Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.08.2002, Az.: 12 K 489/96
Gründe für die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.08.2002
- Aktenzeichen
- 12 K 489/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 36241
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0829.12K489.96.0A
Rechtsgrundlagen
- FGO § 72 Abs. 2 Satz 2
Fundstelle
- EFG 2003, 405
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Entsteht (nachträglich) Streit über das Vorliegen, Wirksamkeit oder Bestand der Klagerücknahme, hat das mit der Sache befasste Gericht darüber zu entscheiden und in dem dann fortzusetzenden Urteilsverfahren entweder in der Sache zu befinden oder aber auszusprechen, dass die Klage zurückgenommen worden ist.
- 2.
Die Klagerücknahme ist eine Prozesserklärung, die weder nach zivilrechtlichen Regeln wegen Irrtums angefochten noch widerrufen werden kann.
- 3.
Als gesondert gelagerte Ausnahmegründe, die eine Klagerücknahme unwirksam machen könnten, kommen nur Drohung, arglistige Täuschung, und bei rechtsunkundigen und unerfahrenen Steuerpflichtigen eine unrichtige, grob fehlerhafte Belehrung, dass der Rechtsbehelf aussichtslos sei, sowie die Begründung in Betracht, dass der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter sich im Zeitpunkt der Klagerücknahme in einem die Prozessfähigkeit ausschließenden Zustand der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit befunden hat.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klage wirksam zurückgenommen worden ist.
Der Kläger war im Streitjahr als Personal- und Strategieberater beruflich tätig. Das Finanzamt ordnete diese Tätigkeit als gewerblich ein. Mit Bescheid vom 22. Juni 1994 wurde ein einheitlicher Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von 4. 445 DM festgesetzt.
Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrt der Kläger weiterhin, seine Tätigkeit als freiberuflich im Sinne des § 18 Einkommensteuergesetz (EStG) einzuordnen.
Nachdem der Senat Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Juni 2000 anberaumt hatte, hat der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers, Steuerberater H, mit Telefax vom 7. Juli 2000 die Klage wegen Einkommensteuer 1991 und 1992 (Aktenzeichen 12 K 490/96) und Gewerbesteuermessbetrag 1991 zurückgezogen. Er hat weiterhin beantragt, den Termin am 14. Juni 2000 aufzuheben. Durch Beschluss vom 7. Juni 2000 stellte das Finanzgericht das Klageverfahren wegen Gewerbesteuermessbetrags 1991 ein, da die Klage zurückgenommen worden sei.
Mit Telefax vom 11. Juli 2000 legte der damalige Prozessbevollmächtigte, Steuerberater H, Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss in der Einkommensteuersache (12 K 490/96) ein, die er trotz Ankündigung nicht begründete. Das Finanzgericht half der Beschwerde nicht ab. In dem Beschwerdeverfahren vor dem BFH (IV B 99/00) hat der Kläger mit Schreiben vom 19. April 2001 die Beschwerde, wobei er davon ausging, dass sich diese auf beide Klageverfahren, wegen Einkommensteuer 1991/1992 und Gewerbesteuermessbetrags 1991, bezieht, begründet. In seinem Beschluss vom 29. Mai 2001 IV B 99/00 hat der BFH in der Beschwerdebegründung insoweit einen Antrag auf Fortsetzung des Klageverfahrens in der Gewerbesteuermessbescheidssache 1991 gesehen.
Der Kläger macht geltend, der ehemalige Prozessbevollmächtigte, Steuerberater H, habe kurz vor der Terminierung zur mündlichen Verhandlung die Klage ohne Rücksprache mit ihm zurückgenommen. Nachdem der Termin zur mündlichen Verhandlung für den 14.06.2000 angesetzt worden war, sei der ehemalige Prozessbevollmächtigte gesundheitlich so geschwächt gewesen, dass er zu dem damaligen Zeitpunkt bereits die Folgen seines Handelns nicht habe übersehen können. Der Kläger legte in diesem Zusammenhang eine Bescheinigung des Prof. Dr. med. G vom 09.04.2001, ein ärztliches Attest und eine Ergänzung des Attestes des Dr. med. M vom 20.12.2001 bzw. 28.05.2002 sowie einen Operationsbericht vom 30.09.2000 vor. Auf den Inhalt der ärztlichen Bescheinigungen und des Operationsberichtes (Bl. 6 der Akte des BFH IV B 99/00 , Bl. 96, 123, 124 FG-Akte) wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Klagerücknahme unwirksam gewesen ist.
Im Übrigen,
den Gewerbesteuermessbescheid 1991 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Frage der Wirksamkeit der Klagerücknahme hat das Finanzamt keine Stellung genommen.
In der Sache selbst vertritt es die Auffassung, dass die Tätigkeit des Klägers keine freiberufliche Tätigkeit darstelle.
Gründe
Die Klage ist wirksam zurück genommen worden.
1. Die Klagerücknahme führt zur rückwirkenden Beseitigung der Rechtshängigkeit der Sache und damit zur Beendigung des Verfahrens, ohne dass dazu eine Entscheidung über das geltend gemachte Recht ergeht. Der Beschluss nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO stellt diese Rechtsfolge zwar (deklaratorisch) fest, entscheidet aber nicht konstitutiv über das Vorliegen, die Wirksamkeit und den Bestand der Klagerücknahme (vgl. BFH-Entscheidung vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BStBl II 1972, 543). Entsteht (nachträglich) Streit über das Vorliegen, Wirksamkeit oder Bestand der Klagerücknahme, so hat das mit der Sache befasste Gericht darüber zu entscheiden. Es hat in dem dann fortzusetzenden Urteilsverfahren entweder in der Sache zu entscheiden oder aber auszusprechen, dass die Klage zurück genommen worden ist (vgl. BFH-Entscheidung vom 30. Januar 1980 VI B 116/79, BStBl II 1980, 300 ; vom 8. März 1990 II B 163/89, BStBl II 1990, 503 [BFH 28.03.1990 - II B 163/89]).
2. Der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Telefax vom 7. Juni 2000 die Klage wegen Gewerbesteuermessbetrags 1991 wirksam zurück genommen.
Bei der Klagerücknahme handelt es sich um eine Prozesserklärung (Prozesshandlung), an die der Erklärende grundsätzlich gebunden ist. Er kann sie nicht nach bürgerlich-rechtlichen Regeln wegen Irrtums anfechten und auch nicht widerrufen (B FH-Urteil vom 8. Juli 1969 II R 180/66 , BStBl II 1969, 733 [BFH 08.07.1969 - II R 108/66] ; Beschluss vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BStBl II 1972, 352 ; Beschluss vom 06.11.1991 II B 48/91). Nur wegen einer besonders gelagerten Ausnahmesituation, z.B. bei einer unzulässigen Einwirkung der Behörde oder des Gerichts selbst ist sie als unwirksam zu behandeln. Insbesondere kommen als Gründe, die die Klagerücknahme unwirksam machen könnten, nur Drohung, arglistige Täuschung, und bei rechtsunkundigen und unerfahrenen Steuerpflichtigen eine unrichtige, grob fehlerhafte Belehrung, dass der Rechtsbehelf aussichtslos sei und schließlich die Begründung in Betracht komme, dass der Kläger bzw. dessen Prozessbevollmächtigter sich im Zeitpunkt der Klagerücknahme in einem die Prozessfähigkeit ausschließenden Zustand der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit befunden habe (B FH-Urteil vom 19.01.1972 a.a.O.; Urteil vom 15. Februar 1977 VII R 42/74, BStBl II 1977, 435 ; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.1994 , 5 K 62/91, EFG 1994, 1107).
3. Im Streitfall hat der Kläger seine Behauptung, sein ehemaliger Prozessbevollmächtigter, Steuerberater H, sei sich seines Handelns im Zeitpunkt der Klagerücknahme nicht mehr bewusst gewesen, somit prozessunfähig gewesen, weder glaubhaft gemacht noch nachgewiesen. Die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste sowie der Operationsbericht vom 30.09.2000 sind zum Nachweis der Prozessunfähigkeit des Herrn H im Zeitpunkt der Klagerücknahme nicht geeignet. In der Bescheinigung des Prof. Dr. med. G vom 09.04.2001 fehlen Angaben zur Geistestätigkeit des Herrn H. Prof. Dr. med. G bescheinigt lediglich, dass Herr H seit Juli 1998 an einer schweren Erkrankung der Leber gelitten habe, die in der Folgezeit zahlreiche ambulante und stationäre Behandlungen erfordert und am 20.12.2000 zum Tode des Patienten geführt hätten sowie, dass die Behandlungen und die operativen Eingriffe eine nachhaltige Belastung der Gesundheit von Herrn H dargestellt hätten.
Dr. med. M hat zunächst am 20.12.2001 attestiert, Herr H sei seit November 1998 schwer erkrankt und vom 01.06.2000 so schwer erkrankt gewesen, dass er keine offiziellen Termine habe wahrnehmen können. Auch aus dieser Bescheinigung lässt sich über die Geistestätigkeit des Herrn H im Zeitpunkt der Klagerücknahme nichts entnehmen. Die ergänzenden Angaben des Dr. med. M im Schreiben vom 25.05.2002 führen zu keiner andern Beurteilung. Hierin teilt der Arzt mit, dass Herr H ab Anfang Juni 2000 auch morphiumhaltige Schmerzmedikamente habe einnehmen müssen, er während dieses Zeitraumes auf ärztliche Empfehlung keine offiziellen Termine habe wahrnehmen sollen, da die Medikamente stark bewusstseinsstörende Wirkungen haben und durch den Morphiumgehalt die Geistestätigkeit stark beeinträchtigen. In welcher Weise und in welchem Ausmaß sich die Einnahme der Medikamente bei Herrn H konkret ausgewirkt hat, hat der Arzt jedoch nicht angegeben. Es steht auch nicht fest, dass Herr Dr. med. M Herrn H am Tag der Klagerücknahme, dem 07.06.2000, überhaupt gesehen und behandelt hat. Die Aussage des Arztes, Herr H sei in der Zeit vom 05. 10.06.2000 handlungsunfähig gewesen, stellt lediglich eine Schlussfolgerung dar, die durch die vorstehenden allgemeinen Angaben nicht untermauert wird.
Der Operationsbericht datiert vom 30.09.2000 und enthält demzufolge über den Gesundheitszustand des Herrn H am Tag der Klagerücknahme keine Angaben.
Gegen die Prozessunfähigkeit des Herrn H am 07.06.2000 spricht darüber hinaus, dass dieser trotz seiner schweren Erkrankung und medikamentösen Behandlung weiterhin seiner beruflichen Tätigkeit nachging. Das am 07.06.2000 beim Niedersächsischen Finanzgericht eingegangene Telefax mit der Erklärung der Klagerücknahme lässt ebenfalls keine Rückschlüsse auf eine Störung der Geistestätigkeit des Herrn H zu.
Damit bestehen für den erkennenden Senat keine Zweifel an der Wirksamkeit der Klagerücknahme.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung .