Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.06.2022, Az.: 12 A 2528/20

Augenscheinseinnahme; Begründung; bodenrechtliche Regelung; Fremdwerbung; Homogenität; Kompetenzüberschreitung; Mischgebiet; Stätte der Leistung; Werbeanlage; örtliche Bauvorschrift

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
09.06.2022
Aktenzeichen
12 A 2528/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59246
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 24.02.2020 und seines Widerspruchsbescheides vom 30.03.2020 verpflichtet, der Klägerin die Baugenehmigung zur Errichtung einer statischen, doppelseitigen, beleuchteten Plakatanschlagtafel auf Monofuß (Typ City Star) auf dem Grundstück D., E. 70, gemäß näherer Darstellung in den Bauvorlagen zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage.

Die Klägerin beantragte unter dem 24.07.2019 die Baugenehmigung für eine beleuchtete, doppelseitige City Star Werbeanlage auf Monofuß auf dem Grundstück in D., E. 70, Gemarkung F., Flur 6, Flurstück G.. Geplant ist eine Fremdwerbeanlage mit einem Werbekopf in der Größe von 2,80 m Höhe x 3,80 m Breite (sogenanntes Euro-Format) und einer lichten Höhe von 2,50 m. Der Grundstückseigentümer hat zu dem Vorhaben sein Einverständnis erklärt. Das Baugrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, die nähere Umgebung entspricht in ihrer Eigenart einem Mischgebiet. Bei der Hannoverschen Straße handelt es sich um die Ortsdurchfahrt der Bundesstraße H..

Am 11.12.2019 trat die örtliche Bauvorschrift der Gemeinde D. über die Zulässigkeit von Werbeanlagen an der Hannoverschen Straße in F. in Kraft. Die Bauvorschrift, deren räumlicher Geltungsbereich sich im Wesentlichen auf den Bereich zu beiden Seiten der Hannoverschen Straße erstreckt, welche die Ortschaft F. durchquert, gilt für alle nach der Niedersächsischen Bauordnung genehmigungspflichtige Werbeanlagen. Sie sieht in § 3 vor, dass Werbeanlagen nur an bzw. auf dem Grundstück zulässig sind, auf dem die beworbene Leistung erbracht wird. In § 4 ist geregelt, dass je Baugrundstück maximal eine freistehende Werbeanlage zulässig ist und in § 7 sind Werbeanlagen mit bewegtem Licht sowie Werbeanlagen mit bewegten Elementen ausgeschlossen. In der Begründung der Bauvorschrift ist unter anderem Folgendes ausgeführt:

„2. Ziel und Zweck der Örtlichen Bauvorschrift

Die Ortschaft F. der Gemeinde D. ist geprägt von der Hannoverschen Straße (Ortsdurchfahrt der BH.), welche F. von Norden nach Süden durchquert. Die Hannoversche Straße bildet damit einerseits einen zentralen Bestandteil der Ortschaft und andererseits eine hochfrequentierte Durchgangsstraße, welche auch für den überörtlichen Verkehr von großer Bedeutung ist. …

In den vergangenen Jahren ist ein Anstieg der in F. vorhandenen Werbeanlagen der Fremdwerbung, insbesondere entlang der Hannoverschen Straße BH., zu beobachten gewesen. Damit besteht bei einer weiteren Zunahme der Werbeanlagen der Fremdwerbung die Gefahr, dass diese das städtebauliche Bild der Ortschaft F. durch eine zu große Anhäufung dominieren und so zu einer Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes führen können. …

Um der Zunahme von Werbeanlagen und einer Erhöhung der Ablenkung für den Straßenverkehr entgegenzuwirken, wendet die Gemeinde F. das Instrument der Örtlichen Bauvorschrift gemäß § 84 Abs. 3 Nr. 2 der Niedersächsischen Bauordnung an. Ziel es dabei nicht, Werbeanlagen in F. generell zu verbieten. Vielmehr wird beabsichtigt, durch eine räumlich und sachlich begrenzte Steuerung der zulässigen Werbeanlagen und des Einsatzes von Licht und Bewegung zum Zwecke der Werbung das Ortsbild vor einer Verunstaltung zu bewahren. …

3.1 Räumlicher Geltungsbereich

Die Ortschaft F. hat sich über ihren Ursprungskern hinaus ähnlich einem Straßendorf entlang der Hannoverschen Straße BH. entwickelt. Diese Straße erfüllt damit einerseits eine Funktion als Durchgangsstraße und andererseits eine Funktion als Zentrum und für die Wahrnehmung der Ortschaft wichtiger Raum. Viele Menschen, die über die Hannoversche Straße BH. nach F. einfahren, nehmen das dortige Ortsbild als ersten Eindruck wa[h]r. Insofern prägt das Ortsbild an dieser Straße die öffentliche Wahrnehmung der gesamten Ortschaft F..

