Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 04.06.2012, Az.: 11 A 2509/12

Zugrundelegen der ermessenslenkenden Regelungen in den Nrn. 11.1.4.6.1. ff. der AVV zum AufenthG bei der Bemessung der Sperrfrist der Ausweisung und Abschiebung durch das VG nach § 11 AufenthG i.d.F.d. RLUmsG 2011

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
04.06.2012
Aktenzeichen
11 A 2509/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 33941
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2012:0604.11A2509.12.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2013, 35-37

Amtlicher Leitsatz

Bei der Bemessung der Sperrfrist der Ausweisung und Abschiebung durch das Verwaltungsgericht nach § 11 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2012 (- 1 C 7.11 - [...], Rn. 31 ff.) können die ermessenslenkenden Regelungen in den Nrn. 11.1.4.6.1. ff. der AVV zum AufenthG weder unmittelbar noch der Sache nach zu Grunde gelegt werden.

Als grobe Orientierung ist bei der zwingenden Ausweisung von sechs Jahren, bei der Regelausweisung von vier Jahren und bei einer Ermessensausweisung von zwei Jahren auszugehen, die nach den Umständen des Einzelfalles um bis zu zwei Jahre verkürzt oder verlängert werden können.

Tatbestand

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Der am 19. Juni 1970 geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger.

2

Er reiste am 6. April 1988 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte mehrfach erfolglos seine Anerkennung als Asylberechtigter.

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Am 25. März 1999 heiratete der Kläger die deutsche Staatsangehörige ................. Die Ehe ist mit Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 14. Februar 2007 geschieden worden. Aus ihr sind die am 8. Dezember 1999, 17. September 2001 sowie 9. Mai 2004 geborenen Töchter .........., ......... und ....... hervorgegangen.

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Der Kläger ist insgesamt acht Mal strafrechtlich verurteilt worden. Das Amtsgericht Wilhelmshaven verhängte am 21. Juni 1995 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in zwei Fällen sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Kläger hatte mit anderen zusammen verschiedene Taschendiebstähle begangen. Das Amtsgericht Wilhelmshaven verurteilte den Kläger am 17. Juli 1997 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen. Am 19. Mai 1999 sprach das Amtsgericht Heilbronn ihn des Verstoßes gegen das AsylVfG in Tateinheit mit Diebstahl schuldig. Am 15. Juli 1999 erkannte das Amtsgericht Essen auf Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Für diese Taten ist eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 58 Tagessätzen festgesetzt worden.

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Am 24. Januar 2000 verurteilte das Amtsgericht Wilhelmshaven den Kläger wegen räuberischen Diebstahls und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Körperverletzung in zwei Fällen sowie Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Der Kläger hatte u.a. mit anderen einer Person im Dunkeln aufgelauert und ihr eine Flasche auf den Kopf geschlagen. Das Opfer musste vier bis fünf Tage im Krankenhaus verbleiben und war zwanzig Tage arbeitsunfähig. Nach einem Ladendiebstahl hat der Kläger einem Verfolger mit einem Teleskopschlagstock gedroht. In einem Lokal hat er einem anderen einen Faustschlag versetzt, so dass dieser mit dem Kopf auf den Boden geschlagen ist und bewusstlos liegen blieb. Auch hat er in der Folge weitere Personen geschlagen, etwa ins Genick und ins Gesicht. Mit Urteil des Amtsgericht Wilhelmshaven vom 27. Juli 2002 in Verbindung mit einem Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 13. Juni 2003 ist der Kläger wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Der Kläger hatte nach einer Beschwerde mit einem anderen einen Nachbarn mit Fäusten geschlagen, so dass dieser unter anderem eine Gesichtsschädelkontusion sowie eine Gehirnerschütterung erlitten hat.

6

Mit Urteil vom 23. November 2004 verhängte das Amtsgericht Tiergarten gegen ihn wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten, welche auf Bewährung ausgesetzt worden ist. Am 7. Juli 2005 verurteilte das Amtsgericht Wilhelmshaven ihn wegen einer Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten und wegen eines Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Der Kläger hatte unter anderem einer Bekannten mit der flachen Hand auf das linke Ohr sowie mit der Faust auf den Brustkorb geschlagen. Außerdem hat der Kläger am 10. Dezember 2006 eine Frau auf den Gehweg geschubst, so dass sie mit dem Gesicht auf das Straßenpflaster aufgeschlagen ist. Der ihr zur Hilfe kommende Ehemann erhielt einen Faustschlag ins Gesicht.

