Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.05.1999, Az.: II 651/97 Ki
Rückforderung von Kindergeld; Unmöglichkeit der Rückforderung trotz an sich bestehenden Rückforderungsanspruchs; Abgabenrechtliche Korrekturvorschriften; Voraussetzungen der Änderung des Kindergeldbescheids nach Erlass eines (Änderungs-)Bescheides ; Anwendbarkeit der Korrekturvorschriften der Abgabenordnung bei Kindergeldbescheid als Dauerverwaltungsakt
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 05.05.1999
- Aktenzeichen
- II 651/97 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 20707
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0505.II651.97KI.0A
Rechtsgrundlagen
- § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG
- § 32 Abs. 1 EStG
- § 32 Abs. 4 S. 2 EStG
- § 175 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AO
- § 173 Abs. 1 AO
- § 165 Abs. 1 AO
Fundstelle
- DStRE 2000, 353-356 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Kindergeld für den Sohn David für 1996
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Familienkasse kann die Festsetzung von Kindergeld nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO nach Ablauf eines Kalenderjahres mit Wirkung vom Beginn dieses Kalenderjahres ändern, wenn mit Ablauf des Kalenderjahres feststeht, daß die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 S. 2 - 7 EStG überschritten haben.
Ist der der Gewährung zugrundeliegende Kindergeldbescheid nach Ablauf des Kalenderjahres jedoch schon einmal - aus welchen Gründen auch immer - geändert worden, kann er, um nunmehr fürdas abgelaufene Kalenderjahr auch noch die Folgerungen aus demÜberschreiten des Grenzbetrags zu ziehen, nur noch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 AO geändert werden, der Sachverhalt mithin insoweit erst nach Ergehen des letzten (Änderungs-)Bescheids bekanntgeworden ist.
(Leitsatz und Entscheidungsgründe entsprechen insoweit denen des Urteils vom 21.04.1999 II 449/98 Ki).
- 2.
Zur Ausslegung eines "Vorbehalts der Rückforderung für den Fall des Überschreitens der anspruchsschädlichen Einkommens grenze" in einem solchen Fall.
Tenor:
Unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 30.09.1997 wird der Kindergeldänderungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.06.1997 insoweit aufgehoben, als mit Wirkung vom 01.01.1996 ein Anspruch auf Kindergeld für den Sohn David versagt wird und für diesen aus gezahltes Kindergeld zurückgefordert wird. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitslei stung oder Hinterlegung in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte eine Kindergeldbewilligung rückwirkend wegen Überschreitens der Bezügegrenze des§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ändern und insoweitüberzahltes Kindergeld zurückfordern durfte.
Der Kläger ist Beamter. Mit Bescheid über die Festsetzung des Kindergeldes und des Orts-/Sozialzuschlags vom 07.07.1994 gewährte der Beklagte für die beiden über 18 Jahre alten Kinder des Klägers in Ausbildung Jonathan und David Kindergeld bis 9/97 bzw. 3/97. In der Folgezeit wurde dieser Gewährungsbescheid mehrmals geändert, soweit für bestimmte Zeiträume wegen eigener Einkünfte und Bezüge der Kinder kein Anspruch auf kindbezogene Leistungen bestanden hatte.
Nachdem der Kläger dem Beklagten im August 1996 mitgeteilt hatte, dass der Sohn David ab 01.05.1996 bis Ende 1997 ein Stipendium von monatlich 1.600,00 DM erhielt, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 28.08.1996 - "soweit nicht anders bestimmt ab 01.01.1997" - für David bis 12/1996 und Jonathan bis 3/1997 Kindergeld. Der Bescheid enthielt eine Nebenbestimmung mit folgendem Wortlaut: "Für den Fall desÜberschreitens der anspruchsschädlichen Einkommensgrenze bei einem Kind, das das 18. Lebensjahr überschritten hat, steht die Zahlung des Kindergeldes und des Orts- bzw. Sozialzuschlags unter dem Vorbehalt der Rückforderung". Weiter war in der Anlage zum Bescheid ausgeführt, der Sohn David könne für das Kalenderjahr 1997 nicht mehr berücksichtigt werden, weil seine Einkünfte und Bezüge abzüglich der Werbungskostenpauschale voraussichtlich mehr als 12.000,00 DM betragen würden. Die kinderbezogenen Leistungen würden aber nachgezahlt, wenn nach Abschluss des Kalenderjahres nachgewiesen werde, dass die Einkommensgrenze doch nicht überschritten worden sei.
Mit Bescheid vom 07.02.1997 wurden kindbedingte Leistungen einschließlich des Kindergelds nur für den Sohn Jonathan bis 3/1999 bewilligt. Auch dieser Bescheid enthielt eine gleichlautende Nebenbestimmung über den "Vorbehalt der Rückforderung".Mit Bescheid vom 12.06.1997 wurde sodann für den Sohn Jonathan Kindergeld bis 3/1999 gewährt und für den Sohn David ab 01.01.1996 ein Anspruch auf Kindergeld versagt. Dazu war weiter ausgeführt, gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO werde der Bescheid vom 07.07.1994 und würden alle in der Zwischenzeit ergangenen, lediglich wiederholenden Bescheide ab 01.01.1996 aufgehoben und sei nach § 37 Abs. 2 AO das zu Unrecht gezahlte Kindergeld zurückzuzahlen.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Mit Bescheid vom 28.08.1996 sei ihm für seinen Sohn David das volle Kindergeld bis 12/1996 bewilligt worden. Dieser Bewilligung hätten dieselben Unterlagen zugrundegelegen, aufgrund deren jetzt der geänderte Bescheid ergangen sei. Dies könne nicht rechtens sein.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Der Beklagte begründete seine Entscheidung damit, gem.§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei ein Bescheidüber die Gewährung von Kindergeld zu erlassen, aufzuheben oder zuändern, soweit ein Ereignis eintrete, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe. Ein solches Ereignis sei das Überschreiten der Einkommensgrenze. Der Bescheid sei daher zu Recht geändert worden mit der Folge, dass wegen Wegfalls des Zahlungsgrundes ein Anspruch auf Rückzahlung des überzahlten Kindergeldes gem. § 37 Abs. 2 AO bestehe.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger weiterhin die Berücksichtigung des Sohnes David bis einschließlich 12/1996. Eine Aufhebung des Bescheides vom 26.08.1996 sei nicht zulässig gewesen, da keine neuen Tatsachen vorgelegen hätten, aufgrund deren die ursprüngliche Festsetzung hätte geändert werden dürfen. Bei Erlass des genannten Bescheides hätten sämtliche für die Beurteilung notwendige Unterlagen beim Beklagten vorgelegen. Im nachhinein habe sich der Sachverhalt demgegenüber nicht mehr geändert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Bescheid über die Festsetzung des Kindergeldes vom 12.06.1997 insoweit wieder aufzuheben, als mit Wirkung vom 01.01.1996 eine Kindergeldberechtigung für den Sohn David darin verneint ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vom 30.09.1997 dargelegten Begründung fest. Wegen der Einzelheiten wird auf deren Inhalt verwiesen. Ergänzend trägt der Beklagte vor, Gegenstand der Berichtigung durch den angefochtenen Bescheid sei - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht der Bescheid vom 28.08.1996 gewesen, sondern der Bescheid vom Juli 1994, mit dem das Amt dem Kläger für beide Kinder bis 3/1997 Kindergeld bewilligt hätte.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Beklagte durfte das schon ausgezahlte Kindergeld nicht mehr zurückfordern.
1.)
