Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.01.2004, Az.: 11 ME 389/03
Aufenthaltserlaubnis; Ausnahmefall; Ausweisungsgrund; Umgangsrecht; Verlängerung; Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.01.2004
- Aktenzeichen
- 11 ME 389/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50458
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 12.11.2003 - AZ: 11 B 3421/03
Rechtsgrundlagen
- § 46 Nr 2 AuslG
- § 7 Abs 2 Nr 1 AuslG
- Art 6 Abs 2 S 1 GG
- § 153 StPO
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. April 2003, mit dem ihr Antrag auf Verlängerung der ihr zuletzt bis zum 6. September 2000 erteilten Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und sie zugleich unter Androhung der Abschiebung in die Türkei zur Ausreise aufgefordert worden ist, offensichtlich rechtmäßig ist. Die dagegen von der Antragstellerin vorgebrachten Einwände, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine anderen Beurteilung.
Die 1976 geborene Antragstellerin, die seit März 1991 im Bundesgebiet lebt, wurde am 22. November 2001 vom Landgericht B. wegen gemeinschaftlichen versuchten schweren Menschenhandels in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung unter Einbeziehung der durch Strafbefehle des Amtsgerichts B. vom 23. Oktober 2000 und vom 6. Juni 2001 wegen Diebstahls verhängten Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Damit hat sie den Regelausweisungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG erfüllt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Ausnahmefall vor.
Im Falle einer Ausweisung erfordert die Beurteilung der Frage, ob dazu aus spezialpräventiven Gründen ausreichender Anlass besteht, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine an Art und Ausmaß der möglichen Schäden ausgerichtete Differenzierung nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen. Gleiches gilt für die hier maßgebliche Frage, ob einem Ausländer der von ihm beantragte weitere Aufenthalt aus spezialpräventiven Gründen versagt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.8.1996, BVerwGE 102, 12 = DVBl. 1997, 186 = InfAuslR 1997, 16). Danach bestand hinreichender, spezialpräventiver Anlass für die Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin. Dieser ergibt sich schon aus der Schwere der von der Antragstellerin im Juli/August 1999 begangenen Straftaten, für die das Landgericht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet hat. Zu Lasten der Antragstellerin ist weiter zu berücksichtigen, dass sie die Taten, bei der sie neben einer Mitangeklagten die „Zentralfigur des Geschehens“ war, mit einer nicht unerheblichen kriminellen Energie begangen hatte. So schlug sie nach den Feststellungen des Landgerichts (S. 13 f UA) die Geschädigte zunächst mit der flachen Hand ins Gesicht und auf den Kopf, wodurch diese ein Hämatom an der rechten Wange davontrug. Weiter forderte sie die Geschädigte unter Vorhalt einer Waffe dazu auf, der Prostitution nachzugehen, ansonsten erschieße sie ihr Kind und sie selbst. Schließlich fesselte sie die Geschädigte mit einem Kabel an Händen und Füssen in einer Weise, dass ihre Hände blau anliefen und die Fessel einschnitt. Angesichts dieser Tatumstände kann die Antragstellerin, die damals als Prostituierte tätig war, ihr Verhalten nicht damit bagatellisieren, sie sei nicht freiwillig ins „Milieu“ gelangt und habe die Straftaten „in einer Phase persönlicher Schwierigkeiten“ begangen. Bei derart schweren Gewaltdelikten sind an die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten nur geringe Anforderungen zu stellen (vgl. etwa Hailbronner, AuslR, § 46 AuslG Rdnr. 21). Zwar liegen die in diesem Zusammenhang abgeurteilten Straftaten bereits einige Jahre zurück, doch muss sich die Antragstellerin weitere Verstöße gegen die Rechtsordnung in der Folgezeit vorhalten lassen. So beging sie am 31. August 2000, am 26. Februar 2001 und am 9. April 2001 Ladendiebstähle, in zwei Fällen gemeinschaftlich. Außerdem wurde gegen sie am 7. März 2003 Anklage wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung im Bereich der Straßenprostitution erhoben. Allerdings wurde das Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Dies wirkt sich aber nicht zu ihren Gunsten aus. Denn nach § 153 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StPO kann von der Strafverfolgung bereits abgesehen werden, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Daher darf das Verfahren nach dieser Vorschrift nicht eingestellt werden, wenn feststeht, dass kein hinreichender Tatverdacht begründet werden kann oder ein Freispruch erfolgen muss (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 21.12.2001 – 8 MA 3882/01 -; Loewe-Rosenberg, StPO, Kommentar, 24. Aufl., Bd. 2 § 153 Rdnr. 32). Das hat zur Folge, dass aus der Einstellung eines Strafverfahrens, die nach § 153 Abs. 2 StPO erfolgt, nicht geschlossen werden kann, dass keine strafbare Straftat vorliegt (vgl. Großknecht/Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 34. Aufl., § 153 Rdnr. 3). Nach alledem liegen im Falle der Antragstellerin genügend Anhaltspunkte für die Annahme einer Wiederholungsgefahr vor.
