Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 06.06.2022, Az.: 12 A 2266/20

Augenscheinseinnahme; Begründung; Beiladung; bodenrechtliche Regelung; Gemeinde; Gerichtsbekannt; Gestaltungssatzung; örtliche Bauvorschrift; Stätte der Leistung; Werbeanlage

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.06.2022
Aktenzeichen
12 A 2266/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59257
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 25.02.2020 und seines Widerspruchsbescheides vom 17.03.2020 verpflichtet, die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines doppelseitigen City-Star-Boards auf dem Grundstück C. 80, Gemarkung D., Flur 1, Flurstück E. in F. nach Maßgabe der eingereichten Pläne zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage.

Die Klägerin beantragte unter dem 05.08.2019 die Baugenehmigung für eine beleuchtete, doppelseitige City-Star-Board Werbeanlage auf Monofuß auf dem Grundstück in F., C. 80, Gemarkung D., Flur 1, Flurstück E.. Geplant ist eine Fremdwerbeanlage mit einem Werbekopf in der Größe von 2,90 m Höhe x 3,90 m Breite (sogenanntes Euro-Format) und einer lichten Höhe von 2,50 m. Der Grundstückseigentümer hat zu dem Vorhaben sein Einverständnis erklärt. Das Baugrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, die nähere Umgebung entspricht in ihrer Eigenart einem Mischgebiet. Bei der G. handelt es sich um die Ortsdurchfahrt der Bundesstraße H..

Am 11.12.2019 trat die örtliche Bauvorschrift der Gemeinde F. über die Zulässigkeit von Werbeanlagen an der G. in D. in Kraft. Die Bauvorschrift, deren räumlicher Geltungsbereich sich im Wesentlichen auf den Bereich zu beiden Seiten der G. erstreckt, welche die Ortschaft D. durchquert, gilt für alle nach der Niedersächsischen Bauordnung genehmigungspflichtige Werbeanlagen. Sie sieht in § 3 vor, dass Werbeanlagen nur an bzw. auf dem Grundstück zulässig sind, auf dem die beworbene Leistung erbracht wird. In § 4 ist geregelt, dass je Baugrundstück maximal eine freistehende Werbeanlage zulässig ist und in § 7 sind Werbeanlagen mit bewegtem Licht sowie Werbeanlagen mit bewegten Elementen ausgeschlossen. In der Begründung der Bauvorschrift ist unter anderem Folgendes ausgeführt:

„2. Ziel und Zweck der Örtlichen Bauvorschrift

Die Ortschaft D. der Gemeinde F. ist geprägt von der G. (Ortsdurchfahrt der BH.), welche D. von Norden nach Süden durchquert. Die C. bildet damit einerseits einen zentralen Bestandteil der Ortschaft und andererseites eine hochfrequentierte Durchgangsstraße, welche auch für den überörtlichen Verkehr von großer Bedeutung ist.

Als solche hoch frequentierte Durchgangsstraße ist die C. besonders attraktiv für Werbeanlagen. Diese bewerben in vielen Fällen keine vor Ort ansässigen Betriebe oder deren Dienstleistungen, sondern verschiedene, an anderer Stelle hergestellte Produkte oder erbrachte Dienstleistungen. Damit stellen solche Werbeanlagen eine so genannte Fremdwerbung dar.

In den vergangenen Jahren ist ein Anstieg der in D. vorhandenen Werbeanlagen der Fremdwerbung, insbesondere entlang der G. BH., zu beobachten gewesen. Damit besteht bei einer weiteren Zunahme der Werbeanlagen der Fremdwerbung die Gefahr, dass diese das städtebauliche Bild der Ortschaft D. durch eine zu große Anhäufung dominieren und so zu einer Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes führen können.

Weiterhin haben Werbeanlagen das Potenzial, durch den Einsatz von Bewegung und Licht und den somit von ihnen ausgehenden optischen Effekten, eine besondere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Damit können sie besonders in der Dunkelheit das Straßenbild dominieren und so unter anderem zu einer Ablenkung und Gefährdung der Verkehrsteilnehmer beitragen.

