Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.05.1999, Az.: XII 344/98 Ki
Zuziehung eines Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren betreffend Kindergeld; Befugnis eines Rechtsanwalts zu unbeschränkter Hilfeleistung in Steuersachen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 27.05.1999
- Aktenzeichen
- XII 344/98 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 19487
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0527.XII344.98KI.0A
Rechtsgrundlagen
- § 77 Abs. 3 EStG
- § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG
- § 77 Abs. 2 EStG
- § 3 Abs. 1 Nr. 2 StBerG
- § 139 Abs. 3 S. 3 FGO
- § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO
Verfahrensgegenstand
Zuziehung eines Bevollmächtigten gem. § 77 Abs. 3 EStG.
Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren der Kinder geld angelegenheit
Amtlicher Leitsatz
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren betr. Kindergeld kann im Einzelfall auch dann notwendig sein, wenn der Einspruch nicht begründet wurde.
In dem Rechtsstreit
hat der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
durch
den Richter am Finanzgericht ... als Einzelrichter
gem. § 6 Abs. 1 FGO am 27. Mai 1999,
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung ... vom 22.11.1997 und des Einspruchsbescheides des ... Landesamtes für Bezüge und Versorgung vom 07.04.1998 wird die Zuziehung eines Bevollmächtigten gem. § 77 Abs. 3 EStG im Kindergeldverfahren ... für notwendig erklärt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird Vollstreckungsnachlass gegen Sicherheitsleistung gewährt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Zuziehung der Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Verwaltungsverfahren betreffend die Kindergeldsache ... i.S.d. § 77 Abs. 3 EStG notwendig war.
Der Kläger hatte der Beklagten im Hinblick auf das ihm gewährte Kindergeld im September 1996 mitgeteilt, dass seine Tochter ... das Studium an der Universität ... zum 01.09.1996 unterbrochen habe, um an der Universität ... für ein Jahr Russisch zu studieren. Um festzustellen, ob es sich bei dem Auslandsaufenhalt um eine Ausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG handelte, wurde der Kläger um Vorlage bestimmter Nachweise gebeten. In dem sich anschließenden Schriftwechselstellte sich heraus, dass die Beschaffung geeigneter Beweismittel für den Kläger langwierig und schwierig sein würde. Mit Bescheid vom 13.02.1997 wurde daraufhin die Kindergeldzahlung für ... ab 01.04.1997 aufgehoben.
Gegen diese Entscheidung legten die Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 21.03.1997 bei der seinerzeit zuständigen Bezirksregierung ... - Familienkasse - Einspruch ein. Darin führten sie aus:
"Die Einspruchserhebung erfolgt vorsorglich. Zwischen meinem Mandanten und Ihnen fand am 26.02.1997 ein Gespräch in der Bezirksregierung statt. Eine Studienbescheinigung der Universität ... wird für die Tochter ... meines Mandanten nachgereicht."
Daneben legten die Prozeßbevollmächtigten des Klägers eine entsprechende Vollmacht des Klägers vor. Eine weitergehende Begründung des Einspruchs erfolgte nicht.
Aufgrund eingeleiteter Ermittlungen kam die Beklagte schließlichzu dem Ergebnis, dass der Auslandsaufenhalt von ... kindergeldrechtlich anzurechnen sei. Demgemäß erfolgte eine Weiterbewilligung des Kindergeldes über den 01.04.1997 hinaus. Die entsprechende Entscheidung wurde von der Beklagten sowohl den Prozeßbevollmächtigten des Klägers, als auch dem Kläger persönlich bekanntgegeben.
Mit Schreiben vom 11.09.1997 beantragten die Prozeßbevollmächtigten eine Ergänzung der im Abhilfebescheid vom 04.09.1997 genannten Kostenentscheidung um die Erklärung, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig gewesen sei. Die Beklagte entschied daraufhin mit Bescheid vom 20.11.1997, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht erforderlich gewesen sei.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat der Kläger gegen diese Entscheidung Klage erhoben. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Kosten seiner Prozeßbevollmächtigten für das Verwaltungsverfahren erforderlich gewesen sei. Es sei letztlich darum gegangen, die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides vom 13.02.1997 zu vermeiden. Dies sei nur dadurch verhindert worden, dass Einspruch für den Kläger eingelegt worden sei. Auch im Abhilfebescheid vom 04.09.1997 habe die Beklagte wörtlich ausgeführt, dass dem eingelegten Einspruch gegen die Aufhebung der Kindergeldbewilligung stattgegeben werde. Dies allein sei entscheidend. Es sei kein Rücknahme- oder Wiederrufsbescheid ergangen, sondern eine Abhilfeentscheidung. Auch sei der Bescheid nicht etwa vorläufig gewesen. Weil die Erklärungsbemühungen des Klägers im Vorfeld gegenüber der Beklagten erfolglos geblieben seien, habe er sich entschlossen, seine jetzigen Prozeßbevollmächtigten einzuschalten. Diese Entscheidung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten habe der einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei entsprochen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung ...vom 20.11.1997 und des Einspruchsbescheides des ... ... Landesamtes für Bezüge und Versorgung vom 07.04.1998 die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren der Kindergeldsache ... für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen sei. Man habe die Kindergeldzahlung für ... mit Bescheid vom 13.02.1997 vorsorglich bis zu einer endgültigen Sachverhaltsaufklärung für die Zukunft aufgehoben. Das Wort "vorsorglich" werde in der deutschen Sprache mit "vorsichtshalber" und "fürsorglich vorbedacht" definiert, was in der Praxis nichts anderes bedeute, als die vorübergehende Einstellung der Kindergeldgewährung zwecks Überprüfung der Sach- und Rechtslage.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf diezwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Nach § 77 Abs. 3 setzt die Familienkasse auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Die Kostenentscheidung bestimmt danach auch, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes notwendig war. Bevollmächtigter oder Beistand in diesem Sinne ist eine Person, die nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetztes zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist (§ 77 Abs. 2 EStG). Im Streitfall hat der Kläger eine Anwaltskanzlei aus ... mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Rechtsanwälte sind gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 StBerG zu unbeschränkter Hilfeleistung in Steuersachen befugt.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren war im Streitfall auch notwendig. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu der dem § 77 Abs. 3 EStG entsprechenden Vorschrift des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten dann notwendig, wenn der Steuerpflichtige wegen der Schwierigkeit der streitigen Rechtsprobleme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Rechtes eines steuer- und rechtskundigen Fachmannes bedarf (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 29.03.1973, BStBl II 1973, 535). Darüber hinaus ist die wirtschaftliche Tragweite des Rechtstreites und das Ausmaß der eigenen Sachkunde der Beteiligten zu berücksichtigen (BFH-Beschluß vom 18.07.1967, BStBl II 1968, 56). Das Gericht hält diese Rechtsprechung für zutreffend. Die von der Rechtsprechung genannten Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt, denn es handelte sich aus der Sicht des Klägers um eine schwierige Rechtsfrage, die er als Laie und Rechtsunkundiger nicht ohne die Hilfe eines Rechtsbeistandes bewältigen konnte. Im übrigen liegt eine Zuziehung i.S. des § 77 Abs. 3 EStG nämlich schon dann vor, wenn im Rahmen eines auf eine Geschäftsbesorgung gerichteten Dienstvertrages ein Rechtsanwalt oder Steuerberater bevollmächtigt wird und eine Gebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO entstanden ist. § 77 Abs. 3 EStG stellt somit keine über den Entstehungstatbestand von Gebühren nach § 118 Abs. 1 BRAGO hinausgehenden weiteren tatbestandlichen Erfordernisse auf, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Bevollmächtigte der Familienkasse gegenüber im Namen des Vertretenen selbst Erklärungen abgegeben hat. Es reicht vielmehr aus, dass sich ein Beteiligter anlässlich des Verwaltungsverfahrens eines Bevollmächtigten bedient hat, wodurch dem Bevollmächtigten dann ein entsprechender Gebühren- und Auslagenanspruch entstanden ist (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 09.03.1976, BStBl II 1976, 568). Ob der Bevollmächtigte dann weitergehende Begründungen abgibt, ist nicht entscheidend.
Das Gericht folgt damit nicht der Rechtsauffassung des FGMünchen (EFG 1992, 210), das die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten dann verneint, wenn der Bevollmächtigte im Einspruchsverfahren nur einen Rechtsbehelf einlegt, ohne ihn zu begründen. Aus der fehlenden Begründung eines Einspruchs kann nicht auf den Umfang des Streitstoffes und die Schwierigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen geschlossen werden. Es ist im übrigen nicht Sache des Gerichts, sich mit dem materiellen Gehalt von Rechtsausführungen des Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren zu befassen und daraus Schlüsse auf die Notwendigkeit seiner Zuziehung zu ziehen. Entscheidend ist allein, wann die Gebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO entstanden ist. Dies ist im Streitfall jedenfalls spätestens mit Einlegung des Einspruchs der Fall gewesen.
Soweit die Beklagte vorbringt, die Kindergeldzahlung sei lediglich "vorläufig" oder "vorsorglich" eingestellt worden, folgt das Gericht diesem Vorbringen nicht. Zwar enthält der Bescheidvom 13.02.1997 einen entsprechenden Hinweis. Darin heißt es: "Es besteht vorsorglich kein Anspruch für ... ... ab 01.04.1997." Unabhängig davon, dass diese Formulierung für das Gericht in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar ist, enthält der Bescheid jedoch eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Einspruch erhoben werden kann. Von diesem Einspruchsrecht hat der Kläger sodann Gebrauch gemacht. Es sind im übrigen keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte die Ermittlungen hinsichtlich des Studiums von ... in ... auch dann weitergeführt hätte, wenn gegen den Bescheid kein Einspruch eingelegt worden wäre. So hat beispielsweise der Kläger persönlich am 27.02.1997 an die Bezirksregierung ... geschrieben und mitgeteilt, dass er zwischenzeitlich einige der ausstehenden Papiere zum Nachweis des Studiums der Tochter in ... beschafft habe. Gleichzeitig bat er um Fristverlängerung zur Beschaffung weiteren Unterlagen bis zum 31.03.1997. Eine Reaktion der Beklagten auf dieses Schreiben erfolgte nicht. Vielmehr wurde das Verfahren erst nach Einlegung des Einspruchs durch die jetzigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 21.03.1997 fortgeführt. Nach alldem war dem Klagebegehren zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Hiergegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Niedersächsischen Finanzgericht in Hannover Beschwerde eingelegt werden. Auf Abs. 4 der Rechtsmittelbelehrung wird hingewiesen. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssachedargelegt, die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.