Der unmittelbare Bereich um die Hannoversche Straße BH. stellt einen wichtigen Bestandteil des Ortsbildes von F. und somit einen besonders schützenwerten Raum dar. Eine übermäßige Anhäufung von Werbeanlagen, wie sie sich derzeit entwickelt, kann zu einer Beeinträchtigung dieses zentralen Bestandteils des Ortsbildes von F. führen. …

4. Werbeanlagen an der Stätte der Leistung

Mit der vorliegenden Örtlichen Bauvorschrift verfolgt die Gemeinde D. das Ziel, eine weitere Anhäufung von Werbeanlagen entlang der Hannoverschen Straße zu regulieren, um diese ansonsten zu erwartende Beeinträchtigung des Ortsbildes von F. zu verhindern. Demgegenüber steht das städtebauliche Ziel, das ortsansässige Gewerbe zu fördern und dementsprechend Werbung für solche Betriebe, die darauf angewiesen sind, vor Ort auf sich aufmerksam zu machen, weiter zu ermöglichen. …

Mit Bescheid vom 24.02.2020 lehnte der Beklagte den Bauantrag der Klägerin mit der Begründung ab, die geplante Werbeanlage liege im Geltungsbereich der örtlichen Bauvorschrift der Gemeinde D. und verstoße gegen sie. Nach der Bauvorschrift seien Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig.

Mit Bescheid vom 30.03.2020 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Die Klägerin hat am 28.04.2020 Klage erhoben.

