Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.01.2015, Az.: 13 U 170/14

Anwendbarkeit des WBVG auf Verträge mit den Bewohnern einer Dementenwohngemeinschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.01.2015
Aktenzeichen
13 U 170/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 12101
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0114.13U170.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 30.10.2014

Amtlicher Leitsatz

1. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG kann die Entgelthöhe zwischen den Parteien nicht frei vereinbart werden. Das Entgelt muss vielmehr insgesamt und nach seinen einzelnen Bestandteilen im Verhältnis zu den Leistungen angemessen sein. Maßstab für die Angemessenheit ist dabei die Kostenübernahme der Sozialhilfeträger nach den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben.

2. Bei Vertragsleistungen, die eine Beaufsichtigung des Bewohners einer Dementenwohngemeinschaft "rund um die Uhr" zum Inhalt haben, handelt es sich nicht mehr um allgemeine Unterstützungsleistungen i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 3 WBVG.

3. Für ein Abhängigmachen i. S. des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WBVG ist der Grad, in dem ein Anbieter von Wohn- und Betreuungsleistungen den Abschluss beider Verträge miteinander in Verbindung gebracht hat, maßgebend. Auf eine rechtliche Verbindung der Verträge kommt es dabei nicht an, sondern vielmehr auf eine tatsächliche Abhängigkeit bei Abschluss des Vertrags über die Wohnraumüberlassung.

Tenor:

Es wird erwogen, die Berufung der Klägerin gegen das am 30. Oktober 2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30. Januar 2015. Sie mag im Kosteninteresse in Erwägung ziehen, ihre Berufung zurückzunehmen.

Der Streitwert für die Berufung wird auf 16.263,02 € festgesetzt.

Gründe

Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch fordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Ferner ist auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten. Die Berufung der Klägerin hat nach derzeitigem Beratungsstand schließlich auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Vergütung weiterer 16.263,02 € gem. dem zwischen den Parteien am 20. April 2011 geschlossenen Servicevertrag in Verbindung mit § 611 Abs. 1 BGB für die von der Klägerin erbrachten Betreuungs- und Beaufsichtigungsleistungen in den Dementen-Wohngemeinschaften in der R.-Straße und der K. in L. in dem Zeitraum von August 2011 bis Mai 2014.

a) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist zwischen den Parteien nicht wirksam ein monatliches Entgelt von 1.100 € vereinbart worden.

Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG kann die Entgelthöhe zwischen den Parteien nicht frei vereinbart werden (Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., § 7 WBVG Rn. 4; Bregger in jurisPK BGB, 7. Aufl., § 7 WBVG Rn. 11). Das Entgelt muss vielmehr insgesamt und nach seinen einzelnen Bestandteilen im Verhältnis zu den Leistungen angemessen sein. Dabei ist der objektive Wert der Leistungen des Unternehmers bei Vertragsabschluss maßgeblich und darf nicht in einem Missverhältnis zum verlangten Entgelt stehen (BT-Drucksache 16/12406, Seite 20; Palandt/Weidenkaff, aaO., § 7 WBVG Rn. 4; Bregger in jurisPK BGB, aaO., § 7 WBVG Rn. 11; Drasdo, NZM 2008, 665 (668)). Maßstab für die Angemessenheit ist dabei die Kostenübernahme der Sozialhilfeträger nach den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben (Drasdo, NZM 2008, 665 (668) für § 5 Abs. 7 Heimgesetz). Der Beklagte hat insoweit den Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 28. November 2012 (Anlage 2, Bl. 117 d. A.) vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass für Leistungen gem. § 65 SGB XII ein Betrag in Höhe von 620 € monatlich bewilligt, von dem der zusätzliche Anspruch auf Leistungen der Pflegekassen nach § 38 a SGB XI in Höhe von 200 € angerechnet wurde. Die Klägerin hat nicht mit Substanz dargetan, dass ein höherer Anspruch des Beklagten nach den Vorschriften des SGB XI und des SGB XII besteht. Vielmehr hat der Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass er gegen die Bescheide der Landeshauptstadt Hannover Widersprüche und auch Klage vor dem Sozialgericht erhoben habe, die aber ohne Erfolg geblieben seien.

b) Die Vorschriften des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes sind auf den Servicevertrag über Betreuung und Beaufsichtigung vom 20. April 2011 anzuwenden.

aa) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 WBVG ist das Gesetz anzuwenden auf einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem volljährigen Verbraucher, in dem sich der Unternehmer zu Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- und Betreuungsleistungen verpflichtet. Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf § 1 Abs. 1 Satz 3 WBVG berufen, nach dem allgemeine Unterstützungsleistungen vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen sind.

