Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.07.2018, Az.: 13 LB 50/17
Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach dem FreizügG/EU aufgrund der Verurteilung zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren; Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt durch Überschreiten der Unschädlichkeitsschwelle des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU; Vorliegen der Voraussetzungen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.07.2018
- Aktenzeichen
- 13 LB 50/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 63872
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2018:0711.13LB50.17.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 18.05.2016 - AZ: 5 A 160/15
Rechtsgrundlagen
- Art. 6 Abs. 5 S. 1, 3 FreizügG/EU 2004
- Art. 28 Abs. 3a EGRL 38/2004
- § 460 StPO
- Art. 6 Abs. 1 FreizügG/EU 2004
- § 462 Abs. 1 S. 1 StPO
Fundstellen
- DÖV 2018, 919
- InfAuslR 2018, 359-364
- NordÖR 2018, 452
- ZAR 2019, 41-42
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Voraussetzung des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU, die Verurteilung zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren, ist auch dann erfüllt, wenn sich die Höhe der Sanktion erst durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss nach § 460 i.V.m. § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt.
- 2.
Allein das Überschreiten der Unschädlichkeitsschwelle des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU reicht zur Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nicht aus. Erforderlich ist immer eine umfassende Prüfung, ob die konkrete Tat Anlass gibt, von einer zwingenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen.
- 3.
Zu den Voraussetzungen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 5. Kammer - vom 18. Mai 2016 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 4. März 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 29. November 1976 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten, sein Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verloren zu haben, sowie gegen die Festsetzung des auf vier Jahre befristeten Verbotes, das Bundesgebiet wieder zu betreten.
Der Kläger hat in Italien die Hauptschule nicht abgeschlossen. Einen Beruf hat er nicht erlernt. Am 27. März 1996 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zu diesem Zeitpunkt erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis EWG, die ihm jeweils auf Antrag verlängert wurde. Seit dem Inkrafttreten des FreizügG/EU am 1. Januar 2005 ist der Kläger von dem Erfordernis einer Aufenthaltserlaubnis befreit.
Der Kläger ist von der italienischen Staatsangehörigen E. F., gesch. A., geb. F., geschieden. Die Hochzeit fand am 10. April 1999 in G. statt. Aus dieser Ehe sind zwei Söhne (geboren am 29. Januar 1996 und 21. November 2001) sowie eine Tochter (geboren am 6. Oktober 1997) hervorgegangen. Die Kinder haben die italienische Staatsangehörigkeit, leben jedoch seit ihrer Geburt in Deutschland. Der Kläger übt seit seiner Einreise - unterbrochen von Zeiten, in denen er arbeitslos war - diverse Tätigkeiten als Kellner, im Landschaftsbau und als Bauhelfer aus.
Der Kläger trat seit seiner Einreise 1996 in zahlreichen Fällen strafrechtlich in Erscheinung. Nach zwei Verurteilungen durch das Amtsgericht G. im Jahr 1998 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu Geldstrafen wurde er mit Schreiben des Landkreises H. vom 15. Juli 1998 erstmals ausländerrechtlich verwarnt und ihm seine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit angedroht.
Im Jahr 1999 erfolgte eine erneute Verurteilung durch das Amtsgericht G. wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe. Mit Schreiben vom 24. August 1999 wurde der Kläger erneut von der Ausländerbehörde des Landkreises H. ausländerrechtlich verwarnt. Ihm wurde wiederum die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit angedroht.
Am 19. Februar 2002 wurde der Kläger schließlich vom Amtsgericht I. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes verurteilt. Es folgte am 20. Januar 2003 eine Verurteilung durch das Amtsgericht J. wegen Betrugs in drei Fällen zu einer Geldstrafe sowie eine Verurteilung durch das Amtsgericht G. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln am 24. März 2003 zu einer Geldstrafe.