Dem Kläger steht allerdings für das Jahr 1996 für seinen Sohn David nach materiellem Recht kein Kindergeld zu, da der Sohn im Kalenderjahr 1996 als Stipendiat Bezüge von mehr als 12.000,00 DM hatte, nämlich Einnahmen von 12.800,00 DM, so dass nach Abzug der Kostenpauschale von 360,00 DM - der Kläger hat ausdrücklich darüber hinausgehende Unkosten im Zusammenhang mitden Bezügen nicht geltend gemacht - 12.440,00 DM verbleiben. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) werden aber nur Kinder i.S.v.§ 32 Abs. 1 EStG berücksichtigt. Hat das Kind, wie im Streitfall, das 18. Lebensjahr vollendet und befindet es sich in Ausbildung, so bestimmt § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, dass es nur berücksichtigt wird, wenn es Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 12.000,00 DM (Grenzbetrag im Streitjahr 1996) im Kalenderjahr hatte. Da die Bezüge des Sohnes David diesen Betragüberstiegen, bestand kein Anspruch auf Kindergeld.
2.)
Indes war es dem Beklagten aus verfahrensrechtlichen Gründen verwehrt, das überzahlte Kindergeld vom Kläger zurückzufordern.
a)
Die Festsetzung von Kindergeld und die Änderung von Bescheiden über die Gewährung von Kindergeld richtet sich nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) über Steuervergütungen. Denn seit 1996 wird Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. Gemäß § 155 Abs. 6 AO sind auf Steuervergütungen die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, wozu insbesondere auch die Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden gehören (§ 172 ff AO). Ergänzt werden diese Vorschriften durch die besonderen Änderungsvorschriften des§ 70 Abs. 2 und 3 EStG. Hierbei handelt es sich um zusätzliche Korrekturvorschriften, die erforderlich wurden, weil die Festsetzung von Kindergeld regelmäßig einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt, der Rückgriff auf die (allerdings auf Dauerverwaltungsakte auch nicht unbedingt zugeschnittenen) Korrekturtatbestände der §§ 130, 131 AO durch§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d AO ausdrücklich ausgeschlossen ist und die AO eine dem § 48 Sozialgesetzbuch (SGB) X entsprechende Regelung nicht enthält (Seewald/Felix, Kindergeldrecht,§ 70 EStG, Rdnr. 41; Berlebach, Steuerlicher Familienleistungsausgleich, § 70 EStG, Rdnr. 10; Bergkämper/Kanzler in Herrmann-Heuer-Raupbach, § 70 EStG, Rdnr. 13).
b)
Nach Auffassung des Senats ist bei Überschreiten des Grenzbetrags des § 32 Abs. 4 Sätze 2 - 7 EstG, was aus logischen Gründen erst mit Ablauf des Kalenderjahres eintreten kann, die Aufhebung oder Änderung einer Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab Beginn des Kalenderjahres entgegen der Auffassung eines Teiles der Literatur und Finanzgerichte (Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 17.08.1997 VII 604/96 Ki, Revision eingelegt, EFG 1998, 109; Seewald/Felix a.a.O., Rdnr. 43, Weber-Grellet in Schmidt, § 70 EStG, Rdnr. 4, beide unter Hinweis auf das genannte Urteil) nicht nach § 70 Abs. 2 EStG möglich. DasÜberschreiten des Grenzbetrags mit Ablauf des betreffenden Kalenderjahres ist vielmehr ein Ereignis mit steuerlicher bzw. kindergeldrechtlicher Rückwirkung, sodass ein bestandskräftiger Kindergeldbescheid nach§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit Wirkung vom Beginn des Kalenderjahres geändert werden kann (so die wohl herrschende Meinung: Berlebach a.a.O. § 70 EStG, Rdnr. 14; Bergkämper/Kanzler a.a.O., § 70 EStG, Rdnr. 13; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 13.05.1997 2 K 5477/96, EFG 1997, 1261; Tz. 70.4.2 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Tz. 63.4.1.2 Abs. 7 der Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs (DAFamEStG, BStBl I 1998, 386 ff).
