Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.05.2017, Az.: 14 PS 1/17

Akteneinsicht; Geheimhaltung; dem Wesen nach; in-camera-Verfahren; Informantenschutz; Recht auf informationelle Selbstbestimmung; Sozialpsychiatrischer Dienst

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.05.2017
Aktenzeichen
14 PS 1/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53867
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Personenbezogene Daten Dritter, die gegenüber dem Sozialpsychiatrischen Dienst Auskünfte erteilt oder in anderer Weise an der Erfüllung der Aufgaben nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke mitgewirkt haben, sind wesensmäßig geheimhaltungsbedürftig im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO.

Tenor:

Die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 23. Dezember 2016 in der Fassung vom 16. Januar 2017 ist rechtmäßig.

Gründe

I.

In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Klageverfahren begehrt der Kläger noch, vollständige Einsicht in Akten des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Beklagten zu erhalten.

Der Kläger erhob am 22. November 2013 bei dem Verwaltungsgericht Hannover Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, aus der beim Sozialpsychiatrischen Dienst der Beklagten über ihn geführten Akte verschiedene Schriftstücke zu entfernen. Der Vorsitzende der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover forderte die Beklagte mit Verfügung vom 22. November 2013 auf, die bei ihr geführten Verwaltungsvorgänge vollständig im Original vorzulegen.

Auf diese Aufforderung übersandte die Beklagte unter dem 28. März 2014 die bei ihrem Sozialpsychiatrischen Dienst über den Kläger geführte und durchgehend paginierte Patientenakte, wie sie diesem vorgerichtlich zur Akteneinsicht überlassen worden war. Sie wies darauf hin, dass Teile der Patientenakte gegenüber dem Kläger geheim gehalten worden seien, weil berechtigte Interessen Dritter im Sinne des § 16 Abs. 4 Nr. 3 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes und therapeutische Gründe im Sinne des § 36 Satz 2 des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke einer Offenlegung entgegenstünden. Diese geheim gehaltenen Aktenteile würden auch dem Verwaltungsgericht nicht übersandt werden.

Hierauf erweiterte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. April 2014 seine Klage um den Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm Einsicht auch in die vorenthaltenen Teile der Akte zu gewähren und ihm gegenüber die Vollständigkeit der zu gewährenden Akteneinsicht eidesstattlich zu versichern.

Auf die wiederholte Aufforderung des Verwaltungsgerichts an die Beklagte, eine Sperrerklärung der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde beizubringen, reagierte das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung mit einem Schreiben vom 3. Dezember 2014, in dem es rechtliche Bedenken gegen die Vorlage der zurückgehaltenen Aktenteile äußerte und sich den Ausführungen der Beklagten anschloss. Den hierauf vom Kläger gestellten Antrag, im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO festzustellen, dass die Weigerung der Beklagten, ihm vollständige Einsicht in die über ihn geführten Unterlagen zu gewähren, rechtswidrig ist, lehnte der Fachsenat mit Beschluss vom 25. September 2015 - 14 PS 4/15 - als unzulässig ab. Zur Begründung wies der Fachsenat auf die fehlende förmliche Verlautbarung des Verwaltungsgerichts, dass es die zurückgehaltenen Aktenteile für die Entscheidung des Rechtsstreits benötigt, hin. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2016 - BVerwG 20 F 11.15 - zurück.

Mit Verfügung vom 26. Oktober 2016 forderte die Berichterstatterin der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts die Beklagte erneut auf, die bei ihr geführten Verwaltungsvorgänge vollständig im Original vorzulegen.

Hierauf hat der Beigeladene mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2016 erklärt, dass die Vorlage der vollständigen bei der Beklagten geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erfolgen dürfe (Sperrerklärung). In dem sechsseitigen Ausdruck der elektronisch geführten Dokumentation des Sozialpsychiatrischen Dienstes seien "die Namen der Kontakt aufnehmenden bzw. kontaktierten Personen" und die "Vermerke über den Inhalt der Gespräche in der Spalte 'Bemerkung'…, soweit der festgehaltene Inhalt des Gesprächs Rückschlüsse auf die Person des oder der Hinweisgebenden zulässt und damit deren Identifikation ermöglicht" geschwärzt. Diese teilweisen Schwärzungen seien zum Schutz des privaten Interesses von hinweisgebenden Personen an der Geheimhaltung ihrer Identität und der Gesprächsinhalte sowie des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes erforderlich. Demgegenüber müsse das private Interesse des Klägers an Akteneinsicht zurücktreten. Eine andere Ermessensbetätigung sei auch mit Blick auf die vom Kläger infrage gestellte Richtigkeit der von Dritten gegebenen Hinweise nicht geboten. Der Informantenschutz sei grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Information. Es lägen zudem keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Angaben falsch gewesen seien oder die Informanten wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hätten. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2017 hat der Beigeladene die Sperrerklärung geringfügig redaktionell korrigiert.

Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2017 hat der Kläger beantragt, im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO die Rechtswidrigkeit dieser Sperrerklärung festzustellen.

Mit Beschlüssen vom 15. Februar 2017 hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - das Verfahren auf Gewährung vollständiger Akteneinsicht abgetrennt und gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO dem Fachsenat zur Entscheidung über die Frage vorgelegt, "ob die Vorlage des mit teilweisen Schwärzungen  versehenen 6-seitigen Datenblatts 'Bemerkungen zum Klienten: A., geb.: B. aus der über den Kläger geführten Akte des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Beklagten rechtmäßig ist".

Die weitergehende Klage auf Entfernung verschiedener Schriftstücke aus der beim Sozialpsychiatrischen Dienst über den Kläger geführten Akte hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - mit Urteil vom 15. Februar 2017 - 10 A 7731/13 - abgewiesen. Hiergegen richtet sich ein Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung - 11 LA 99/17 -, über den bisher nicht entschieden ist.

Im Zwischenverfahren hat der Beklagte am 28. März 2017 den sechsseitigen Ausdruck der elektronisch geführten Dokumentation des Sozialpsychiatrischen Dienstes (Beiakte 2 im Zwischenverfahren 14 PS 1/17) dem Fachsenat ungeschwärzt vorgelegt.

II.

Der Antrag des Klägers ist zulässig (1.), bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Die

Sperrerklärung des Beigeladenen vom 23. Dezember 2016 in der Fassung vom 16. Januar 2017 ist rechtmäßig (2.).

1. Der Antrag des Klägers auf Entscheidung des nach § 189 VwGO zuständigen Fachsenats im selbstständigen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ist zulässig.

Der Antrag setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich eine förmliche Verlautbarung des Gerichts der Hauptsache voraus, dass es die von der obersten Aufsichtsbehörde zurückgehaltenen Akten, Unterlagen oder Dokumente für die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts benötigt. Das Gericht der Hauptsache muss dabei durch Angabe des Beweisthemas deutlich machen, dass es die Unterlagen oder Dokumente als erheblich ansieht. Je nach Fallkonstellation darf sich das Hauptsachegericht dabei nicht allein auf die Angabe des Beweisthemas und der als entscheidungserheblich erachteten Aktenteile (Beweismittel) beschränken, sondern muss in den Gründen des Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall - sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiellrechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs sowie der fachgesetzlichen Ablehnungsgründe - Stellung nehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.1.2014 - BVerwG 20 F 1.13 -, juris Rn. 13 f.; Beschl. v. 2.11.2010 - BVerwG 20 F 2.10 -, NVwZ 2011, 233 f. jeweils mit weiteren Nachweisen).

Eine diesen Anforderungen genügende förmliche Verlautbarung zur rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits hat das Verwaltungsgericht nunmehr getroffen und auch die vom Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 9. Februar 2016 - BVerwG 20 F 11.15 - eingeforderte Klärung vorgenommen, dass einem Akteneinsichtsanspruch keine Ausschlusstatbestände entgegenstehen, auf Grund derer sich die Kenntnis des Akteninhalts erübrigt.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass dem Kläger zum einen unmittelbar aus Verfassungsrecht ein Anspruch auf Einsicht in seine vollständigen Krankenunterlagen zustehe, der auch die streitgegenständlichen Akten des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Beklagten umfasse. Dieser verfassungsrechtliche Anspruch gelte nicht uneingeschränkt. Das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht und damit verbundene Informationsinteresse des Betroffenen müsse vielmehr mit den widerstreitenden Interessen, etwa an einer ungehinderten Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen oder einer Geheimhaltung personenbezogener Daten Dritter abgewogen werden. Diese Abwägung setze die Feststellung voraus, dass das Informationsinteresse des Betroffenen etwa widerstreitende Interessen Dritter tatsächlich beeinträchtige. Diese Feststellung könne das Verwaltungsgericht erst nach Offenlegung der geschwärzten Passagen treffen.

