Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 13.06.2012, Az.: 11 A 1266/11

Pferdehaltung; Pferdeweide; Stacheldrahtzaun

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
13.06.2012
Aktenzeichen
11 A 1266/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44425
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 18.06.2013 - AZ: 11 LC 206/12

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Einfriedung von Pferdeweiden mit Stacheldrahtzäunen verstößt gegen § 2 Nr. 1 TierSchG, wenn nicht durch einen geeigneten Innenzaun sichergestellt ist, dass die Pferde keinen Kontakt mit dem Stacheldraht haben können.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die tierschutzrechtliche Beurteilung der Stacheldrahtumzäunung auf den Pferdeweiden der Klägerin.

Die Klägerin hält im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten Pferde. Am 31. März 2011 überprüfte die Zeugin ... als Amtstierärztin des Beklagten die Weide der Klägerin gegenüber des Hofes "..." in ... Dabei war der Ehemann der Klägerin anwesend. Zum Zeitpunkt der Kontrolle befanden sich dort mehrere Pferde. Der Zaun der Weide besteht aus Rundpfählen, zwischen denen Knotengitter und darüber drei Reihen stromführender Stacheldraht gespannt sind. Die Zeugin ... wies den Ehemann der Klägerin darauf hin, dass ein solcher Zaun ohne eine weitere Absicherung nach Innen, die einen Kontakt der Pferde mit dem Stacheldraht verhindert, ihrer Ansicht nach tierschutzrechtlich unzulässig sei. Der Ehemann der Klägerin erklärte, dass er diese Auffassung nicht teile.

Im Rahmen der Anhörung zu Maßnahmen nach § 16a TierSchG trug die Klägerin mit Schreiben vom 27. April 2011 vor, sie könne nicht nachvollziehen, wieso von dem Zaun eine erhöhte Verletzungsgefahr ausgehen solle. Bisher habe sich kein Pferd verletzt.

Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 ordnete der Beklagte sinngemäß an, dass die Klägerin ab dem 1. Juni 2011 Pferde nur noch auf Weiden halten dürfe, die nicht mit Stacheldraht umzäunt sind oder bei denen der Stacheldrahtzaun nach innen durch eine gut sichtbare, nicht verletzungsträchtige Absperrung mit einem Abstand von mind. 50 cm gesichert ist. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR angedroht. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Als Rechtsgrundlage für diese Anordnung nannte der Beklagte § 16a Satz 2 Nr. 1 TierSchG. Die Einzäunung von Pferdeweiden mit Stacheldraht ohne Absicherung nach Innen verstoße gegen § 2 TierSchG. Bei dessen Auslegung seien insbesondere die "Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden" des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Bezirksregierung Weser-Ems und des Tierschutzdienstes Niedersachsen vom März 1999 (im Folgenden: "Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden") sowie die "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten" des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 10. November 1995 (im Folgenden: "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen") zu beachten. Aus diesen Materialien ergebe sich, dass Stacheldrahtzäune auf Pferdeweiden zu verletzungsträchtig und daher tierschutzwidrig seien.

Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid am 6. Juni 2011 Klage erhoben (11 A 1266/11). Sie ist zum einen der Auffassung, dass der Bescheid zu unbestimmt sei, weil die betroffenen Weiden nicht konkretisiert werden. Zum anderen seien Stacheldrahtzäune auf Pferdeweiden aber auch nicht generell tierschutzwidrig. Stacheldrahtzäune führten v.a. dann zu Verletzungen, wenn sie nicht in gutem Zustand und nicht stramm gespannt sind. Sie - die Klägerin - beschäftige für die Betreuung der Zäune eigens einen Mitarbeiter mit Spezialkenntnissen, so dass der Zustand ihrer Zäune immer vorbildlich sei. Die Drähte seien straff und so eng gespannt, dass die Pferde ihre Köpfe nicht hindurchstecken könnten; außerdem stünden sie unter Strom. Bei schlechter Ausführung könne aber jede Art von Zaun - also z.B. auch ein Holz- oder Litzenzaun - zu Verletzungen führen. Der Zaun, der Auslöser der angefochtenen Verfügung war, sei auch für Pferde deutlich zu sehen, da er aus eng zusammenstehenden, gleichmäßigen Rundpfählen bestehe. Seit über fünfzehn Jahren habe es bei ihr keine Drahtverletzungen von Pferden gegeben. Dies liege außer an der Beschaffenheit der Zäune vor allem an den großen, grasreichen Weiden, der Haltung von geschlossenen Herden, in denen es keine Unruhe oder Rangkämpfe gebe, der Abgeschiedenheit der Flächen und der Rasse der Pferde (sog. "Tinker"), die sich durch hohe Intelligenz und ausgeglichenen Charakter auszeichneten. Zum Beleg wurden Bescheinigungen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen sowie der Tierärzte Dr. ... ... und Dr. ... vorgelegt. Ferner verwies die Klägerin darauf, dass der Nationalrat in der Schweiz die Aufhebung des Stacheldrahtverbots für Pferdeweiden beschlossen habe. Zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes dürfe man sich nicht ausschließlich auf die "Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden" bzw. die "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen" stützen. Beide Werke seien keine Rechtsnormen und verstünden sich noch nicht einmal als Verwaltungsvorschriften. Auch handle es sich nicht um sogenannte "antizipierte Sachverständigengutachten", denn sie seien nicht in einem förmlichen Verfahren entwickelt worden. Wenn die Rechtsprechung des erkennenden Gerichts und des Nds. OVG sie als "sachverständige Grundlage" bezeichne, so sei die Bedeutung dieses Begriffs unklar. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung Pferdehalter verpflichtet seien, die Zäune ausbruchssicher zu gestallten, damit Dritte nicht durch entwichende Pferde verletzt oder getötet werden.

Die Klägerin beantragt im Verfahren 11 A 1266/11,

den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass bei der Frage, inwieweit die Unterbringung von Pferden den Anforderungen des § 2 TierSchG genügt, sachverständige Äußerungen wie die "Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden" und die "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen" heranzuziehen seien. Diesen zufolge sei Stacheldraht als alleinige Umzäunung einer Pferdeweide generell zu verletzungsträchtig und daher tierschutzwidrig. Der Abstand von einigen Metern zwischen den Zaunpfählen mache den Draht als solchen für die Pferde nicht besser sichtbar. Es bestehe auch hier die Gefahr, dass ein Pferd am Stacheldraht hängen bleibt und sich bei einer unkontrollierten Panikreaktion schwer verletzt. Pferde aller Rassen seien Fluchttiere und neigten ungeachtet ihrer unterschiedlichen Temperamente zu Panik bei Angst, Schreck oder Bedrohung. Im Übrigen seien die Weiden der Klägerin, die ihm bekannt sind, weder außergewöhnlich groß noch außergewöhnlich abgeschieden. Pferdehaare, die bei einer Kontrolle am 16. Juni 2011 an dem Zaun, der Anlass der Verfügung war, gefunden wurden, bewiesen, dass es auch hier zu Kontakten zwischen Pferd und Stacheldraht gekommen ist. Eine Konkretisierung der von der Verfügung betroffenen Weiden wäre nicht sachgerecht gewesen, denn es gehe darum, alle Weiden für die Zeiten zu erfassen, während denen Pferde dort gehalten werden.

Da er den Zaun bei einer Nachkontrolle am 16. Juni 2011 unverändert vorfand, hat der Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 2011 gegen die Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR festgesetzt und ihr ein neues Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR angedroht.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 4. August 2011 Klage erhoben (11 A 1739/11).