aa)
Den Vertretern der anderen Auffassung kann zwar darin gefolgt werden, dass die Entstehung des Kindergeldanspruchs u.a. im Hinblick auf die Verpflichtung zur monatlichen Auszahlung (§§ 31 S. 3, 71 EStG) nicht von der Nichtüberschreitung des in § 32 Abs. 4 Satz 2 bis 7 EStG geregelten Grenzbetrags abhängig sein kann, weil es sonst nicht monatlich laufend gewährt werden könnte, sondern der Anspruch unter der gesetzlichen auflösenden Bedingung entsteht, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindesdiese Grenzen nicht übersteigen; mit Ablauf des Kalenderjahres tritt dann beiÜberschreiten des Grenzbetrags die auflösende Bedingung ein. Damitändern sich zwar die rechtlichen Verhältnisse, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind und es lässt sich insoweit auch weiter die Auffassung vertreten, der Eintritt der auflösenden Bedingung habe Rückwirkung auf den Beginn des Kalenderjahres (so offenbar stillschweigend der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts a.a.O.), denn dies entspricht Sinn und Zweck des Regelungsgehaltes der §§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 4 bis 7, 30 S. 3 und 71 EStG. Wenn damit auch die Anspruchsvoraussetzungen bei Eintritt der Bedingung mit Wirkung zum Beginn des Kalenderjahres entfallen, scheidet gleichwohl eine Änderung gemäß § 70 Abs. 2 EStG nach Ablauf des Kalenderjahres mit Wirkung ab dessen Beginn deshalb aus, weil diese Vorschrift auf den Zeitpunkt der Änderung dertatsächlichen Verhältnisse abhebt und nicht darauf, ob sich rechtliche Verhältnisse rückwirkend geändert haben.
Hier ist vielmehr § 175 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO einschlägig. Danach kann ein Bescheid (rückwirkend) geändert werden, wenn ein Ereignis mit steuerlicher, d.h. hier kindergeldrechtlicher Rückwirkung eintritt. Dieses ist für den Fall des Überschreitens des Grenzbetrages mit den Vertretern der wohl herrschenden Meinung zu bejahen. Nach dem Sinn und Zweck der Regelungen in §§ 30 S. 3, 71 EStG (monatliche Zahlung) und in§ 32 Abs. 4 Satz 2 bis 7 EStG (keine Berücksichtigung eines Kindes bei Überschreiten des Grenzbetrages) handelt es sich insoweit um ein Ereignis mit tatbestandlicher Rückwirkung.
bb)
Dies folgt auch aus der Systematik der vor der Verlagerung des Kindergeldrechts in das Einkommensteuerrecht maßgebendenÄnderungsvorschriften der §§ 44 ff SGB X und der durch die Verlagerung in das Einkommensteuerrecht erforderlich gewordenen Ergänzung der Änderungsvorschriften der AO durch § 70 Abs. 2 und 3 EStG.
Der die Kindergeldzahlung bewilligende Verwaltungsakt ist wie bisher ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da er sich nicht in einem einmaligen Verbot oder Gebot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes Rechtsverhältnis, nämlich die Gewährung von wiederkehrenden Leistungen zum Gegenstand hat. Aufgrund der Ausgestaltung des Kindergeldes als Steuervergütung (§ 31 Satz 2 EStG) kann die Durchbrechung der Bestandskraft einer Kindergeldfestsetzung gemäß § 155 Abs. 6 AO nur gemäß §§ 173 ff AO erfolgen, mithin nach den Vorschriften über die Änderung von Steuerbescheiden, die aber nicht auf Dauerverwaltungsakte zugeschnitten sind.