Sie trägt vor, in Mischgebieten seien Fremdwerbeanlagen der Art der Nutzung nach zulässig. Soweit die örtliche Bauvorschrift der Gemeinde D. die Fremdwerbung rigoros ausschließe, sei diese Bauvorschrift unwirksam. Es sei keine besondere Schutzwürdigkeit des prägenden Nahbereichs erkennbar, die einen Fremdwerbeausschluss zuließe. Gegen die Annahme einer schützenswerten Umgebung spreche auch, dass sich schon heute in der Hannoverschen Straße weitere gleichformatige Fremdwerbeanlagen befänden. Der Fremdwerbeausschluss sei auch deshalb nichtig, weil er den vorhandenen gesetzlichen Ausschlusskatalog verschärfe. In § 50 Abs. 4 NBauO habe der Gesetzgeber klar geregelt, dass Fremdwerbeanlagen in allgemeinen Wohngebieten und in Dorfgebieten in Niedersachsen unzulässig seien. Mischgebiete seien in diesem Ausschlusskatalog nicht genannt. Eine solche Ausschlussplanung ließe sich auch nicht unter den Rechtsbegriff einer positiven baugestalterischen Absicht fassen. Weiterhin sei fragwürdig, ob ein bauordnungsrechtlicher Fremdwerbeausschluss überhaupt auf einer landesbauordnungsrechtlichen Gestaltungsvorschrift basieren könne. Dies sei aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht möglich. Soweit die Gemeinde bodenrechtliche Regelungen habe treffen wollen, hätte sie die dafür zur Verfügung stehenden bauplanungsrechtlichen Instrumentarien nutzen müssen. Es sei ihr verwehrt, quasi „durch die Hintertür“ eine bodenrechtliche Regelung gestützt auf eine bauordnungsrechtliche Gestaltungsvorschrift einzuführen. Geregelt werden dürfe nur das „Wie“ einer baulichen Anlage, nicht hingegen das „Ob“.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 24.02.2020 und seines Widerspruchsbescheides vom 30.03.2020 zu verpflichten, ihr die Baugenehmigung zur Errichtung einer statischen, doppelseitigen, beleuchteten Plakatanschlagtafel auf Monofuß (Typ City Star) auf dem Grundstück D., Hannoversche Straße 70, gemäß näherer Darstellung in den Bauvorlagen zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, planungsrechtlich sei das Vorhaben zulässig, allerdings widerspreche das Vorhaben der örtlichen Bauvorschrift und sei diese seiner Ansicht nach nicht nichtig. Die Gemeinde D. habe die örtliche Bauvorschrift nachvollziehbar damit begründet, dass die Hannoversche Straße als hochfrequentierte Durchgangsstraße für Werbeanlagen besonders attraktiv sei und bei einer weiteren Zunahme der Werbeanlagen die Gefahr bestehe, dass diese das städtebauliche Bild der Ortschaft dominieren und so zu einer Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes führen könnten. Dabei handele es sich um ein legitimes städtebauliches Ziel der Gemeinde. Ohne den Erlass einer örtlichen Bauvorschrift bestünde keine Handhabe, die Aufstellung von Fremdwerbeanlagen zu verhindern. Gemeinden seien berechtigt, mit örtlichen Bauvorschriften Werbeanlagen auch unterhalb der Schwelle der erheblichen Belästigung für unzulässig zu erklären. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass es durch eine weitere Häufung von Werbeanlagen entlang der Hannoverschen Straße infolge der dadurch hervorgerufenen Ablenkungswirkung zu einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit kommen könne. Zwar beziehe sich die hierauf Bezug nehmende Begründung der Bauvorschrift seinem Verständnis nach, dem des Beklagten, lediglich auf Werbeanlagen mit bewegtem Licht und handele es sich bei der von der Klägerin geplanten Anlage nicht um eine solche. Trotzdem sei zu berücksichtigen, dass auch von einer größeren Anzahl von beleuchteten Werbeanlagen eine Ablenkungswirkung ausgehe. Soweit die Klägerin der Ansicht sei, dass die örtliche Bauvorschrift gegen höherrangiges Recht verstoße, sei dem nicht zuzustimmen. Die in § 84 Abs. 3 Nr. 2 NBauO geregelte Befugnis der Gemeinden, Werbeanlagen in bestimmten Gebieten auszuschließen, liefe – jedenfalls in Bezug auf Fremdwerbeanlagen – leer, wenn sie nur in denjenigen Gebieten ausgeschlossen werden dürften, in denen sie nach § 50 Abs. 4 NBauO ohnehin unzulässig seien. Auch ein Verstoß gegen die Regelungen der Baunutzungsverordnung sei nicht ersichtlich, da die örtliche Bauvorschrift der Gemeinde D. Fremdwerbeanlagen gerade nicht flächendeckend in einem bestimmten Baugebiet, sondern nur in einem eng abgegrenzten Bereich entlang der Ortsdurchfahrt der Hannoverschen Straße ausschließe.

Soweit das Gericht die Gemeinde D. zunächst beigeladen hatte, hat das Gericht die Beiladung mit Beschluss vom 17.03.2021 wieder aufgehoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie des Vorgangs der Gemeinde D. zum Erlass der örtlichen Bauvorschrift vom 26.11.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Beiladung der Gemeinde D. war aufzuheben. In einem Verfahren wie dem vorliegenden, das gerichtet ist auf die Verpflichtung eines Landkreises zur Erteilung einer Baugenehmigung, kommt auch eine einfache Beiladung nicht in Betracht, wenn eine Gemeinde eine örtliche Bauvorschrift nach § 84 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 2 NBauO im übertragenen Wirkungskreis erlassen hat, die der Baugenehmigung materiell rechtlich entgegensteht. In einem solchen Fall werden keine eigenen Interessen der Gemeinde berührt und es besteht für die Gemeinde keine Möglichkeit, die von ihr in der örtlichen Bauvorschrift getroffene Regelung in einem gerichtlichen Verfahren zu verteidigen (Nds. OVG, Beschl. vom 28.01.2014 - 1 ME 176/13 -, juris Rn. 8 und 10).

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 24.02.2020 sowie der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 30.03.2020 sind rechtswidrig und für die Klägerin rechtsverletzend und deshalb aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Erteilung der von ihr beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Die von der Klägerin geplante Werbeanlage ist als eine solche im sogenannten Euroformat genehmigungsbedürftig (vgl. § 59 Abs. 1, § 60 Abs. 1 Satz 1, Anhang Nr. 10, § 62 Abs. 1 NBauO) und entspricht dem öffentlichen Baurecht.