7

Der Kläger war vom 11. Juli 2001 bis zum 24. April 2003 in Strafhaft. Am 26. Juli 2007 wurde er erneut festgenommen. Die Beklagte hat den Kläger mit Bescheid vom 21. April 2008 gestützt auf § 54 Nr. 1 AufenthG aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage ist mit Urteil des Einzelrichters vom 12. Dezember 2008 - 11 A 1437/08 - u. a. mit dem Hinweis abgewiesen worden, dass sogar ein zwingender Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 2. Fall AufenthG vorliege.

8

Am 18. Dezember 2008 ist der Kläger aus der Haft nach Serbien abgeschoben worden. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hatte zuvor gemäß § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen abgesehen, jedoch angedroht, dass diese nachgeholt werde, wenn und soweit der Kläger vor Ablauf der Vollstreckungsverjährungsfristen in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehre.

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Am 12. Mai 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die nachträgliche Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung. Er legte unter anderem eine Bescheinigung eines Gerichts in .............. vom 4. Juni 2010 vor. Ferner wies er darauf hin, dass er die inzwischen festgesetzten Abschiebungskosten gezahlt habe. Er wolle wegen des Umgangs mit seinen drei Töchtern wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen. Er habe mit ihnen regelmäßig Kontakt über das Telefon, das Internet und E-mails.

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Mit Bescheid vom 29. Dezember 2011 befristete die Beklagte die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung des Klägers auf den 15. September 2018. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden: Bei der erforderlichen Ermessensentscheidung habe sie sich an den Vorgaben der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum AufenthG orientiert. Da es sich um eine zwingende Ausweisung handele, werde dementsprechend von einer Frist von zehn Jahren ausgegangen. Der beabsichtigte Kontakt zu den Kindern rechtfertige keine andere Beurteilung. Der Kläger habe vor seiner Inhaftierung im Jahre 2007 die Beziehung zu seinen Töchtern abgebrochen, während der Haft habe es nur einen einmaligen Besuchskontakt gegeben. Die nunmehr durchgeführte Fernkommunikation mit den Kindern sei angesichts deren Alters angemessen. Die Kinder könnten ihn zudem auch in seinem Heimatland besuchen. Positiv seien die Rückzahlung der Abschiebungskosten und der Umstand, dass der Kläger offensichtlich in seinem Heimatland wirtschaftlich integriert sei, zu berücksichtigen. Vor einer weiteren Vollstreckung seiner Restfreiheitsstrafen sei er nach den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Oldenburg erst ab dem 12. September 2018, dem Ablauf der Vollstreckungsverjährung, geschützt. Würde der Kläger zuvor nach Deutschland kommen, würde er sofort wieder in Haft genommen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er einreisen wolle, solange er danach inhaftiert würde. In dieser Zeit könne er ohnehin keinen weitergehenden Kontakt mit seinen Kindern pflegen.

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Am 23. Januar 2012 hat der Kläger Klage erhoben.

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Er trägt im Wesentlichen vor: Die Fernkommunikation ersetze nicht den tatsächlichen Umgang mit seinen Kindern. Er habe sein Leben vollständig geändert. Seine Straftaten hätten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum gestanden. Er lebe jetzt jedoch abstinent und habe auch in Deutschland bereits eine Behandlungsgruppe für Gewalttäter besucht. Daher müsse aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nach Art. 8 EMRK von der regelmäßig vorgesehenen Befristung abgewichen werden. Eine Überschreitung der 5-Jahresgrenze sei nicht angemessen. Die Taten würden teilweise lange zurückliegen. Selbst wenn er noch einmal in Haft käme, könnte er regelmäßigen Kontakt zu seinen Kindern pflegen. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass ihn seine Kinder in der Justizvollzugsanstalt aufsuchen würden. Zudem könne er möglicherweise Vollzugslockerungen erhalten und ggf. sogar in den offenen Vollzug verlegt werden. Zur weiteren Glaubhaftmachung legt er ein Schreiben von Frau ................. ohne Datum vor.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Wirkungen seiner Ausweisung und Abschiebung auf den 18. Dezember 2013 zu befristen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert im Wesentlichen: Der Kläger habe schwerwiegende Straftaten begangen, sodass eine Überschreitung der Höchstfrist von fünf Jahren nach Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG gerechtfertigt sei. Würde der Kläger wieder in Haft kommen, könne er den angestrebten regelmäßigen Kontakt mit seinen Kindern nicht pflegen. Zudem würden der Allgemeinheit Haftkosten entstehen.