Um der Zunahme von Werbeanlagen und einer Erhöhung der Ablenkung für den Straßenverkehr entgegenzuwirken, wendet die Gemeinde D. das Instrument der Örtlichen Bauvorschrift gemäß § 84 Abs. 3 Nr. 2 der Niedersächsischen Bauordnung an. Ziel es dabei nicht, Werbeanlagen in D. generell zu verbieten. Vielmehr wird beabsichtigt, durch eine räumlich und sachlich begrenzte Steuerung der zulässigen Werbeanlagen und des Einsatzes von Licht und Bewegung zum Zwecke der Werbung das Ortsbild vor einer Verunstaltung zu bewahren. …

3.1 Räumlicher Geltungsbereich

Die Ortschaft D. hat sich über ihren Ursprungskern hinaus ähnlich einem Straßendorf entlang der G. BH. entwickelt. Diese Straße erfüllt damit einerseits eine Funktion als Durchgangsstraße und andererseits eine Funktion als Zentrum und für die Wahrnehmung der Ortschaft wichtiger Raum. Viele Menschen, die über die C. BH. nach D. einfahren, nehmen das dortige Ortsbild als ersten Eindruck wa[h]r. Insofern prägt das Ortsbild an dieser Straße die öffentliche Wahrnehmung der gesamten Ortschaft D..

Der unmittelbare Bereich um die C. BH. stellt einen wichtigen Bestandteil des Ortsbildes von D. und somit einen besonders schützenwerten Raum dar. Eine übermäßige Anhäufung von Werbeanlagen, wie sie sich derzeit entwickelt, kann zu einer Beeinträchtigung dieses zentralen Bestandteils des Ortsbildes von D. führen. …

4. Werbeanlagen an der Stätte der Leistung

Mit der vorliegenden Örtlichen Bauvorschrift verfolgt die Gemeinde F. das Ziel, eine weitere Anhäufung von Werbeanlagen entlang der G. zu regulieren, um diese ansonsten zu erwartende Beeinträchtigung des Ortsbildes von D. zu verhindern. Demgegenüber steht das städtebauliche Ziel, das ortsansässige Gewerbe zu fördern und dementsprechend Werbung für solche Betriebe, die darauf angewiesen sind, vor Ort auf sich aufmerksam zu machen, weiter zu ermöglichen. …

8. Werbeanlagen mit Einsatz von Bewegung und bewegtem oder wechselndem Licht

Solche Werbeanlagen besitzen aufgrund ihrer optischen Effekte eine besondere Auffälligkeit. Dies kann zu einer Dominanz des Erscheinungsbildes des Straßenraumes im Geltungsbereich und damit zu einer Beeinträchtigung des Ortsbildes sowie zu einer Ablenkung des Verkehrs und damit einer verminderten Verkehrssicherheit führen. Aus diesen Gründen soll eine weitere Anhäufung solcher Werbeanlagen im zentralen Bereich der G. BH. verhindert werden. …“

Mit Bescheid vom 25.02.2020 lehnte der Beklagte den Bauantrag der Klägerin mit der Begründung ab, die geplante Werbeanlage liege im Geltungsbereich der örtlichen Bauvorschrift der Gemeinde F. und verstoße gegen sie. Nach der Bauvorschrift seien Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig.

Mit Bescheid vom 17.03.2020 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Die Klägerin hat am 16.04.2020 Klage erhoben.