Vom 3. Februar 2003 bis zum 20. Januar 2005 verbüßte der Kläger seine Haftstrafe wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in der JVA K.. Die Vollstreckung des Restes der nach Verbüßung von 2/3 der Strafe noch nicht vollstreckten Freiheitsstrafe wurde für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. In der JVA K. wurde 2004 auch erstmals der Konsum von Drogen durch den Kläger festgestellt. Aus diesem Grund wurde er aus dem offenen Vollzug herausgenommen. Da der Kläger jedoch glaubhaft machen konnte, dass es sich bei dem Kokainkonsum um einen "einmaligen Ausrutscher" gehandelt habe, wurde die Reststrafe dennoch zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Schreiben vom 30. Juni 2003 wurde der Kläger vom Landkreis H. zur beabsichtigten Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung-EU/EWG sowie seiner Ausweisung aus der Bundesrepublik wegen der Verurteilung wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes angehört. Er äußerte sich am 3. November 2003 mündlich. Eine Ausweisung erfolgte nicht.
Ab 2008 konsumierte der Kläger zunehmend illegale Drogen. Zur gleichen Zeit setzten eheliche Probleme aufgrund seiner Eifersucht ein, die zum Teil zu gewalttätigen Übergriffen auf seine Ehefrau führten. Im Sommer 2009 trennten sich die Eheleute. Die Kinder blieben bei ihrer Mutter. In der Folgezeit konsumierte der Kläger Betäubungsmittel wie Kokain und Ecstasy, sonstige Wirkstoffe wie Testosteron und Anabolika und große Mengen Alkohol.
Am 11. März 2010 erging eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, wonach sich der Kläger seiner mittlerweile geschiedenen Ehefrau nicht nähern durfte.
Im Zeitraum vom 20. September 2010 bis zum 2. Oktober 2010 befand sich der Kläger zur Entgiftung von Kokain in stationärer Behandlung. Eine stationäre Drogen- und Sozialtherapie wurde nicht durchgeführt.
Im Jahr 2010 erfolgten zwei weitere Verurteilungen durch das Amtsgericht K. wegen Unterschlagung und Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz zu Geldstrafen.
Das Amtsgericht K. verurteilte den Kläger schließlich am 8. Juni 2011 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (zum Nachteil seiner zum Tatzeitpunkt knapp 12-jährigen Tochter) in drei Fällen zu einer Freiheitstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Bei der Verurteilung konnte das Gericht eine verminderte Schuldfähigkeit aufgrund Drogenkonsums nicht ausschließen. Es folgten Verurteilungen durch das Landgericht L. am 9. August 2011 wegen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls in 45 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie durch das Amtsgericht K. am 10. Januar 2013 wegen falscher Verdächtigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Unter Einbeziehung der Entscheidungen des Amtsgerichts K. vom 8. Juni 2011 und vom 10. Januar 2013 sowie der des Landgerichts L. vom 9. August 2011 wurde durch Beschluss des Landgerichts L. vom 9. Juli 2013 - 10 KLs 15/11 830 Js 2100/11 - eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet.
Der Kläger war zuvor bereits am 8. Februar 2011 festgenommen worden und befand sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts L. vom 9. Februar 2011 in Untersuchungshaft. Die Vollstreckung des Untersuchungshaftbefehls wurde unterbrochen zur Vollstreckung der restlichen Ersatzfreiheitsstrafe aus zwei Strafbefehlen des Amtsgerichts K. vom 20. Oktober 2010 und 8. November 2010 wegen Unterschlagung und Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz.
Im Zeitpunkt des Haftantritts hatte der Kläger Schulden in Höhe von 30.000 EUR, wovon er während der Haft 3.000 EUR abbezahlte.
Mit Schreiben vom 3. September 2013 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit, sich zu beabsichtigten Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt aufgrund der zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen zu äußern.