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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des Rechtsstreits 11 A 1437/08 und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte, die Wirkungen seiner Ausweisung und Abschiebung auf den 18. Juni 2014 befristet; eine weitergehende Verkürzung der Sperrfrist kann er dagegen nicht verlangen.

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Nach § 11 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt. Diese Wirkungen werden auf Antrag befristet. § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG sieht vor, dass die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei der Bemessung der Länge der Frist, die mit der Ausreise beginnt, wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (§ 11 Abs. 1 Sätze 5 und 6 AufenthG). Maßgeblich ist, wann bei prognostischer Betrachtung der durch die jeweilige Ausweisungsverfügung vorgegebene Ausweisungszweck erreicht sein wird (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 14. Mai 2009 - 8 LB 158/06 - Nds. RPfl. 2009, 402 <403>), d.h. wann unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Ausländers davon auszugehen ist, dass von ihm keine erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit mehr ausgehen.

21

Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - [...], Rn. 31 ff.) steht die Entscheidung über die Länge der Befristung seit Inkrafttreten des sog. Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I. S. 2258) entgegen der bisherigen allgemeinen Auffassung zur früheren Rechtslage nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde, sondern diese ist rechtsgebunden. Sofern die behördlichen Erwägungen die festgesetzte Frist nicht rechtmäßig tragen können, muss das Verwaltungsgericht diese mithin selbst abschließend vorgeben, ohne dass ein behördlicher Spielraum verbleibt. Dies ergibt sich aus der der Neuregelung des § 11 AufenthG zu Grunde liegenden unionsrechtlichen Prägung. Denn diese diente der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG (sog. Rückführungsrichtlinie), welche insgesamt eine Stärkung der Rechtspositionen des ausreisepflichtigen Ausländers vorsieht. Zudem ist die Länge der Sperrfrist auch für die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung selbst von nicht unerheblicher Bedeutung.

22

Folglich ist das Gericht an die nach bisheriger Rechtlage maßgeblichen ermessenslenkenden Regelungen in den Nrn. 11.1.4.6.1 ff. der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum AufenthG des Bundesministerium des Innern vom 26. Oktober 2009 (GMBl. 2009, S. 878) nicht gebunden (vgl. dazu auch allgemein: BVerwG, Urteil vom 20. März 2012 - 5 C 5.11 - [...], Rn. 12). Vom Nds. Oberverwaltungsgericht (a.a.O.) und auch in der ständigen Rechtsprechung der Kammer sind zwar im Rahmen der Überprüfung der Einhaltung äußerer Ermessensgrenzen die darin vorgesehenen Regelfristen für rechtsfehlerfrei erachtet worden. Für die seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 erforderliche eigene gerichtliche Beurteilung sind die dort vorgesehenen Zeiten jedoch nicht heranzuziehen.

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Die genannten Bestimmungen in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum AufenthG sahen im Wesentlichen vor, dass bei Ausweisungen nach § 53 AufenthG im Ansatz von einer Frist von zehn Jahren auszugehen ist, bei Regelausweisungen gem. § 54 AufenthG von sieben Jahren und bei Ermessensausweisungen (§ 55 AufenthG) von drei Jahren. Den besonderen Umständen des Einzelfalls konnte dabei zunächst durch Verkürzung oder Verlängerung der regelmäßigen Frist um bis zu drei Jahren Rechnung getragen werden. Frühestens drei Jahre vor Ablauf der festgesetzten Frist kam eine weitere Verkürzung um bis zu drei Jahre in Betracht, etwa wenn ohne die Ausweisung ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bestanden hätte oder sonstige zwingende Gründe vorlagen.

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Diese Fristen erscheinen unter Berücksichtigung der nunmehr geltenden normativen Vorgaben zu lang. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass durch die umgesetzte Richtlinie 2008/115/EG die Situation des ausgereisten Ausländers insgesamt verbessert werden sollte. In § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ist dabei etwa eine grundsätzliche Höchstfrist von fünf Jahren (vgl. dazu BVerwG a.a.O., Rn. 33) vorgesehen worden, deren regelmäßige Überschreitung auch in den gesetzlich insoweit vorgesehenen Fallgruppen nicht zulässig ist. Zudem besteht nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nunmehr stets ein Anspruch auf Befristung, der zuvor nur im Regelfall gegeben war. Auch erscheinen dem Gericht die bisher zu Grunde gelegten Zeiträume in vielen Fällen, in denen gewichtige Bindungen zum Bundesgebiet bestehen, unverhältnismäßig. Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach den Erfahrungen des Gerichts die Aufenthaltsbeendigung für den Ausländer noch einschneidender als die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in der Bundesrepublik Deutschland ist und ihn daher noch stärker von der Begehung weiterer Straftaten abhalten wird. Daher ist auch eine gewisse Berücksichtigung der eher zurückhaltenden Strafzumessungspraxis der ordentlichen Gerichtsbarkeit geboten.