Zum anderen komme ein Anspruch des Klägers auf Akteneinsicht nach § 32 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke - NPsychKG - vom 16. Juni 1997 (Nds. GVBl. S. 272), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juni 2010 (Nds. GVBl. S. 249), in Verbindung mit § 16 Abs. 1 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes - NDSG - in der Fassung vom 29. Januar 2002 (Nds. GVBl. S. 22), zuletzt geändert durch Gesetz 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 589), und § 36 Satz 2 NPsychKG in Betracht. Ob dieser Anspruch nach § 32 Abs. 1 NPsychKG in Verbindung mit § 16 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 NDSG oder unmittelbar nach § 36 Satz 2 Halbsatz 2 NPsychKG ausgeschlossen sei und, wenn der Anspruch bestehe, ob eine Erfüllung allein durch mündliche Auskunft ohne Vorlage der Unterlagen ausreichend sei, könne das Verwaltungsgericht erst nach Offenlegung der geschwärzten Passagen beurteilen. Der (mögliche) Inhalt der geschwärzten Passagen sei unmittelbar mit den Versagungstatbeständen des § 32 Abs. 1 NPsychKG in Verbindung mit § 16 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 Alt. 2 NDSG oder des § 36 Satz 2 Halbsatz 2 NPsychKG verknüpft. Geheimhaltungsvorschriften im Sinne des § 32 Abs. 1 NPsychKG in Verbindung mit § 16 Abs. 4 Nr. 3 Alt. 1 NDSG seien nicht ersichtlich.

An diese nachvollziehbare Begründung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist der Fachsenat gebunden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.7.2009 - BVerwG 20 F 4.09 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54). Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist oder wenn das Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.3.2013 - BVerwG 20 F 8.12 -, juris Rn. 11 mit weiteren Nachweisen).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten im Zwischenverfahren bestehen für den Senat keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass die vom Verwaltungsgericht geäußerte Rechtsauffassung offensichtlich fehlerhaft ist.

Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar herausgearbeitet, dass die Beurteilung des verfassungsunmittelbaren Anspruchs auf vollständige Akteneinsicht eine Berücksichtigung auch der von der Beklagten geltend gemachten widerstreitenden Interessen erfordert, etwa an einer ungehinderten Aufgabenerfüllung ihres Sozialpsychiatrischen Dienstes oder an einer Geheimhaltung personenbezogener Daten Dritter. Dies setzt notwendigerweise voraus, dass sich das Verwaltungsgericht vom tatsächlichen Vorliegen dieser Interessen selbst überzeugt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.2006 - 2 BvR 443/02 -, NJW 2006, 1116, 1117 f.). Diese Überzeugung kann, jedenfalls mit Blick auf ein geltend gemachtes Interesse an einer Geheimhaltung personenbezogener Daten Dritter nur anhand der bisher geschwärzten "Namen der Kontakt aufnehmenden bzw. kontaktierten Personen" und der "Vermerke über den Inhalt der Gespräche in der Spalte 'Bemerkung'…, soweit der festgehaltene Inhalt des Gesprächs Rückschlüsse auf die Person des oder der Hinweisgebenden zulässt und damit deren Identifikation ermöglicht", erfolgen.

Gleiches gilt mit Blick auf die von der Beklagten geltend gemachten Gründe für eine Beschränkung oder einen vollständigen Ausschluss des Anspruchs nach § 32 Abs. 1 NPsychKG in Verbindung mit § 16 NDSG und § 36 NPsychKG (vgl. zum Inhalt letztgenannter Bestimmung: Schriftlicher Bericht zum Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen (NPsychKG), LT-Drs. 13/3769, S. 36 f.). Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass für die Beurteilung, ob bei einer vollständigen Akteneinsicht "Schutzmaßnahmen wesentlich gefährdet oder Hilfen wesentlich erschwert werden" im Sinne des § 36 Satz 2 Halbsatz 2 NPsychKG, einer ärztlichen Einschätzung eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.9.1998 - 1 BvR 1130/98 -, NJW 1999, 1777). Das Verwaltungsgericht ist aber auch insoweit gehalten, die ärztliche Einschätzung zu überprüfen, die erforderliche Überzeugung vom Vorliegen der in § 36 Satz 2 Halbsatz 2 NPsychKG genannten Voraussetzungen selbst zu bilden und unter Berücksichtigung aller weiteren konkreten Umstände die erforderliche Einzelfallabwägung vorzunehmen. Dies kann auch die Kenntnis der bisher geschwärzten "Namen der Kontakt aufnehmenden bzw. kontaktierten Personen" und der "Vermerke über den Inhalt der Gespräche in der Spalte 'Bemerkung'…, soweit der festgehaltene Inhalt des Gesprächs Rückschlüsse auf die Person des oder der Hinweisgebenden zulässt und damit deren Identifikation ermöglicht", erfordern. Diese Kenntnis ist schließlich zwingend auch erforderlich, soweit sich die Beklagte auf den Versagungsgrund nach § 32 Abs. 1 NPsychKG in Verbindung mit § 16 Abs. 4 Nr. 3 Alt. 2 NDSG beruft. Denn ob personenbezogene Daten wegen der berechtigten Interessen der betroffenen Person geheim zu halten sind, ist regelmäßig nur in Kenntnis der betroffenen Person festzustellen.