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2013 nahm der Kläger Stellung. Er sei nach der Haftentlassung am 20. Januar 2005 sieben Jahre straffrei geblieben. Die Einbruchsdiebstähle seien zur Finanzierung seiner zuletzt exzessiven Drogensucht erfolgt. Um diesen Lebenswandel zu ändern, habe er 2010 mit Hilfe der Drogenberatung des Diakonischen Werks M. eine Entgiftung im N. Klinikum durchgeführt und eine Kosten- und Therapieplatzzusage für eine stationäre Drogenentwöhnungsbehandlung in der Fachklinik O. für März 2011 erhalten. Zum Therapieantritt sei es durch die Festnahme am 8. Februar 2011 nicht mehr gekommen. Ferner sei er mit Billigung seiner nunmehr geschiedenen Ehefrau fast täglich bei ihr gewesen, um die Kinder zu betreuen, während diese arbeitete. Die sexuellen Übergriffe auf seine Tochter könne er sich nicht erklären; aus diesem Grund habe er mit einer Sozialtherapie begonnen. Ab dem 31. Mai 2013 habe er Vollzugslockerungen in Form von Ausgängen erhalten. Er sei bei den insgesamt 38 Ausgängen, die zwischen einer und acht Stunden dauerten, durch einen Bediensteten begleitet worden. Er habe die Ausgänge nie missbraucht. Ihm sei bewusst, dass nach seiner Verurteilung vom 19. Februar 2002 eine Ausnahme gemacht worden sei, als er nicht ausgewiesen wurde; er habe diese, wie es die langjährige Straffreiheit belege, auch nicht missbraucht. Er bat um die Möglichkeiten stationärer Drogen- oder Sozialtherapien. Er habe seit 22 Jahren seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland. Mit weiterem Schriftsatz vom 23. Oktober 2014 ergänzte der Kläger, er habe ein enges Verhältnis zu seinen Kindern. Diese enge familiäre Bindung spreche für seinen weiteren Aufenthalt in Deutschland. Seine Kinder befänden sich derzeit in der Schul- bzw. Berufsausbildung im Raum K. und könnten die Bundesrepublik Deutschland nicht zur Fortführung einer familiären Lebensgemeinschaft verlassen. Ein gemeinsames Leben mit seinen Kindern sei in Italien nicht möglich, da diese nicht ausreichend italienisch sprächen. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis befinde sich in Deutschland. Ein nachträglicher Gesamtstrafenbeschluss genüge der Voraussetzung eines strafgerichtlichen Urteils im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht.
Während der Haftzeit ging der Kläger regelmäßig seiner Arbeit als Hausarbeiter im Werksbetrieb nach. Suchtbedingte Auffälligkeiten oder Regelverstöße wurden nicht aktenkundig. Außerdem nahm er vom 7. April 2014 bis zum 28. Juli 2014 an 15 Sitzungen eines Antigewalttrainings zu je 180 Minuten sowie ferner an psychotherapeutischen Einzelgesprächen des Psychologischen Dienstes teil. Er wurde regelmäßig von seiner nunmehr geschiedenen Ehefrau und seinen Kindern besucht. Es bestand auch regelmäßiger Telefonkontakt.
Die JVA K. teilte mit Schreiben vom 4. September 2014 mit, dass der Kläger sich in den Behandlungssettings der Sozialtherapeutischen Abteilung stets mitarbeitsbereit, freundlich und kooperativ gezeigt habe. Die begleiteten Lockerungen aus der Sozialtherapie seien beanstandungslos verlaufen. Sein Verhalten in der JVA sei ebenfalls beanstandungsfrei gewesen.
Die Beklagte gab ferner der geschiedenen Ehefrau des Klägers Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Feststellungsverfügung zu äußern. Diese teilte über den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 mit, dass ihre drei Kinder bei beiden Elternteilen in G. und K. aufgewachsen seien. Zurzeit lebten sie bei ihr in P., wo sie ihrer Schul- und Berufsausbildung nachgingen. Der Kläger habe bis zum Haftantritt, aber auch während der Haft, eine sehr wichtige Vaterrolle gespielt; das Verhältnis zu den drei Kindern sei sehr innig. Auch während der Inhaftierung habe ein enger Kontakt bestanden. Telefonate hätten fast täglich, Besuche jedes Wochenende stattgefunden. Zahlreiche der begleiteten Ausgänge in den Jahren 2013 und 2014 hätten ihn zu seinen Kindern geführt. Er habe sich um die schulische Ausbildung seiner Kinder bemüht. Ferner teile er mit seinen Söhnen die Leidenschaft zum Fußball und mit seinem jüngsten Sohn die Leidenschaft zum Schwimmen. Alle drei Kinder wünschten sich, nach der Haftentlassung des Vaters viel Zeit mit diesem zu verbringen; das sei in Italien nicht möglich.