Die Werbeanlage ist planungsrechtlich zulässig, da die Umgebung des Vorhabenstandorts nicht überplant und unstreitig als Mischgebiet einzuordnen ist, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO sind in Mischgebieten sonstige Gewerbebetriebe zulässig, wozu auch Anlagen der Fremdwerbung – wie sie die Klägerin plant – gehören. Anlagen der Fremdwerbung stellen sich als eine selbstständige Hauptnutzung in Form einer nicht störenden gewerblichen Nutzung dar.

Die geplante Werbeanlage ist auch bauordnungsrechtlich genehmigungsfähig.

Dem Vorhaben steht die örtliche Bauvorschrift der Gemeinde D. über die Zulässigkeit von Werbeanlagen an der Hannoverschen Straße in F. nicht entgegen. Die Regelung des § 3, nach der Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig sind, ist unwirksam.

Gemäß § 84 Abs. 3 Nr. 2 NBauO können Gemeinden durch örtliche Bauvorschrift für bestimmte Teile des Gemeindegebietes besondere Anforderungen an die Art, Gestaltung oder Einordnung von Werbeanlagen stellen oder sie in bestimmten Gebieten oder an bestimmten baulichen Anlagen ausschließen, um bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten zu verwirklichen.

Dahinstehen kann dafür zunächst, ob die Begründung der Gestaltungssatzung ausreichend darlegt, warum in dem geforderten Maß das Interesse eines Grundstückseigentümers, sein Grundstück für eine Werbeanlage nutzen zu können, zurücktreten soll (vgl. VG Osnabrück, Urt. vom 14.11.2018 - 2 A 57/16 -, V.n.b., unter Bezugnahme auf Nds. OVG, Urt. vom 12.02.2013 - 1 LB 39/10 -). So liegt eine Rechtfertigung für den generellen Fremdwerbungsausschluss nicht vor, wenn sich in der Bauvorschrift lediglich allgemeine Programmsätze und generelle Erwägungen ohne Bezug zu den konkreten Besonderheiten bzw. der charakteristischen Prägung des Geltungsbereichs finden statt ortsbezogene Anknüpfungspunkte (vgl. VG Osnabrück, Urt. vom 14.11.2018 - 2 A 57/16 -, V.n.b.). Insoweit ergeben sich zumindest Zweifel, ob die Ausführungen in der örtlichen Bauvorschrift der Gemeinde D., bei einer weiteren Zunahme der Werbeanlagen mit Fremdwerbung bestehe die Gefahr, dass diese das städtebauliche Bild der Ortschaft durch eine zu große Anhäufung dominierten und so zu einer Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes führen könnten und dass der unmittelbare Bereich um die Hannoversche Straße einen wichtigen Bestandteil des Ortsbildes von F. darstelle, weshalb eine übermäßige Anhäufung von Werbeanlagen zu einer Beeinträchtigung dieses zentralen Bestandteils des Ortsbildes führen könne, über Allgemeinplätze hinausgehen. Die Satzung erläutert an keiner Stelle, warum die Ortsdurchfahrt der Bundesstraße ein wichtiger Bestandteil des Ortsbildes und ein besonders schützenswerter Raum ist (vgl. die oft gewählte Begründung für die „Einfallstraße“ als „Visitenkarte einer Stadt“, welche ebenso oft von der Rechtsprechung als unzulässige Pauschalierung verworfen wird (vgl. nur VG Göttingen, Urt. vom 02.06.2004 - 2 A 31/03 -, juris Rn. 33).

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die örtliche Bauvorschrift auch nicht bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen unwirksam.

Zwar wird in Teilen der Rechtsprechung bei einem Fremdwerbungsausschluss wie dem Vorliegenden argumentiert, die Gemeinde träfe in der Sache eine bodenrechtliche Regelung nach § 1 Abs. 9 BauNVO, was sie jedoch im Gewande bauordnungsrechtlicher Gestaltungsvorschriften nicht dürfe (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. vom 22.01.2019 - 6 K 5395/17 -, juris Rn. 39; VG Arnsberg, Urt. vom 27.11.2012 - 4 K 3242/11 -, juris Rn. 28 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. vom 31.05.2005 - 4 B 14.05 - und vom 10.07.1997 - 4 NB 15.97 -, juris; auch VG München, Urt. vom 30.07.2013 - M 1 K 13.1791 -, juris). Maßgeblich kann für die Abgrenzung von bodenrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Regelungen jedoch nur die Zielsetzung der örtlichen Bauvorschrift sein und wenn danach eine Beeinträchtigung der Gestaltung eines Baugebiets verhindert werden soll, ist die Satzung bauordnungsrechtlicher Natur (VGH Ba.-Wü., Beschl. vom 29.03.2011 - 3 S 1281/10 -).

Dementsprechend ist auch die örtliche Bauvorschrift der Gemeinde D. bauordnungsrechtlich einzuordnen, denn nach den formulierten Zielen soll eine „Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes“ verhindert bzw. „durch eine Steuerung der zulässigen Werbeanlagen … das Ortsbild vor einer Verunstaltung“ bewahrt werden. Im Übrigen behandelt auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner maßgeblichen Entscheidung zum Ausschluss von Fremdwerbung durch eine Gestaltungssatzung (Urt. vom 16.03.1995 - 4 C 3.94 -, juris; vgl. auch VGH Ba.-Wü., Urt. vom 06.04.2011 - 5 K 703/11 -, juris) keine kompetenzrechtlichen Fragen. Die von der Klägerin angeführten erstinstanzlichen Entscheidungen zur „Kompetenzüberschreitung“ stützen sich wiederum auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, die keine Fremdwerbungsausschlüsse zum Gegenstand hatten.

Dem generellen Ausschluss von Fremdwerbung durch § 3 der Gestaltungssatzung der Gemeinde D. fehlt es jedoch an einer ausreichenden städtebaulichen Rechtfertigung.

Ein genereller Ausschluss von Werbeanlagen in einem Mischgebiet – wie hier – ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 16.03.1995 - 4 C 3.94 -, juris) grundsätzlich unzulässig, da derartige Gebiete in gleichwertiger Weise dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben dienen und ein generelles Verbot von Werbeanlagen eine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden muss, die ein Mischgebiet seiner Natur nach grundsätzlich nicht bietet. Ein genereller Fremdwerbungsausschluss erweist sich nur dann ausnahmsweise als verhältnismäßig, wenn durch eine städtebauliche Prägung eines bestimmten Teilgebietes der Gemeinde eine Einheitlichkeit dieses Gebietes den Ausschluss erfordert. Nur bei einer einheitlichen städtebaulichen Prägung haben die daraus abzuleitenden schutzwürdigen Belange der Gemeinschaft Vorrang vor den privaten Werbeinteressen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.03.1995 - 4 C 3.94 -, juris Rdnr. 24). Dabei muss die städtebauliche Gestaltungsabsicht an die Besonderheiten des zu schützenden Gebietes anknüpfen und seine Entsprechung in einer charakteristischen Prägung des zu schützenden Gebietes haben (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 12.02.2013 - 1 LB 39/10 - V.n.b.; vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urt. vom 22.01.2019 - 6 K 5395/17 -, juris Rn. 35). Die erste Voraussetzung für einen generellen Fremdwerbungsausschluss ist mit anderen Worten immer eine Homogenität des zu schützenden Bereichs (vgl. VG Hannover, Urt. vom 02.11.2017 - 12 A 1521/15 und 12 A 1539/16 -; VG Ansbach, Urteil vom 22.11.2016 - AN 9 K 16.00421, 15.02380, 15.02299 -, juris Rdnr. 40).

Eine solche notwendige Homogenität lässt sich für den von der Gestaltungssatzung erfassten räumlichen Geltungsbereich, den Bereich der Bebauung des Ortsteils F. entlang der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße H., jedoch nicht erkennen. Der Geltungsbereich setzt sich vielmehr aus ganz unterschiedlichen Baugebieten zusammen.

Bereits die Augenscheinseinnahme, ausgehend von dem Standort der geplanten Werbeanlage Hannoversche Straße 70 hat ergeben, dass die Bebauung an der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße H. in F. zwar auf der Höhe der Standortes als Mischgebiet einzuordnen ist, sich aber südlich des Standortes auf der westlichen Straßenseite bereits alsbald ein – faktisches – Dorfgebiet anschließt mit mehreren offensichtlich noch bewirtschafteten landwirtschaftlichen Hofstellen. In nördlicher Richtung verändert sich östlich der Straße die Gebietstypik vom Mischgebiet zum Gewerbegebiet, an der Straße liegen große Gewerbegrundstücke, welche im Übrigen mit dem Bebauungsplan Nr. I. „J.“ auch entsprechend überplant sind. Dies lässt sich einer Übersichtskarte auf der homepage der Gemeinde D. im Internet (https://www.giesen.de/media/custom/1734_455_1.PDF?1601278714) ebenso entnehmen wie die Tatsache, dass darüber hinaus weitere Teile der Bebauung an der K. als allgemeine Wohngebiete überplant sind. So setzt der Bebauungsplan Nr. L. „M.“ Bereiche östlich der K. nördlich und südlich des Vorhabenstandortes und der Bebauungsplan Nr. N. „O.“ westlich der K. nördlich des Vorhabenstandortes ein allgemeines Wohngebiet fest.