Neben den in § 1 Abs. 1 Satz 3 WBVG genannten Beispielen der Vermittlung von Pflege- und Betreuungsleistungen, Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung und der Bereitstellung von Notrufdiensten stellen auch andere Serviceleistungen wie Hausmeister-, Fahr-, Begleit-, Besuch- oder Sicherheitsdienste bloß allgemeine Unterstützungsleistungen dar (BT-Drucksache 16/12409, Seite 15; Palandt/Weidenkaff, aaO., § 1 WBVG Rn. 2; Bregger in jurisPK BGB, aaO., § 1 WBVG Rn. 24).

Die von der Klägerin nach dem Servicevertrag geschuldeten Leistungen gehen deutlich über den Umfang allgemeiner Unterstützungsleistungen hinaus. Gem. § 2 a) des Servicevertrags stellt die Klägerin rund um die Uhr Personal, das den Beklagten in der Wohnung beaufsichtigt, wobei die Beaufsichtigung die Unterstützung des Beklagten in allen Lebenslagen mit Ausnahme pflegerischer Tätigkeiten und anderweitiger erlaubnispflichtiger Dienstleistungen, Warnung vor und Abwendung von Gefahren, Einhaltung ggfls. angeordnete Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und die Information von Angehörigen und Betreuen im Falle von Krankheit oder anderer außergewöhnlicher Ereignisse umfasst. Im Gegensatz zu den allgemeinen Unterstützungsleistungen, die nur einen einzelnen punktuellen Bedarf des Bewohners abdecken, geht es hier bei der Leistung der Klägerin um eine umfassende und ununterbrochene Beaufsichtigung des Beklagten, die eines erheblichen Personaleinsatz bedarf und ein regelmäßiges Kontrollieren und Kontaktaufnehmen mit dem Beklagtenerfordert. Die Klägerin hat in ihrem Schreiben vom 11. Mai 2012 (Bl. 97 d. A.) ihre Personalkosten für die Betreuung mit 727,2 Stunden pro Monat und einem Einsatz von 6,6 Mitarbeiterin berechnet.

Weiterhin kann hier zur Bewertung auf die Regelung des § 1 Abs. 2 Heimgesetz a. F. zurückgegriffen werden, nach der das Entgelt für allgemeine Betreuungsleistungen im Verhältnis für den Wohnraum zu zahlenden Miete grundsätzlich nur von untergeordneter Bedeutung ist. Von einer untergeordneten Bedeutung des für die Betreuungsleistungen zu erbringenden Entgelt ist dann nicht mehr auszugehen, wenn diese erheblich über 20 % des monatlichen Entgelts für die Miete einschließlich der Betriebskosten lagen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. April 2005 -III ZR 293/04, juris Rn. 8). Ausweislich des zwischen dem Beklagten und der B. G. Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG geschlossenen Mietvertrags für Wohnungen vom 20. April 2011 (Bl. 109 ff. d. A.) belief sich die Bruttomiete auf 450 € monatlich und fällt damit deutlich geringer aus als die in dem Servicevertrag aufgeführten Betreuungskosten von 1.100 €.

bb) Der Anwendung des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes steht nicht entgegen, dass der Vertrag über die Überlassung von Wohnraum und der Vertrag über die von der Klägerin geschuldeten Betreuungs- und Beaufsichtigungsleistungen Gegenstand verschiedener Verträge sind.

Gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 WBVG gilt das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz auch dann, wenn der Unternehmer den Abschluss des Mietvertrags vom Abschluss eines Pflege- oder Betreuungsvertrags tatsächlich abhängig macht. Ein Abhängigmachen im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WBVG ist hier festzustellen. Maßgebend ist dafür der Grad in dem ein Anbieter von Wohn- und Betreuungsleistungen den Abschluss beider Verträge miteinander in Verbindung gebracht hat (Weber, NZM 2010, 337 (338)). Auf eine rechtliche Verbindung der Verträge kommt es dabei nicht an, sondern vielmehr auf eine tatsächliche Abhängigkeit bei Abschluss des Vertrags über die Wohnraumüberlassung (BT-Drucksache 16/12409, Seite 15). Der Umstand, dass beide Verträge am selben Tag geschlossen worden sind, reicht dafür allein noch nicht aus (AG Waldbröl, Urteil vom 27. März 2012 - 6 C 251/11, juris Rn. 16).

