Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.03.2002, Az.: 11 K 397/00
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 06.03.2002
- Aktenzeichen
- 11 K 397/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 36213
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0306.11K397.00.0A
Rechtsgrundlagen
- EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
- AO § 88
- AO § 164 Abs. 1 Satz 1
- AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Fundstellen
- EFG 2002, 1048-1049
- NWB 2002, 3601
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Familienkassen sind berechtigt, Kindergeldfestsetzungen rückwirkend aufzuheben, wenn sich die Prognose der Einkünfte und Bezüge des Kindes als falsch herausstellt.
- 2.
Eine rückwirkende Aufhebung ist unzulässig, wenn schon aufgrund des zum Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung der Familienkasse bekannten Sachverhalts eine Überschreitung des (anteiligen) Jahresgrenzbetrages zu prognostizieren war.
- 3.
§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO ist auch auf Kindergeldfestsetzungen anwendbar.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin verpflichtet ist, das für ihren am 17.01.1981 geborenen Sohn Tomas von Februar bis Dezember 1999 bezogene Kindergeld zurückzuzahlen.
Der Sohn befand sich vom 01.08.1997 bis zum 31.07.2000 in der Berufsausbildung zum .... Der öffentliche Arbeitgeber bescheinigte im November 1998 jährlich am 01.08. steigende monatliche Ausbildungsvergütungen bis 1999 und zusätzliche Leistungen, letztere aber nur bis 1998, nämlich Sonderzuwendungen 11/97 und 11/98 sowie Urlaubsgeld 7/98.
Der Beklagte ordnete mit Verfügung vom 07.12.1998 die Weiterzahlung des Kindergelds an die Klägerin ab Februar 1999 für den dann volljährigen Sohn an. Die nachträgliche Überprüfung der Einkünfte und Bezüge des Sohnes ergab, dass der Sohn ab 01.01.1999 höhere monatliche Vergütungen als zunächst bescheinigt und auch 1999 Urlaubsgeld und Sonderzuwendung erhalten hatte. Da seine Einkünfte 1999 unstreitig den nach § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) unschädlichen Betrag überschreiten, erließ der Beklagte den angefochtenen Bescheid über die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld und die Rückforderung überzahlter Beträge vom 23.03.2000.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage.
Der Antrag auf Kindergeld für das Jahr 2000 ist mit gesondertem Bescheid, der nicht Gegenstand des Verfahrens ist, abgelehnt worden.
Die Klägerin meint, die Bewilligung des Kindergelds beruhe auf einem Fehler des Arbeitsamts, den sie nicht zu vertreten habe und den sie auch nicht habe erkennen können. Sie habe den Aufforderungen des Arbeitsamts Folge geleistet und alle erforderlichen Nachweise vorgelegt. Ihr Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Kindergeldfestsetzung müsse geschützt werden. Es sei Entreicherung ( § 818 Abs. 3 Bürgerliches GesetzbuchBGB) eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 23.03.2000 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 06.06.2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Kindergeldfestsetzung habe gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) wegen Eintritts eines Ereignisses, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe (rückwirkendes Ereignis), rückwirkend aufgehoben und der überzahlte Betrag zurückgefordert werden können. Die Prognoseentscheidung bezüglich der Einkünfte und Bezüge des Sohnes vom Dezember 1998 habe sich nachträglich als falsch herausgestellt. Selbst bei erkennbar falscher Prognose müsse die Korrektur der Kindergeldfestsetzung möglich sein.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Der Klägerin steht zwar materiell das Kindergeld ab Februar 1999 nicht mehr zu, weil die Einkünfte und Bezüge des volljährig gewordenen Sohnes unstreitig den anteiligen Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten. Der Beklagte ist aber nicht befugt, die Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufzuheben. Es fehlt hierfür an einer Rechtsgrundlage. Verbleibt es demnach bei der ursprünglichen Kindergeldfestsetzung, stellt sie den rechtlichen Grund für die Kindergeldzahlungen dar. Eine Rückforderung nach § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) scheidet aus.