Sie beantragt in diesem Verfahren,

den Bescheid des Beklagten vom 5. Juli 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit einem der Klägerin persönlich zugestellten Bescheid vom 6. Februar 2012 hob der Beklagte den Bescheid vom 5. Juli 2011 auf, soweit dort ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR angedroht wurde. Er drohte der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR für den Fall an, dass sie den Anordnungen in Nr. 1 des Bescheides vom 4. Mai 2011 nicht ab dem 1. Februar 2012 Folge leistet. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin erklärten in der mündlichen Verhandlung, diesen Bescheid bislang nicht zu kennen.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage 11 A 1266/11 wurde vom erkennenden Gericht mit Beschluss vom 19. Juli 2011 - 11 B 1511/11 - abgelehnt; die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos (OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. September 2011 - 11 ME 248/11 -).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Das Gericht hat den Zaun und die Weide, die Anlass des Bescheides vom 4. Mai 2011 waren, im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen sowie Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A... ... und Dr. .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13. Juni 2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Anfechtungsklagen sind unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 4. Mai 2011 und 5. Juli 2011 sind, soweit sie der Beklagte nicht aufgehoben hat, rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Anordnung, Pferde zukünftig nur noch auf Weiden zu halten, die nicht mit Stacheldraht umzäunt sind oder bei denen der Stacheldraht nach innen durch eine gut sichtbare, nicht verletzungsträchtige Absperrung mit einem Abstand von mind. 50 cm gesichert ist, ist § 16a Satz 2 Nr. 1 TierSchG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierschG erforderlichen Maßnahmen anordnen.

Die streitgegenständliche Anordnung war hier zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlich. Denn die Haltung von Pferden auf Weiden, die durch Stacheldraht ohne weitere innere Absperrung eingezäunt sind, verstößt wegen der damit einhergehenden erheblichen Verletzungsgefahr gegen die Pflicht zur artgemäßen und verhaltensgerechten Unterbringung nach § 2 Nr. 1 TierSchG.

Zu dieser Überzeugung gelangt das Gericht aufgrund einer freien Würdigung der Beweisaufnahme und der verfügbaren Erkenntnismittel. Es kommt daher nicht darauf an, ob den "Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden" und den "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen" Rechtscharakter oder ein formalisierter Beweiswert zukommt.

Die Zeugin ..., der als Amtstierärztin nach § 15 Abs. 2 TierSchG eine vorrangige Beurteilungskompetenz zukommt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 3. August 2009 - 11 ME 187/09 -, Nds. VBl. 2009, 349), hat sowohl in ihrer Vernehmung als auch in den Vermerken vom 16. Juni 2011 (Bl. 23 d. VV), 12. Juli 2011 (Bl. 43 d. VV) und 30. August 2011 (Bl. 70 f. d. Gerichtsakte) nachvollziehbar dargelegt, dass Stacheldraht- und Knotengitterzäune als alleinige Begrenzung für Pferdeweiden äußerst verletzungsträchtig und daher tierschutzfachlich nicht hinnehmbar sind. Sie führen nach ihrer Einschätzung zu häufigeren und sehr viel schwerwiegenderen Verletzungen als andere Arten der Einzäunung. Die Zeugin ... hat dies überzeugend damit begründet, dass Pferde aller Rassen unabhängig von ihrem Temperament Fluchttiere sind, die bei Schmerz, Angst, Schreck oder Bedrohung zur Flucht in die Weite und zu Panikreaktionen neigen. Eine solche Panikreaktion kann z.B. dadurch ausgelöst werden, dass das Pferd Kontakt zu den Stacheln des Drahtes hat. Bleibt es dann bei seinem panikartigen Fluchtversuch an den Stacheln hängen, kann es zu schweren Verletzungen kommen. Nachvollziehbar sind auch die weiteren Ausführungen der Frau ... im Vermerk vom 12. Juli 2011, dass diese Gefahr eher noch größer ist, wenn der Stacheldraht - wie hier - unter Strom steht. Die Zeugin hat im Vermerk vom 12. Juli 2011 zum Beleg für ihre Einschätzung eine Reihe von Nachweisen aus der Fachliteratur zitiert. Ferner hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme des Fachtierarztes für Pferde Dr. ... vom 18. Februar 2005 (Bl. 172 der Gerichtsakte) vorgelegt. Dieser berichtet, dass er in seiner klinischen und außerklinischen Praxis unzählige Verletzungen erlebt habe, die durch Stacheldrahtzäune entstanden seien. Zwar räumt Herr Dr. ... ein, dass meistens nicht ganz stramm gespannte oder verborgen auf dem Boden liegende Stacheldrähte ursächlich gewesen seien, er hält jedoch ausdrücklich auch stramm gespannte Stacheldrähte für "hochgradig risikoreich". Auch hier könne es z.B. dann zu Verletzungen kommen, wenn Pferde versuchen, auf der anderen Seite des Zaunes Gras zu fressen oder wenn junge Pferde, die Grenze einer wenig sichtbaren Einzäunung noch nicht abschätzen können, in schnellem spielerischen Galopp gegen den Draht geraten.