Der Zulässigkeit des Antrages nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht auch die Rechtskraft der vorausgegangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Februar 2016 - BVerwG 20 F 11.15 - und des Fachsenats vom 25. September 2015 - 14 PS 4/15 - nicht entgegen.

Die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Verweigerung der Vorlage von Urkunden oder Akten, der Übermittlung von elektronischen Dokumenten oder der Erteilung von Auskünften im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO feststellende Beschlüsse sind zwar auch der materiellen Rechtskraft fähig (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.1.1968 - BVerwG VII B 75.67 -, BVerwGE 29, 72, 73; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 121 (Stand: Januar 2012) Rn. 15, und § 99 (Stand: September 2007) Rn. 48). Sie sind im weiteren Verfahren zur Hauptsache wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106, 120; BVerwG, Beschl. v. 24.11.2003 - BVerwG 20 F 13.03 -, BVerwGE 119, 229, 231). Ihre materielle Rechtskraft reicht aber nur so weit, wie über den Streitgegenstand entschieden worden ist (vgl. allgemein zum Streitgegenstandsbegriff: BVerwG, Urt. v. 30.1.2013 - BVerwG 8 C 2.12 -, Buchholz 316 § 49a VwVfG Nr. 12 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).

Hier haben bisher weder das Bundesverwaltungsgericht noch der Fachsenat über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung(en) des Beigeladenen entschieden. Der frühere Antrag des Klägers nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO war vielmehr mangels Vorliegens der erforderlichen förmlichen Verlautbarung des Verwaltungsgerichts zur Entscheidungserheblichkeit der geheim gehaltenen Aktenteile bereits als unzulässig abgelehnt worden.

2. In dem durch den zulässigen Antrag eröffneten Zwischenverfahren stellt der Fachsenat nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten, der Übermittlung der elektronischen Dokumente oder der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist. Hier ist die diese Verweigerung dokumentierende Sperrerklärung des Beigeladenen vom 23. Dezember 2016 in der Fassung vom 16. Januar 2017 in vollem Umfang rechtmäßig.

a. Die Sperrerklärung genügt den sich aus § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergebenden formellen Anforderungen (vgl. hierzu im Einzelnen: BVerwG, Beschl. v. 6.11.2008 - BVerwG 20 F 7.08 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 51; Senatsbeschl. v. 2.7.2015 - 14 PS 1/15 -, NdsVBl. 2016, 60, 61; Thüringer OVG, Beschl. v. 27.3.2003 - 10 SO 337/01 -, juris Rn. 33; Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 99 Rn. 15 mit weiteren Nachweisen).

Der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Beklagten (vgl. Nr. I.5.10 des Beschlusses der Niedersächsischen Landesregierung v. 13.7.2004, Nds. MBl. S. 689) hat im Hauptsacheverfahren seine Weigerung, die vom Hauptsachegericht angeforderten Akten vollständig vorzulegen, deutlich zum Ausdruck gebracht, das Vorliegen eines Geheimhaltungsgrundes geltend gemacht und die Betätigung des eröffneten Ermessens noch hinreichend klar erkennbar dokumentiert.

b. Der Fachsenat hat sich anhand des vom Beklagten vorgelegten, vollständig lesbaren sechsseitigen Ausdrucks der elektronisch geführten Dokumentation des Sozialpsychiatrischen Dienstes (Beiakte 2 im Zwischenverfahren 14 PS 1/17) davon überzeugt, dass der mit der Sperrerklärung geltend gemachte Geheimhaltungsgrund der wesensmäßigen Geheimhaltungsbedürftigkeit nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO tatsächlich vorliegt.

Ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO können insbesondere grundrechtlich geschützte personenbezogene Daten Dritter (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.6.2013 - BVerwG 20 F 10.12 -, juris Rn. 8 mit weiteren Nachweisen; siehe auch zur zeitlichen Begrenzung dieses Geheimhaltungsgrundes: BVerwG, Beschl. v. 20.12.2016 - BVerwG 20 F 10.15 -, juris Rn. 13) oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.4.2013 - BVerwG 20 F 6.12 -, juris Rn. 9) sein. Es gilt auch hier ein strenger Maßstab (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.6.2011 - BVerwG 20 F 21.10 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 mit weiteren Nachweisen). Im Falle des Informantenschutzes tritt neben das grundrechtlich abgesicherte Interesse des Betroffenen, seine persönlichen Daten geheim zu halten, das öffentliche Interesse, die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben sicherzustellen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.11.2015 - BVerwG 20 F 9.14 -, juris Rn. 11; Beschl. v. 22.7.2010 - BVerwG 20 F 11.10 -, BVerwGE 137, 318, 322 jeweils mit weiteren Nachweisen). Sind Behörden bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.1.2016 - BVerwG 20 F 10.14 -, juris Rn. 6 mit weiteren Nachweisen). Dieser Informantenschutz greift grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Angaben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.7.2010, a.a.O., S. 324).

Hieran gemessen sind die "Namen der Kontakt aufnehmenden bzw. kontaktierten Personen" und die "Vermerke über den Inhalt der Gespräche in der Spalte 'Bemerkung'…, soweit der festgehaltene Inhalt des Gesprächs Rückschlüsse auf die Person des oder der Hinweisgebenden zulässt und damit deren Identifikation ermöglicht" zum einen mit Blick auf die grundrechtlich geschützten personenbezogenen Daten der hinweisgebenden Dritten geheimhaltungsbedürftig. Die Durchsicht der geheim gehaltenen Aktenteile hat die Darstellung des Beigeladenen in der Sperrerklärung bestätigt, wonach es sich um Personen "aus dem persönlichen/beruflichen Umfeld des Klägers" handelt, deren Äußerungen gegenüber dem Sozialpsychiatrischen Dienst der Beklagten der grundrechtlich geschützten Privatsphäre zuzurechnen sind (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 26.4.1994 - 1 BvR 1689/88 -, BVerfGE 90, 255, 259 f.) und daher dem Schutz des Grundrechts dieser Personen auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unterfallen.

Unabhängig hiervon sind die "Namen der Kontakt aufnehmenden bzw. kontaktierten Personen" und die "Vermerke über den Inhalt der Gespräche in der Spalte 'Bemerkung'…, soweit der festgehaltene Inhalt des Gesprächs Rückschlüsse auf die Person des oder der Hinweisgebenden zulässt und damit deren Identifikation ermöglicht" aber auch deshalb geheimhaltungsbedürftig, weil der Sozialpsychiatrische Dienst der Beklagten zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben auch auf die Angaben und die Mitwirkung Dritter angewiesen ist und bei einer uneingeschränkten Offenlegung der Identität dieser die Gefahr besteht, dass die gewünschte Mitwirkung oder jedenfalls offene Angaben unterbleiben.

Nach §§ 159 Abs. 2 Nr. 3, 161 Nr. 4 Buchst. b NKomVG in Verbindung mit den Be-stimmungen des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke bietet der Sozialpsychiatrische Dienst der Beklagten Hilfen für Personen, die infolge einer psychischen Störung krank oder behindert sind oder gewesen sind oder bei denen Anzeichen für eine solche Krankheit oder Behinderung bestehen, selbst an oder vermittelt solche Hilfen; er ergreift oder erwirkt notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen (vgl. zu den Aufgaben eines Sozialpsychiatrischen Dienstes: Zilkens u.a., Datenschutz im Sozialpsychiatrischen Dienst der unteren Gesundheitsbehörde, in: VR 2016, 191, 192). Werden ihm Umstände bekannt, die auf einen Hilfebedarf hindeuten, soll er Personen, die auf Grund ihrer Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sind, sich selbst um Hilfe zu bemühen, aktiv aufsuchen, um den Hilfebedarf festzustellen und eine etwa notwendige Hilfe anzubieten oder zu vermitteln (§ 5 Abs. 2 NPsychKG). Die Hilfen sollen auch darauf gerichtet sein, bei denjenigen, die mit der betroffenen Person in näherer Beziehung stehen, Verständnis für die besondere Lage der betroffenen Person zu wecken und die Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Behebung ihrer Schwierigkeiten zu fördern und zu erhalten (§ 6 Abs. 6 Satz 1 NPsychKG). Die Hilfen sollen die nahestehenden Personen auch in ihrer Fürsorge für die betroffene Person entlasten und unterstützen (§ 6 Abs. 6 Satz 2 NPsychKG). Zur Erfüllung dieser gesetzlichen Aufgaben ist der Sozialpsychiatrische Dienst nach den gut nachvollziehbaren Ausführungen im Schriftsatz der Beklagten vom 13. Februar 2017 (Blatt 176 f. der Gerichtsakte) auch darauf angewiesen, dass Dritte, die mit der betroffenen hilfebedürftigen Person privat oder beruflich in näherer Beziehung stehen, ihm gegenüber Hinweise geben, Auskünfte erteilen oder in anderer geeigneter Weise mitwirken. Diese Mitwirkung könnte ausbleiben, jedenfalls aber erheblich reduziert werden, wenn die Dritten davon ausgehen müssten, dass ihre Identität und Art und Weise sowie Inhalt ihrer Mitwirkung gegenüber der betroffenen hilfebedürftigen Person uneingeschränkt offengelegt wird.

Eine nähere Begründung muss hier unterbleiben, weil die Entscheidungsgründe nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten nicht erkennen lassen dürfen.

c. Soweit die vom Beklagten geltend gemachten Geheimhaltungsgründe vorliegen, ist auch die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage bei bestehendem Geheimhaltungsbedarf erfordert grundsätzlich eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Hier hat der Beigeladene in seiner Sperrerklärung - in Abgrenzung zu der nach der fachgesetzlichen Bestimmung des § 32 Abs. 1 NPsychKG in Verbindung mit § 16 NDSG und § 36 NPsychKG zu treffenden Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Beschl. v. 18.6.2008 - BVerwG 20 F 44.07 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 49) - das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. Er hat das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung mit dem gegenläufigen privaten Informationsinteresse des Klägers abgewogen. Ein nach § 114 Satz 1 VwGO relevanter Ermessensfehler ist nicht ersichtlich. Ein solcher liegt insbesondere nicht darin, dass der Beigeladene die dem privaten Informationsinteresse des Klägers auch gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen an effektivem Rechtsschutz und umfassender Aufklärung des Sachverhalts in seiner Sperrerklärung nicht ausdrücklich erwähnt hat. Denn dass der Beigeladene die Folgen der Vorlageverweigerung auch mit Blick auf den Prozessausgang des Hauptsacheverfahrens gewichtet hat, lässt der Umstand erkennen, dass von der Möglichkeit der Einführung teilgeschwärzter Dokumente in das Verfahren Gebrauch gemacht worden ist, mithin Bemühungen entfaltet worden sind, eine partielle Freigabe einzelner Dokumente zu erreichen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.04.2015 - BVerwG 20 F 8.14 -, juris Rn. 20).

Auf den im Hauptsacheverfahren von dem Kläger erhobenen Einwand, das Verwaltungshandeln der Beklagten sei schon mangels tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Hilfebedarf im Sinne des § 1 Nr. 1 NPsychKG hervorrufenden psychischen Störung rechtswidrig, kommt es für dieses Zwischenverfahren nicht an. Der Fachsenat hat nur darüber zu entscheiden, ob die Sperrerklärung des Beigeladenen gemessen an den dargestellten Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtmäßig ist, nicht hingegen darüber, ob das Verwaltungshandeln der Beklagten die fachgesetzlich und gegebenenfalls verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen beachtet hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.8.2012 - BVerwG 20 F 5.12 -, juris Rn. 11 mit weiteren Nachweisen).

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht. Denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit, für den das Gerichtskostengesetz einen Ansatz von Gerichtsgebühren nicht vorsieht und besondere anwaltliche Vergütungsansprüche nicht entstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.2010 - BVerwG 20 F 15.10 -, NVwZ-RR 2011, 261). Auch ein Streitwert ist daher nicht festzusetzen.