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es sich bei der Wohngemeinschaft R.-Straße in L. um eine mit 8 Bewohnern belegte Dementen-Wohngemeinschaft handelt. In dem Mietvertrag der B. G. Vermögensverwaltungs GmbH und Co. KG sind die Gemeinschafträume mit dem Begriff Dementen-Wohngemeinschaft beschrieben. Dem Beklagten war es aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht möglich, den Mietvertrag abzuschließen, ohne die von der Klägerin angebotenen Betreuungs- und Beaufsichtigungsleistungen aus dem Servicevertrag in Anspruch zu nehmen. Denn die Klägerin erbringt ihre Serviceleistungen gegenüber sämtlichen Bewohnern der Wohngemeinschaft. Dies hat die Klägerin auch so wirtschaftlich kalkuliert. In ihrem Schreiben vom 11. Mai 2012 hat sie erklärt, dass sie in die "roten Zahlen" gerate, wenn auch nur eine Person der im Durchschnitt mit 8 Patienten belegten Wohngemeinschaften nicht die vertraglich vereinbarte Summe bezahle. Es liegt auf der Hand, dass die von der Klägerin eingesetzten Mitarbeiter nicht nur für eine Person in der Wohngemeinschaft verantwortlich sind, sondern ihre Beaufsichtigungsleistungen einheitlich für eine Wohngemeinschaft erbringen. Dieses Konzept wird durch den Umstand bestätigt, dass der Beklagte, nach dem die Wohngemeinschaft R.-Straße geschlossen wurde, am 1. Juli 2013 in eine gleichfalls von der B. G. Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG betriebenen Dementen-Wohngemeinschaft in der K. in L. umgezogen ist (Bl. 108, 137 d. A.). Dass es insoweit einer Änderung oder Beendigung des Servicevertrags mit der Klägerin bedurft hätte, ist nicht vorgetragen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es insoweit nicht darauf an, dass auch ein anderes Unternehmen die ambulante Pflege hätte erbringen können. Denn es geht vorliegend um die vereinbarte 24-stündige Beaufsichtigung des Beklagten.

cc) Gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 WBVG ist es unerheblich, dass es sich bei der Klägerin und bei der B. G. Vermögensverwaltungs GmbH und Co. KG um zwei verschiedene Unternehmen handelt.

Liegen - wie festgestellt - die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 WBVG vor und werden die Leistungen von verschiedenen Unternehmen geschuldet, ist grundsätzlich von einer rechtlichen oder wirtschaftlichen Verbundenheit der Unternehmen auszugehen (BT-Drucksache 16/12409, Seite 16). Der Unternehmer trägt die Beweislast dafür, dass die handelnden Unternehmer weder rechtlich noch wirtschaftlich verbunden sind (BT-Drucksache 16/12409, Seite 16; Palandt/Weidenkaff, aaO., § 1 WBVG Rn. 4; Bregger in jurisPK BGB aaO., § 1 WBVG Rn. 26). Diesen Beweis hat die Klägerin nicht geführt. Allein der Umstand dass der Ehemann der Geschäftsführerin der Klägerin wenige Monate nach Abschluss des Servicevertrags seine Funktion als geschäftsführender Gesellschafter der Vermieterin des Beklagten aufgegeben hatte, ist unbeachtlich. Entscheidend kommt es auf die Verhältnisse bei Vertragsschluss am 20. April 2011 an. Die wirtschaftliche Verbindung ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die B. G. Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG sowohl in der R.-Straße als auch in der K. Räumlichkeiten für Dementen-Wohngemeinschaften vermietet. Für diese Wohngemeinschaften bietet die Klägerin nicht nur die streitgegenständlichen Serviceverträge, sondern auch hauswirtschaftliche Verträge an. Das Geschäftsmodell beider Unternehmen ist mithin tatsächlich und wirtschaftlich eng miteinander verknüpft.

c) Die Angemessenheit des Entgelts im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG bildet daher die Obergrenze dessen, was die Klägerin verlangen kann (Drasdo, NZM 2008, 665 (668)). Der Senat kann es dahingestellt bleiben lassen, ob die Unangemessenheit des im Servicevertrag vereinbarten Entgelts zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags gem. § 134 BGB führt (so Palandt/Weidenkaff, aaO., § 7 WBVG Rn. 4; Breger in jurisPK BGB, aaO., § 7 WBVG Rn. 12) oder aber nur die Nichtigkeit des Vertrags hinsichtlich des über den angemessenen Betrag hinausgehenden Teils des Entgelts zur Folge hat (Drasdo, NZM 2008, 665 (668)). Denn im Ergebnis hat die Klägerin keinen weitergehenden Anspruch auf Vergütung als die bereits von der Landeshauptstadt Hannover als Sozialhilfeträger gezahlten Leistungen.

2. Ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt 1 BGB steht der Klägerin gleichfalls nicht zu.

Soweit der Servicevertrag gem. § 134 BGB nichtig sein sollte, hätte die Klägerin durch die Leistungen der Landeshauptstadt Hannover den tatsächlichen Wert der von ihr erbrachten Leistungen erstattet bekommen.

Bei einer Teilnichtigkeit des Servicevertrags hätte der Beklagte die Leistungen der Klägerin mit Rechtsgrund erlangt.