Die Einschätzungen der Zeugin ... und des Dr. ... werden durch die "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen" und die "Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden" bestätigt. Nach Ziff. 1.7 der Leitlinien sind "Stacheldrahtzäune, Knotengitterzäune u.ä. […] als alleinige Begrenzungen ungeeignet". Ziff. 12 der Empfehlungen bezeichnet Stacheldraht- und Knotengitterzäune als alleinige Begrenzungen für Pferdeweiden als "äußerst verletzungsträchtig und daher tierschutzwidrig." Sie könnten nur toleriert werden, "wenn sie in genügendem Abstand durch einen weiteren, gut sichtbaren Innenzaun so gesichert sind, dass ein direkter Kontakt zwischen Pferden und Stachel- oder Glattdraht bzw. Knotengitter verhindert wird". Dafür, dass Stacheldraht bei besonders gutmütigen Pferderassen, besonders strammer Spannung oder besonders großen, grasreichen Weiden tierschutzgerecht sein soll, findet sich kein Anhaltspunkt. Auch wenn die Leitlinien und die Empfehlungen weder Rechts- noch Verwaltungsvorschriften sind und möglicherweise auch nicht die Anforderungen an ein antizipiertes Sachverständigengutachten erfüllen, hält das Gericht sie dennoch im Rahmen der freien Würdigung des Sachverhalts für ein wichtiges Erkenntnismittel. Denn beide Werke wurden nicht von einer Einzelperson erstellt, sondern spiegeln die übereinstimmenden Auffassungen einer Vielzahl von Personen und Einrichtungen mit den unterschiedlichsten fachlichen Hintergründen und Interessen (insbes. Tierärzte, Universitäten, Zooglische Gärten, Bundes- und Landesbehörden, Reiterverbände, Tierschutzverbände und Landwirtschaftskammern) wider (vgl. dazu auch OVG Weimar, Urteil vom 29. September 2000 - 3 KO 700/99 -, NVwZ 2001, 507 - zit. nach juris Rn. 37).

Die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte teilt ebenfalls einhellig die Auffassung, dass Stacheldrahtzäune ohne ausreichende Absicherung nach Innen bei Pferdeweiden gegen § 2 Nr. 1 TierSchG verstoßen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Januar 2006 - 11 LA 11/05 -, nicht veröffentlicht; OVG Weimar, Urteil vom 28. September 2000 - 3 KO 700/99 -, NVwZ 2001, 507 ff.; VG Münster, Beschluss vom 30. März 2010 - 1 L 59/19 -, juris Rn. 19 ff.; VG Aachen, Beschluss vom 16. Oktober 2009 - 6 L 391/09 -, juris Rn. 31). Dabei zitiert das OVG Weimar, aaO., juris Rn. 40 f. noch weitere Erkenntnismittel, wie z.B. eine Veröffentlichung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und Stellungnahmen tierärztlicher Hochschulen bzw. Fakultäten, die alle zu demselben Ergebnis kommen wie die "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen". Es gibt soweit ersichtlich keine veröffentlichte verwaltungsgerichtliche Entscheidung, die einen Stacheldrahtzaun auf einer Pferdeweide für tierschutzgerecht hielt.

Der Klägerin ist allerdings darin zuzustimmen, dass die zivilrechtliche Rechtsprechung Stacheldrahtzäune deutlich positiver beurteilt. Sie werden dort als eine für Pferdeweiden übliche und herkömmliche Einfriedungsart, mit deren Hilfe der Halter seine Verkehrssicherungspflichten erfüllen kann, angesehen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 2. März 2005 - 13 U 191/04 -, juris Rn. 13; OLG Celle, Urteil vom 26. August 1976 - 5 U 25/76 -, VersR 1977, 453 f. - zit. nach juris Rn. 33; BGH, Urteil vom 14. Juni 1976 - VI ZR 212/75 -, NJW 1977, 2158 - zit. nach juris Rn. 13; vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 14. April 1994 - 6 U 2/94 -, NJW-RR 1995, 409 f. - zit. nach juris Rn. 29 wo eine Umzäunung mit vier Reihen Stacheldraht als "ordnungsgemäß" bezeichnet wird). Das OLG Koblenz hat verneint, dass einen Halter, der Stacheldraht verwendet, ein Mitverschulden trifft, wenn sich das von einem Dritten aufgescheuchte Pferd am Zaun verletzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Stacheldrahteinfriedungen bei Pferdekoppeln "ortsüblich" seien und die Ausbruchssicherheit im konrekten Fall für ihre Verwendung gesprochen habe. Eine Absicherung des Stacheldrahts durch einen stromführenden Innenzaun - wie sie der Beklagte hier fordert - wäre nach Ansicht des OLG kein geeignetes Mittel gewesen, um die Verletzung des Pferdes zu verhindern (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16. August 2002 - 10 U 1804/01 -, NJW-RR 2002, 1542 - zit. nach juris Rn. 6). Mit Tierschutzgesichtspunkten setzen sich diese Entscheidungen aber nicht substantiiert auseinander. Ihre Argumentation ist vielmehr einseitig auf die Verhinderung eines Ausbruchs der Pferde fokusiert. Außerdem verlangen die Zivilgerichte von einem Pferdehalter keineswegs zwingend, dass er seine Weiden mit einem Stacheldrahtzaun gegen ein Ausbrechen der Pferde sichert. Auch mit einem ordnungsgemäß errichteten und überwachten Elektrozaun genügt er beispielsweise seiner Verkehrssicherungspflicht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 2. März 2005 - 13 U 191/04 -, juris Rn. 13; OLG Celle, Urteil vom 26. August 1976 - 5 U 25/76 -, VersR 1977, 453 f. - zit. nach juris Rn. 33 f.). Viele dieser Urteile belegen überdies, dass Pferde sich in der Tat bei Panikreaktionen erheblich an Stacheldrahtzäunen verletzen können (vgl. insbes. OLG Koblenz, Urteil vom 16. August 2002 - 10 U 1804/01 -, NJW-RR 2002, 1542 - zit. nach juris Rn. 6; OLG Hamm, Urteil vom 14. April 1994 - 6 U 2/94 -, NJW-RR 1995, 409 f. - zit. nach juris Rn. 29; BGH, Urteil vom 5. März 1985 - VI ZR 1/84 -, NJW 1985, 2416 f. - zit. nach juris Rn. 25; OLG Celle, Urteil vom 26. August 1976 - 5 U 25/76 -, VersR 1977, 453 f. - zit. nach juris Rn. 33).

