Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.08.2002, Az.: 12 K 278/99
Häusliches Arbeitszimmer als Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines hauptberuflich angestellten Kfz-Sachverständigen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.08.2002
- Aktenzeichen
- 12 K 278/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14100
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0829.12K278.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG
- § 9 Abs. 5 EStG
Fundstelle
- EFG 2003, 609-610
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Was unter dem Tatbestandsmerkmal "häusliches Arbeitszimmer als Mittelpunkt der beruflichen Betätigung" zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Nach herrschender Meinung beinhaltet der Begriff sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien.
- 2.
Ist ein Stpfl. nicht nur zu Hause sondern auch außerhalb tätig, muss darauf abgestellt werden, wo der Schwerpunkt der betrieblichen/beruflichen Arbeit liegt, für die er das Entgelt erhält, d. h. wo die für den Beruf wesentliche Kerntätigkeit vorgenommen wird.
- 3.
Bei einem hauptberuflich angestellten Kfz-Sachverständigen stellt das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit dar, wenn der Kernbereich der Tätigkeit in der Auswertung des aufgenommenen Schadens am häuslichen PC besteht.
Tatbestand
Streitig ist im Wesentlichen die Höhe der als Werbungskosten zu berücksichtigten Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Hauptberuflich ist der Kläger seit dem 01.06.1989 nichtselbstständig als Kfz-Sachverständiger und Regulierungsbeauftragter im Außendienst tätig. Bis 1996 stellte sein damaliger Arbeitgeber (V.-Versicherungen Düsseldorf) dem Kläger die Büroräume in H. zur Verfügung. Im Rahmen einer betriebliche Umstrukturierung wurde dem Kläger zum 31.12.1995 gekündigt bei gleichzeitiger Neueinstellung in einem Beteiligungsunternehmen, der Kfz-Sachverständigen GmbH, W. Da er das Büro in H. seither nicht mehr nutzen konnte, richtete er sich einen häuslichen Arbeitsbereich ein. Für die Ausübung seiner Tätigkeit stellte ihm der neue Arbeitgeber einen PC und eine ISDN-Leitung zur Verfügung.
In der Einkommensteuererklärung 1997 machte der Kläger Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe von 7.211,32 DM als Werbungskosten aus nichtselbstständiger Arbeit geltend. Die Kosten setzen sich wie folgt zusammen:
- Telefonkosten (beruflicher Anteil): 969,58 DM
- Reinigung/Arbeitszimmer: 280,00 DM
- anteilige Hauskosten: 5.721,74 DM
- AFA (10 %) Aktenschrank: 240,00 DM.
Das beklagte Finanzamt berücksichtigte diese Aufwendungen lediglich in Höhe von 2.400 DM, weil das Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen und betrieblichen Betätigung darstelle.
Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 24.02.1999 legten die Kläger mit Schreiben vom 25.02.1999 Einspruch ein und begehrten den vollen Werbungskostenabzug der beantragten Arbeitszimmerkosten. Der Einspruch blieb jedoch ohne Erfolg.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Sie sind der Auffassung, das häusliche Arbeitszimmer des Klägers stelle sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht den Mittelpunkt seiner beruflichen und betrieblichen Betätigung dar. In qualitativer Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit eines Kfz-Sachverständigen heutzutage nicht mehr in der Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs vor Ort liege. Hierbei handele es sich um eine bloße Hilfstätigkeit, die zeitlich zudem innerhalb weniger Minuten abgearbeitet werde. Der Kläger werde in seinem häuslichen Arbeitszimmer über ein Schadenereignis informiert. Daraufhin setze er sich mit der Kfz-Werkstatt oder den geschädigten Personen zwecks Terminabsprache in Verbindung. Parallel hierzu erarbeitete er anhand ihm vorliegender Statistiken die Grundsätze für das geschilderte Schadensbild und das Schadensereignis heraus. Er versuche somit im Vorfeld, die Besonderheiten des Kfz-Typs zu eruieren. Diese Tätigkeit erfolge ausschließlich in dem häuslichen Arbeitszimmer. Daraufhin erfolge die Inaugenscheinnahme des Kfz. Diese führe der Kläger selbst aus oder lasse sie durch Kfz-Werkstätten oder durch dritte Personen ausführen, die ihm die Fotos von dem beschädigten Kfz per E-Mail an seinen Computer im häuslichen Arbeitszimmer schickten. Wenn er selbst hinausfahre und die Inaugenscheinnahme persönlich vornehme, erfolge dies nur, wenn zeitlich hiermit kein größerer Aufwand verbunden sei, und ermöglicht werde, dass er seine Arbeit im häuslichen Arbeitszimmer kurzfristig wieder aufnehmen könne. Nach Erstellung bzw. nach Erhalt der Fotos von dem havarierten Fahrzeug würden die Schadensbilder ausgewertet. Dies erfolge am heimischen Computer und unter Verwendung der im Arbeitszimmer vorhandenen Statistiken. Die anschließende Auswertung stelle die eigentlich sachverständige Tätigkeit dar. Qualitativ bilde diese den Schwerpunkt, d.h. die eigentliche Wertschöpfung erfolge in der Nachbearbeitung im häuslichen Arbeitszimmer.
