Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.02.2012, Az.: L 9 AS 585/08

Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Mehrbedarf für Nahrungsergänzungsmittel als kostenaufwändige Ernährung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.02.2012
Aktenzeichen
L 9 AS 585/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 14914
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0228.L9AS585.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - AZ: S 10 AS 1324/06

Fundstellen

  • FStBW 2013, 77-78
  • FStNds 2013, 181-182
  • GV/RP 2012, 565-566
  • KomVerw/LSA 2013, 70
  • KomVerw/MV 2013, 69-70
  • KomVerw/S 2013, 71-72
  • KomVerw/T 2013, 71-72
  • NZS 2012, 5-6

Redaktioneller Leitsatz

Nahrungsergänzungsmittel sind zwar Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen. Sie begründen jedoch keinen Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II; denn es handelt sich nicht um kostenaufwändige Ernährung, die aus medizinischen Gründen erforderlich ist. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger/Berufungskläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter besonderer Berücksichtigung eines monatlichen Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit vom 01. November 2006 bis zum 30. April 2007.

2

Der 1965 geborene Berufungskläger beantragte am 17. Oktober 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und legte u.a. eine ärztliche Bescheinigung zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. C. vom 17. Oktober 2005 vor. Danach litt der Berufungskläger unter Hyperlipidämie (erhöhte Konzentration von Cholesterin), Hypertonie bei Adipositas, Mangel an Mikronährstoffen (Vitamine, Enzyme). Dr. C. gab an, aus ärztlicher Sicht werde eine orthomolekulare Therapie nach Prof. Dr. Linus Pauling verordnet.

3

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 gewährte der Beklagte/Berufungsbeklagte dem Berufungskläger für die Zeit vom 17. Oktober 2005 bis zum 30. April 2006 eine Regelleistung in Höhe von EUR 907,39 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von EUR 366,60 und eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von EUR 35,79.

4

Hiergegen legte der Berufungskläger Widerspruch ein und begehrte einen Mehrbedarf in Höhe von EUR 171,20, und zwar EUR 113,00 für die Nahrungsergänzungsmittel VitacorPlus, Arteriforte und Enercor und EUR 58,20 für Noni-Saft.

5

Der Berufungsbeklagte holte die amtsärztliche gutachtliche Stellungnahme des Gesundheitsamtes Braunschweig, der Amtsärztin Dr. D., vom 09. Februar 2006 nach Aktenlage ein. Mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 09. August 2006 wies der Berufungsbeklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

6

Am 29. März 2006 beantragte der Berufungskläger die Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und überreichte die ärztliche Bescheinigung zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. C. vom 04. April 2006, mit welchem dieser bestätigte, dass die Erkrankungen des Berufungsklägers, nämlich die Hyperlipidämie, Hyperlipidämie bei Adipositas, Hypertonie bei Adipositas, Mangel an Mikronährstoffen, einer hochdosierten Vitamintherapie nach Prof. Linus Pauling bedürfen. Mit Änderungsbescheid vom 08. August 2006 gewährte der Berufungsbeklagte dem Berufungskläger Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes zum Lebensunterhalt für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von EUR 35,79.

7

Am 18. September 2006 beantragte der Berufungskläger die Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

8

Mit Bescheid vom 21. September 2006 bewilligte der Berufungsbeklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01. November 2006 bis zum 30. April 2007 in Höhe von EUR 797,30 monatlich. Mehrbedarfe zum Lebensunterhalt für kostenaufwändige Ernährung berücksichtigte er nicht.

9

Hiergegen legte der Berufungskläger Widerspruch ein und fügte die ärztliche Bescheinigung zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung bei Leistungen nach dem SGB II des Dr. C. vom 09. Oktober 2006 bei. Auch hierin bestätigte dieser, dass die Hyperlipidämie, die Hyperlipidämie bei Adipositas und die Hypertonie bei Adipositas und der Nährstoffmangel entsprechende Krankenkost erfordern würden, und zwar eine orthomolekulare Medizintherapie nach Prof. Linus Pauling.