Auch über Deutschland hinaus ist die Auffassung, dass Stacheldraht als Einzäunung für Pferdeweiden generell tierschutzwidrig ist, verbreitet. In der Schweiz ist nach Art. 63 der Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 in der aktuell gültigen Fassung vom 1. Juni 2012 Stacheldraht weiterhin ausdrücklich als Einzäunung für Pferdegehege verboten (vgl. http://www.admin.ch/ch/d/sr/4/455.1.de.pdf). Ein Vorstoß des Nationalrates zur Aufhebung des Verbots scheiterte am 20. Dezember 2011 im Ständerat (vgl. http://www.pferdplus.com/news/stacheldraht-auf-pferdeweiden-bleibt-der-schweiz-weiter-verboten; http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Finanzplatz-und-Tierschutz-Der-Staenderat-in-Kuerze/story/26191654 und http://www.schweizerbauer.ch/htmls/artikel_27136.html). In Österreich verbietet Ziff. 2.2.4 der Anlage 1 zur 1. Tierhaltungsverordnung die Verwendung von Stacheldraht bei Pferdekoppeln und Pferdeausläufen (vgl. http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20003820).

Auch die vom Gericht eingeholte Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 16. Mai 2012 (Bl. 112 f. der Gerichtsakte) bestätigt im Wesentlichen, dass ein Stacheldrahtzaun ohne zusätzliche Absicherung nach Innen wegen der Verletzungsgefahr keine geeignete Einzäunung für eine Pferdeweide ist. In dieser Stellungnahme wird ausgeführt, dass das frühere Schreiben der Landwirtschaftskammer an die Klägerin vom 10. Juni 2011 nicht dahingehend verstanden werden dürfe, dass die Landwirtschaftskammer die Haltung der Pferde auf einer mit Stacheldraht umzäunten Weide für tierschutzgerecht halte. Vielmehr gehöre auch nach Einschätzung der Landwirtschaftskammer Stacheldraht grundsätzlich nicht zur Umzäunung einer Pferdeweide, da es ausreichend Beispiele gebe, in denen eine solche Art der Begrenzung Verletzungen hervorgerufen hat. Nur in diesem speziellen Fall halte man aufgrund des ausgeglichenen Temperaments der Pferde, der Größe, Lage und Beschaffenheit der Weiden sowie des Umstandes, dass in der Vergangenheit keine Verletzungen aufgetreten sind, die Verletzungswahrscheinlichkeit für äußerst gering und würde die Umzäunung tolerieren. Inwieweit tierschutzwidrige Zustände im Einzelfall toleriert werden sollen, steht allerdings nicht in der Entscheidungskompetenz der Landwirtschaftskammer, sondern muss von der zuständigen Tierschutzbehörde im Rahmen des ihr von § 16a TierSchG eingeräumten Erschließungsermessens beurteilt werden. Das Gericht kann die Entscheidung des Beklagten, im Falle der Klägerin gegen die tierschutzwidrige Einzäunung vorzugehen, gem. § 114 Satz 1 VwGO nur begrenzt überprüfen. An diesem Maßstab gemessen, sind Ermessensfehler nicht zu erkennen. Denn die Ausführungen der Landwirtschaftskammer zu den angeblichen besonderen Umständen auf den Weiden der Klägerin überzeugen das Gericht nach Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit nicht. Gleiches gilt für die Einschätzung des Zeugen Dr. ..., Drahtverletzungen seien aufgrund der Beschaffenheit des Zauns und der örtlichen Situation "nicht sehr wahrscheinlich". Dem ist zum einen entgegen zu halten, dass keines der oben zitierten Erkenntnismittel die tierschutzfachliche Beurteilung von Stacheldrahtzäunen von den Umständen des Einzelfalls abhängig macht, sondern Stacheldraht dort generell als zu verletzungsträchtig angesehen wird. Zum anderen kann das Gericht aufgrund des Augenscheins aber auch nicht nachvollziehen, inwiefern die Weiden oder die Zäune der Klägerin außergewöhnlich sein sollen. Der Zaun ist ein sicherlich sehr gut gepflegter, aber dennoch gewöhnlicher stromführender Stacheldraht- und Knotengitterzaun. Die Weide, die unmittelbarer Anlass der Verfügung war, ist weder besonders groß noch besonders klein. Sie ist in völlig normalem Maße mit Gras bewachsen. Am Rande standen hinter dem Stacheldrahtzaun Laubbäume, Büsche und Gras, die Pferden durchaus als Nahrungsquelle dienen und sie zu einem Fressen über den Zaun hinweg verleiten können. Auf diese Umstände hat die Zeugin ... in ihrer Vernehmung vor Ort ausdrücklich und nachvollziehbar hingewiesen. Die Weide ist auch nicht besonders abgeschieden, sondern befindet sich gegenüber dem Gehöft der Klägerin direkt an der "...". Maßgebliche Grundlage für die relativ günstige Risikoeinschätzung der Landwirtschaftskammer und des Zeugen Dr. ... scheint zu sein, dass Drahtverletzungen bei den Pferden der Klägerin bislang glücklicherweise ausgeblieben sind. Aufgabe des Beklagten als Tierschutzbehörde ist es aber gerade, Gefahren auch dort abzuwehren, wo sie sich noch nicht in einem Schaden realisiert haben. Der Beklagte ist von Rechts wegen nicht verpflichtet, eine Situation, die wegen des hohen Verletzungsrisikos gegen § 2 Nr. 1 TierSchG verstößt, solange zu dulden, bis es zu einer ersten Verletzung gekommen ist.

Die Anordnung ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 37 Abs. 1 VwVfG). Ziff. 1 des Bescheides vom 4. Mai 2011 macht für einen objektiven Empfänger bei verständiger Würdigung hinreichend deutlich, was von der Klägerin zukünftig erwartet wird: Sie darf Pferde nur noch auf Weiden halten, deren Umzäunung nicht aus Stacheldraht besteht oder bei denen ein Kontakt der Pferde mit dem Stacheldraht durch eine gut sichtbare, nicht verletzungsträchtige Absperrung mit mindestens 50 cm Abstand verhindert wird. Eine genaue örtliche Bezeichnung der betroffenen Weiden war zum Verständnis dieser Verfügung nicht erforderlich und wäre überdies auch nicht sachgerecht gewesen, weil sie dem Ziel des Beklagten, immer nur diejenigen Weiden zu erfassen, auf denen die Klägerin gerade Pferde hält (diese aber vollständig), zuwiderlaufen würde.

Die Zwangsgeldandrohung beruht auf § 70 Nds. SOG und genügt den Anforderungen dieser Vorschrift.

Der Bescheid vom 5. Juli 2011 ist rechtmäßig, soweit in ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR festgesetzt wurde. Der Beklagte durfte hier gem. § 64 Abs. 1, 3, § 65, § 67 Nds. SOG das im Bescheid vom 4. Mai 2011 angedrohte Zwangsgeld festsetzen, nachdem die Klägerin der für sofort vollziehbar erklärten tierschutzrechtlichen Verfügung in Ziff. 1 dieses Bescheides nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen war. Einer Anhörung bedufte es gem. § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG nicht.

Soweit in dem Bescheid vom 5. Juli 2011 ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR angedroht wurde, wurde der angefochtene Bescheid durch den Bescheid des Beklagten vom 6. Februar 2012 aufgehoben. Der Aufhebungsbescheid ist durch die Zustellung an die Klägerin persönlich wirksam geworden (§ 43 Abs. 1 VwVfG). Eine Zustellung an ihren Verfahrensbevollmächtigten wäre nur dann zwingend erforderlich gewesen, wenn dieser dem Beklagten eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hätte (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG). Eine schriftliche Vollmacht zugunsten des Rechtsanwalts, der sich für die Klägerin im Verwaltungsverfahren zu Wort gemeldet hatte, findet sich Verwaltungsvorgang aber nicht. Ob die erneute Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 6. Februar 2012 rechtmäßig war, kann das Gericht nicht entscheiden, weil gegen diesen Bescheid keine Klage erhoben worden ist.