachverhalt - rentenversicherungspflichtige Beschäftigung mit dem Erwerb von eigenen Ansprüchen durch Pflichtbeitragszeiten, jedoch Versicherungsfreiheit aufgrund des Studiums nach § 27 SGB III - ist, soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden worden. Den Entscheidungen des BSG bzw. des BFH lagen Sachverhalte zugrunde, in denen keine bzw. keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung / Tätigkeit vorlag (Gewerbetreibende, Rentenbezieher, nur geringfügig Beschäftigte, nicht als Arbeitnehmer Tätiger, Bezieher von Arbeitslosenhilfe, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Strafgefangener). Im Urteil vom 21. Februar 2008 (III R 79/03, a.a.O.) hat der BFH ausdrücklich offen gelassen, ob ein Kindergeldanspruch nach dem Abkommen grundsätzlich ein Versicherungspflichtverhältnis zur Arbeitslosenversicherung voraussetzt.

53

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO. Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den§§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

54

Angesichts der vom BFH ausdrücklich offen gelassenen Rechtslage lässt das Gericht die Revision nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 FGO zu.