25

Zutreffend ist nach Auffassung des Gerichts allerdings die Stufung der Frist danach, ob der Ausländer aus zwingenden Gründen ausgewiesen wurde oder ob eine Regel- oder Ermessensausweisung erfolgte. Denn hieraus lässt sich im Normalfall die Schwere des Ausweisungsgrundes und damit die zur Beseitigung der von dem Ausländer ausgehenden Gefahren notwendige Zeit ableiten. Unter Berücksichtigung der obigen Grundsätze hält das Gericht deshalb zur groben Orientierung bei einer Ist-Ausweisung eine Frist von sechs Jahren, bei Regelausweisungen von vier Jahren und bei Ermessensausweisungen von zwei Jahren für angemessen. Diese Fristen können im Ansatz um bis zu zwei Jahre verkürzt oder verlängert werden. Hierbei sind vor allem auch fortbestehende familiäre oder sonstige Bindungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Da nach den gesetzgeberischen Vorgaben letztlich eine Einzelfallentscheidung zu treffen ist, kann je nach den Besonderheiten der zu beurteilenden Konstellation allerdings sowohl von den Ausgangswerten als auch von den angesprochenen Verkürzungen oder Verlängerungen auch in signifikanter Weise abgewichen werden.

26

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im Falle des Klägers Folgendes: Er ist - wie - wie sich im Einzelnen aus dem Urteil des Einzelrichters vom 12. Dezember 2008 (a.a.O., S. 8) ergibt - aus einem in § 53 AufenthG aufgeführten zwingenden Grund ausgewiesen worden. Zwischen 1995 und 2005 wurde er acht Mal strafrechtlich belangt, wobei er insgesamt Freiheitsstrafen von fünf Jahren und sechs Monaten erhalten hat. Weder Strafaussetzungen zur Bewährung noch Haftverbüßungen oder ausländerbehördliche Verwarnungen vermochten ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Zu Grunde lagen in nicht wenigen Fällen mit erheblicher Brutalität und massiven Folgen für die Opfer ausgeführte Körperverletzungsdelikte. Die letzte aktenkundige Tat, die allerdings nicht zur Verurteilung führte, erfolgte Ende 2006. Von Mitte 2007 bis zu seiner Abschiebung im Dezember 2008 befand sich der Kläger in Haft, so dass er zuvor keine Möglichkeit hatte, sich in Freiheit zu erproben.

27

Andererseits ist - zumal auch die Beklagte dies nicht in Zweifel zieht - angesichts der vorgelegten gerichtlichen Bescheinigung vom 4. Juni 2010 davon auszugehen, dass der Kläger in seinem Heimatland keine weiteren Straftaten mehr begangen hat. Dies erscheint auch deshalb plausibel, weil der Kläger nach den glaubhaften Angaben seiner früheren Ehefrau, Frau ..................., bei einer Vorsprache bei der Beklagten am 1. November 2011 (Bl. 950 der VV) und in ihrem im gerichtlichen Verfahren eingereichten Schreiben (Bl. 28 der GA) nunmehr keinen Alkohol mehr konsumiert.

28

Weiter ist zu Gunsten des Klägers in Rechnung zu stellen, dass er den Umgang mit seinen minderjährigen deutschen Kindern erstrebt, der unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG zu würdigen ist. Die Beklagte geht dabei in ihrem Bescheid vom 29. Dezember 2011 unzutreffend davon aus, dass es ausreichend sei, wenn die Kontakte wie in der Zeit seit der Ausreise über Briefe, Telefonate oder das Internet erfolgen kann und wegen des Alters der Kinder keine besondere Härte zu erkennen sei. Wesentlich für eine familiäre Lebensgemeinschaft ist nämlich die tatsächliche Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes und damit der persönliche Kontakt, während die Fernkommunikation oder gelegentliche Besuchskontakte insoweit nur eine Lösung für besondere Fälle darstellen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 2 BvR 1064/08 - InfAuslR 2009, 150 <151>). Die Töchter des Klägers sind derzeit 12, 10 und 8 Jahre alt, so dass für sie auch auf Grund ihrer Entwicklung eine unmittelbare Beziehung zu ihm noch erhebliche Bedeutung hat.

