Landgericht Aurich
Urt. v. 21.11.2008, Az.: 1 S 140/08 (138)
Rückabwicklung des Kaufs eines PKW-Innenspiegels mit Radarwarnfunktion im Fall einer vorherigen Belehrung über die Sittenwidrigkeit des Vertrages und über das Verbot von Radarwarngeräten; Anwendbarkeit von verbraucherschützenden Vorschriften bei sittenwidrigen Verträgen über § 242 BGB
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 21.11.2008
- Aktenzeichen
- 1 S 140/08 (138)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 36401
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGAURIC:2008:1121.1S140.08.138.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Leer - 28.04.2008 - AZ. 71 C 130/08 (I)
- nachfolgend
- BGH - 25.11.2009 - AZ: VIII ZR 318/08
Rechtsgrundlagen
- § 13 BGB
- § 138 BGB
- § 242 BGB
- §§ 312b ff. BGB
- § 312d BGB
- § 812 BGB
- § 817 S. 2 BGB
- § 23 Abs. 1b StVO
- § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO
- § 24 StVG
- § 25 StVG
Redaktioneller Leitsatz
Gegenüber der Rückforderung des Kaufpreises aus einem als sittenwidrig zu beurteilendem Kaufvertrag über ein Radarwarngerät kann sich der Verkäufer nicht auf § 817 S. 2 BGB berufen, wenn der geschlossene Kaufvertrag ohne seine Nichtigkeit den verbraucherschützenden Regelungen zum Fernabsatzvertrag gemäß § 312b ff. BGB unterfiele. Insofern stellt eine solche Berufung auf die Nichtigkeit des Vertrages eine unzulässige Rechtsausübung gemäß § 242 BGB dar.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich
auf die mündliche Verhandlung vom 07.11.2008
durch
den Präsidenten des Landgerichts B.,
die Richterin Dr. S. und
den Richter am Landgericht H.
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Leer vom 28.04.2008 abgeändert:
- a)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.138,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.02.2008 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW-Panoramaspiegels, Typ "ER 360 total Safety Protected".
- b)
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.05.2007 mit der Rücknahme des PKW-Panoramaspiegels, Typ "ER 360 total Safety Protected", in Annahmeverzug befindet.
- c)
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
- 2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000,00 EUR abzuwenden, es sei denn, die Klägerin leistet zuvor Sicherheit in gleicher Höhe.
- 4.
Die Revision wird zugelassen.
- 5.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird festgesetzt auf bis 1.200,00 EUR.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Rückabwicklung eines Kaufs eines PKW-Innenspiegels mit Radarwarnfunktion.
Nach einem telefonischen Werbegespräch vom 01.05.2007 bestellte die Klägerin mit Fax-Bestellschein vom 02.05.2007 bei der Beklagten per Fax den PKW-Innenspiegel mit Radarwarnfunktion " ER 360 total Safety Protected " zu einem Preis von netto 949,00 EUR. Auf dem von der Klägerin unterzeichneten Bestellschein heißt es:
" Hiermit bestelle ich den neuen ER 360 total Safety Protected mit 4 Wochen Umtauschrecht, 5 Jahren Garantie und Update-Service auf Grundlage Ihrer mir bekannten Liefer- und Geschäftsbedingungen. Ich wurde darüber belehrt, dass die Geräte verboten sind und die Gerichte den Kauf von Radarwarngeräten zudem als sittenwidrig betrachten. ... . Ich bin selbständig und kaufe das Gerät für die gewerbliche Nutzung in meinem Betrieb."
Die Lieferung des Geräts erfolgte am 09.05.2007 per Nachnahme, wobei die Klägerin inklusive der Versandkosten 1.159,06 EUR zahlte. Am 19.05.2007 sandte die Klägerin das Gerät an die Beklagte zurück und bat um Erstattung des Kaufpreises. Die Beklagte verweigerte die Annahme. Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.06.2007 forderte die Klägerin die Beklagte ohne Erfolg auf, den Kaufpreis zu erstatten Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Spiegels.
Die Beklagte lehnte eine Rückabwicklung mit Schreiben vom 03.07.2007 unter Hinweis auf die Sittenwidrigkeit des Vertrages ab.
Die Beklagte machte erstinstanzlich geltend, dass der Klägerin, die als Versicherungsmaklerin tätig sei, gemäß den Allgemeinen Geschäftsbedingungen lediglich ein "4-Wochen-Umtauschrecht" zustehe. Die Beklagte behauptet, die Klägerin sei Versicherungsmaklerin, zumindest habe sie sich in dem Vertragsanbahnungsgespräch als Versicherungsmaklerin ausgegeben.