Für die festgesetzten allgemeinen Wohngebiete sowie das faktische Dorfgebiet westliche der Straße und südlich des Vorhabenstandorts hätte es der Regelungen der Gestaltungssatzung darüber hinaus nicht bedurft, da in diesen Baugebieten ein Fremdwerbungsausschluss in § 50 Abs. 4 NBauO gesetzlich normiert ist. Für die vorhandenen Mischgebiete und Gewerbegebiete an der K. hat die Beweisaufnahme darüber hinaus keine baugestalterisch besonders schützenswerte Bebauung ergeben.

Ob auch das Verbot der Aufstellung von Werbetafeln mit wechselndem Plakatanschlag in § 7 und die Regelung in § 4 der Satzung, dass je Baugrundstück nur maximal eine freistehende Werbeanlage zulässig ist, wirksam sind, ist nicht zu entscheiden, da nur eine Werbeanlage mit statischer Werbung auf dem Vorhabengrundstück geplant ist.

Das Vorhaben verstößt schließlich auch nicht gegen andere bauordnungsrechtliche Vorschriften.

So ist für die Einzelrichterin nicht ersichtlich, dass die geplante Werbeanlage eine Gefahrenquelle für den öffentlichen Verkehr darstellt. Zwar sind gemäß § 9 Abs. 3a FStrG die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auch bei Erteilung von Baugenehmigungen innerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen zu beachten und darf auch nach § 16 Abs. 2 NBauO die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht gefährdet werden. Auch hat die Gemeinde D. in ihrer örtlichen Bauvorschrift dazu ausgeführt, dass die Werbeanlagen in der Dunkelheit das Straßenbild dominieren und so unter anderem zu einer Ablenkung und Gefährdung der Verkehrsteilnehmer beitragen (unter 2.) bzw. zu einer Ablenkung des Verkehrs und damit einer verminderten Verkehrssicherheit führen (unter 8.) würden. Da Autofahrer in einem innerörtlichen Bereich aber längst an Werbeanlagen ohne Bildwechsel – wie von der Klägerin geplant – gewöhnt sind (vgl. nur BayVGH, Urt. vom 07.06.2021 - 9 B 18.1655 -, juris Rn. 34; VG Magdeburg, Urt. vom 11.06.2021 - 4 A 185/20 MD -, juris Rn. 21; VG Regensburg, Urt. vom 17.10.2019 - RO 2 K 18.472 -, juris Rn. 43), tritt die Einzelrichterin den Bedenken der Gemeinde nicht bei.

Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen § 50 Abs. 2 NBauO. Danach dürfen Werbeanlagen nicht erheblich belästigen, insbesondere nicht durch ihre Größe, Häufung, Lichtstärke oder Betriebsweise. Eine belästigende Häufung liegt dabei vor, wenn mehrere Werbeanlagen so auf verhältnismäßig engem Raum konzentriert sind, dass sich ihre Wirkungsbereiche überschneiden, der Betrachter sie also zugleich im Blickfeld hat. Das Blickfeld muss derart mit Werbung überladen sein, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet und das Bedürfnis nach werbungsfreien Flächen stark hervortritt (VG Stade, Urt. vom 27.09.2018 – 2 A 1198/17 und VG Göttingen, Urt. vom 04.09.2018 – 2 A 101/16 -, juris Rn. 38 jeweils unter Bezugnahme auf Nds. OVG, Urt. vom 29.09.2015 – 1 LB 51/15 -, juris Rn. 15). Eine entsprechende Häufung hat die Beweisaufnahme allerdings nicht ergeben. Zwar gibt es am Vorhabenstandort auch Werbung an der Stätte der Leistung (auf dem Baugrundstück befindet sich ein Autohändler und auf dem Nachbargrundstück ein KFZ-Service einschließlich eines Verleihs von KFZ-Anhängern auf der westlichen Straßenseite), der Straßenabschnitt ist aber bisher frei von Fremdwerbung, so dass sich ein Überladen des Blickfeldes nicht feststellen lässt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.