Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.06.2008, Az.: 22 W 23/08

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.06.2008
Aktenzeichen
22 W 23/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 42419
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:0602.22W23.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 27.03.2008 - AZ: 28 T 14/08
AG Hannover - 27.02.2008 - AZ: 43 XIV 18/08 B

Fundstellen

  • ANA-ZAR 2008, 31 (Kurzinformation)
  • InfAuslR 2008, 311 (Volltext mit red. LS)
  • ZAR 2008, 31

In der Abschiebungshaftsache

...

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 27. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 2. Juni 2008 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beschlüsse des Landgerichts Hannover vom 27. März 2008 und des Amtsgerichts Hannover vom 27. Februar 2008 werden aufgehoben, soweit sie die vorherige Ingewahrsamnahme des Betroffenen zum Gegenstand haben.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass die vorläufige Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch die Beteiligte bzw. die Polizei bis zur Entscheidung des Amtsgerichts vom 27. Februar 2008 rechtswidrig war.

  3. 3.

    Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Fahlbusch aus Hannover wird abgelehnt.

  4. 4.

    Die Kosten dieses Verfahrens einschließlich der hierdurch veranlassten notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Beteiligte zu tragen.

Gründe

1

I.

Der Betroffene war erstmals im Jahr 1991 nach Deutschland eingereist und hatte Asyl beantragt. Der Asylantrag war am 12. Juli 1995 abgelehnt worden. Der Betroffene kehrte am 2. September 2000 freiwillig nach Serbien zurück und reiste am 9. Oktober 2007 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylfolgeantrag wurde am 5. November 2007 abgelehnt. Eine Aufenthaltsduldung lief am 14. Januar 2008 ab. Zu dieser Zeit hielt er sich nicht mehr in der ihm zugewiesenen Wohnung auf und war für die Beteiligte auch nicht anderweitig erreichbar. Der Betroffene wurde daraufhin zur Festnahme und Abschiebung am 18. Januar 2008 ausgeschrieben. Am 26. oder 27. Februar 2008 wurde er durch die Autobahnpolizei Hannover-Garbsen festgenommen und nach Klärung seiner Personalien am 27. Februar 2008 dem Amtsgericht Hannover vorgeführt, das die Abschiebungshaft des Betroffenen für drei Monate anordnete. Gleichzeitig stellte das Amtsgericht die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme fest. Die gegen den Beschluss insgesamt erhobene sofortige Beschwerde hat die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Der Betroffene ist am 24. April 2008 abgeschoben worden. Mit der sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt der Betroffene allein das Ziel, seine vorläufige Ingewahrsamnahme für rechtswidrig erklären zu lassen.

2

II.

Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

3

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts hält der auf die weitere sofortige Beschwerde hin vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG nicht stand. Die Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Gesetzes.

4

Vor der Einführung des § 62 Abs. 4 AufenthG durch Gesetz vom 19. August 2007 war es der Ausländerbehörde nicht erlaubt, einen Ausländer zur vorläufigen Sicherung der Abschiebung selbst in Gewahrsam zu nehmen oder dem Abschiebungshaftrichter vorzuführen. Vielmehr bedurfte es stets der vorherigen richterlichen Entscheidung (vgl. BVerwG NJW 1982, 536 [BVerwG 23.06.1981 - 1 C 93.76]; BGH NJW 1993, 3069 [BGH 01.07.1993 - V ZB 19/93]). Mit dem neu geschaffenen § 62 Abs. 4 AufenthG sollte eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die vorläufige Festnahme von Ausländern in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen werden, um die richterliche Vorführung zur Anordnung der Sicherungshaft sicherzustellen. Die dabei abschließend aufgezählten Voraussetzungen lagen nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses nicht vor. Denn der Beteiligten war es entgegen § 62 Abs. 4 Nr. 2 AufenthG möglich, bereits vor der Ingewahrsamnahme eine richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft einzuholen. Mit der Ausschreibung des Betroffenen zur Festnahme und Abschiebung durch die Beteiligte hätte diese zeitgleich einen Antrag beim Amtsgericht auf Anordnung der Abschiebungshaft stellen können und müssen. Dass der Betroffene unbekannten Aufenthaltes war, stand einer Haftanordnung nicht entgegen. Zwar wäre eine förmliche Haftanordnung nach § 62 AufenthG schon wegen fehlender Anhörung des Betroffenen (§ 5 Abs. 1 FreihEntzG) nicht in Betracht gekommen. Das Gericht hätte aber gestützt auf § 11 Abs. 1 FreihEntzG eine einstweilige Anordnung treffen können. Die gegenteilige Auffassung, die der beteiligten Ausländerbehörde auch bei zielgerichteter Fahndung zum Zweck anschließender Abschiebung ein Recht zur Ingewahrsamnahme eines Betroffenen mit unbekanntem Aufenthalt zugesteht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24. Oktober 2007, 3 W 211/07 - juris), ist nach Auffassung des Senats mit dem Wortlaut des § 62 Abs. 4 Nr. 2 AufenthG nicht zu vereinbaren und steht zudem im Widerspruch zu Art. 104 Abs. 2 GG (vgl. auch Melchior, Abschiebungshaft, § 62 Abs. 4, (2)).

5

Die angefochtene Entscheidung konnte daher keinen Bestand haben. Da der Sachverhalt von der Kammer erschöpfend und rechtsfehlerfrei festgestellt worden, konnte der Senat auf dieser Grundlage entsprechend § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden und von einer Zurückverweisung absehen. Dem Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme war stattzugeben. Dabei kam es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit nicht darauf an, ob die Ingewahrsamnahme erst am 27. Februar 2008 - so die Feststellungen im angefochtenen Beschluss - oder bereits am 26. Februar 2008 erfolgte.

6

III.

Dem Betroffenen war die beantragte Prozesskostenhilfe zu versagen, weil die nach §§ 3 Satz 2 FreihEntzG, § 14 FGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erforderlichen Unterlagen trotz Ankündigung des Betroffenen bislang nicht vorgelegt worden sind.

7

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 14, 16 FreihEntzG entspr., 13a FGG.