Sie trägt vor, allein streitig sei, ob ihrem Vorhaben die örtliche Bauvorschrift entgegengehalten werden könne. Die Bauvorschrift sei aber eindeutig rechtswidrig und damit nichtig. Inhaltsbestimmungen und Beschränkungen des Eigentums seien aufgrund von Art. 14 Abs. 1 GG nur gerechtfertigt, wenn und soweit sie von dem geregelten Sachbereich her geboten und ihrer konkreten Ausgestaltung nach sachgerecht seien. Aus einem Mischgebiet könnten Werbeanlagen nicht in generalisierender Weise verdrängt werden, da sie in einem solchen Gebiet grundsätzlich zulässig seien. Die Satzung der Gemeinde F. sei als typische „Durchgangsstraßensatzung“ ergangen, da sie an der Hauptdurchgangsstraße gelte. An dieser Straße lägen nach der vorhandenen Nutzung vornehmlich Misch- und Gewerbegebiete, so dass es an einer einheitlichen Funktion der Straße fehle. Aufgrund dessen lasse sich keine einheitliche Beantwortung der Frage erreichen, ob sich bestimmte Werbeanlagen ihrer Umgebung anpassen würden, weshalb ein generelles Verbot bestimmter Werbeanlagen nicht mehr mit Art. 14 GG vereinbar sei. Die Satzung komme in ihrer Begründung über formelhafte Programm-sätze nicht hinaus. Der Geltungsbereich der Satzung, der sich auf einen etwa 800 m langen Abschnitt der G. erstrecke, sei nahezu ausschließlich von einer gewerblichen Nutzung geprägt. Städtebauliche Besonderheiten seien beim besten Willen nicht erkennbar; das Ortsbild könne als „nüchtern“ bezeichnet werden. Auch ließen sich die Gegebenheiten nicht mit dem Vortrag der Gemeinde in Einklang bringen, in letzter Zeit habe die Anzahl der Fremdwerbeanlagen im Geltungsbereich der Satzung signifikant zugenommen. Nach dem branchenintern zugänglichen Standortverzeichnis würden in dem Geltungsbereich lediglich vier Fremdwerbeanlagen vermarktet. Zwei davon betreibe sie, die Klägerin, nebeneinander auf einem Grundstück; sie seien 1981 errichtet worden. Die zwei anderen Anlagen betreibe ein Mitbewerber und zwar ebenfalls auf einem Grundstück, so dass insgesamt nur zwei Grundstücke für Fremdwerbeanlagen genutzt würden. Weder ließe sich durch diese vier Anlagen eine signifikante Zunahme noch eine drohende ortsbildunverträgliche Häufung begründen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagte unter Aufhebung seines Bescheides vom 25.02.2020 und seines Widerspruchsbescheides vom 17.03.2020 zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines doppelseitigen City-Star-Boards auf dem Grundstück C. 80, Gemarkung D., Flur 1, Flurstück E. in Giesen nach Maßgabe der eingereichten Pläne zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, planungsrechtlich sei das Vorhaben zulässig, allerdings widerspreche das Vorhaben der örtlichen Bauvorschrift und sei diese seiner Ansicht nach nicht nichtig. Die Gemeinde F. habe die örtliche Bauvorschrift nachvollziehbar damit begründet, dass die C. als hochfrequentierte Durchgangsstraße für Werbeanlagen besonders attraktiv sei und bei einer weiteren Zunahme der Werbeanlagen die Gefahr bestehe, dass diese das städtebauliche Bild der Ortschaft dominieren und so zu einer Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes führen könnten. Dabei handele es sich um ein legitimes städtebauliches Ziel der Gemeinde. Ohne den Erlass einer örtlichen Bauvorschrift bestünde keine Handhabe, die Aufstellung von Fremdwerbeanlagen zu verhindern. Gemeinden seien berechtigt, mit örtlichen Bauvorschriften Werbeanlagen auch unterhalb der Schwelle der erheblichen Belästigung für unzulässig zu erklären. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass es durch eine weitere Häufung von Werbeanlagen entlang der G. infolge der dadurch hervorgerufenen Ablenkungswirkung zu einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit kommen könne. Zwar beziehe sich die hierauf Bezug nehmende Begründung der Bauvorschrift seinem Verständnis nach, dem des Beklagten, lediglich auf Werbeanlagen mit bewegtem Licht und handele es sich bei der von der Klägerin geplanten Anlage nicht um eine solche. Trotzdem sei zu berücksichtigen, dass auch von einer größeren Anzahl von beleuchteten Werbeanlagen eine Ablenkungswirkung ausgehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie des Vorgangs der Gemeinde F. zum Erlass der örtlichen Bauvorschrift vom 26.11.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Anregung des Beklagten, die Gemeinde F. beizuladen, ist die Einzelrichterin nicht nachgekommen. In einem Verfahren wie dem vorliegenden, das gerichtet ist auf die Verpflichtung eines Landkreises zur Erteilung einer Baugenehmigung, kommt auch eine einfache Beiladung nicht in Betracht, wenn eine Gemeinde eine örtliche Bauvorschrift nach § 84 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 2 NBauO im übertragenen Wirkungskreis erlassen hat, die der Baugenehmigung materiell rechtlich entgegensteht. In einem solchen Fall werden keine eigenen Interessen der Gemeinde berührt und es besteht für die Gemeinde keine Möglichkeit, die von ihr in der örtlichen Bauvorschrift getroffene Regelung in einem gerichtlichen Verfahren zu verteidigen (Nds. OVG, Beschl. vom 28.01.2014 - 1 ME 176/13 -, juris Rn. 8 und 10).

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 25.02.2020 sowie der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17.03.2020 sind rechtswidrig und für die Klägerin rechtsverletzend und deshalb aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Erteilung der von ihr beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Die von der Klägerin geplante Werbeanlage ist als eine solche im sogenannten Euroformat genehmigungsbedürftig (vgl. § 59 Abs. 1, § 60 Abs. 1 Satz 1, Anhang Nr. 10, § 62 Abs. 1 NBauO) und entspricht dem öffentlichen Baurecht.

