Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.01.2015, Az.: 321 SsBs 176/14

Annahme der vorsätzlichen Tatbegehung bei Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 %

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.01.2015
Aktenzeichen
321 SsBs 176/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 29678
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0126.321SSBS176.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Walsrode - 14.08.2014

Fundstelle

  • VRS 129, 158 - 161

Amtlicher Leitsatz

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 % kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie vorsätzlich erfolgt ist, sofern ein Betroffener die Anordnung der Beschränkung wahrgenommen hat.

Liegt der Regelfall eines Fahrverbotes nach § 4 BKatV vor, so bedarf es für eine Ausnahme von der Regel nachvollziehbarer Feststellungen über deren Gründe.

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerden des Betroffenen und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Walsrode vom 14.08.2014 mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet verworfen (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).

3. Nach Maßgabe der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Walsrode zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit durch Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 46 km/h eine Geldbuße in Höhe von 720 € festgesetzt und von der Auferlegung eines Fahrverbotes abgesehen. Zu den Vorbelastungen des Betroffenen führt es aus, dieser sei seit dem 08.09.2010 verkehrsrechtlich aufgefallen. Wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstands sei durch Bescheid des Kreises Sch., bestandskräftig seit dem 08.09.2010, eine Geldbuße von 100 € verhängt worden und mit einem seit dem 12.07.2011 bestandskräftigen Bescheid der Stadt Sa. wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 23 km/h eine Geldbuße von 90 €. Im Jahre 2012 wurden drei Bußgeldbescheide gegen den Betroffenen erlassen, und zwar durch den Regierungspräsidenten in K. vom 24.05.2012 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 22 km/h eine Geldbuße von 100 €, mit Bescheid der Stadt B. vom 20.06.2012 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 27 km/h eine Geldbuße von 120 € und mit Bescheid des Landkreises V. vom 05.12.2012 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 24 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 135 €. Am 04.03.2013 schließlich habe der Regierungspräsident in K. wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 22 km/h eine Geldbuße von 140 € gegen den Betroffenen verhängt.

Zur Sache stellt das Urteil fest, dass der Betroffene am 04.02.2014 mit einem Pkw auf der BAB 27 am W. Dreieck in Fahrtrichtung H. fuhr. Dort ist wegen der Einfädlung auf die BAB 7 die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch beidseitig der Fahrbahn aufgestellte Verkehrszeichen zunächst auf 120 km/h, sodann auf 100 km/h und schließlich auf 80 km/h beschränkt. Nach Passieren der Beschränkung auf 80 km/h fuhr der Betroffene nach Abzug eines Sicherheitsabschlages von 3 % mit einer Geschwindigkeit von 126 km/h.

Das Urteil legt dem Betroffenen eine vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 46 km/h zur Last. Zwar habe er sich eingelassen, die Beschränkung auf 80 km/h nicht wahrgenommen zu haben, weil er entweder abgelenkt gewesen oder jedenfalls eines der Verkehrsschilder verdeckt gewesen sei. dies entlaste ihn indes nicht. Er habe die beiden Beschränkungen auf 120 km/h und 100 km/h wahrgenommen und ihm sei bewusst gewesen, dass geschwindigkeitsregulierende Verkehrszeichen aufgestellt seien. Er habe mit einer weiteren Geschwindigkeitsreduzierung rechnen müssen und sie deshalb billigend in Kauf genommen. Zu der Frage, ob der Betroffene seinen Tachometer im Blick hatte oder aus welchen sonstigen Gründen er seine Fahrgeschwindigkeit erkannt hatte, verhält sich das Urteil nicht.

Im Rahmen der Bußgeldbemessung legt das Amtsgericht zunächst die Regelgeldbuße in Höhe von 160 € zugrunde und verdoppelt sie wegen der vorsätzlichen Begehungsweise auf 320 €. Diese Geldbuße verdoppelt das Gericht nochmals gem. § 4 Abs. 4 BKatV im Hinblick auf die unterbliebene Festsetzung eines Regelfahrverbotes. Wegen der vielfachen Voreintragungen erhöht es die Geldbuße nochmals um 100 € Danach errechnet sich die festgesetzte Geldbuße auf 720 €.