10

Mit Widerspruchsbescheid vom 01. November 2006 wies der Berufungsbeklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung insbesondere aus: Bei dem Berufungskläger liege eine Hyperlipidämie bei Adipositas und eine Hypertonie bei Adipositas vor. Bei Bluthochdruck und der Fettstoffwechselstörung bei Adipositas Art II stehe die Gewichtsnormalisierung im Vordergrund. Erforderlich sei eine kalorienreduzierte Kost, die zusätzlich fett- und salzarm sein solle. Der behandelnde Arzt habe ebenfalls eine Reduktionskost bestätigt. Mehrkosten entstünden durch diese Diät nicht. Aufgrund der chronischen Bronchitis und der chronisch rezidivierenden Otitis externa habe der behandelnde Arzt im Rahmen einer orthomolekularen Therapie Vitamine und Enzyme empfohlen. Für diese Form der Therapie gebe es keinen wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit. Der Widerspruchsführer solle sich vitamin- und mineralstoffreich ernähren, d.h. viel Obst und Gemüse zu sich nehmen. Die beschriebene Kost entspreche der normalen Vollwertkost, wie sie für jeden Bürger empfohlen werde, und somit nicht mit einem erhöhten finanziellen Mehraufwand verbunden sei.

11

Hiergegen hat der Berufungskläger am 15. November 2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben und macht weiterhin die Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung geltend. Ein zusätzlicher Bedarf belaufe sich auf EUR 171,20 monatlich. Es treffe nicht zu, dass es für die Wirksamkeit der orthomolekularen Therapie keinen ausreichenden wissenschaftlichen Nachweis gebe.

12

Der Berufungsbeklagte hat an seiner Rechtsauffassung festgehalten und zur Begründung die amtsärztlichen Stellungnahmen der Ärztin Dr. D. vom 09. Februar 2006 und vom 18. Mai 2007 zur Akte gereicht. Das SG hat den Befundbericht des Dr. C. vom "9.06.05" - eingegangen beim SG am 22. März 2007 - eingeholt.

13

Mit Urteil vom 21. August 2008 hat das SG, auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der Berufungskläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die orthomolekulare Therapie einschließlich der Einnahme von Noni-Saft.

14

Gegen das ihm am 30. September 2008 zugestellte Urteil hat der Berufungskläger am 16. Oktober 2008 Berufung zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen unter Vorlage der ärztlichen Bescheinigung des Dr. C. vom 02. Dezember 2008 eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Sein Bedarf für kostenaufwändige Ernährung bestehe schon mindestens seit 1994. Schon damals habe er sich stets erschöpft gefühlt. Eine 1997 operativ entfernte Fistel habe seinen Körper erheblich belastet. Die Trennung von seiner Freundin im Jahre 1996 und sein sehr starker Alkoholkonsum von 1996 bis ca. 2004 habe zur Auszehrung und Erschöpfung geführt. Auch habe sein Gewicht in der Zeit von 1997 bis 2003 von 92 kg auf 123 kg zugenommen. Die Zunahme seines Körpergewichtes habe er zu dem Zeitpunkt gestoppt, als er angefangen habe, die Zell-Vitalstoffe von Dr. Rath zu sich zu nehmen. 2003 habe er begonnen, Formulas von Dr. Rath zu sich zu nehmen, so etwa für 8,00 EUR pro Tag. Es sei ihm besser gegangen. Inzwischen funktioniere sein Körper wieder besser, versorgt mit Mikronährstoffen der Formulas von Dr. Rath. Auch sein Zahnfleischbluten sei beseitigt. Vor ca. 3 Wochen habe er für 10 Tage keine Formulas mehr zu sich genommen. Er habe festgestellt, dass er sich von Tag zu Tag schwächer gefühlt habe. Deshalb nehme er auch weiterhin die Formulas von Dr. Rath ein. Für ihn sei wichtig, seine Arterienverkalkung zu beseitigen und alle Zellen auch mit Zell-Vitalstoffen zu versorgen. Damit sei sichergestellt, dass sein Körper für alle Stoffwechselvorgänge das optimale Material bekomme und somit sich ständig regenerieren könne. Eine Mangelversorgung mit Zell-Vitalstoffen sei die Ursache für Krankheiten. Diese Möglichkeit für ihn, diesen Mangel zu beseitigen, sei das Ziel seiner Berufung.

15

In der von dem Berufungskläger überreichten ärztlichen Bescheinigung des Dr. C. vom 02. Dezember 2008 hat dieser als Erkrankungen angegeben: Hypertonie, Tachycardie, Adipositas, Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie. Als ärztliche Therapiemaßnahmen empfahl er Bewegung, diätetische Maßnahmen (vor allem Fettreduzierung), vor allem Ballaststoffe. Als besondere kostenaufwändige Ernährung nannte er hochdosierte Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente sowie Enzyme. Der Lebensunterhalt werde durch diese Krankenkost verteuert, weil mit der Nahrung nicht ausreichend Vitamine, Spurenelemente, Mineralstoffe und Enzyme aufgenommen würden.

16

Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

17

1. das Urteil des Sozialgerichtes Braunschweig vom 21. August 2008 aufzuheben, 2. den Bescheid vom 21. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. November 2006 abzuändern und 3. die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. November 2006 bis zum 30. April 2007 höheres Arbeitslosengeld II (Alg II) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter besonderer Berücksichtigung eines monatlichen Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung zu gewähren.

18

Die Berufungsbeklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Der Berufungsbeklagte hat an seiner Rechtsauffassung festgehalten und ergänzend ausgeführt, dass ausweislich der Stellungnahmen der Dr. D. bei dem Berufungskläger keine erkennbare Indikation zur oralen Substitution von großen Mengen Vitaminen, Mineralien und Enzymen bestehe. Der Berufungskläger solle eine kalorienreduzierte Kost zu sich nehmen, die fett- und salzarm sei und überwiegend pflanzliche Fette mit einem hohen Anteil an mehrfach gesättigten Fettsäuren zu sich nehmen. Derartige Produkte würden in Supermärkten zu normalen Preisen angeboten, so dass die Ernährung des Berufungsklägers nicht kostenaufwändiger sei als bei allen anderen Personen.

21

Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes mit den Beteiligten am 26. März 2010 hat der Berufungskläger seinen Antrag auf die Berücksichtigung der Nahrungsergänzungsmittel VitacorPlus und Enercor als Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung beschränkt.

22

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 26. März 2010, den Inhalt der Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges und den Inhalt der Verwaltungsakten des Berufungsbeklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

24

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden.

25

Die gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht und gem. §§ 143 ff. SGG statthafte Berufung - mit seiner Klage und mit der Berufung hatte der Berufungskläger zunächst einen monatlichen Mehrbedarf in Höhe von EUR 171,20 begehrt - ist zulässig.

26

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

27

Zutreffend hat das SG mit Urteil vom 21. August 2008 die Klage abgewiesen; denn die von dem Berufungskläger angefochtenen Bescheide des Berufungsbeklagten vom 21. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. November 2006 sind rechtmäßig; dem Berufungskläger stehen höhere Ansprüche auf Alg II auch unter Berücksichtigung des von ihm geltend gemachten Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nicht zu.

28

Unstreitig hat der Berufungskläger im streitigen Zeitraum zwar Anspruch auf Alg II; denn er erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet, das 65. noch nicht, ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Zudem ist er hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II; denn er kann seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern und er erhält die erforderlichen Hilfen auch nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen.

29

Der Berufungskläger hat jedoch keinen Anspruch auf eine höhere Regelleistung nach § 20 SGB II. Der Berufungsbeklagte hat die Regelleistung des alleinstehenden Berufungsklägers in den angefochtenen Bescheiden zutreffend nach § 20 Abs. 2 SGB II i.d.F. des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. September 2003, BGBl I 2954, auf EUR 345,00 festgesetzt.

30

Entgegen der Auffassung des Berufungsklägers hat er keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung nach § 21 Abs. 5 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe; denn eine kostenaufwändige Ernährung ist nicht durch die dem Berufungskläger bescheinigten Erkrankungen indiziert.

31

Ausweislich der von dem Berufungskläger im Berufungsverfahren eingereichten ärztlichen Bescheinigung des Dr. C. vom 02. Dezember 2008 leidet der Berufungskläger unter Hypertonie, Tachycardien, Adipositas, Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie, wobei die zuletzt genannten Erkrankungen das gleiche Krankheitsbild bezeichnen, nämlich eine erhöhte Konzentration von Cholesterin im Serum, und der Begriff Hyperlipidämie der Oberbegriff für Hypercholesterinämie ist.

32

Ein Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung steht dem Berufungskläger wegen dieser Gesundheitsstörungen nicht zu.