Die Zustellung der Klageschrift vom 22.01.2008 ist am 25.02.2008 erfolgt.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kaufvertrag sei wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Auf den Umstand, ob die Klägerin tatsächlich Versicherungsmaklerin sei, komme es deshalb nicht an. Da beiden Parteien gleichermaßen ein Verstoß gegen die guten Sitten zur Last falle, stehe einer Rückforderung gemäß § 812 BGB der § 817 S. 2 BGB entgegen. § 242 BGB stehe dem nicht entgegen, da die Klägerin mit dem Erwerb des Gerätes bezwecke, zukünftig gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen zu verstoßen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie sieht die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit des Vertrages nicht als gegeben an, da die Klägerin nicht bezweckt habe, das Gerät selbst im Straßenverkehr einzusetzen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Leer vom 28.04.2008, zugestellt am 13.05.2008, Geschäfts-Nummer 071 C 130/08 (I),
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.138,01 EUR zzgl. 5% Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB hieraus, Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw-Panoramaspiegels, Typ Car Mirror Handsfree Bluetooth, zu zahlen,
- 2.
festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 19.05.2007 in Annahmeverzug befindet,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 155,30 EUR außergerichtliche, nicht anrechenbare Rechtsanwaltsgebühren nebst 5% Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB hieraus, seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Kammer hat Beweis erhoben zur Frage der Unternehmereigenschaft der Klägerin durch Anhörung der Klägerin und Vernehmung des Zeugen S.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und weitgehend begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 1.129,01 EUR aus§ 812 BGB.
Zu Recht hat das Amtsgericht angenommen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag gemäß § 138 BGB nichtig ist, weil er gegen die guten Sitten verstößt. Verträge über den Kauf von Radarwarngeräten sind stets als sittenwidrig zu beurteilen, wenn - wie vorliegend - der Vertragszweck erkennbar auf eine Verwendung des Radarwarngerätes im Geltungsbereich der deutschenStraßenverkehrsordnung gerichtet ist (vgl. BGH-Urteil vom 23.02.2005 - NJW 2005, 1490). Davon ist vorliegend auszugehen, da das Gerät für den Betrieb im Geltungsbereich der deutschen Straßenverkehrsordnung objektiv geeignet ist und ein davon abweichender Zweck - ausweislich des Bestellformulars - der Verkäuferin gegenüber nicht kenntlich gemacht wurde. Auf den "geheimen Vorbehalt" der Klägerin, das Gerät ausschließlich erworben zu haben, um es an im Ausland wohnende Freunde zu verschenken, kommt es nicht an, da diese Motivation in dem Vertragsgespräch nicht angeklungen ist. Im Übrigen fehlt es diesbezüglich an einem geeigneten Beweisantritt. Der Verstoß gegen die guten Sitten liegt darin, dass der Erwerb des Gerätes aus dem Verständnis beider Parteien eine unmittelbare Vorbereitungshandlung für die Begehung ordnungswidrigen Verhaltens im Straßenverkehr ist. Denn gemäß § 23 Abs. 1b StVO ist es dem Führer eines Kraftfahrzeuges untersagt, ein technisches Gerät zu betreiben oder betriebsbereit mitzuführen, das dazu bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören. Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen diese Norm verstößt, §§ 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO, 24, 25 StVG.
Die Kammer folgt jedoch nicht der Annahme des Amtsgerichts, aufgrund des beiderseitigen Verstoßes gegen die guten Sitten stehe einer Rückforderung des Kaufpreises der § 817 S. 2 BGB entgegen. § 817 S. 2 BGB schließt die Rückforderung einer Leistung grundsätzlich aus, wenn ein bewusster oder leichtfertiger Sittenverstoß des Anspruchstellers feststellbar ist. Diese Voraussetzungen des § 817 S. 2 BGB liegen dem Grunde nach vor, da der Klägerin die Radarwarnfunktion des Spiegels bekannt war und die Beklagte selbst in ihrem Bestellscheinformular auf die Sittenwidrigkeit entsprechender Verträge hinweist.