Ein Fahrverbot hat das Amtsgericht nicht verhängt. Für den Betroffenen liege eine Härte ganz außergewöhnlicher Art vor, weil seine Arbeitgeberin in Falle eines Fahrverbotes arbeitsrechtliche Konsequenzen erwäge. Der Betroffene sei als einziger Sachbearbeiter eines größeren Projekts für seine Arbeitgeberin auf den Führerschein angewiesen, da er im Hinblick auf die Akquise und Kundenbetreuung seiner Tätigkeit mit einem Pkw nachgehen müsse. Eine Vertretung sei in seiner Position aufgrund seiner Spezialkenntnisse nicht möglich, auch sei es ihm nicht möglich, das Fahrverbot durch Urlaub abzugelten. Dies schließt das Amtsgericht aus einer schriftlichen Erklärung der Arbeitgeberin des Betroffenen, wonach dieser zur Erfüllung seiner Aufgaben an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten flexibel einsetzbar sein müsse, ihm zurzeit nicht länger Urlaub gewährt werden könne und bei eingeschränkter Mobilität des Betroffenen für den Fall eines Fahrverbotes über arbeitsrechtliche Konsequenzen gegen den Betroffenen zu entscheiden sei. Welche Konsequenzen dem Betroffenen drohen, teilt das Urteil nicht mit.

Gegen diese Verurteilung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die sich vor allem gegen die Annahme vorsätzlichen Verhaltens wendet. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil ebenfalls an und beschränkt ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch. Sie meint, das Urteil lege die Voraussetzungen für ein Absehen vom Fahrverbot nicht hinreichend dar.

II.

1. Beide Rechtsbeschwerden hatten nach Maßgabe des Tenors Erfolg. Die äußeren Umstände der Tat hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, sodass sie aufrecht erhalten bleiben konnten. Die darauf gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen war auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet zu verwerfen (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).

2. Zur Frage des subjektiven Tatbestandes einer Geschwindigkeitsüberschreitung tragen die Feststellungen den Schuldspruch nicht, sodass das Urteil insoweit aufzuheben war. Deshalb ist auch die von der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch unbeachtlich.

a) Soweit das Amtsgericht davon ausgeht, ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen würden von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen, steht dies im Einklang mit der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Celle Nds. RPfl. 2014, 189). Es kann jedoch tatsächlich nur für den Regelfall gelten, also jedenfalls dann nicht, wenn sich ein Verkehrsteilnehmer darauf beruft, das geschwindigkeitsbeschränkende Schild nicht gesehen zu haben. So liegt es hier. Der Betroffene hat sich dahin eingelassen, zwar die Beschränkungen auf 120 km/h und auf 100 km/h, nicht aber die Beschränkung auf 80 km/h gesehen zu haben. Er sei entweder durch die unübersichtliche Verkehrslage abgelenkt oder das Verkehrszeichen sei durch andere Fahrzeuge verdeckt gewesen. Da es sich zudem um die erste Beschränkung auf 80 km/h handelte und der Betroffene nicht mehrere Schilderpaare mit dieser Beschränkung passiert hatte, kann ohne weiteres nicht davon ausgegangen werden, der Betroffene müsse die Beschränkung zwangsläufig wahrgenommen haben.

b) Damit steht lediglich fest, dass der Betroffene die Beschränkung auf 100 km/h erkannt hatte. Bei einer Geschwindigkeit von 126 km/h und einer Überschreitung um 26 % ist ein Schluss dahingehend, er habe diese Geschwindigkeitsüberschreitung bemerkt, allerdings noch nicht ohne weiteres zulässig, wie es etwa bei Überschreitungen über 40 % regelmäßig der Fall sein wird (vgl. dazu OLG Celle aaO. m. weit. Nachw.). Die äußeren Umstände, die bei solch hohen oder noch höheren Überschreitung zu dem Schluss drängen, diese Überschreitung müsse ein Autofahrer schon wegen äußerer Umstände wie Fahrgeräusche, Fahrverhalten seines Fahrzeuges u. a. wahrnehmen, lassen sich auf eine Überschreitung von 26 % nicht ohne weiteres übertragen (OLG Celle aaO.).

c) Soweit das Amtsgericht auf einen Eventualvorsatz schließt, weil der Betroffene sich in einem Geschwindigkeitstrichter befand, nach zwei Beschränkungen mit einer weiteren Beschränkung rechnen musste und deshalb billigend in Kauf genommen habe, diese dritte Beschränkung zu übersehen, drängt sich bereits die Grundannahme nicht auf, dass nach zwei Geschwindigkeitsbeschränkungen zwangsläufig eine dritte Beschränkung folgt.