33

Nach Überzeugung des Senates entspricht es dem aktuellen medizinisch-ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisstand, dass bei einer Erhöhung der Blutfettwerte, bei Hypertonie und bei Adipositas keine besondere Diät oder besondere Ernährung notwendig ist, die einen erhöhten finanziellen Aufwand erfordert. Nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Krankenkostzulagen) gem. § 23 Abs. 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) (jetzt: § 30 Abs. 5 SGB XII) des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe - Abteilung Soziales, Pflege und Rehabilitation - Landschaftsverband Westfalen-Lippe - Stand 2002 - entstehen bei Übergewicht keine Mehrkosten durch eine erforderliche Diät. Es wird eine ausgewogene Mischkost empfohlen, die einer gesunden Normalkost entspricht, deren Kosten im Regelsatz enthalten sind. Gleiches gilt nach diesem Begutachtungsleitfaden für erhöhte Blutfettwerte und Hypertonie. Das Übergewicht ist durch Gewichtsnormalisierung zu behandeln, die im Vordergrund steht. Erforderlich ist eine Reduktionskost unter besonderer Berücksichtigung des Kohlenhydratanteils. Mehrkosten durch diese Diät entstehen nicht. Die Hyperlipidämie erfordert eine lipidsenkende Kost, d.h. eine deutliche Verminderung des Verzehrs von Fetten, vor allem von tierischen wie in Wurst und Fleisch enthalten, im Austausch mit pflanzlichen Fetten bei vergleichsweise hohem Ballaststoff- und Kohlenhydratanteil. Bei Übergewicht ist eine Gewichtsnormalisierung erforderlich mit einer nicht kostenaufwändigen Reduktionskost. Mehrkosten durch diese Diät entstehen nicht. Die Hypertonie erfordert zusätzlich den Verzicht auf zusätzliches Salzen und das Vermeiden besonders salzreicher Speisen, allenfalls mäßigen, besser keinen Alkoholkonsum.

34

Auch nach dem Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) e.V., der Deutschen Adipositasgesellschaft e.V. u.a. (veröffentlicht in www.daem.de) unterscheidet sich die Basiskost in der Ernährung bei Bluthochdruck in ihrer Zusammensetzung nicht von der im Rahmen der Primärprävention zur Gesunderhaltung empfohlenen Ernährungsweise durch den Verzehr von Vollkost. Besondere Kosten dieser Ernährung fallen demnach nicht an.

35

Auch nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe - 3. Aufl. 2008 - ist nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin bei Hyperlipidämie und Hypertonie regelmäßig eine Vollkost angezeigt und ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. Eine gesunde und aus ernährungswissenschaftlicher Sicht auch allen Menschen ohne besondere diätische Anforderungen empfohlene Ernährung sei aus dem Regelsatz finanzierbar, wenn die Preise der eingekauften Lebensmittel im unteren Drittel der Preisstreuung lägen. Denn der den Bedarf eines Erwachsenen deckende durchschnittliche Aufwand für Vollkost betrage täglich 6,21 EUR, wohingegen im Rahmen der Regelsatzbemessung für die Ausgabengruppe Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren ein Aufwand von 4,52 EUR für Nahrungsmittel und Getränke angesetzt sei. Bei einer preisbewussten Einkaufsweise sei eine Vollkost mit einem Aufwand von ca. 3,00 EUR täglich jedoch zu finanzieren.

36

Aus den vorgenannten Stellungnahmen ergibt sich mithin unzweifelhaft, dass eine ausgewogene Mischkost sowie die Einhaltung eines normalen Körpergewichts die besten Voraussetzungen für einen normgerechten Blutdruck, Blutfettwerte und Gewicht sind. Die empfohlene Diät entspricht damit der allgemeinen für eine gesunde Ernährung ausgewogenen Mischkost (Vollkost), bei der ohne Einschränkung alle Nahrungsbestandteile in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.

37

Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingereichten Stellungnahmen der Amtsärztin Dr. D. vom Medizinischen Dienst der Stadt E., die sowohl in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 09. Februar 2006 als auch in der ergänzenden Stellungnahme vom 18. Mai 2007 zu dem Schluss gekommen ist, dass der Berufungskläger eine kalorienreduzierte Kost zu sich nehmen solle, die fett- und salzarm sei. Er sollte überwiegend pflanzliche Fette mit einem hohen Anteil an mehrfach gesättigten Fettsäuren zu sich nehmen. Derartige Produkte würden in Supermärkten zu normalen Preisen angeboten, so dass die Ernährung des Berufungsklägers nicht kostenaufwändiger sei als bei allen anderen Personen. Diese Kosten sind mithin in der Regelleistung enthalten, so dass kein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung anfällt und demzufolge auch nicht gewährt werden kann.

38

Der Berufungskläger hat auch keinen Anspruch auf eine orale Substitution von großen Mengen Vitaminen, Mineralien und Enzymen. Die Notwendigkeit der Aufnahme von zusätzlichen kostenaufwändigen Präparaten ist zu verneinen.