Mit Bescheid vom 4. März 2015 stellte die Beklagte den Verlust des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU fest. Sie setzte die Frist zur Ausreise auf einen Monat fest und drohte dem Kläger für den Fall der Nichtbefolgung seine zwangsweise Abschiebung nach Italien an. Zudem verhängte sie ein auf vier Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Sie stützte diese Entscheidung auf § 6 Abs. 1 und 5, § 7 FreizügG/EU. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen wegen Diebstahls in besonders schweren Fällen, den sexuellen Missbrauch seiner Tochter sowie auf die Einschätzung des von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L. beauftragten Gutachters, der dem Kläger eine Drogensucht attestierte, die dringend therapiebedürftig sei, um einen Rückfall zu vermeiden. Es sei mit weiterer Beschaffungskriminalität zu rechnen.
Am 25. März 2015 hat der Kläger Klage gegen diesen Bescheid erhoben.
Der Bescheid sei rechtwidrig. Zur Begründung hat er auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren verwiesen. Ferner genügten die von ihm begangenen Straftaten nicht den strengen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU. Voraussetzung sei, dass solche Straftaten verwirklicht worden seien, die den in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV genannten entsprächen. Bei der im Ermessenswege vorzunehmenden Abwägung habe die Beklagte ferner die familiären Verbindungen des Klägers zu seinen Kindern nicht ausreichend berücksichtigt.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 4. März 2015 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf ihren Bescheid sowie darauf verwiesen, dass der Kläger bereits vor Erlass des Bescheids beabsichtigte, nach Q. zu ziehen. Somit werde es ohnehin nicht zu den engen familiären Kontakten kommen. Darüber hinaus habe er sich immer wieder in Italien aufgehalten. Dort lebe auch ein Teil seiner Familie. Er besitze dort einen sozialen Empfangsraum. Auch spreche er die Landessprache. Die Kontakte zu seinen drei Kindern könnten in der gleichen Form, wie sie derzeit gelebt würden, nämlich als Begegnungsgemeinschaft, auch von Italien aus gepflegt werden. Es bestehe die Möglichkeit, den Kontakt durch Telefon sowie via Internet aufrecht zu erhalten. Seine Kinder könnten ihn auch in Italien besuchen.
Mit Urteil vom 18. Mai 2016, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26. Mai 2016 zugestellt worden ist, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Verlusts des Rechtes auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Abs. 1, Abs. 5 FreizügG/EU lägen vor. Es bestünden die wegen des mehr als 10-jährigen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit. Die vom Kläger begangenen Straftaten seien als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sei, die Ruhe und Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, insbesondere weil die Art und Weise der Begehung der Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweise. Zunächst sei der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden, so dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU erfüllt seien. Es sei unerheblich, dass die Höhe der Freiheitsstrafe aufgrund eines nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses zustandegekommen sei, da es auf die Sanktionshöhe, nicht auf deren verfahrensmäßiges Zustandekommen ankomme. Ein zwingender Grund der öffentlichen Sicherheit sei bereits in der Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs der eigenen Tochter in drei Fällen zu sehen. Außerdem stelle die Vielzahl der Straftaten des Klägers, zuletzt 45-facher Diebstahl, einen zwingenden Grund der öffentlichen Sicherheit dar. Nicht allein die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV genannten Straftaten begründeten derartige zwingende Gründe. Vielmehr stehe es den Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH frei, Straftaten wie die dort genannten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sind, die Ruhe und physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen. Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV stelle keinen abschließenden Katalog auf; die Mitgliedstaaten müssten sich auch nicht an einer einheitlichen Werteskala orientieren. Vom Kläger gehe zudem die erforderliche Wiederholungsgefahr aus. Von einer Wiederholungsgefahr im Bereich der Sexualdelikte zu Lasten Minderjähriger sei allerdings nicht auszugehen. Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr habe die Beklagte zu Recht die gesamte strafrechtliche Vergangenheit des Klägers berücksichtigt und dessen Wohlverhalten innerhalb des Vollzugs richtigerweise ein nur geringes Gewicht beigemessen. Die Strafaussetzung zur Bewährung durch die Strafvollstreckungskammer sei kein so starkes Indiz für eine positive Prognose, wie es eine Strafaussetzung zur Bewährung von Anfang an gemäß § 56 StGB wäre. Darüber hinaus sei die stationäre Drogentherapie des Klägers wegen mangelnder Rehabilitationsmotivation des Klägers beendet worden. Die nunmehr aufgenommenen Beratungsgespräche erfüllten trotz Abänderung des Bewährungsbeschlusses nicht die Voraussetzungen einer positiven Legalprognose, wie sie das im Strafvollstreckungsverfahren eingeholte Gutachten fordere. Auch bei Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Klägers innerhalb der Bewährung sei weiterhin von einer erhöhten Rückfallgefahr auszugehen. Als ausschlaggebend habe die Beklagte zutreffend die nicht behandelte Drogensucht des Klägers gewichtet. Die Beklagte habe auch in einem zweiten Schritt im Rahmen der erforderlichen Ermessensentscheidung das öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Bleibeinteresse abgewogen und ein überwiegendes öffentliches Sicherheitsinteresse bejaht. Dabei habe sie der strafrechtlichen Vergangenheit des Klägers und der Schwere der Rechtsverletzungen beanstandungsfrei ein höheres Gewicht beigemessen als den familiären Bindungen des Klägers. Die familiäre Gemeinschaft mit seinen Kindern, von denen nur noch eines minderjährig sei, habe ohnehin nur die Qualität einer reinen Begegnungsgemeinschaft, die nicht den besonderen Schutz des Art. 6 GG sowie des Art. 8 EMRK genieße und hinter dem Ziel einer effektiven Gefahrenabwehr zurücktrete. Auch die Befristung der Verlustfeststellung auf vier Jahre ab Ausreise entspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und sei nicht zu beanstanden.
Auf den Antrag des Klägers vom 23. Juni 2016 hat der damals zuständige 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 16. November 2016, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21. November 2016 zugestellt worden ist, die Berufung gegen dieses Urteil wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen. Am 19. Dezember 2016 hat der Kläger die Berufung begründet.
Hierzu trägt er vor, er sei zunächst wieder nach K. gezogen. Dieser Umzug sei mit der Bewährungshilfe abgestimmt und dem zuständigen Gericht mitgeteilt worden. Er habe wieder in der Nähe seiner Kinder wohnen wollen, um diese regelmäßig sehen zu können. Er habe dort eine Vollzeit-Arbeitsstelle angetreten, die vom 5. Oktober 2016 bis zum 23. Dezember 2016 befristet gewesen sei. Während seines vorangegangenen Aufenthalts in R. -S. habe er die vereinbarten Termine beim Suchthilfezentrum T. regelmäßig wahrgenommen und Krankheitseinsicht sowie Therapiemotivation gezeigt. Er sei dort einer Erwerbstätigkeit als Servicekraft in der Gastronomie nachgegangen. Am 5. Januar 2017 sei er wieder von K. nach R. -S. gezogen. Das erhoffte engere Verhältnis zu seinen Kindern habe sich insbesondere deshalb nicht eingestellt, weil seine beiden volljährigen Kinder inzwischen ein eigenständiges Leben führten. Deshalb habe er sich entschieden, wieder nach Neu-Isenburg zu ziehen und sich dort ein neues Leben aufzubauen. Er habe sich zu diesem Schritt erst entschieden, als die Aufnahme einer Tätigkeit in R. -S. nach Rücksprache mit seinem Onkel gesichert gewesen sei. Er habe dort seine frühere Tätigkeit als Servicekraft im Gastronomiebetrieb seines Onkels wiederaufgenommen. Er arbeite wöchentlich 25,5 Stunden und erhalte eine Vergütung von 1.000 Euro im Monat. Das Arbeitsverhältnis laufe auf unbestimmte Zeit mit einer Probezeit von 6 Monaten. Hiervon könne er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Er habe sich in R. -S. ein neues stabiles Umfeld aufgebaut. Er pflege familiäre Kontakte unter anderem zu seinem Onkel und seiner Tante. Er bemühe sich weiterhin um die Regelung seiner Angelegenheiten, insbesondere um die Schuldenregulierung. Die Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung insbesondere von Eigentumsdelikten sei unter diesen Umständen als erheblich geringer einzuschätzen als noch im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. U.. Insbesondere die Einbindung in ein regelmäßiges Berufsleben über mehrere Jahre stelle ein nachhaltiges und erfolgversprechendes Setting für eine positive Prognose dar. Der erfolgreiche Abschluss der ambulanten Drogentherapie verdeutliche, dass er inzwischen sein Handeln vorab angemessen überdenken könne, anstatt wie früher impulsiv und spontan zu handeln. Das belege auch die Stellungnahme seiner Bewährungshelferin V. vom 10. Februar 2017. Nach seiner erneuten Ummeldung nach K. am 21. November 2017 sei seine Sozialprognose weiterhin positiv. Er habe einen Arbeitsvertrag mit der Firma W. X. und besuche regelmäßig eine Selbsthilfegruppe im Hinblick auf die Betäubungsmittelproblematik.