Ebenso wenig sind die persönlichen Verhältnisse der Antragstellerin geeignet, einen Ausnahmefall zu begründen. Vorauszuschicken ist, dass angesichts der strafrechtlichen Verfehlungen der Antragstellerin nur besondere Umstände im persönlich-familiären Bereich das ansonsten vorrangige öffentliche Interesse an einer Beendigung ihres Aufenthalts zurückdrängen können. Ein derartiger Sonderfall liegt hier aber nicht vor.
Die Antragstellerin beruft sich im Wesentlichen darauf, dass es sich bei dem Verhältnis zu ihrer am 14. September 1992 geborenen Tochter, die seit Jahren bei ihrem - das alleinige Sorgerecht besitzende - Vater in C. lebt, von dem die Antragstellerin nach längerer Trennung seit dem 20. Februar 1999 geschieden ist, entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht um eine bloße Begegnungsgemeinschaft handele. Sie nehme die tatsächliche Personensorge wahr und sei nicht nur in jede wichtige Entscheidung für die Zukunft ihrer Tochter involviert, sondern werde auch, das zumeist telefonisch, in weniger wichtige Entscheidungen eingebunden. Diese Ausführungen reichen aber zum Nachweis einer nach Art. 6 GG zu schützenden Mutter-Kind-Beziehung nicht aus. Es fällt bereits auf, dass sich die Antragstellerin auf das Bestehen eines Umgangsrechts zu ihrer Tochter erst in der Widerspruchsbegründung vom 6. Mai 2003 berufen hat, ohne Einzelheiten zu Umfang und Intensität der persönlichen Kontakte und Betreuungsleistungen anzugeben. In ihrer Stellungnahme vom 13. November 2002 zum Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin ist sie auf die Beziehung zu ihrer Tochter mit keinem Wort eingegangen. Im Schriftsatz vom 12. September 2003 an das Verwaltungsgericht hat sie erstmals behauptet, dass sie eine intensive Mutter-Kind-Beziehung mit regelmäßigen Besuchen und Geschenken unterhalte. Abgesehen davon, dass dieser zeitliche Ablauf darauf hindeutet, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit den Beziehungen zu ihrer Tochter offenbar selbst keine große Bedeutung beigemessen hat, sind ihre späteren Einlassungen auch ziemlich pauschal und wenig aussagekräftig. Zwar ist es richtig, dass auch der persönliche Kontakt mit Kindern in Ausübung eines Umgangsrechts unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht, doch kommt es nach der Rechtsprechung des Senats entscheidend darauf an, dass die Verantwortung als Elternteil auch tatsächlich durch wesentliche Betreuungsleistungen im Alltag wahrgenommen wird (vgl. etwa Beschl. v. 28.1.2003 - 11 LA 403/02 - und Beschl. v. 11.11.2002 - 11 ME 371/02 -). Dies hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Sie hat sich zwar im Beschwerdeverfahren auf das Zeugnis ihres geschiedenen Ehemannes und ihrer Tochter berufen, doch kommt eine förmliche Beweisaufnahme in vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich nicht in Betracht. Statt dessen hätte sie ihr Vorbringen durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen (vgl. § 294 Abs. 1 ZPO) glaubhaft machen müssen, die sie aber nicht beigebracht hat. Aber selbst wenn die Antragstellerin – woran der Senat erhebliche Zweifel hat – in aus-reichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung ihrer Tochter übernommen hätte, würde ihr das nicht weiterhelfen. Denn es ist ständige Rechtsprechung des Senats, dass das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung selbst im Falle bestehender familiärer Lebensgemeinschaften dann vorgeht, wenn der betreffende Ausländer in beachtlicher Weise gegen Strafgesetze verstoßen hat (vgl. etwa Beschl. v. 28.10.2002 - 11 ME 365/02 - und Beschl. v. 27.8.2001 - 11 MB 1882/01 -). Das ist hier – wie bereits ausgeführt – bei der Antragstellerin der Fall.