39

Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger ist als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs sind stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Im Falle des Berufungsklägers geht es nicht um die Ernährung, sondern vielmehr um eine Nahrungsergänzung durch Nahrungsergänzungsmittel. Grundsätzlich sind Nahrungsergänzungsmittel für gesunde Personen, die sich normal ernähren, überflüssig: Eine abwechslungsreiche zusammengesetzte Mischkost enthält im allgemeinen mehr als ausreichende Mengen an Vitaminen, Mineralstoffen, Enzymen, Arminosäuren, Fetten usw. Eine zusätzliche Zufuhr einzelner Nährstoffe ist in der Regel nicht notwendig.

40

Bei den von dem Berufungskläger geltend gemachten Mehrbedarfe für die Mikronährstoff-Produkte VitacorPlus und Enercor handelt es sich um Mittel zur täglichen Nahrungsergänzung und mithin um Nahrungsergänzungsmittel. Nahrungsergänzungsmittel sind nach der in Ausführung der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 153/51 vom 12.07.2002) erlassenen Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung - NemV -) vom 24.05.2004 (BGBl I S. 1011), zuletzt geändert durch Art. 8 der Verordnung vom 13. Dezember 2011 (BGBl I S. 2720), Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen. Es stellt ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung dar und wird in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeit und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen, in den Verkehr gebracht. Nährstoffe im Sinne dieser Verordnung sind Vitamine und Mineralstoffe einschließlich Spurenelemente. Danach gehören Nahrungsergänzungsmittel zu den Lebensmitteln, obgleich diese Produktgruppe qualitativ zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln einzuordnen sind. In der Begründung der Richtlinie 2002/46/EG Ziff. 1 ist ausgeführt, dass in der Gemeinschaft immer mehr Erzeugnisse als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, die Nährstoffkonzentrate enthalten und zur Ergänzung der Zufuhr dieser Nährstoffe aus der normalen Ernährung dargeboten werden. Eine geeignete, abwechslungsreiche Ernährung nach Ziff. 3 dieser Begründung sollte in der Regel alle für eine normale Entwicklung und die Erhaltung einer guten Gesundheit erforderlichen Nährstoffe in den Mengen bieten, die auf der Grundlage allgemein anerkannter wissenschaftlicher Daten ermittelt worden seien und empfohlen würden. Infolge ihrer besonderen Art der Lebensführung oder aus anderen Gründen würden sich die Verbraucher mitunter dafür entscheiden, die Zufuhr bestimmter Nährstoffe durch Nahrungsergänzungsmittel zu ergänzen (Ziff. 4 der Begründung).

41

Dr. C. hat dem Berufungskläger die Einnahme der von ihm geltend gemachten Nahrungsergänzungsmittel wegen eines Mikronährstoffmangels (zum Teil Vitamine und Enzyme) im Rahmen einer orthomolekularen Therapie empfohlen. Diese Kosten für die Einnahme der Nahrungsergänzungsmittel können jedoch nicht gem. § 21 Abs. 5 SGB II als Mehrbedarf gewährt werden; denn hierbei handelt es sich einerseits nicht um eine kostenaufwändige Ernährung, die andererseits aus medizinischen Gründen erforderlich ist; denn nach § 21 Abs. 5 SGB II besteht ein Anspruch auf einen Mehrbedarf in angemessener Höhe aus medizinischen Gründen nur in den Fällen, in denen der Hilfebedürftige einer kostenaufwändigen Ernährung bedarf. Der Berufungskläger macht indes nicht die Kosten einer aufwändigeren Ernährung geltend, sondern ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. C. vom 06. Juni 2006 die Gewährung von Nahrungsergänzungsmitteln wegen einer Erkrankung - nämlich wegen eines Mikronährstoffmangels - geltend. Soweit es sich hierbei tatsächlich um eine Krankheit handelt, ist eine solche Krankenbehandlung nicht eine Leistung im Rahmen der Regelleistung gem. § 20 SGB II, sondern vielmehr eine Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, für die die gesetzliche Krankenversicherung zuständig wäre, falls diese Leistung unter die Leistungspflicht der Krankenkasse fiele. Gegenstand des Mehrbedarfs gem. § 22 Abs. 5 SGB II ist hingegen allein die krankheitsbedingte besondere Ernährung, nicht jedoch der Aufwand etwa für nicht verschreibungspflichtige Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden (Düring in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II, Rdnr. 31; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rdnr. 31; Behrendt in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 21 Rdnr. 59).

42

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

43

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG haben nicht vorgelegen.