Auch in quantitativer Hinsicht stellten die Vor- und Nachbearbeitung den Schwerpunkt dar. Bereits im eigenen Interesse, d.h. aus Gründen der Effektivität und Produktivität, bemühe er sich darum, dass die Inaugenscheinnahme - sofern diese von ihm selbst vorgenommen werden müsse - immer in kürzester Zeit erledigt werde. Vor Ort könne eine Auswertung nicht erfolgen. Hinsichtlich der zeitlichen Verteilung der Arbeitszeit im und außerhalb des Arbeitszimmers sei davon auszugehen, dass ca. 42 % auf Außendienst und Besichtigungstätigkeiten sowie ca. 58 % auf Bürotätigkeiten entfielen. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger Einzelauswertungen für die Monate Jan. bis Dez. 1997 und eine kumulierte Auswertung für das Jahr 1997 vorgelegt, auf die im Einzelnen verwiesen wird. Würde man die Fahrzeiten, die nicht charakteristisch für die Tätigkeit eines Kfz-Sachverständigen seien, noch herausrechnen, so betrüge die reine Arbeitszeit für die Besichtigungen lediglich 22 %.
Die Kläger beantragen,
Werbungskosten in Höhe von 7.211,32 DM für das häusliche Arbeitszimmer anzuerkennen und die Einkommensteuer für 1997 entsprechend herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
unter Berücksichtigung von Telefonkosten von 480,00 DM und Abschreibungen auf einen Arbeitszimmerschrank von 240,00 DM als Werbungskosten die Klage im Übrigen abzuweisen.
Er ist der Auffassung, das häusliche Arbeitszimmer stelle schon aufgrund der umfangreichen Außendiensttätigkeit nicht den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit dar. Insbesondere bei bestimmten Schadenshöhen seien Inaugenscheinnahmen der Sachverständigen vor Ort erforderlich. Außerdem würden in nicht geringer Zahl Nachbesichtigungen und Ermittlungen durchgeführt. Dem gegenüber seien 1997 lediglich 29 Schadensfeststellungen nach Aktenlage erfolgt. Die Tätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer umfasse dagegen die verwaltungstechnische Vor- und Nachbereitung. Der exakte zeitliche Anteil sei vorliegend nicht entscheidungsrelevant, da es als ausreichend angesehen werde, dass die Auswärtstätigkeit qualitativ entscheidend die Berufstätigkeit präge und zudem der zeitliche Umfang nicht von untergeordneter Bedeutung sei.
Gründe
Die Klage ist überwiegend begründet.
1.
Die geltend gemachten Telefonkosten (969,58 DM) sind nur in Höhe des beruflich veranlassten Teils von 480,00 DM nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit abzugsfähig. Auf diesen abzugsfähigen Betrag haben sich die Beteiligten auf Vorschlag des Gerichts in der mündlichen Verhandlung verständigt. Hinsichtlich der darüber hinaus geltend gemachten Telefonkosten konnte die Klage deshalb keinen Erfolg haben.
2.
Im Übrigen hat die Klage Erfolg.
a.
Die Abschreibung des im häuslichen Arbeitszimmer befindlichen Schrankes in Höhe von 240,00 DM ist in voller Höhe nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 7 EStG abzugsfähig, denn es handelt sich um Aufwendungen für beruflich genutzte Arbeitsmittel und nicht um Kosten für das häusliche Arbeitszimmer.
b.
Auch die geltend gemachten Kosten für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe von 6.001,74 DM sind ohne Abzugsbeschränkung bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzugfähig.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Unter diese Begriffsbestimmung fallen auch die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer. Allerdings dürfen diese Aufwendungen nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nur dann mindern, wenn die berufliche oder betriebliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder hierfür kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2.400,00 DM begrenzt. Diese Begrenzung gilt jedoch dann nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen oder beruflichen Betätigung bildet (§ 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 3 2. Halbsatz EStG).
Hiernach ist das Arbeitszimmer des Klägers dem Grunde nach steuerlich zu berücksichtigen, weil ihm für seine Tätigkeit ein Arbeitsplatz beim Arbeitgeber nicht zur Verfügung gestanden hat. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist der Abzug jedoch nicht auf 2.400,00 DM begrenzt, denn das häusliche Arbeitszimmer war im Streitjahr Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers.
Was unter dem Tatbestandsmerkmal "Mittelpunkt der beruflichen Betätigung" zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum, der sich die Finanzgerichte angeschlossen haben, beinhaltet der Begriff sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien (vgl. u.a. FG Hamburg, Urteil vom 23. November 1999 II 397/99, EFG 2000, 357, dagegen Revision beim BFH anhängig unter dem Aktenzeichen VI R 126/00; FG Köln, Urteil vom 11. November 1998 10 K 3377/98, EFG 1999, 223; FG München, Urteile vom 8. November 2000 I K 1066/98, EFG 2001, 268, dagegen Revision beim BFH anhängig unter dem Aktenzeichen VI R 185/00 und vom 8. November 2000 I K 3219/99, EFG 2001, 264, dagegen Revision beim BFH anhängig unter dem Aktenzeichen XI R 89/00; FG Köln, Urteil vom 18. Dezember 2000 3 K 1309/99, EFG 2001, 488, Revision eingelegt beim BFH unter dem Aktenzeichen VI R 34/01; Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 25. Juli 2001 III 250/2000, EFG 2002, 314, Revision eingelegt beim BFH unter dem Aktenzeichen X R 52/02; Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum EStG, § 4 Rdnr. Lb 187; Schmidt/Heinicke, Kommentar zum EStG, 21. Aufl. 2002, Rdz. 594; Wacker in Blümich, Kommentar zum EStG und andere, § 4 Rdz. 285 n).
Der Senat schließt sich dieser differenzierenden Auffassung an. Ist ein Steuerpflichtiger nicht nur zu Hause, sondern auch außerhalb tätig, ist darauf abzustellen, wo der Schwerpunkt der betrieblichen/beruflichen Arbeit, für die der Kläger das Entgelt erhält, liegt, d.h. wo die für den Beruf wesentliche Kerntätigkeit tatsächlich vorgenommen wird (vgl. auch FG München, Urteil vom 13. Dezember 2000 I K 4898/99, EFG 2001, 487, dagegen Revision beim BFH anhängig unter dem Aktenzeichen VI R 21/01). Ob ein Büroraum der Abzugsbeschränkung für häusliche Arbeitszimmer unterliegt, lässt sich demnach nicht generell, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles beurteilen; entscheidend ist das Gesamtbild der beruflichen Betätigung in Bezug auf das Arbeitszimmer.
Im Streitfall stellt das häusliche Arbeitszimmer des Klägers den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Tätigkeit dar.
Der Senat ist aufgrund der ausführlichen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass die Auswertung der Schadensbilder am häuslichen PC den Kernbereich der sachverständigen Tätigkeit des Klägers darstellt. Anhand dreier, in der mündlichen Verhandlung vorgelegter beispielhafter Sachverständigengutachten konnte der Kläger das Gericht davon überzeugen, dass vom Umfang und von der inhaltlichen Bearbeitung her die Erstellung des Gutachtens die eigentliche und entscheidende Kerntätigkeit darstellt, für die er auch letztlich von den Auftraggebern bezahlt wird. Der Senat hat die Überzeugung gewonnen, dass die Schadensbegutachtung nicht nur in der Eingabe und anschließenden EDV-unterstützten Bearbeitung der bei Schadensaufnahme gewonnenen Daten besteht. Vielmehr hat der Kläger bei der Vielzahl in- und ausländischer Fahrzeugtypen unter Umständen erheblichen Rechercheaufwand, um die Kosten der schadhaften Teile zu ermitteln. Zusammen mit der anschließenden Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse bilden diese Arbeiten den qualitativ bedeutsamsten Teil der sachverständigen Tätigkeit.
Die reine Schadensaufnahme ist dagegen lediglich eine notwendige, die Schadensbegutachtung vorbereitende Begleittätigkeit. Diese Begleittätigkeit kann aber - wie der Kläger glaubhaft dargelegt hat - auch von Kfz-Werkstätten oder anderen Dritten Personen erledigt werden und tritt daher im Rahmen der Gesamtwürdigung in der Hintergrund.
Die Arbeitszeit im häuslichen Arbeitzimmer nimmt auch in zeitlicher Hinsicht den weitaus größten Teil der Gesamtarbeitszeit ein. Aus den vorgelegten Unterlagen ist zwar ersichtlich, dass der Kläger teilweise mehrere Außendiensttermine pro Tag wahrgenommen hat. Gleichwohl erachtet das Gericht hinsichtlich der quantitativen Schwerpunktbetrachtung als ausreichend, dass der Kläger insgesamt den überwiegenden Teil seiner Arbeitzeit im häuslichen Arbeitszimmer tätig ist. Im Übrigen kommt nach Auffassung des Senats dem zeitlichen Aspekt im Rahmen der Gesamtwürdigung eine geringere Bedeutung zu.
Die Einkommensteuer 1997 ist danach wie folgt festzusetzen:
Zu versteuerndes Einkommen (zvE) bisher: | 71.648,00 DM |
---|---|
Abzgl. weiterer Werbungskosten in Höhe von | 4.322,00 DM (7.211,00 DM ./. 2.400,00 DM ./. 489,00 DM). |
ZvE (neu): | 67.326,00 DM |
Einkommensteuer lt. Splittingtabelle: | 11.996,00 DM |
Abzgl. Kindermäßigung nach § 34 f EStG: | 1.000,00 DM |
Festzusetzende Einkommensteuer (neu): | 10.996,00 DM. |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).