Deshalb musste der Gesetzgeber zusätzlicheÄnderungsvorschriften in § 70 Abs. 2 und 3 EStG aufnehmen. Diese sind § 48 SGB X nachgebildet. Allerdings enthält § 48 SGB X in seinem Abs. 1 Satz 3 in Ergänzung zur Regelung in Abs. 1 Satz 2, wonach der Verwaltungsakt nicht nur für die Zukunft, sondern in bestimmten Fällen auch mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden kann, und der damit dem Regelungsgehalt des§ 70 Abs. 2 EStG entspricht, die zusätzliche Regelung, dass als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum in besonderen Fällen anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes gilt. Dass der Gesetzgeber diese Vorschrift auch nicht sinngemäß in§ 70 EStG übernommen hat, kann sich nur daraus erklären, dass § 70 Abs. 2 und 3 EStG nur für die nach dem Regelungsgehalt der AO nicht erfassten Fälle eineÄnderungsmöglichkeit geben sollte. DieseÄnderungsmöglichkeit bietet, wie schon oben dargestellt ist,§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
c)
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) folgt nun aber aus der sprachlichen Bedeutung des Begriffs "Eintritt" und dem Bedeutungszusammenhang des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit § 173 Abs. 1 AO, dass sich der Vorgang ereignen muss, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und bei Änderung eines Steuerbescheides, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegen deshalb nicht vor, wenn das FA (hier die Familienkasse) - wie im Fall des § 173 Abs. 1 AO - lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt (BFH-Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172/66, BStBl II 1993, 897 m.w.N.; BFH-Beschluss vom 04.11.1998 IV B 146/97, BFH/NV 1999, 589 m. Nachweisen, Tipke-Kruse § 175 AO, Rdnr. 7; ebenso schon zum Kindergeldrecht: Berlebach a.a.O., § 70 EStG, Rdnr. 27).
Danach war im Streitfall eine Änderung nicht mehr möglich, weil sich nach dem Erlass des (Änderungs-)Bescheides vom 07.02.1997 der Sachverhalt nicht nochmals (mit Rückwirkung) geändert hatte.Im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides war der kindergeldrechtliche Tatbestand mit Ablauf des Kalenderjahres 1996 endgültig dahin verwirklicht, dass für den Sohn David des Kl. für 1996 kein Kindergeldanspruch bestand. Die erforderliche Änderung hätte deshalb schon im Bescheid vom 07.02.1997 (mit) vollzogen werden müssen. Dieser Bescheid hatte nämlich den Bescheid vom 28.08.1996, mit dem Kindergeld für beide Söhne gewährt wurde, insoweit geändert, als das Kindergeld für David bis 31.12.1996, mithin nur nicht mehr ab Januar 1997 gewährt wurde. Dieser Bescheid vom 07.02.1997 hat damit für die zurückliegende Zeit den Bescheid vom 28.08.1996 zwar inhaltlich unberührt gelassen, ihn aber gleichwohl, wenn auch lediglich für die Zukunft, nämlich ab 01.01.1997, geändert. Er bleibt der nämliche Bescheid, der nur für die Zukunft einen anderen Inhalt erhalten hat.
d)
Die Rechtsnatur des Kindergeldbescheides als Dauerverwaltungsakt vermag hieran nichts zu ändern.
aa)
Die Besonderheit von Dauerverwaltungsakten liegt zwar darin, dass sie nicht nur für einen schon abgeschlossenen Zeitraum, sondern auch für die Zukunft Wirkung entfalten und deshalb auch sowohl für die Vergangenheit als auch die Zukunft geändert werden können müssen. Gleichwohl wird auch bei einer Änderung nur für die Zukunft lediglich der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt modifiziert mit der Folge, dass der geänderte Dauerverwaltungsakt bis zum Zeitpunkt derÄnderung in seinem bisherigen Umfang fortbesteht, sofern er nicht auch insoweit sogleich mit geändert wird. Für die zurückliegende Zeit wird damit der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt aufrechterhalten, aber als Teil des jetzt gültigen Verwaltungsakts. Da jedenfalls der (Dauer-)Verwaltungsakt geändert wird, kommt es für spätere (weitere) Änderungen des nämlichen (Dauer-)Verwaltungsakts nach seiner Änderung, also mit dem Inhalt, den er nunmehr nach derÄnderung hat, darauf an, welcher kindergeldrechtliche Tatbestand im Zeitpunkt der letzten Änderung endgültig verwirklicht war und inwieweit der verwirklichte Tatbestand der Verwaltung im Zeitpunkt des Erlasses des nunmehr zu ändernden Verwaltungsakts bekannt war. Änderungen für die zurückliegende Zeit sind deshalb nur dann noch möglich, wenn nach Erlass des zu ändernden Änderungsbescheides Tatsachen mit steuerlicher (kindergeldrechtlicher) Rückwirkung eintreten.
bb)
Die Änderung oder Aufhebung eines Dauerverwaltungsakts lediglich (oder ausdrücklich nur) für die Zukunft kann auch nicht etwa als selbständiger, neuer Verwaltungsakt beurteilt werden, der - bildlich gesprochen - gleichsam vom bisherigen Dauerverwaltungsakt abgeschnitten wird und deshalb isoliert zu betrachten wäre, sodass es für den alten Verwaltungsaktsteil auf den Zeitpunkt dessen Erlasses ankäme, deshalb insoweit die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO doch vorlägen.Eine so verstandene Teilbarkeit eines Dauerverwaltungsaktes würde ihrerseits einschließen, dass es für den Erlass des in die Zukunft gerichteten neuen Teils keiner Änderungsvorschrift bedürfte. Dem widerspricht aber, dass der Gesetzgeber wegen der Besonderheit der Kindergeldbewilligung als Dauerverwaltungsakt gerade besondere Änderungsvorschriften vorgesehen hat.
e)
Selbst wenn man aber der oben abgelehnten Auffassung folgen wollte, nach der bei Überschreiten des Grenzbetrages in § 32 Abs. 4 S. 2-7 EStG eine Änderung mit Wirkung ab Beginn des abgelaufenen Jahres nach § 70 Abs. 2 EStG möglich wäre, wäre das Ergebnis kein anderes.
Auch diese Vorschrift ist wie § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO im Bedeutungszusammenhang mit § 173 Abs. 1 AO zu sehen und auch hier ist die sprachliche Bedeutung des Begrifs "eintritt" (Soweit in den Verhältnissen, die ... maßgebend sind, ... Änderungen ... eintreten, ist...) zu berücksichtigen, so dass das Auslegungsergebnis mit dem zu § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO notwendig identisch sein muß.
f)
Der Senat verkennt nicht, dass die Entscheidung Probleme für die Familienkassen mit sich bringt, die für die Zukunft eine schnelle Entscheidung herbeiführen müssen, um die unberechtigte Auszahlung von Kindergeld für die Zukunft möglichst schnell zu unterbinden, auf der anderen Seite aber, unter Umständen auch im Interesse der Kindergeldberechtigten, für die Entscheidung über den bereits abgelaufenen Zeitraum längere Zeit benötigen, um ggf. auch weitere Ermittlungen durchzuführen. Dieser möglicherweise rechtspolitisch unerwünschte Effekt rechtfertigt es abernicht, für das Kindergeldrecht das bestehende Verfahrensrecht anders als für den Bereich des Steuerrechtes auszulegen. Die entstandene Problematik ist letztlich eine - möglicherweise nicht gewollte und nicht gesehene - Folge der Verlagerung des Kindergeldrechts in das Einkommensteuerrecht und damit in denverfahrensrechtlichen Regelungsbereich der Abgabenordnung. Lösungen können deshalb insoweit nur in der bestehenden Verfahrensordnung gefunden werden (z.B. in Ausbildungsfällen zunächst vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 AO im Hinblick auf die noch ungewisse Höhe der eigenen Einkünfte und Bezüge eines Kindes; bei Änderung für die Zukunft weiterhin vorläufige Festsetzung gemäß § 165 Abs. 1 AO) solange der Gesetzgeber nicht Abhilfe durch eine gesetzliche Neuregelung schafft, die bei Ausschöpfung des bestehenden Verfahrensrechts indes nicht unbedingt angezeigt ist.
g)
Eine Änderung nach § 70 Abs. 3 EStG scheidet schon deshalb aus, weil die mit Ablauf des Kalenderjahres nunmehr rückwirkend eingetretene materielle Fehlerhaftigkeit nach dem Inhalt dieser Vorschrift ohnehin nur mit Wirkung für die Zukunft beseitigt werden könnte.
h)
Die Voraussetzungen für eine Änderung nach§ 173 Abs. 1 AO liegen ebenfalls nicht vor, da dem Bekl. nach Erlass desÄnderungsbescheides vom 20.02.1998 keine Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt geworden sind, die zur Versagung des Kindergeldes führen müssen. Das Überschreiten des Grenzbetrags war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt.
i)
Auch die dem Bescheid vom 07.02.1997 beigefügte Nebenbestimmung, wonach die Zahlung des Kindergeldes für den Fall desÜberschreitens der Bezügegrenze "unter dem Vorbehalt der Rückforderung" stand, berechtigt nicht zur (rückwirkenden)Änderung. Die Möglichkeit einer solchen Nebenbestimmung ist in§ 70 EStG nicht vorgesehen.