Die Werbeanlage ist planungsrechtlich zulässig, da die Umgebung des Vorhabenstandorts nicht überplant und unstreitig als Mischgebiet einzuordnen ist, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO sind in Mischgebieten sonstige Gewerbebetriebe zulässig, wozu auch Anlagen der Fremdwerbung – wie sie die Klägerin plant – gehören. Anlagen der Fremdwerbung stellen sich als eine selbstständige Hauptnutzung in Form einer nicht störenden gewerblichen Nutzung dar.

Die geplante Werbeanlage ist auch bauordnungsrechtlich genehmigungsfähig.

Dem Vorhaben steht die örtliche Bauvorschrift der Gemeinde F. über die Zulässigkeit von Werbeanlagen an der G. in D. nicht entgegen. Die Regelung des § 3, nach der Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig sind, ist unwirksam.

Gemäß § 84 Abs. 3 Nr. 2 NBauO können Gemeinden durch örtliche Bauvorschrift für bestimmte Teile des Gemeindegebietes besondere Anforderungen an die Art, Gestaltung oder Einordnung von Werbeanlagen stellen oder sie in bestimmten Gebieten oder an bestimmten baulichen Anlagen ausschließen, um bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten zu verwirklichen.

Dahinstehen kann dafür zunächst, ob die Begründung der Gestaltungssatzung ausreichend darlegt, warum in dem geforderten Maß das Interesse eines Grundstückseigentümers, sein Grundstück für eine Werbeanlage nutzen zu können, zurücktreten soll (vgl. VG Osnabrück, Urt. vom 14.11.2018 - 2 A 57/16 -, V.n.b., unter Bezugnahme auf Nds. OVG, Urt. vom 12.02.2013 - 1 LB 39/10 -). So liegt eine Rechtfertigung für den generellen Fremdwerbungsausschluss nicht vor, wenn sich in der Bauvorschrift lediglich allgemeine Programmsätze und generelle Erwägungen ohne Bezug zu den konkreten Besonderheiten bzw. der charakteristischen Prägung des Geltungsbereichs finden statt ortsbezogene Anknüpfungspunkte (vgl. VG Osnabrück, Urt. vom 14.11.2018 - 2 A 57/16 -, V.n.b.). Insoweit ergeben sich zumindest Zweifel, ob die Ausführungen in der örtlichen Bauvorschrift der Gemeinde F., bei einer weiteren Zunahme der Werbeanlagen mit Fremdwerbung bestehe die Gefahr, dass diese das städtebauliche Bild der Ortschaft durch eine zu große Anhäufung dominierten und so zu einer Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes führen könnten und dass der unmittelbare Bereich um die C. einen wichtigen Bestandteil des Ortsbildes von D. darstelle, weshalb eine übermäßige Anhäufung von Werbeanlagen zu einer Beeinträchtigung dieses zentralen Bestandteils des Ortsbildes führen könne, über Allgemeinplätze hinausgehen. Die Satzung erläutert an keiner Stelle, warum die Ortsdurchfahrt der Bundesstraße ein wichtiger Bestandteil des Ortsbildes und ein besonders schützenswerter Raum ist (vgl. die oft gewählte Begründung für die „Einfallstraße“ als „Visitenkarte einer Stadt“, welche ebenso oft von der Rechtsprechung als unzulässige Pauschalierung verworfen wird (vgl. nur VG Göttingen, Urt. vom 02.06.2004 - 2 A 31/03 -, juris Rn. 33).

Weiterhin dahinstehen kann, dass in Teilen der Rechtsprechung vertreten wird, es fehle einer Gestaltungssatzung bereits ein schlüssiges Gestaltungskonzept, wenn zur Eindämmung einer „Werbeflut“ nur die Fremdwerbeanlagen ausgeschlossen würden und die Werbung an der Stätte der Leistung zulässig bliebe (VG Stuttgart, Urt. vom 13.12.2017 - 3 K 5313/15 -, V.n.b.). So soll es an verlässlichen Maßnahmen zur Reduzierung der Anzahl der Werbeanlagen fehlen, weil die Gemeinde keinen Einfluss darauf habe, wie viele Betriebe Eigenwerbung anbringen würden. Dieses von der Klägerin in Bezug genommene Argument trifft hier jedoch nicht den Fall, weil in der örtlichen Bauvorschrift der Gemeinde Giesen in § 4 auch die Anzahl der Werbeanlagen der Eigenwerbung begrenzt (zugelassen ist je Baugrundstück nur maximal eine freistehende Werbeanlage) und in § 6 die Größe der Werbung auf Fensterscheiben beschränkt werden.