Nach den bisherigen Feststellungen fehlt es deshalb an Anknüpfungspunkten, die einen vorsätzlichen Verstoß des Betroffenen belegen.

3. Die Staatsanwaltschaft wendet sich gegen die unterlassene Anordnung eines Fahrverbotes. Ihre Rechtsbeschwerde ist innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist mit der allgemeinen Sachrüge zulässig erhoben. Dass sie das Ziel ihres Rechtsmittels erst nach Ablauf der Begründungsfrist erklärt hat, hindert die Zulässigkeit nicht (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rdnr. 25).

Mit ihrer Rüge hat sie auch Erfolg. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h liegt ein Regelfall nach § 4 BKatV vor, in dem grundsätzlich wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers die Anordnung eines Fahrverbotes in Betracht kommt. Davon kann nur ausnahmsweise abgesehen werden (§ 4 Abs. 4 BKatV), etwa bei außergewöhnlichen Härten für einen Betroffenen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes oder sonst der wirtschaftlichen Existenz. Bloße wirtschaftliche oder berufliche Nachteile, die bei einer Vielzahl von Berufen regelmäßige Folge eines Fahrverbotes sind, reichen aber für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte nicht aus, sie sind als selbstverschuldet von einem Betroffenen hinzunehmen (vgl. im Einzelnen König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 25 StVG, Rdnr. 25).

Die Entscheidung eines Tatrichters über ein Fahrverbot ist vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. nur OLG Hamm, NZV 2008, 306 [OLG Hamm 07.02.2008 - 2 Ss OWi 29/08]). Dies gilt indes nur, wenn das Amtsgericht bei seiner Entscheidung alle für die Verhängung oder Nichtverhängung eines Fahrverbotes wesentlichen Fragen aufgeklärt und abgewogen hat. (vgl. nur den Senatsbeschluss vom 17.01.2011, - 322 SsBs 462/10 -).

Daran fehlt es hier. Ob tatsächlich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen wird oder die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen in anderer Weise durch die Verhängung eines Fahrverbotes ernsthaft bedroht wäre, erschließt sich aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht. Das Amtsgericht hat davon abgesehen, die Angaben des Betroffenen und die unbestimmten schriftlichen Erklärungen seiner Arbeitgeberin kritisch zu hinterfragen (dazu König aaO. § 25 StVG Rdnr. 26). Aus der Erklärung der Arbeitgeberin folgt lediglich, dass der Betroffene zur Ausübung seiner Tätigkeit einen Pkw benötigt und dass er wegen seiner Spezialkenntnisse nicht vertreten werden kann. Er müsse zur Erfüllung seiner Aufgaben an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten flexibel einsetzbar sein und ihm könne "zurzeit" auch nicht längerer Urlaub gewährt werden. Für den Fall eines Fahrverbots drohten ihm deshalb arbeitsrechtliche Konsequenzen.

Allerdings teilt das Amtsgericht das Datum dieser Erklärung nicht mit, sodass sich für das Rechtsbeschwerdegericht nicht erschließt, für welchen Zeitraum diese Erklärung gilt und ob sich unter Ausnutzung der Viermonatsfrist nach § 25 Abs. 2a StVG die Sachlage anders darstellt. Offen bleibt nach dem Inhalt der Erklärung auch, ob der Betroffene tatsächlich den Verlust seines Arbeitsplatzes hinzunehmen hat, falls gegen ihn ein Fahrverbot verhängt wird. Dagegen spricht schon, dass er wegen seiner Spezialkenntnisse für seine Arbeitgeberin offenbar unentbehrlich ist, sodass der Schluss keineswegs naheliegt, er werde bei einem einmonatigen Fahrverbot seinen Arbeitsplatz verlieren. Dies ist in der Erklärung der Arbeitgeberin auch lediglich angedeutet, daraus lässt sich keineswegs schließen, dass bei einem Fahrverbot in jedem Fall eine Kündigung erfolgen wird. Zudem geht das Urteil nicht darauf ein, ob der Betroffene einen Fahrer einstellen könnte oder ob seine Arbeitgeberin ihm für die Zeit des Fahrverbotes einen Fahrer zur Verfügung stellen kann.

4. Demzufolge war das Urteil mit der im Tenor genannten Einschränkung aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Walsrode zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich aufdrängen könnte, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatzverlust des Betroffenen zusammenhängenden Fragen durch Vernehmung von Beauftragten seiner Arbeitgeberin zu klären.