Allerdings können nach der Abgabenordnung Steuern gem.§ 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und gem. § 165 Abs. 1 AO vorläufig festgesetzt werden.
aa)
Der hier zu beurteilende Vorbehalt der Rückforderung läßt sich indes trotz des verwendeten Begriffs Vorbehalt nicht als Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO auslegen, da die Rückforderung ausdrücklich auf den Fall desÜberschreitens der Bezügegrenze beschränkt ist, während der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 AO zu einer jederzeitigen Änderung eines Bescheides aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen in vollem Umfang berechtigt und deshalb einer Beschränkung nicht zugänglich ist.
bb)
Zwar kann die beigefügte Nebenbestimmung trotz ihres insoweit vom Gesetzeswortlaut (... kann vorläufig festgesetzt werden ...) abweichenden Wortlauts unter Berücksichtigung ihres Inhalts als Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ausgelegt werden. Denn der "Vorbehalt der Rückforderung" bringt zum Ausdruck, dass die Entscheidung über die Gewährung des Kindergeldes noch keine endgültige, ihrem Sinn nach mithin nur eine vorläufige sein sollte.
Andererseits ist aber ein nach § 165 Abs. 1 vorläufiger Verwaltungsakt nur im angegebenen Umfang - Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben, § 165 Abs. 1 Satz 2 AO - ihrer Vorläufigkeit änderbar, § 165 Abs. 2 AO (... soweit ... vorläufig festgesetzt ist, kann...). Für die Frage, inwieweit das Kindergeld vorläufig festgesetzt war, kommt es deshalb auf Inhalt und Umfang des Vorläufigkeitsvermerks an. Als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt gilt in gleicher Weise wie für den Verwaltungsakt selbst, dass er mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekanntgemacht ist, und ist dieser durch Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt es darauf an, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen, und zwar entsprechend seinem objektiven Verständnishorizont, den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Dabei ist im Zweifel das dem Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf (vgl. zu allem ausführlich und mit weiteren Nachweisen: BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BFH/NV 1997, 540). Nach diesen Auslegungsgrundsätzen konnte der Kläger den Vorbehalt der Rückforderung nach den ihm bekannten Umständen nur darauf beziehen, dass es nur noch um ein Überschreiten der Bezügegrenze für das laufende Kindergeld betreffend seinen Sohn Jonathan ging; denn nur noch für diesen erhielt er ab 1997 noch kindbedingte Leistungen, während der Sohn David im Bescheid nicht mehr aufgeführt war; auch konnte aus seiner Sicht eine Ungewißheit über die Bezüge seines Sohnes David nicht mehr bestehen, denn diese hatte er dem Beklagten auf dessen erneute Anfrage nochmals auf Vordruck am 26.09.1996 mitgeteilt und danach hatte der Beklagte nicht nochmals um Angaben hierzu gebeten, sondern nunmehr nur noch zu den Verhältnissen des Sohnes Jonathan, die er auf Formblatt am 22.01.1999 dem Beklagten mitgeteilt hatte. Wenn sich der Beklagte nach Ablauf des Kalenderjahres weiterhin die Überprüfung auch für den Sohn David hätte vorbehalten wollen, hätte er dieses deutlicher machen müssen,etwa durch einen Hinweis, dass der "Vorbehalt der Rückforderung" weiterhin auch für die zurückliegende Zeit betreffend den Sohn David aufrechterhalten bleiben sollte (nach der Terminologie der Abgabenordnung besser, dass der Bescheid im bisherigen Umfang weiterhin wegen der Höhe der Bezüge des Sohnes David vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO sei).
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 136 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 2 FGO i.V.m.§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).