Dem generellen Ausschluss von Fremdwerbung durch § 3 der Gestaltungssatzung der Gemeinde Giesen fehlt es jedenfalls an einer ausreichenden städtebaulichen Rechtfertigung.

Ein genereller Ausschluss von Werbeanlagen in einem Mischgebiet – wie hier – ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 16.03.1995 - 4 C 3.94 -, juris) grundsätzlich unzulässig, da derartige Gebiete in gleichwertiger Weise dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben dienen und ein generelles Verbot von Werbeanlagen eine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden muss, die ein Mischgebiet seiner Natur nach grundsätzlich nicht bietet. Ein genereller Fremdwerbungsausschluss erweist sich nur dann ausnahmsweise als verhältnismäßig, wenn durch eine städtebauliche Prägung eines bestimmten Teilgebietes der Gemeinde eine Einheitlichkeit dieses Gebietes den Ausschluss erfordert. Nur bei einer einheitlichen städtebaulichen Prägung haben die daraus abzuleitenden schutzwürdigen Belange der Gemeinschaft Vorrang vor den privaten Werbeinteressen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.03.1995 - 4 C 3.94 -, juris Rdnr. 24). Dabei muss die städtebauliche Gestaltungsabsicht an die Besonderheiten des zu schützenden Gebietes anknüpfen und seine Entsprechung in einer charakteristischen Prägung des zu schützenden Gebietes haben (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 12.02.2013 - 1 LB 39/10 - V.n.b.; vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urt. vom 22.01.2019 - 6 K 5395/17 -, juris Rn. 35). Die erste Voraussetzung für einen generellen Fremdwerbungsausschluss ist mit anderen Worten immer eine Homogenität des zu schützenden Bereichs (vgl. VG Hannover, Urt. vom 02.11.2017 - 12 A 1521/15 und 12 A 1539/16 -; VG Ansbach, Urteil vom 22.11.2016 - AN 9 K 16.00421, 15.02380, 15.02299 -, juris Rdnr. 40).

Eine solche notwendige Homogenität lässt sich für den von der Gestaltungssatzung erfassten räumlichen Geltungsbereich, den Bereich der Bebauung des Ortsteils D. entlang der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße H., jedoch nicht erkennen. Der Geltungsbereich setzt sich vielmehr aus ganz unterschiedlichen Baugebieten zusammen.

Gerichtsbekannt ist, dass die Bebauung an der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße H. in D. zwar zwischen den Grundstücken C. 70 und dem Vorhabenstandort als Mischgebiet einzuordnen ist, sich aber südlich des Grundstücks C. 70 auf der westlichen Straßenseite bereits alsbald ein – faktisches – Dorfgebiet anschließt mit mehreren offensichtlich noch bewirtschafteten landwirtschaftlichen Hofstellen. In nördlicher Richtung verändert sich östlich der Straße und nördlich des Vorhabengrundstücks die Gebietstypik vom Mischgebiet zum Gewerbegebiet, an der Straße liegen große Gewerbegrundstücke, welche im Übrigen mit dem Bebauungsplan Nr. I. „J.“ auch entsprechend überplant sind. Dies lässt sich einer Übersichtskarte auf der homepage der Gemeinde F. im Internet (https://www.giesen.de/media/custom/1734_455_1.PDF?1601278714) ebenso entnehmen wie die Tatsache, dass darüber hinaus weitere Teile der Bebauung an der G. als allgemeine Wohngebiete überplant sind. So setzt der Bebauungsplan Nr. K. „L.“ Bereiche östlich der G. südlich des Vorhabenstandortes und der Bebauungsplan Nr. M. „N.“ westlich der G. auf der Höhe des Vorhabenstandortes ein allgemeines Wohngebiet fest. Die Gerichtskundigkeit der vorstehenden Tatsachen ergibt sich, da eine Augenscheinseinnahme in einem parallelen, am selben Tag mit demselben Beklagten zu früherer Terminsstunde verhandelten Verfahren (12 A 2528/20) diese Feststellungen ergeben hat. Gerichtskundig sind solche Tatsachen, die dem Gericht im Zusammenhang mit seinen amtlichen Tätigkeiten zuverlässig bekannt geworden sind, wobei insoweit unerheblich ist, in welchem Verfahren die Kenntnisse gewonnen wurden (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 86 Rn. 5b). Die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens werden auch von dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus dem parallelen Verfahren nicht überrascht, da der Terminsvertreter des Beklagten an der Beweisaufnahme teilgenommen hatte und der Vertreter der Klägerin zumindest bei der Erörterung der Beweisaufnahme in dem parallelen Verfahren – in öffentlicher Verhandlung vor Ort – bereits anwesend war. Sämtliche Beteiligten des vorliegenden Verfahrens hatten aufgrund dessen auch auf die Durchführung einer – weiteren – Beweisaufnahme verzichtet.