Die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe sei zur Überschreitung der Fünf-Jahres-Grenze des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG nicht ausreichend. Eine derartige Auslegung widerspreche dem Wortlaut des Gesetzes und der dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften. Sie werde auch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht, da durch die Addition mehrerer Strafen kein Bezug zur erforderlichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hergestellt werde. Zur Frage des sexuellen Missbrauchs der Tochter sei das Urteil widersprüchlich, weil es einerseits in dieser Tat einen zwingenden Grund der öffentlichen Sicherheit sehe, andererseits aber - zu Recht - nicht von einer dafür erforderlichen Wiederholungsgefahr ausgehe. Aus einer Vielzahl von Eigentumsdelikten könne nicht auf zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit geschlossen werden. Es sei sicherlich zutreffend, dass Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV keinen abschließenden Kanon der für die öffentliche Sicherheit relevanten Straftaten enthalte. Den Mitgliedstaaten stehe es jedoch nicht vollkommen frei, jegliche Straftat zu einer sicherheitsrelevanten zu erklären und damit zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit zu schaffen. Innerhalb des Systems der Verlustfeststellung betreffe § 6 Abs. 5 FreizügG/EU die höchste Schutzstufe. Die von ihm überwiegend verwirklichten gewerbsmäßigen Diebstähle seien innerhalb des deutschen Strafrechts jedoch nur als mittelschwere Kriminalität anzusehen. Sie beträfen allein die öffentliche Ordnung. Die ebenfalls verwirklichte Raubstraftat liege nach den dortigen Urteilsgründen an der untersten Grenze denkbarer Raubtaten. Es sei nicht erkennbar, aus welchem Grunde diese Straftaten allein aufgrund ihrer Anzahl zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit darstellen sollten. Öffentliche Sicherheit sei nicht die quantitative Steigerung der öffentlichen Ordnung. Bei der Einschätzung der Wiederholungsgefahr sei nicht ausreichend gewürdigt worden, dass die Strafvollstreckungskammer den Bewährungsbeschluss im Hinblick auf die nunmehr angetretene ambulante Therapie geändert und die Bewährung nicht widerrufen habe. Dieser Entscheidung komme eine erhebliche indizielle Bedeutung auch für die eigenständige verwaltungsgerichtliche Gefahrenprognose zu. Wolle man von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr erst nach vollständiger Absolvierung der ambulanten Therapie ausgehen, so hätte die Ausländerbehörde es in der Hand, das Ergebnis durch Wahl des Entscheidungszeitpunkts zu beeinflussen. Auch dürfe das Fehlen eines Schulabschlusses und einer Berufsausbildung nicht automatisch zur Bejahung einer Rückfallgefahr führen. Auch die Annahme des Fortbestehens seiner Drogensucht berücksichtige sein bislang erfolgreiches Bemühen um Drogenfreiheit nicht hinreichend. Er habe in den vergangenen Monaten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er bereit sei, sein Leben grundlegend zu ändern und gesetzestreu zu leben. Er habe unter Beteiligung seines Bewährungshelfers zwei Urinkontrollen durchführen lassen, die jeweils negativ ausgefallen seien. Die Selbsthilfegruppe besuche er in Abstimmung mit seinem Bewährungshelfer aus beruflichen Gründen nur unregelmäßig, weil die Termine zum Teil mit seinen Arbeitszeiten in der Gastronomie kollidierten. Die Beklagte habe bei ihren Ermessenserwägungen zudem den grundrechtlichen Schutz der Familie nicht hinreichend gewürdigt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 5. Kammer -vom 18. Mai 2016 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 4. März 2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger unterhalte keine freundschaftlichen Beziehungen zu seiner geschiedenen Ehefrau und den gemeinsamen Kindern. Als Grund seines Wegzugs aus K. am 5. Januar 2017 habe der Kläger gegenüber einer Mitarbeiterin der Beklagten angegeben, dass es "nur Stress und Ärger" mit seiner Familie gebe. Daher sei er bewusst von seiner Familie weg zu seinem Onkel bei Q. gezogen. Der Drogenkonsum des Klägers habe nicht erst im Jahr 2008 begonnen. Nach eigener Aussage habe der Kläger bereits im Alter von 15 Jahren Cannabis und auch härtere Drogen konsumiert. Nach seiner Einreise nach Deutschland sei er in der Y. Drogenszene aktiv gewesen. Das sei auch nach seinen Umzügen nach G. und K. der Fall gewesen. Während der gesamten Zeit seines Aufenthalts in Deutschland mit Ausnahme der Zeit seiner Inhaftierung habe er Drogen konsumiert, wobei er während der Haft im Jahr 2004 einmal aufgrund des Konsums von Drogen aus dem offenen Vollzug genommen worden sei. Er habe sich weder durch die Drohung einer baldigen Ausweisung noch durch die Gründung einer Familie oder seine erste Inhaftierung davon abhalten lassen, weitere Straftaten zu begehen, sondern seine kriminelle Energie nach der ersten Inhaftierung noch gesteigert. Entgegen der Auffassung des Klägers reiche die Bildung einer Gesamtstrafe von über 5 Jahren aus, um zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit begründen zu können. Schon der Gesetzestext stelle nicht auf eine einzige Straftat ab. Das entspreche auch dem Sinn der Gesamtstrafenbildung, nach dem der Täter weder besser noch schlechter gestellt werden solle, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären. § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU knüpfe nur an die konkrete Strafhöhe, nicht an die Deliktsgruppe an. Nach der Rechtsprechung des EuGH könnten auch besonders schwerwiegende Straftaten, gegen Individualrechtsgüter, wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV genannten Straftaten, unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen. Voraussetzung sei immer die Prüfung des Einzelfalls. Diese sei in der angefochtenen Ordnungsverfügung vorgenommen worden. Beachte man die Massivität der Begehung und die Art der Straftaten sowie die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, so ergebe sich unzweifelhaft ein hoher Grad krimineller Energie. Er habe durch die begangenen Straftaten ein nachhaltig gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung gezeigt, was insbesondere durch die Rücksichtslosigkeit und Gewaltbereitschaft und die planmäßige arbeitsteilige Vorgehensweise in einer bandenähnlichen Verbindung belegt werde. Auch im Hinblick auf das Andauern der Wiederholungsgefahr ergebe sich kein anderes Ergebnis als zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 4. März 2015. Lediglich unter dem Druck des laufenden Verfahrens habe der Kläger eine Zeit lang keine Drogen konsumiert. Durch seinen häufigen Wohnortwechsel sei auch keine Kontrollinstanz mehr vorhanden. Zu der vom Gutachter Dr. U. geforderten Langzeittherapie sei der Kläger nicht bereit. Hinzu komme, dass der Kläger noch am 24. September 2014 zu Protokoll gegeben habe, nicht drogenabhängig zu sein und keiner Therapie zu bedürfen. Ohne Therapie werde er seine eingeschliffenen Denkmuster nicht verlassen. Die positive Stellungnahme der hessischen Bewährungshelferin stütze sich auf das gefestigte Umfeld des Klägers in R. -S.. Dieses Umfeld habe er zwischenzeitlich aber wieder in Richtung K. verlassen, ohne die Bewährungshelferin vorab zu informieren. In deren Stellungnahme vom 10. Februar 2017 habe sie ausgeführt, gerade sein altes Umfeld in K., in dem er auch Bekannte aus seiner delinquenten Zeit getroffen habe, hätte ihn dazu verleiten können, den vermeintlich einfachen Weg zu gehen und Angebote bezüglich