Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 15.06.2022, Az.: 3 A 330/22

Ablauf der Überstellungsfrist; Dublin-Bescheid; Erledigung; Kostentragungspflicht der Beklagten

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.06.2022
Aktenzeichen
3 A 330/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59603
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das erledigende Ereignis ist die Aufhebung eines Dublin-Bescheids nach Ablauf der Überstellungsfrist.
2. Die Beklagte trägt bei Aufhebung eines Dublin-Bescheids nach Ablauf der Überstellungsfrist i.d.R. die Kosten gemäß § 161 Abs. 2 VwGO.
3. Aus § 34a Abs. 3 BVerfGG ergibt sich kein anderes Ergebnis.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

ie Beteiligten haben den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Erledigungserklärung des Klägers ist wirksam. Diese ist zwar lediglich per Fax bei Gericht eingegangen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dabei jedoch glaubhaft gemacht, dass vorübergehende technische Gründe ihren Zugang zum elektronischen Rechtsverkehr derzeit vereiteln und ihr dieser erst wiedereröffnet sein wird, sobald die Neuzuteilung einer sog. PUK-Nummer durch die örtliche Rechtsanwaltskammer erfolgt ist (vgl. § 55d Satz 3 VwGO). Daher ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen; zugleich entscheidet das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten.

Billigem Ermessen entspricht es, wenn die Beklagte die Kosten trägt. Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, demjenigen Verfahrensbeteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der das erledigende Ereignis aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat oder der ohne das erledigende Ereignis bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich unterlegen wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03. April 2017 – 1 C 9/16 –, Rn. 7, juris). Danach sind hier – wie in vergleichbaren Fällen des Ablaufs der Überstellungsfrist und der anschließenden Aufhebung des Dublin-Bescheides durch die Beklagte – der Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Mit dem Ablauf der Überstellungsfrist ist der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig geworden. Die Beklagte wäre damit im maßgeblichen Zeitpunkt der (anschließenden) Aufhebung des Bescheids (vgl. auch § 77 Abs. 1 AsylG) voraussichtlich unterlegen gewesen (vgl. im Ergebnis ebenso VG Ansbach, Beschl. v. 04.06.2021 – AN 17 K 19.50816, juris Rn. 3 ff.; VG Frankfurt [Oder], Beschl. v. 15.12.2017 – 2 K 1092/17.A, juris Rn. 3, 12 ff., jeweils m.w.N.).

Anders als die Beklagte und mit ihr das Verwaltungsgericht München meinen (vgl. VG München, Beschl. v. 11.04.2022 – M 10 K 21.50705, juris), besteht aus Sicht des Berichterstatters kein Grund, in Anbetracht eines Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 10.01.2022 – 2 BvR 679/21, juris Rn. 4) von diesen Grundsätzen abzuweichen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise aufzuerlegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in dem vorgenannten Kammerbeschluss ausgeführt, dass es nicht der Billigkeit entspricht, zugunsten des Beschwerdeführers eine Auslagenerstattung anzuordnen, wenn das Bundesamt einen Dublin-Bescheid ausschließlich wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist aufhebt. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beruht jedoch auf einer anderen gesetzlichen Grundlage, die mit dem vorliegend maßgeblichen § 161 Abs. 2 VwGO (vgl. auch § 77 Abs. 1 AsylG, § 43 Abs. 2 BVwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG) nicht vergleichbar ist. Sie erging namentlich zu § 34a Abs. 3 BVerfGG. Dessen Wortlaut und Inhalt ist mit § 161 Abs. 2 VwGO nicht vergleichbar. Dort heißt es: „In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.“ Abweichend von § 161 Abs. 2 VwGO enthält § 34a Abs. 3 BVerfGG den Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen, da – abermals abweichend von der verwaltungsgerichtlichen Konstellation des § 161 Abs. 2 VwGO – insbesondere im Falle des Unterliegens des Beschwerdeführers ein erstattungsberechtigter Gegner fehlt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.01.2022 – 2 BvR 679/21, juris Rn. 3, m.w.N.). Im Übrigen unterscheidet sich die durch das Bundesverfassungsgericht beurteilte Situation von der vorliegenden dadurch, dass nicht der Streitgegenstand des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens, der in einem Urteil des Verwaltungsgerichts München bestand, beseitigt wurde. Demgegenüber hat die Beklagte vorliegend mit der Aufhebung ihres Dublin-Bescheids den Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unmittelbar beseitigt, was zu den oben wiedergegebenen, sich an gänzlich anderen gesetzlichen Grundlagen orientierenden Folgen führt (vgl. erneut § 161 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 1 AsylG, § 43 Abs. 2 BVwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG).

Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 158 Abs. 2 VwGO).