1. Die Familienkassen sind allerdings grundsätzlich berechtigt, Kindergeldfestsetzungen rückwirkend aufzuheben, wenn sich die Prognose der Einkünfte und Bezüge als falsch herausstellt. Dies ergibt sich daraus, dass § 31 Satz 3 und § 71 EStG einerseits vorsehen, dass das Kindergeld laufend (monatlich) zu zahlen ist und § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG andererseits bestimmt, dass ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, nur dann berücksichtigt wird, wenn die Einkünfte und Bezüge einen bestimmten Betrag pro Kalenderjahr (Jahresgrenzbetrag) nicht überschreiten. Ob der Jahresgrenzbetrag überschritten wird, entscheidet sich erst im Laufe des Kalenderjahres. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zu feststehenden Tatbestandsmerkmalen wie etwa der Haushaltszugehörigkeit eines Kindes oder der Absolvierung einer Ausbildung. Über das Vorliegen oder Nichtvorliegen solcher feststehender Tatbestandsmerkmale kann die Behörde jederzeit befinden und somit die Leistung des Kindergeldes stets zeitnah den tatsächlichen Verhältnissen anpassen. Ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes hingegen den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, kann sich im Laufe eines Kalenderjahres unterschiedlich darstellen und kann regelmäßig abschließend erst nach Ablauf des Jahres geprüft werden.
Gleichwohl ist die Behörde gehalten, das Kindergeld monatlich auszuzahlen. Diese gesetzliche Konzeption macht es erforderlich, Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres erlassen worden sind, wieder aufheben zu können, wenn abzusehen ist oder bekannt wird, dass die Höhe der Einkünfte oder Bezüge des Kindes dazu führen wird, dass das Kind für das Kalenderjahr nicht berücksichtigungsfähig ist (B FH-Urteile vom 26.07.2001 VI R 55/00 , BFH/NV 2001, 1631 [BFH 26.07.2001 - VI R 55/00] ; VI [BFH 27.04.2000 - I B 114/99] R 83/98, BFH/NV 2001, 1633 [BFH 26.07.2001 - VI R 83/98]). Bei seinen Entscheidungen konnte der BFH offen lassen, ob die Änderung der Bescheide in diesen Fällen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO allein oder i.V.m. § 175 Abs. 2 AO (so die h.M., Nieder sächsisches FG, Urteil vom 05.05.1999 II 651/97 Ki, EFG 1999, 906 ; FG Köln, Urteil vom 16.11.1999 2 K 7567/98 , EFG 2000, 180 ; FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.1999 18 K 8117/98 Kg, EFG 2000, 272 ; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 01.03.2000 2 K 597/98, EFG 2000, 797 ; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, § 70 EStG , 13; Korn, EStG , § 70 17; Blümich, Einkommensteuergesetz , § 70 Rz. 40; Kirchhof, Einkommensteuergesetz , § 70 Rn. 2 a.E.) oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist (so Nieder sächsisches FG, Urteil vom 19.08.1997 VII 604/96 Ki, EFG 1998, 109 ; MIT, Anm. zu BFH-Urteil vom 01.03.2000 VI R 32/99 , DStR 2000, 968).
2. Eine rückwirkende Aufhebung ist aber unzulässig, wenn schon auf Grund des zum Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung der Familienkasse bekannten Sachverhalts eine Überschreitung des (anteiligen) Jahresgrenzbetrags zu prognostizieren war. Der Entscheidung, ob Kindergeld gewährt wird oder nicht, ist der Betrag der Einkünfte und Bezüge des Kindes zugrunde zu legen, der nach Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat. Die Einkünfte aus einer Ausbildungsvergütung z.B. sind danach als Differenz der nach dem Arbeits- oder Dienstvertrag im Prognosezeitraum zu erwartenden Einnahmen und, wenn wie im Streitfall höhere Werbungskosten nicht geltend gemacht werden, dem Arbeitnehmerpauschbetrag zu ermitteln.
Dies hat die Familienkasse hier nicht beachtet. Auf Grund der Ausbildungsbescheinigung vom November 1998 war zu prognostizieren, dass die Einkünfte des Sohnes von Februar bis Dezember 1999 den anteiligen Jahresgrenzbetrag überschreiten werden.