Der Beklagten ist es jedoch gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf § 817 S. 2 BGB zu berufen. Der das gesamte Recht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben gilt auch im Rahmen nichtiger Rechtsgeschäfte (BGH-Urteil vom 24.04.2008 - VII ZR 42/07 - BeckRS 2008 10400). Deshalb kann die Berufung auf die Nichtigkeit eines Vertrages in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Der Verbraucherschutz rechtfertigt einen solchen Ausnahmefall. Die Sittenwidrigkeit des Vertragszwecks kann vorliegend nicht zugunsten des Unternehmers gesetzliche Regelungen ausschließen, die eine verbraucherschützende Intention haben. Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag unterfiele nämlich den verbraucherschützenden Regelungen zum Fernabsatzvertrag gemäß § 312b ff. BGB, wenn nicht der Kaufvertrag wegen der Sittenwidrigkeit des Vertragszwecks nichtig wäre. Fernabsatzverträge sind Verträge über die Lieferung von Waren, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden. Das ist vorliegend der Fall. Die Beklagte hat fernmündlich Kontakt zur Klägerin aufgenommen und anschließend ein Bestellformular an die Klägerin per Fax übermittelt. Die Klägerin hat per Fax den ausgefüllten Bestellschein am darauffolgenden Tag an die Beklagte übersandt. Die Beklagte hat durch Übersendung der Ware das im Bestellformular liegende Kaufangebot angenommen. Die Klägerin ist auch entgegen der Behauptung der Beklagten keine Unternehmerin. Der entgegenstehenden Darlegung der Klägerin ist die Beklagte nicht unter Beweisantritt entgegen getreten. Die Klägerin muss sich auch nicht wie eine Unternehmerin behandeln lassen. Zwar entfällt der Schutz des § 13 BGB, wenn sich der Verbraucher wahrheitswidrig als Unternehmer geriert (vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Auflage, § 13 Rn. 4). Die Beklagte hat jedoch nicht den Nachweis führen können, dass sich die Klägerin in dem Telefonat mit dem Mitarbeiter der Beklagten, dem Zeugen S., am 01.05.2007 als Versicherungsmaklerin ausgegeben hat. Die Kammer hat zu dieser Frage Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen S. sowie durch persönliche Anhörung der Klägerin. Die Kammer ist auf der Grundlage der Aussagen der beiden vernommenen Personen nicht zu der Überzeugung gelangt, dass - wie es der Zeuge S. widerspruchsfrei und ausführlich zu bekunden vermochte - die Klägerin zu ihrem Beruf befragt sich als Versicherungsmaklerin ausgegeben hat. Die Klägerin bestreitet eine solche Angabe. Sie sei am Telefon auch nicht nach ihrer Tätigkeit befragt worden. Der Kammer war es nicht möglich, den Widerspruch der Aussagen aufzulösen, so dass die verbleibende Unsicherheit zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten geht.
Die Nichtanwendung der §§ 312b ff. BGB würde eine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers bedeuten, wenn diesem im Rahmen der Geltendmachung seines gesetzlichen Widerrufs- und Rückgaberechts gemäß § 312d BGB die Sittenwidrigkeit des zugrunde liegenden Vertrages entgegengehalten werden könnte. Eine solche Benachteiligung des Verbrauchers widerspräche dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen zu den Fernabsatzverträgen, wie er aus der europarechtlichen Fernabsatzrichtlinie abzuleiten ist. Fernabsatzverträge sind für den Verbraucher gefahrenträchtig. Der Verbraucher ist in besonderer Weise schutzbedürftig, da er weder die Person des Vertragspartners noch das konkret ausgewählte Produkt sehen kann. Demzufolge hat der Gesetzgeber dem Verbraucher ein fristgebundenes besonderes Widerrufs- und Rückgaberecht zugebilligt. Dieser Schutzgedanke besteht unabhängig vom konkreten Inhalt des Geschäftes und hat auch dem Verbraucher zu Gute zu kommen, der in der Situation des Fernabsatzes einen Vertrag schließt, dessen Inhalt mit den guten Sitten unvereinbar ist. Ein Verbraucher muss auch dann die Möglichkeit haben, sich von dem Vertrag zu lösen. Diesen Schutz nicht zu gewähren würde bedeuten, den redlichen Verkäufer schlechter zu stellen als den unredlichen, der aufgrund der Sittenwidrigkeit des Vertrages nicht zur Rücknahme der veräußerten Ware verpflichtet wäre. Diesen Wertungswiderspruch gilt es aufzulösen. Dies ist allein dadurch möglich, dass dem Verbraucher, welcher an einem sittenwidrigen Vertragsschluss beteiligt ist, sich über § 242 BGB auf verbraucherschützende gesetzliche Regelungen berufen kann.
Die Beklagte kann die Klägerin nicht auf das auf dem Bestellschein enthaltene einschränkende Umtauschrecht verweisen, da gemäß § 312f BGB von den gesetzlichen Regelungen der §§ 312b ff. BGB abweichende Regelungen unwirksam sind.
Der weitergehende von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von 8,70 EUR ist gemäß § 357 Abs. 2 S. 2 BGB begründet.
Die Entscheidung über den Zinsausspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da weder dargelegt ist, worauf sich diese Forderung gründet und sie wie sich zusammensetzt, noch ersichtlich ist, ob die Forderung fällig und von der Klägerin beglichen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, da die Kammer in dem vorliegenden Fall des Erwerbs eines Radarwarngerätes abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH NJW 2005, 1490), in welcher die Regelungen zum Fernabsatzvertrag keine Rolle spielten, das Rückabwicklungsbegehren des Käufers für begründet erachtet.