Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.10.2009, Az.: 5 LA 230/09

Auslegung; Berufung; Interpretation; Nichtzulassungsbeschwerde; Rechtsbehelf; Rechtsmittel; Umdeutung; Zulassungsantrag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.10.2009
Aktenzeichen
5 LA 230/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 45309
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2009:1015.5LA230.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 11.08.2009 - AZ: 13 A 6152/08
VG Hannover - 06.08.2009 - AZ: 13 A 6152/08

Gründe

1

Das Verfahren ist aufgrund der Rücknahmeerklärung des Klägers (Schriftsatz vom 29. September 2009) entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

2

Die Rücknahmeerklärung bewirkt den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und das Gericht entscheidet über die Kosten (§ 126 Abs. 3 VwGO in analoger Anwendung).

3

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 VwGO. Dem Kläger sind allerdings lediglich die Auslagen (im Sinne des § 1 Abs. 1 am Ende i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 GKG) und außergerichtlichen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Sein Rechtsmittel ist nämlich - ungeachtet seiner zwischenzeitlich anderweitigen Bezeichnung und Einordnung - im Ergebnis nicht als unzulässiger Antrag auf Zulassung der Berufung oder unzulässige Berufung, sondern als unstatthafte Beschwerde gegen eine (vermeintliche) Nichtzulassung der Berufung einzuordnen, sodass gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) keine Gerichtsgebühr anfällt; denn die Beschwerde wurde infolge ihrer Rücknahme weder verworfen noch zurückgewiesen.

4

Der Rechtsbehelf des Klägers ist deshalb als Nichtzulassungsbeschwerde aufzufassen, weil seine Auslegung oder Umdeutung in Richtung auf einen zulässigen Antrag auf Zulassung der Berufung oder eine Berufung nicht möglich waren. Zwar ist gemäß einem allgemeinen, beispielhaft in § 300 StPO niedergelegten Grundsatz ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels unschädlich. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers war aber kein lediglich falsch bezeichnetes, zulässiges Rechtsmittel. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass nur eine irrtümliche Falschbezeichnung vorlag, weil der Rechtsbehelf anwaltlich eingelegt worden war, es eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen verwaltungsgerichtliche Urteile anderweitig, nämlich gegen die Nichtzulassung der Revision bei Ausschluss der Berufung (§§ 135, 133 Abs. 1 VwGO), tatsächlich gibt und weil Beschwerden grundsätzlich (§ 147 Abs. 2 VwGO, vgl. aber zudem die §§ 135 Satz 3, 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO) auch bei dem Rechtsmittelgericht eingelegt werden können. Aus alledem ist nämlich zu schließen, dass hier die Bezeichnung des Rechtsbehelfs als Nichtzulassungsbeschwerde und seine Übermittlung an das Rechtsmittelgericht einer gewissen, wenn auch unrichtigen "Logik" folgten. Es lag diesem Vorgehen eine Fehlvorstellung vom rechtlichen Aufbau der Zulassungsberufung zugrunde, der sich ausgehend von der Regelung des § 124a Abs. 1 Satz 3 VwGO nicht unwesentlich von demjenigen der zulassungsbedürftigen Revision unterscheidet. Mit der Bezeichnung als Nichtzulassungsbeschwerde war daher nicht nur ein unrichtiges Rechtsmittel benannt, sondern auch gewollt. Der Rechtsbehelf des Klägers wäre zudem weder als Antrag auf Zulassung der Berufung noch als Berufung zulässig gewesen, weil diese beiden Rechtsbehelfe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO bzw. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO bei dem Verwaltungsgericht beantragt bzw. eingelegt werden müssen und die Berufung hier gerade noch nicht zugelassen war (§ 124 Abs. 1 Halbsatz 2 VwGO). Da der Rechtsbehelf des Klägers weder als Antrag auf Zulassung der Berufung noch als Berufung zulässig gewesen wäre, schied auch seine entsprechende Umdeutung aus.

5

Die Änderung der Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichts erfolgt gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

6

Die nunmehrige Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40 und 52 Abs. 1 GKG. Der Kläger hatte zwar eine Verpflichtung der Beklagten beantragt, ihm die "vollen Kosten für die Hörgeräteversorgung" seiner schwerstbehinderten Tochter zu erstatten. Dieser Antrag bedarf jedoch in Bezug auf das mit ihm verfolgte Klagebegehren (im Sinne des 88 VwGO) der Auslegung, um nach der sich aus ihm für den Kläger ergebenden Bedeutung der Sache den Streitwert nach Ermessen zu bestimmen (vgl. Nds. OVG, Beschl.v. 22.9.2009 - 5 ME 87/09 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit). Aufgrund dieser Auslegung ist hier nicht anzunehmen, dass der Kläger eine weitere Beihilfe begehrt hat, die zusammen mit der bereits gewährten Beihilfe (1 640 EUR) und den Kassenleistungen (410 EUR) seine Aufwendungen von 6 815 EUR noch überstiegen hätte. Vielmehr war dem Kläger lediglich an einer vollständigen Kostenerstattung durch Beihilfe und Kasse gelegen, und nicht an einem darüber hinausgehenden "Gewinn". Deshalb ist der Wertfestsetzung zugrunde zu legen, dass er zunächst eine weitere Beihilfe in Höhe von 4 765 EUR (= 6 815 EUR - 1 640 EUR - 410 EUR) erstrebt hat. Was das Klagebegehren und damit den Streitwert nach der Antragsumstellung vom 16. Juni 2009 anbetrifft, so ist im Zuge der Interpretation des neuen Antrags, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften eine Beihilfe für die Hörgeräteversorgung der Tochter in Höhe des Bemessungssatzes zu "erstatten", zu berücksichtigen, dass der Kläger damals bereits die Ausführungen im vorletzten und letzten Absatz auf der Seite 3 des Schriftsatzes der Beklagten vom 10. Februar 2009 zur Kenntnis genommen hatte und ihnen nicht entgegengetreten war. Unter diesen Voraussetzungen spricht Überwiegendes dafür, dass er seither lediglich eine weitere Beihilfe von 3 812 EUR erstrebt hat. Demgemäß ist die erstinstanzliche Wertfestsetzung abzuändern.

7

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO; 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).