Die Überschreitung des maßgeblichen Grenzbetrags ergibt sich allerdings nicht direkt aus dieser Ausbildungsbescheinigung. Nach ihrem Wortlaut sollte der Sohn 1999 lediglich die monatliche Ausbildungsvergütung und abweichend von 1997 und 1998 weder Urlaubsgeld noch die Sonderzuwendung beziehen. Eine Überschreitung des anteiligen Jahresgrenzbetrags 1999 war ohne die Einbeziehung von Urlaubsgeld und Sonderzuwendung und damit nach dem reinen Wortlaut der Bescheinigung nicht zu erwarten.
Der Beklagte hätte aber die Angaben in der Bescheinigung seiner Prognoseentscheidung nicht zugrunde legen dürfen. Die Familienkassen haben den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln ( § 88 AO). Da es in das Ermessen der Behörde gestellt ist, die materielle Bestandskraft einer Steuerfestsetzung dadurch offen zu halten, dass sie die Festsetzung der Steuer solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellt ( § 164 Abs. 1 Satz 1 AO), gebietet § 88 AO für den Fall, dass die Behörde davon keinen Gebrauch macht, dass sie allen offenkundigen Zweifelsfragen, also Zweifeln, die sich ohne weiteres aufdrängen, nachgeht (B FH-Urteil vom 13.11.1985 II R 208/82 , BStBl II 1986, 241 [BFH 13.11.1985 - II R 208/82] ; Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs DAFamEStG 63.4.1.2 Abs. 3 Satz 5). § 164 Abs. 1 Satz 1 AO ist auch auf Kindergeldfestsetzungen anwendbar. Das Kindergeld wird seit der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11.10.1995 (B GBl I 1995, 1250 , BStBl I 1995, 438) gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. Auf die Festsetzung einer Steuervergütung finden gemäß § 155 Abs. 4 AO in der seit 01.01.2000 geltenden Fassung die Vorschriften über die Steuerfestsetzung, zu denen auch § 164 AO gehört, sinngemäß Anwendung.
Die Familienkasse hätte daher hier der offenkundigen Zweifelsfrage nachgehen müssen, ob der Sohn, dem nach der Ausbildungsbescheinigung vom November 1998 als nicht laufend gezahlte Leistungen Urlaubsgeld und Zuwendung ohne zeitliche Begrenzung zustehen und der für 1997 und 1998 die Sonderzuwendung und Urlaubsgeld auch erhalten hat, im Streitjahr 1999 tatsächlich weder das eine noch das andere zu beanspruchen hat. Der Sohn war zudem im öffentlichen Dienst beschäftigt, in dem ohnehin üblicherweise Urlaubsgeld und Sonderzuwendung gezahlt werden. Auch dies hätte den Bearbeiter der Familienkasse zu einer Nachfrage bei dem Arbeitgeber veranlassen müssen. Die Nachfrage hätte wie aus der späteren Bescheinigung zu folgern ist, nach der Urlaubsgeld und Sonderzuwendung auch im Jahr 1999 gezahlt worden sind - höchstwahrscheinlich ergeben, dass insoweit die Bescheinigung vom November 1998 unvollständig ausgefüllt ist und zusätzliche Leistungen jedenfalls in Höhe der für 1998 geltenden Beträge anzusetzen sind. Die dann für 1999 zu prognostizierenden Einkünfte des Sohnes hätten den anteiligen Jahresgrenzbetrag überschritten:
Ausbildungsvergütung 2-7/99 (1.184,23 DM mtl.) | 7.105,38 DM |
---|---|
Ausbildungsvergütung 8-12/99 (1.262,10 DM mtl.) | 6.310,50 DM |
Urlaubsgeld | 500,00 DM |
Sonderzuwendung | 1.084,10 DM |
Summe der Einnahmen | 14.999,98 DM |
abzgl. Arbeitnehmer-Pauschbetrag (anteilig; 11/12 von 2. 000 DM) | 1.833,33 DM |
Einkünfte | 13.166,65 DM |
Grenzbetrag (11/12 von 13. 020 DM) | 11.935,00 DM |
3. Setzt die Familienkasse Kindergeld fest, obwohl die zu prognostizierenden Einkünfte den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag überschreiten, kann der Bescheid nicht rückwirkend aufgehoben werden.
a. Auf die Kindergeldfestsetzung sind gemäß § 155 Abs. 4 AO auch die Änderungsvorschriften der §§ 172 ff AO entsprechend anwendbar, da sie ebenfalls zu den Vorschriften über die Steuerfestsetzung zählen.
aa. Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ausgeschlossen, weil die tatsächliche Höhe der Einkünfte kein Ereignis ist, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat, wenn nur das eingetreten ist, was ohnehin zu erwarten und zu prognostizieren war. Als Voraussetzung für eine Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO müssen die Ereignisse aber nachträglich eintreten, weil nur in diesem Fall die Notwendigkeit besteht, die Bestandskraft zu durchbrechen. Konnten die Ereignisse bei Erlass des betreffenden Bescheides bereits berücksichtigt werden, greift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht ein (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.1984 IV R 10/83 , BStBl II 1984, 786 ; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897 , 900 f.; BFH-Beschluss vom 12.08.1997 IV B 98/96 , BFH/NV 1998, 147 [BFH 12.08.1997 - IV B 98/96] ; Tipke/Kruse, AO , § 175, 23). Es ist dann auch keine Voraussetzung für eine Steuervergünstigung weggefallen ( § 175 Abs. 2 AO). Die Voraussetzungen für die Steuervergünstigung Kindergeld haben in diesem Fall nie vorgelegen. Es war auch nie zu erwarten, dass die Voraussetzungen für den Kindergeldbezug eintreten würden.
bb. Als Rechtsgrundlage für die Änderung der Kindergeldfestsetzung kommt auch § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Bescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer bzw. einer geringeren Steuervergütung führen. Im Streitfall wurden keine derartigen Tatsachen oder Beweismittel der Familienkasse erst nachträglich bekannt.
Tatsache in diesem Sinne ist hier (schon) der Anspruch des Sohnes auf Urlaubsgeld und Sonderzuwendung 1999, nicht erst die Zahlung der Beträge. Wäre der Anspruch der Familienkasse Ende 1998 bekannt gewesen, wäre kein Kindergeld für den streitigen Zeitraum festgesetzt worden. Eine Tatsache wird dann nachträglich bekannt, wenn sie bei Erlass des Bescheides bereits vorhanden, der Behörde jedoch nicht bekannt war. Der Kenntnis gleichzusetzen ist die auf einer Verletzung der Ermittlungspflicht der Behörde beruhende Unkenntnis der Tatsache, sofern der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat. Dieser Fall ist hier gegeben. Die Unkenntnis der Familienkasse von dem Anspruch des Sohnes auf Urlaubsgeld und Sonderzuwendung 1999 beruht wie dargelegt auf einer Verletzung der Ermittlungspflicht der Behörde. Die Klägerin hat ihrer Mitwirkungspflicht nach eigenem Bekunden voll genügt. Der Beklagte bestreitet dies nicht. Aus der Kindergeldakte ergibt sich auch nicht, dass die Klägerin (oder der Sohn) jemals zu den Einkünften und Bezügen des Sohnes befragt worden wären. Der Beklagte hat sich vielmehr ausschließlich auf die nach § 68 Abs. 2 EStG erfolgte Auskunft des Arbeitgebers verlassen. Bei der Weiterleitung der Ausbildungsbescheinigung wurde die Klägerin nur als Botin, als Überbringerin einer fremden Erklärung, tätig.
b. Die §§ 130, 131 AO über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten sind auf Steuerbescheide nicht anwendbar (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d).
c. Eine Änderung nach § 70 Abs. 2 EStG ist ebenfalls ausgeschlossen, weil diese Vorschrift nur auf ursprünglich rechtmäßige Kindergeldfestsetzungen anwendbar ist, die wegen einer Änderung der Verhältnisse, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, aufzuheben oder zu ändern sind. Im Streitfall fehlt es an einer solchen Änderung der Verhältnisse.