Für die festgesetzten allgemeinen Wohngebiete sowie das faktische Dorfgebiet westliche der Straße und südlich des Vorhabenstandorts hätte es der Regelungen der Gestaltungssatzung darüber hinaus nicht bedurft, da in diesen Baugebieten ein Fremdwerbungsausschluss in § 50 Abs. 4 NBauO gesetzlich normiert ist. Für die vorhandenen Mischgebiete und Gewerbegebiete an der G. hat die Beweisaufnahme darüber hinaus keine baugestalterisch besonders schützenswerte Bebauung ergeben.

Ob auch das Verbot der Aufstellung von Werbetafeln mit wechselndem Plakatanschlag in § 7 und die Regelung in § 4 der Satzung, dass je Baugrundstück nur maximal eine freistehende Werbeanlage zulässig ist, wirksam sind, ist nicht zu entscheiden, da nur eine Werbeanlage mit statischer Werbung auf dem Vorhabengrundstück geplant ist.

Das Vorhaben verstößt schließlich auch nicht gegen andere bauordnungsrechtliche Vorschriften.

So ist für die Einzelrichterin nicht ersichtlich, dass die geplante Werbeanlage eine Gefahrenquelle für den öffentlichen Verkehr darstellt. Zwar sind gemäß § 9 Abs. 3a FStrG die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auch bei Erteilung von Baugenehmigungen innerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen zu beachten und darf auch nach § 16 Abs. 2 NBauO die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht gefährdet werden. Auch hat die Gemeinde F. in ihrer örtlichen Bauvorschrift dazu ausgeführt, dass die Werbeanlagen in der Dunkelheit das Straßenbild dominieren und so unter anderem zu einer Ablenkung und Gefährdung der Verkehrsteilnehmer beitragen (unter 2.) bzw. zu einer Ablenkung des Verkehrs und damit einer verminderten Verkehrssicherheit führen (unter 8.) würden. Da Autofahrer in einem innerörtlichen Bereich aber längst an Werbeanlagen ohne Bildwechsel – wie von der Klägerin geplant – gewöhnt sind (vgl. nur BayVGH, Urt. vom 07.06.2021 - 9 B 18.1655 -, juris Rn. 34; VG Magdeburg, Urt. vom 11.06.2021 - 4 A 185/20 MD -, juris Rn. 21; VG Regensburg, Urt. vom 17.10.2019 - RO 2 K 18.472 -, juris Rn. 43), tritt die Einzelrichterin den Bedenken der Gemeinde nicht bei.

Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen § 50 Abs. 2 NBauO. Danach dürfen Werbeanlagen nicht erheblich belästigen, insbesondere nicht durch ihre Größe, Häufung, Lichtstärke oder Betriebsweise. Eine belästigende Häufung liegt dabei vor, wenn mehrere Werbeanlagen so auf verhältnismäßig engem Raum konzentriert sind, dass sich ihre Wirkungsbereiche überschneiden, der Betrachter sie also zugleich im Blickfeld hat. Das Blickfeld muss derart mit Werbung überladen sein, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet und das Bedürfnis nach werbungsfreien Flächen stark hervortritt (VG Stade, Urt. vom 27.09.2018 – 2 A 1198/17 und VG Göttingen, Urt. vom 04.09.2018 – 2 A 101/16 -, juris Rn. 38 jeweils unter Bezugnahme auf Nds. OVG, Urt. vom 29.09.2015 – 1 LB 51/15 -, juris Rn. 15). Eine entsprechende Häufung hat die Beweisaufnahme allerdings nicht ergeben. Zwar gibt es am Vorhabenstandort auch Werbung an der Stätte der Leistung, der Straßenabschnitt ist aber bisher frei von Fremdwerbung, deren Werbeflächen im rechten Winkel zur Fahrbahn ausgerichtet sind, so dass sich ein Überladen des Blickfeldes nicht feststellen lässt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.