29

Zwar bestand im Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung des Klägers keine familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Urteil des Einzelrichters vom 12. Dezember 2008 a.a.O. S. 8 f.). Es ist aber davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland die Beziehung erheblich intensivieren wird. Nach der bereits erwähnten Erklärung der Kindesmutter und früheren Ehefrau des Klägers vom 1. November 2011 besteht von Serbien aus ein regelmäßiger Kontakt zu den Kindern. Der Kläger rufe häufig an, schreibe E-mails und telefoniere über die Webcam. Er vermittle den Eindruck, dass er die Kinder wirklich vermisse. Ähnlich heißt es in ihrer im gerichtlichen Verfahren eingereichten handschriftlichen Erklärung ohne Datum (Bl. 28 d. GA), dass telefonischer Kontakt bestehe und die Kinder ihren Vater vermissen und viel über ihn reden würden. Er habe sich zudem auch mit ihr ausgesprochen.

30

Soweit die Beklagte bei ihrer Befristungsentscheidung an die Vollstreckungsverjährung der verhängten Freiheitsstrafen anknüpft, ist dies nach Auffassung des Gerichts nicht sachgerecht. Es ist zwar zutreffend, dass der Kläger nach den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 25. November 2008 bis zu einer Einreise am 12. September 2018 erneut in Haft genommen werden würde. Die Beklagte vermischt damit aber in unzulässiger Weise die Belange der Strafvollstreckung und die auf Gefahrenabwehr ausgerichteten Zielrichtungen des Aufenthaltsrechts. Sie berücksichtigt zudem nicht hinreichend, dass selbst eine nochmalige Inhaftierung in Deutschland für die Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinen Töchtern deutlich günstiger sein kann als der Aufenthalt in seinem Heimatland. Denn es besteht etwa die Möglichkeit, dass nach einem Haftantritt von der weiteren Vollstreckung der Strafe nach § 57 StGB abgesehen wird. Darüber hinaus sind ein offener Vollzug oder sonstige Vollzugslockerungen denkbar, die eine Wiederaufnahme der Umgangskontakte erleichtern. Außerdem könnten die Kinder den Kläger im Gefängnis mit erheblich weniger Aufwand besuchen. Schließlich ergibt sich aus den genannten Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Oldenburg, dass nach dem 17. Dezember 2013 lediglich noch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von etwa zehn Monaten offen ist.

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Unter Berücksichtigung dieser Umstände geht das Gericht hier angesichts der zwingenden Ausweisung des Klägers, die sich von sonstigen Ausweisungen nach § 53 AufenthG nicht auffällig unterscheidet, im Ansatz von einer Sperrfrist von sechs Jahren aus. Angesichts der Zahl und der Erheblichkeit der Straftaten erscheint allerdings auch unter Berücksichtigung der familiären Bindungen zu seinen Kindern eine Verkürzung um lediglich neun Monate angemessen. Es handelt sich insoweit nämlich voraussichtlich lediglich um Umgangskontakte, nicht um ein dauerhaftes Zusammenleben. Auch ist in Rechnung zu stellen, dass sich der Kläger - wie bereits ausgeführt - im Zeitpunkt seiner Abschiebung um seine Töchter nicht hinreichend gekümmert hat. Wegen der Erforderlichkeit einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung und wegen des Versuches einer illegalen Einreise in das Schengen-Gebiet im März 2009 (Bl. 904 der VV) sind auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Abschiebungskosten beglichen worden sind, allerdings wiederum drei Monate hinzuzurechnen, so dass insgesamt eine Frist von 5 1/2 Jahren festzusetzen war, die Sperrfrist mithin am 18. Juni 2014 enden muss.

32

Die vom Kläger erstrebte weitere Verkürzung der Sperrfrist auf fünf Jahre ist demgegenüber nicht geboten. Dass die regelmäßige Höchstfrist nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG lediglich fünf Jahre betragen soll, steht dem nicht entgegen. Sie darf überschritten werden, wenn der Ausländer - wie hier der Kläger - aufgrund von schwerwiegenden Straftaten (vgl. BR-Drs. 210/11, S. 55) ausgewiesen worden ist und aus den dargestellten Gründen weitere von ihm ausgehende Gefahren ausnahmsweise erst nach Ablauf dieser Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können.