d. Die Familienkasse ist daher auf eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 70 Abs. 3 EStG beschränkt. § 70 Abs. 3 EStG betrifft die Fälle, in denen der zutreffende Sachverhalt der Familienkasse bekannt ist, sie die ihr bekannten Tatsachen jedoch rechtlich unzutreffend würdigt, oder ihrer Entscheidung irrtümlich einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legt. In diesen Fällen schafft § 70 Abs. 3 EStG einen Interessenausgleich dahin gehend, dass die Familienkasse nicht über einen längeren Zeitraum hinweg an die später als unrichtig erkannte Festsetzung gebunden bleibt (vgl. BTDrucks 13/3084, S. 21), der Kindergeldberechtigte jedoch für die Vergangenheit Vertrauensschutz hinsichtlich der fehlerhaften Festsetzung genießt (B FH-Urteil vom 25.07.2001 VI R 18/99 , BFH/NV 2001, 1630 [BFH 25.07.2001 - VI R 18/99]). Auch nach Ansicht der Verwaltung sind Fälle unzutreffender Sachverhaltserkenntnis nach § 70 Abs. 3 EStG zu korrigieren (DAFamEStG 70.5.1 Abs. 1). Aus den unter 2. dargelegten Gründen sind den bekannten Tatsachen die durch Verletzung der Ermittlungspflicht unbekannt gebliebenen Tatsachen gleichzusetzen.
Wird der Prognoseentscheidung der Familienkasse nicht der Betrag der Einkünfte und Bezüge des Kindes zugrunde gelegt, der die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat, verdient der Kindergeldempfänger Vertrauensschutz. Die Eltern eines volljährigen, womöglich nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindes müssen seine Einkünfte und Bezüge nicht kennen. Sie haben nicht die der Familienkasse in § 68 EStG eingeräumten Möglichkeiten, Auskünfte einzuholen und notfalls zu erzwingen. Welchen Betrag der Einkünfte und Bezüge die Familienkasse prognostiziert und wie er sich zusammensetzt, wird den Eltern nicht mitgeteilt. Auf Entreicherung ( § 818 Abs. 3 Bürgerliches GesetzbuchBGB) können sie sich gegenüber dem Rückforderungsanspruch auch nicht berufen (B FH-Beschluss vom 28.03.2001 VI B 256/00 , BFH/NV 2001, 1117 [BFH 28.03.2001 - VI B 256/00] m.w.N.). Wenn sie unter diesen Umständen auch dann zur Rückzahlung zu Unrecht gezahlten Kindergelds verpflichtet wären, wenn sie ihren Mitwirkungspflichten voll genügt haben und die Familienkasse ihre Ermittlungspflicht bei der Prognose der Einkünfte und Bezüge verletzt hat, liefe das darauf hinaus, die Kindergeldfestsetzungen so zu behandeln, als ergingen sie unter Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO oder bezüglich der Höhe der Einkünfte und Bezüge gemäß § 165 AO vorläufig. Solche Regelungen allgemein durch Gesetz oder im Streitfall durch Verwaltungsakt gibt es aber nicht. Auch die Überlegungen unter 1. und der Gesichtspunkt, dass es sich bei den Kindergeldfestsetzungen um ein Massenverfahren handelt, verlangen nicht, der Familienkasse bei Verletzung ihrer Ermittlungspflicht das Risiko, das zu Unrecht ausgezahlte Kindergeld nicht zurückfordern zu können, abzunehmen.
4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen ( § 115 Abs. 2 Nr.1 FinanzgerichtsordnungFGO). Die Frage, ob eine Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufgehoben werden darf, wenn die Familienkasse wegen einer Verletzung ihrer Ermittlungspflicht nicht erkannt hat, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag wahrscheinlich überschreiten werden, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Der BFH hat in dem Urteil in BFH/NV 2001, 1631 [BFH 26.07.2001 - VI R 55/00] offen gelassen, ob eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auch dann zulässig ist, wenn der Familienkasse bei feststehendem Sachverhalt ein reiner Rechtsanwendungsfehler unterlaufen wäre. Mit der nach geltendem Tarif zu erwartenden Ausbildungsvergütung des Prognosezeitraums könnte der Mindestbetrag der Einnahmen des Kindes als feststehend anzusehen sein.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO , die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZivilprozessordnungZPO).