Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 26.06.2012, Az.: 7 A 2830/12

Gebühren für die Gewahrsamnahme; gerichtliche Kontrolle

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
26.06.2012
Aktenzeichen
7 A 2830/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44429
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gebietet es, im Rahmen der Überprüfung der Heranziehung zu Gebühren wegen einer Gewahrsamnahme diese gerichtlich zu überprüfen, wenn sich die Ingewahrsamnahme vor Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist und ohne amtsgerichtliche Entscheidung über den Gewahrsam nach § 19 Nds. SOG erledigt hat. Dem steht nicht entgegen, dass durch § 19 Nds. SOG die ordentliche Gerichtsbarkeit über die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Freiheitsentziehung zu entscheiden hat. Eine rechtmäßige Gewahrsamnahme gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG setzt voraus, dass aufgrund von tatsächlichen Feststellungen der Polizei unmittelbar oder alsbald mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehend die Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu erwarten war (hier: im Einzelfall verneint).

Tatbestand:

Die Beklagte zog den Kläger durch Bescheid vom 20. Januar 2012 zu Gebühren in Höhe von 70,00 Euro für polizeiliche Amtshandlungen (und zwar in Höhe von 45,00 € gemäß Kostentarif Nr. 108.2.1 wegen der Beförderung einer in Gewahrsam zu nehmenden Person und in Höhe von 25,00 € gemäß Kostentarif Nr. 108.2.2 wegen der Unterbringung im Polizeigewahrsam am 20. Juli 2011 von 20:30 Uhr bis 22:20 Uhr) heran. Dem lag zugrunde, dass Beamte der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt/Ammerland den Kläger am 20. Juli 2011 um 20:30 Uhr in Gewahrsam genommen hat mit einem Polizeifahrzeug in die Zelle 1 in dem Polizeigebäude Friedhofsweg 30 verbracht hatten. Der Kläger wurde am 20. Juli 2011 um 22:20 Uhr wieder freigelassen. Die Vorfälle, aufgrund deren die Beamten der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt/Ammerland den Kläger am 20. Juli 2011 in Gewahrsam genommen hatten, führten dazu, dass das Amtsgericht Oldenburg den Kläger (gemeinsam mit zwei anderen Personen) wegen Hausfriedensbruchs und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilte (nicht rechtskräftiges Urteil vom 16. April 2012 - Az.: 46 Ds 600 Js 45594/11 (5/12)). Dem lagen u.a. die folgenden Feststellungen zugrunde:

„Anlässlich des Konzertes der Big Band der Bundeswehr auf dem Marktplatz der Stadt Oldenburg am Abend des 20.07.2011 erkletterten die Angeklagten entsprechend ihrer gemeinschaftlich geplanten Vorgehensweise über ein am Gebäude wegen Fassadenarbeiten aufgestelltes Gerüst und mithilfe einer eigens zu diesem Zweck mitgeführten Aluminiumleiter ohne Erlaubnis und gegen den Willen der zuständigen Vertreterin der Hausrechtsinhaberin das sonst nur über das Arbeitszimmer des Leiters des Kaufhofes zugängliche Dach des am Marktplatz angrenzenden mehrgeschossigen Geschäftshauses der Firma „Galeria Kaufhof“ und hielten sich dort über einen längeren Zeitraum zu einer in ihrem Interesse liegenden Demonstrationsaktion auf. Dort entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift „töten-tröten-trösten?! Soldaten sind Mörder“. Später betätigten sie vom Dach des Kaufhauses jeweils Tröten und Gasluftfanfaren, um die Musikveranstaltung zu stören. Zu dem gleichen Zweck entzündeten sie auch eine zuvor auf dem Geländer abgestellte Feuerwerksbatterie ohne entsprechende Erlaubnis, wobei mindestens ein Teil eines abgebrannten Feuerwerkskörpers von oben auf die Besucher der Veranstaltung herabfiel und diese gefährdete, was naheliegend erkennbar und vermeidbar war. So wurde der mit seiner Mutter die Veranstaltung besuchende, in der Nähe der Tontechnik sich aufhaltende 11jährige L. K. von einem Tonpfropfen auf der Schulter getroffen, wodurch er einen stechenden Schmerz erlitt und geschockt die Veranstaltung verlassen musste."

Zu den polizeilichen Maßnahmen zur Sicherung des Benefizkonzerts der Big Band der Bundeswehr auf dem Rathausmarkt zugunsten der Vereine „Trauerland“ und „die Bundeswehr hilft Kindern der dritten Welt“ heißt es in dem Polizeibericht vom 21. Juli 2011: "Gegen den Auftritt der Bundeswehr … rief (die linksautonome Szene in Oldenburg) im Internet … zu Störungen analog zum Auftritt des Heeresmusikkorps am 08.05.2011 in Oldenburg auf. Der Rathausmarkt wurde durch Polizeikräfte gesperrt und die Besucher über Durchlassstellen auf den Platz gelassen. Ab 20:05 h versuchte zunächst eine Gruppe Punker und Personen der linken Szene durch die Durchlassstellen an den Schlosshöfen und am Kasinoplatz auf den Rathausmarkt zu gelangen.

Ab 20:10 h konnten drei Personen auf dem Dach des Kaufhauses Galeria Kaufhof beobachtet werden, die ein schwarzes Transparent … vom Dach an der Außenwand des Kaufhauses in Richtung Rathausmarkt herunterließen. Kurz danach wurde mit Pressluftfanfaren die Musikveranstaltung lautstark gestört. Ferner wurden Feuerwerkskörper gezündet und ebenfalls lautstark zur Explosion gebracht. Durch herabfallende Teile der Feuerwerkskörper wurde ein 11jähriger Zuschauer an der Schulter leicht verletzt. Der Rathausmarkt war zu diesem Zeitpunkt bereits stark gefüllt. Aufgrund des Einsatzes von Pyrotechnik bestand die konkrete Gefahr einer möglichen Panik unter den Zuschauern. Ferner galt es weitere Verletzungen durch die Zündung von Pyrotechnik zu verhindern. Zusammen mit einer Gruppe der 6. BPH und dem Hausmeister des Kaufhauses Galeria Kaufhof begab sich der Unterzeichner zum Dachgeschoss. Das Kaufhaus war bereits seit 20:00 h geschlossen. … Auf dem Vordach wurden die drei Betroffenen … angetroffen und … zur Verhinderung weiterer Straftaten bis zum Abschluss der Veranstaltung um 20:30 h in Gewahrsam genommen“.

Der Kläger hat am 24. Februar 2012 Klage erhoben:

Die Ingewahrsamnahme am 20. Juli 2011 sei nicht rechtmäßig gewesen. Seinerzeit hätte gegen ihn als milderes Mittel ein Platzverweis gemäß § 17 Nds. SOG ausgesprochen werden müssen. Erst wenn er dem nicht Folge geleistet hätte, wäre eine Ingewahrsamnahme gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SOG gerechtfertigt gewesen. Dafür habe es aber seinerzeit keine Anhaltspunkte gegeben. Er wäre dem Platzverweis gefolgt. Eine amtsrichterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme am 20. Juli 2011 liege nicht vor, so dass ihre Rechtmäßigkeit inzidenter mit dem Heranziehungsbescheid zu überprüfen sei. Die Ingewahrsamnahme sei seinerzeit auch nicht unerlässlich gewesen, um eine unmittelbar bevorstehende Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit zu verhindern. Nachdem der Kläger mit seinen Mitprotestierenden vom Dach des Hauses Galeria Kaufhof auf die Mühlenstraße verbracht worden sei, habe es hierfür keinerlei Anhaltspunkte gegeben, da der Rathausplatz aufwändig von Polizeikräften abgeriegelt gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erwidert: Seinerzeit habe der EPHK N. M. gegen 20:30 Uhr angeordnet, die drei Protestierenden zur Verhinderung weiterer Straftaten in Gewahrsam zu nehmen und dem Zentralgewahrsam am Friedhofsweg 30 in Oldenburg zuzuführen. Dadurch seien die Voraussetzungen von Nr. 108.2.1 des Kostentarifs (Anlage) zur allgemeinen Gebührenordnung (AllGO), wonach für die Beförderung einer in Gewahrsam zu nehmenden Person mit einem Polizeifahrzeug eine Gebühr von 45,00 Euro, und von Nr. 108.2 des Kostentarifs erfüllt, wonach für die Unterbringung im Polizeigewahrsam je angefangener Tag (24 Stunden) eine Gebühr von 25,00 Euro zu erheben seien. Die Gewahrsamnahme sei rechtmäßig gewesen. Es sei nicht anzunehmen, dass der Kläger nach dem freiwilligen Verlassen des Daches keine weiteren Aktivitäten vorgehabt hätte. Er sei zum Zeitpunkt des Vorfalls als Rädelsführer in der linksautonomen Szene polizeilich und dem EPKH M. bekannt gewesen. Es habe bereits mehrfach polizeiliche Ermittlungen gegen den Kläger gegeben, der sich grundsätzlich jeglicher polizeilicher Maßnahmen widersetze, sofern ein Widerstand nicht aussichtslos erscheine. Es habe daher die Gefahr bestanden, dass der Kläger ohne weitere polizeilichen Maßnahmen die linksautonome Szene zu weiteren Aktionen bewegt hätte bzw. im Schutz der Gruppe selbst unternommen hätte. Möglicherweise habe durch Unterstützer weitere gefährliche Pyrotechnik zur Verfügung gestanden. Wäre der Kläger nicht in Gewahrsam genommen worden, so hätte in der allernächsten Zeit und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Straftat stattgefunden. Es sei anzunehmen gewesen, dass der Kläger und die anderen beiden Beteiligten ohne Einschreiten der Polizei weiter auf dem Gebäude verweilt und mithin den bereits vollendeten Hausfriedensbruch fortgesetzt hätten. Es habe zudem die konkrete Gefahr bestanden, dass es durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern auf dem räumlichen begrenzten Platz mit vielen dichtgedrängten Zuschauern zu weiteren Verletzten oder Panik unter den Zuschauern gekommen wäre; diese Gefahren habe es abzuwenden gegolten. Aufgrund der Erkenntnisse und der Vehemenz der getätigten Protestaktionen sei ein Platzverweis nach § 17 Abs. 1 Nds. SOG nicht geeignet geschienen, die durch den Kläger hervorgerufenen Gefahren abzuwehren. Es sei der Persönlichkeit des Klägers und dem polizeilichen Erfahrungen mit ihm geschuldet, dass das zu prognostizieren gewesen sei, ein Platzverweis würde keinerlei Wirkung entfalten. Auch wenn der Kläger und die anderen Beteiligten ohne Widerstand das Dach von Galeria Kaufhof verlassen hätten, so habe doch damit gerechnet werden müssen, dass er nach Erhalt eines Platzverweises wieder versuchen würde, an die Veranstaltung heranzugelangen, um weitere Störaktionen zu unternehmen. Die Polizei habe seinerzeit zur Verhinderung weiterer Straftaten und zum Schutz der übrigen Zuschauer/Veranstaltungsteilnehmer einschreiten müssen. Die Gewahrsamnahme sei auch geeignet gewesen, bevorstehende weitere Veranstaltungsstörungen zu verhindern, da dies nur durch das Entfernen des Klägers vom Veranstaltungsort gelingen konnte. Ein gleichermaßen geeignetes Mittel, das den Adressaten weniger beeinträchtigt hätte, sei auch nicht ersichtlich gewesen. Der Nachteil für den Kläger sei auch im Verhältnis zum angestrebten Erfolg nachrangig gewesen. Die Maßnahme habe zwar vorübergehend in die Grundrechte des Klägers auf Freizügigkeit nach Art. 11 GG eingegriffen. Die körperliche Unversehrtheit der Veranstaltungsteilnehmer sei indes höher zu bewerten gewesen, zumal die Gewahrsamnahme weniger als zwei Stunden gedauert habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte war nicht berechtigt, aufgrund der §§ 1, 3 und 5 NVwKostG i.V.m. § 1 AllGO sowie Nrn. 108.2.1 und 108.2.2 des Kostentarifs (Anlage) zur AllGO den Kläger zu Gebühren für den Transport in einem Polizeirevier zum Zentralgewahrsam im Gebäude Friedhofsweg 30 und den Gewahrsam dort heranzuziehen. Die Ingewahrsamnahme am 20. Juli 2011 war rechtswidrig.

Erledigt sich, wie hier, die Ingewahrsamnahme vor Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist, so gebietet es die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen der Überprüfung des Gebührenbescheides die zugrundeliegende Amtshandlung einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Da sich hier die Ingewahrsamnahme mit der Entlassung des Klägers am späten Abend des 20. Juli 2011 erledigt hatte und auch keine (amts-)gerichtliche Entscheidung über den Gewahrsam nach § 19 Nds. SOG getroffen war, muss das Gericht die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme als Voraussetzung für die streitige Kostenpflicht des Klägers überprüfen.

Einer solchen materiellen Überprüfung des Heranziehungsbescheides der Beklagten steht auch nicht § 19 Nds. SOG entgegen. Zwar sind nach einer älteren Auffassung des OVG Lüneburg die Verwaltungsgerichte nicht befugt, nachträglich die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Ingewahrsamnahme als Vorfrage im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Heranziehung zu den Kosten der Ingewahrsamnahme zu prüfen, da der Niedersächsische Gesetzgeber ausdrücklich der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch § 19 Nds. SOG das Entscheidungsmonopol über die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Freiheitsentziehung eingeräumt habe (OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 11 ME 390/04 -, zitiert nach juris). Dieser Meinung tritt das Gericht indes mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2010 (Az.: 1 BvR 1634/04, zitiert nach juris) nicht bei. Nach dessen Auffassung verletzt - der Beschluss erging zu § 19 NGefAG, der im wesentlichen mit § 19 Nds. SOG inhaltsgleich ist - eine solche Auslegung von § 19 Nds. SOG den Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das Verwaltungsgericht ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts trotz § 19 NGGefAG im Rahmen der Kontrolle des Heranziehungsbescheides verpflichtet, inzident und umfassend die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme zu überprüfen. Dem steht nicht entgegen, dass der Landesgesetzgeber sich mit § 19 Abs. 3 Nds. SOG dafür entschieden hat, den Amtsgerichten im Wege der abdrängenden Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO den Rechtsschutz unmittelbar gegen die Ingewahrsamnahme anzuvertrauen, dagegen die nachgelagerte Prüfung der Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu den Kosten der Ingewahrsamnahme den Verwaltungsgerichten zu belassen. Eine solche Rechtswegspaltung führt nicht automatisch dazu, dass es einem angerufenen Gericht verwehrt ist, Vorfragen zu prüfen, die, wären sie der Streitgegenstand, in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Gerichts fielen. Dies folgt aus § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet (s. § 83 Satz 1 VwGO). Es muss mithin auch rechtswegfremde entscheidungserhebliche Vorfragen prüfen und entscheiden. Die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist hier eine solche entscheidungserhebliche Vorfrage i.S.v. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG. Sie betrifft die Auslegung und Anwendung von § 18 Nds. SOG, der die Ingewahrsamnahme regelt. Zwar ist unmittelbarer Prüfungsgegenstand hier der Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 20. Januar 2012. Mit Blick auf § 11 Abs. 1 NVwKostG ist indes auch die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Amtshandlung zu untersuchen, da diese Vorschrift einen Kostererlass bei "unrichtiger Sachbehandlung" vorsieht; dies gilt auch für rechtswidrige Realakte. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 19 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG, wonach die festgehaltene Person nach Beendigung der Freiheitsentziehung innerhalb eines Monats die Prüfung der Rechtmäßigkeit durch das Amtsgericht, in dessen Bezirk sie in Gewahrsam genommen wurde, die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung beantragen kann. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folg weder aus dem Wortlaut, der Systematik noch der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, dass das Verwaltungsgericht bei der Klage gegen den an die Ingewahrsamnahme anknüpfenden Heranziehungsbescheid nicht inzident den freiheitsbeeinträchtigenden Hoheitsakt prüfen darf. Dem Gebot, inzidenter die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme bei der richterlichen Kontrolle der nachfolgenden Heranziehung zu den Kosten zu überprüfen, können Erwägungen weder der Prozessökonomie noch der größeren Sachnähe sowie der fehlenden Befassung des zuständigen Amtsgerichts entgegengehalten werden. Solche Folgen einer Versäumung anderweitiger Rechtsschutzmöglichkeiten treten nur dann ein, wo der Regelungsgehalt und die Folgen eines Hoheitsaktes innerhalb der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs erkennbar sind. Hier schließt das maßgebliche Landesrecht die Inzidentprüfung der polizeilichen Ingewahrsamsnahme durch das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Kontrolle eines nachgelagerten Heranziehungsbescheides weder für den einzelnen erkennbar aus noch ordnet es auf der Grundlage eines formalisierten Verfahrens eine materielle Präklusion von Einwänden gegen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme an (vgl. zu alledem BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2010, a.a.O. Rz. 47 bis 58, jeweils m.w.N.). Nach alledem ist die Kammer daher verpflichtet, den Realakt der Ingewahrsamnahme des Klägers durch die Polizei am Abend des 20. Juli 2011 umfassend auf seine Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren.

Hier war die Ingewahrsamnahme bzw. deren Aufrechterhaltung nicht durch § 18 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 Nds. SOG gedeckt.

Nach dieser Vorschrift kann u.a. die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies

2. unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung

a) einer Straftat oder

b) einer Ordnungswidrigkeit

von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern, oder

3. unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 Nds. SOG durchzusetzen.

Bei einer solchen Ingewahrsamnahme handelt es sich um eine einschneidende polizeiliche Maßnahme, nämlich um eine die Freiheit der Person nicht nur beschränkende, sondern aufhebende Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG (BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 2002, BVerfGE105 239). Bei der Anwendung dieser Vorschrift, insbesondere bei der Prüfung ihrer Erforderlichkeit bzw. der Möglichkeit des Einsatzes anderer geeigneter und milderer Mittel, ist daher ein strenger Maßstab anzulegen. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich die Ingewahrsamnahme des Klägers am Abend des 20. Juli 2011 als nicht erforderlich, weil andere - mildere - Mittel zur Beseitigung der von ihm ausgehenden Störungen nicht ausgeschöpft wurden. Allerdings spricht nach Lage der Akten (s. Urteil des Amtsgerichts vom 16. April 2012) und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung alles dafür, dass die Polizei das Verhalten des Klägers am Abend des 20. Juli 2011 zutreffend - insoweit nahm sie ihre Einschätzungsprärogative fehlerfrei wahr - als Straftat nach § 123 Abs. 1 StGB (Hausfriedensbruch) und wohl auch als Ordnungswidrigkeit (Verursachung unzulässigen Lärms gemäß § 117 OWiG) beurteilen durfte. Es ist auch zweifelsfrei zutreffend, dass der Einsatz der Pyrotechnik durch den Kläger vom Dach des Kaufhauses Galeria Kaufhof Körper und Gesundheit Dritter in rechtswidriger Weise gefährdet hat. Die Voraussetzungen für polizeiliche Maßnahmen gegen den Kläger wegen dieses Verhaltens waren mithin zweifellos erfüllt. Gleichwohl kann die Ingewahrsamnahme nicht als unerlässlicher und geringstmöglich belastender Eingriff angesehen werden, um weitere Straftaten und Ordnungswidrigkeiten des Klägers am Abend des 20. Juli 2011 zu unterbinden.

Bei der rechtlichen Beurteilung der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist auf die Sachlage unmittelbar vor dem Zugriff abzustellen. Für die Annahme einer polizeilichen Gefahr genügt es, dass bei objektiver Sicht zur Zeit des polizeilichen Einschreitens die Tatsachen auf eine drohende Gefahr hindeuten, ohne dass sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1988 - III ZR 256/87 -, zitiert nach juris). Spätere Erkenntnisse - beispielsweise nach eingehender Beweisaufnahme - sind nicht zu berücksichtigen, da diese den vollziehenden Polizeibeamten vor Ort nicht zur Verfügung standen. Es muss eine akute Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vorliegen. Angesichts der Intensität des Eingriffs ist es notwendig, dass im konkreten Fall nachvollziehbare Tatsachen für die Gewissheit vorliegen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit eintritt. Der bloße "Eindruck" reicht nicht aus (Rachor, in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts 4. Auflage, Rz. F 570; m.w.N.). Die Beklagte stützt die Ingewahrsamnahme des Klägers am 20. Juli 2011 darauf, dass sie habe die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat habe verhindern müssen. Diese Voraussetzungen sind indes nach Überzeugung des Gerichts nicht erfüllt. Der Gefahrenmaßstab der Unmittelbarkeit aus § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG unterscheidet sich nicht von dem bei einer gegenwärtigen Gefahr. Die gegenwärtige Gefahr ist in § 2 Nr. 1 b Nds. SOG definiert als eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Das bedeutet, dass ein Schaden für Rechtsgüter gemäß § 2 Nr.1 a Nds. SOG in allernächster Zeit zu erwarten ist, wenn nicht eingegriffen wird (s. OLG Rostock, Beschluss vom 28. August 2007 - 3 W 109/07 -, zitiert nach juris). Das Gericht hat mithin zu prüfen, ob ohne die Ingewahrsamnahme die Gefahr bestanden hat, dass der Betroffene seine Straftat fortsetzen bzw. eine weitere Straftat begehen wird. Hier ist vor allem zu klären, ob nach dem Einschreiten der Polizei und der Wegführung des Klägers vom Dach des Kaufhauses akut Bereitschaft und Fähigkeit des Klägers zu Straftaten und Ordnungswidrigkeiten fortbestanden haben. Dies ist für das Gericht zu allererst ein Erkenntnisproblem. Pläne, Absichten, Geistes- oder Seelenzustände sind innere Tatsachen und der Beurteilung durch Dritte im Allgemeinen nur schwer zugänglich. Es ist letztlich eine retrospektive Prognose anzustellen, ob seinerzeit zu befürchten war, dass der Kläger sich nach seiner Freilassung erneut so verhalten werde, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung drohte. Hinsichtlich des Merkmals der Gegenwärtigkeit ist bei dieser Prognose zu bedenken, dass die akute Gefahrenlage auf dem Dach von Galeria Kaufhof durch das polizeiliche Einschreiten beendet worden ist. Entscheidend ist, ob hinreichende Anhaltspunkte dafür bestanden haben, dass er sich an entsprechenden künftigen - auch zurzeit noch unbekannten - Aktionen während des Konzerts der Bigband am 20. Juli 2011 abends beteiligen werde. Insoweit ist auch auf die bisherigen "gerichtsfesten" Erkenntnisse über den Kläger abzustellen. Hierzu sind seitens der Beklagten nur zusammenfassende Bewertungen des Verhaltens des Klägers in der Vergangenheit, dass er generell bereit sei, seine politischen Ansichten und Aktionen über die Rechtsordnung zu stellen, vorgelegt worden. Auch seine äußere Erscheinung sprach nach den vorhandenen Unterlagen am 20. Juli 2011 abends nicht dafür, dass er weiterhin Straftaten begehen oder dazu beitragen werde. Etwas anderes würde möglicherweise dann gelten, wenn der Kläger sich seinerzeit schwarz vermummt hätte oder sich gegenüber den Polizeibeamten bei seiner Festnahme dahingehend geäußert hätte, er werde "gleich weitermachen". Solche Feststellungen gab es indes nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten bei und nach der Verbringung des Klägers (mit seinen beiden Helfern) vom Dach von Galeria Kaufhof auf die Mühlenhofstraße nicht. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung im Übrigen nicht bestritten, dass er in der Vergangenheit gelegentlich widerständig gegenüber der Polizei in Erscheinung getreten sei. Dies berechtigt gleichwohl nicht zu der Annahme, dass von ihm unmittelbar bevorstehend die Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu erwarten war. Dabei ist im Hinblick auf §§ 18 Abs. 1 Nr. 2, 2 Nr. 1 b Nds. SOG maßgeblich, dass seinerzeit nicht die Prognose begründet war, dass diese Einwirkung unmittelbar oder in aller nächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorstehen würde. Auch die vom Amtsgericht Oldenburg in dem Urteil vom 22. April 2012 in Bezug genommene frühere Verurteilung des Klägers wegen Sachbeschädigung lässt nicht erkennen, dass aufgrund früherer Tatmuster er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beim Kläger zu erwarten war, dass er im Anschluss an seine Verbringung auf die Mühlenhofstraße neben Galeria Kaufhof (20.30 Uhr) bis zum Ende des Benefiz-Konzerts der Bundeswehr „Big Band“ eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit begehen werde. Eine Fortsetzung der Straftaten auf dem Dach des Kaufhauses war aufgrund der tatsächlichen Umstände nicht mehr zu erwarten und wird auch von der Beklagten nicht in der rückblickenden Bewertung der Umstände angenommen. Insbesondere lässt sich die Ingewahrsamnahme des Klägers nicht damit begründen, dass er seinerzeit bereits den Regelfall von § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG verwirklicht hat. Aus dem Umstand, dass der Kläger auf dem Dach des Kaufhauses Straftaten begangen hat, lässt sich nicht ohne weiteres die Befürchtung ableiten, er werde im Falle seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen. Die polizeiliche Maßnahme, den Kläger vom Dach von Galeria Kaufhof abzuführen, war ohne Probleme beendet worden. Das Gericht wertet dies als eine Platzverweisung durch Realakt unter Androhung unmittelbaren Zwangs. Die Einsatzkräfte dürften um 20.10 Uhr keinen Zweifel daran gelassen haben, dass der Kläger sofort diesen Platz zu verlassen habe und er ggfs. dazu auch durch sie gezwungen würde. Diese Maßnahme war indes abgeschlossen, als der Kläger auf der Mühlenhofstraße stand. Die Verbringung in den polizeilichen Gewahrsam am Friedhofsweg 30 ist daher als neues polizeiliches Handeln zu beurteilen. Auf die Umstände, die zur Verbringung des Klägers auf die Mühlenhofstraße geführt haben, kann nur insoweit zurückgegriffen werden, als das Gericht im Rahmen seiner Entscheidung über die Erforderlichkeit der Ingewahrsamnahme zusätzliche Anhaltspunkte für eine insoweit zutreffende Prognose der Polizei finden kann. Das Gericht muss diese Anhaltspunkte aber mit den besonderen Umständen im konkreten Einzelfall verknüpfen und daraus eine hinreichend sichere Gefahrenprognose entwickeln (s. dazu OLG Rostock, Beschluss vom 28. August 2007, a.a.O.). In einer Gesamtschau der damaligen Umstände spricht alles dafür, dass der Kläger mit seinen "Mitstreitern" keine Vorkehrungen dafür getroffen hatte, nach seinem Verbringen vom Dach des Kaufhauses wieder versuchen würde, in der nämlichen Weise dorthin zu gelangen. Aufgrund der starken Sicherung des Benefizkonzertes der Bigband der Bundeswehr durch die Polizei wäre diese Aktion erneut kaum möglich gewesen und daher vom Kläger wohl auch nicht geplant. Insbesondere ist in dem Polizeibericht vom 21. Juli 2011 nicht dargetan, dass dem Kläger und seinen „Mitstreitern“ in der Mühlenhofstraße oder in ihrer unmittelbaren Umgebung wieder Werkzeuge zur Verfügung gestanden haben, die ihnen eine Fortführung ihrer Aktionen wie auf dem Dach von Galeria Kaufhof ermöglicht hätten.

Den Beamten wäre es außerdem seinerzeit ohne Weiteres möglich gewesen, gegenüber dem Kläger einen (weiteren) Platzverweis gemäß § 17 Nds. SOG auszusprechen und diesen möglicherweise durch die Ausübung unmittelbaren Zwangs (§ 69 Nds. SOG) durchzusetzen. Auch wäre es beispielsweise u. U. durchaus zulässig gewesen, den Kläger in seine Wohnung zu verbringen. Eine solche Maßnahme stellt im Verhältnis zur Ingewahrsamnahme regelmäßig für den Betroffenen eine weniger belastende Maßnahme dar (s. VG Freiburg, Urteil vom 13. Mai 2004 - 4 K 1034/02 -, zitiert nach juris). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 4 Nds. SOG) wäre eine solche Maßnahme im vorliegenden Fall vorrangig gewesen, da man den Kläger auf diese Weise vom Ort der Störung hätte entfernen können und die polizeiliche Freiheitsentziehung „ultima ratio“ ist.

Es hätte höchstwahrscheinlich auch genügt, den Kläger außerhalb des abgesperrten Veranstaltungsraums vor dem Gebäude von „Galeria Kaufhof“ abzusetzen. Die Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers nicht entgegengetreten, dass seinerzeit der Veranstaltungsraum selbst (Marktplatz der Stadt Oldenburg) gut abgeriegelt gewesen sei, so dass es dem Kläger zunächst nicht möglich gewesen wäre, auf den Platz selbst zu gelangen. Hinzu kommt, dass die Mittel, mit denen der Kläger vor dem Eintreffen der Polizei auf dem Dach von Galeria Kaufhof Straftaten begangen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört hat, ihm nach seinem Verbringen auf die Straße nicht mehr zur Verfügung standen.

Das Gericht teilt nicht die Annahme der Beklagten, dass vom Kläger weitere Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten i.S.v. § 18 Abs. 2 Nr. 2 Nds. SOG nach seinem Verbringen bei einem Aufenthalt in der Innenstadt am Abend des 20. Juli 2011 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wären. Es ist insoweit unerheblich, ob die Polizei den Kläger zutreffend zur „linksautonomen“ Szene zählt und annimmt, dass bei ihm zu gewärtigen sei, er werde Weisungen und Anordnungen der Polizei nicht befolgen. Dem Kläger kann nicht mit tatsächlichen Feststellungen widerlegt werden, dass er und seine „Mitstreiter“ am Abend des 20. Juli 2011 lediglich die Störung des Benefizkonzertes vom Dach Galeria Kaufhofs vorgehabt hätten. Es ist nicht ersichtlich und auch von der Beklagten nicht vorgetragen, dass der Kläger und seine „Mitstreiter“ weitere ähnliche Aktionen nach dem (absehbaren) unfreiwilligen Ende ihrer Proteste vom Dach Galeria Kaufhofs verabredet hatten. Das Gericht hält es vielmehr angesichts der Umstände des Einzelfalls für glaubhaft, dass diese drei Störer nur die dann alsbald unterbundenen Aktionen vom Dach des Kaufhauses hatten starten wollten. Diese Annahme ist in der mündlichen Verhandlung durch den unwidersprochenen Vortrag des Klägers, er sei nach dem langen Aufenthalt auf dem Dach von Galeria Kaufhof (noch vor dem Beginn der Absperrungsmaßnahmen der Polizei habe er sich dorthin begeben), durchaus verstärkt worden. Indes ist dieser Vortrag für die hier maßgebliche Bewertung der Gefahrenprognose der Polizei aufgrund ihres Tatsachenwissens am 20. Juli 2011 um 20.30 Uhr unerheblich, da die Beteiligten zu Recht wohl annehmen, dass dieser Umstand den Einsatzleitern seinerzeit nicht bekannt gewesen ist. Dass der Kläger ohne die Ingewahrsamnahme höchstwahrscheinlich die Gruppe derjenigen, die gegen das Benefizkonzert der Big Band der Bundeswehr protestierten, vergrößert hätte, muss im freiheitlichen Rechtsstaat hingenommen werden. Gegen die Annahme, dass der Kläger und seine zwei „Mitstreiter“ noch weitere strafbare Aktionen geplant hatten, spricht aus Sicht des Gerichts auch, dass sie sich widerstandslos vom Dach des Kaufhauses haben abführen lassen. Die frühere Verurteilung des Klägers wegen Sachbeschädigung durch das Amtsgericht Oldenburg (Urteil vom 21. Februar 2007) legt nicht nahe, dass der Kläger am Abend des 20. Juli 2011 vor hatte, weiterhin Pyrotechnik u.a. gegen die Veranstaltung auf dem Rathausmarkt einzusetzen. Die Annahme der Beklagten, dass solche Mittel an jenem Abend an unbekannter Stelle für den Kläger vorgehalten gewesen seien, ist spekulativ und nicht durch weitere Vorfälle am 20. Juli 2011 belegt.

Es ist seitens der Beklagten nicht vorgetragen und auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass die Ingewahrsamnahme des Klägers am Abend des 20. Juli 2011 erforderlich gewesen ist, um eine Platzverweisung nach § 17 Nds. SOG durchzusetzen (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SOG). Dem Vorbringen der Beklagten entnimmt das Gericht, dass die konkrete Deckweisung des Klägers vom Dach von Galeria Kaufhof seitens der Polizei als erfolgreich abgeschlossene Maßnahme angesehen wurde.

Nach alledem war daher dem Beweisantrag der Beklagten aus der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2012 nicht stattzugeben. Den letzten Teil des Beweisantrags hat die Klägerseite nicht bestritten, und hinsichtlich des ersten Teils konnte das Gericht das Erfahrungswissen der vor Ort handelnden Polizisten über den Kläger als wahr unterstellen. Tatsachen, wonach seinerzeit die Voraussetzungen von § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG erfüllt gewesen seien, sind indes in dem Beweisantrag nicht dargetan.

Erweist sich die Ingewahrsamnahme mithin wegen anderer und weniger eingreifenden Handlungsalternativen für die Polizei als rechtswidrig, so ist der Gebührenbescheid der Beklagten vom 20. Januar 2012 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11 ZPO.

Die Berufung war im Hinblick auf § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (entscheidungserhebliche Abweichung von dem Beschluss des OVG Lüneburg vom 12. Juli 2005) zuzulassen.