Drogenerwerbs anzunehmen. Der in K. zuständige Bewährungshelfer habe erklärt, dass der Kläger erst am 25. April 2018 erschienen sei, nachdem er zwei vorangegangene Termine unentschuldigt bzw. wegen Krankheit habe verstreichen lassen. Es habe sich herausgestellt, dass er seinen Arbeitsplatz bereits wieder gewechselt habe. Der Arbeitsvertrag mit der Firma W. bestehe nicht mehr. Stattdessen sei der Kläger in einem Restaurant als Küchenhelfer angestellt. Eine Verdienstbescheinigung bzw. den Arbeitsvertrag habe er nicht vorgelegt. Die Selbsthilfegruppe in K. besuche er nach beruflicher Möglichkeit unregelmäßig. Aktuell habe kein Drogentest stattgefunden. Im Juni 2018 solle der Kläger bei der Bewährungshilfe in K. einen Test vorlegen. Aufgrund dieser Umstände sei zu erwarten, dass er in seine bisherigen Strukturen zurückfalle, sobald die gerichtliche Entscheidung gefallen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die beigezogene Strafvollstreckungsakte sowie das Bewährungsheft Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. März 2015 abgewiesen.
Die Feststellung des Verlusts des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Abs. 1, Abs. 5 FreizügG/EU ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. zur Ausweisung: BVerwG, Urt. v. 3.8.2004 - 1 C 30.02 - juris, Leitsatz 1 und zur Verlustfeststellung: Thüringer OVG, Urt. 10.11.2017 - 3 KO 462/11 -, juris Rn. 28).
Nach § 6 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU). Bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 3 FreizügG/EU).
Die Feststellung nach § 6 Abs. 1, 2 und 3 FreizügG/EU setzt - nach dem (zur damals noch vorgesehenen Ausweisung eines EU-Bürgers ergangenen) Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2004, a.a.O., juris Rn. 24 ff. - erstens - voraus, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (st. Rspr. des EuGH, Urt. v. 27.10.1977- Rs. 30/77 - (Bouchereau),- Slg. 1977, 1999 = NJW 1978, 479, Rn. 33 ff.; Urt. v. 29.4.2004 - C-482/01 und C-493/01 -, DVBl. 2004, 876, Rn. 66). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss. Eine strafrechtliche Verurteilung kann eine Ausweisung/Verlustfeststellung nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O, Rn. 67 m.w.N.). Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urt. v. 27.10.1977, a.a.O., Rn. 30; BVerwG Urt. v. 27.10.1978 - I C 91.76 -, BVerwGE 57, 61, 65 f., Beschl. v. 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140, 146). Es besteht aber keine dahingehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.6.1998 - 1 C 27.95 -, InfAuslR 1999, 59). Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung/Verlustfeststellung ist in jedem Fall unzulässig (vgl. EuGH, Urt. v. 26.2.1975 - Rs. 67/74 - (Bonsignore), Slg. 1975, 297).
Ob die Begehung einer Straftat nach deren Art und Schwere (vgl. auch EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 99) ein persönliches Verhalten erkennen lässt, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, kann ebenfalls nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Erforderlich und ausschlaggebend ist die unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Unionsbürgers und die insoweit anzustellende aktuelle Gefährdungsprognose (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.8.2004, a.a.O., Rn. 25, vgl. auch: BayVGH, Beschl. v. 22.10.2012 - 10 ZB 12.1655 -, juris Rn. 4 f.). Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besagt nicht, dass eine "gegenwärtige Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung im europarechtlichen Sinne beeinträchtigen wird (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.10.1978, a.a.O., S. 66). Ob eine Wiederholungsgefahr in diesem Sinne besteht, kann nicht - gleichsam automatisch - bereits aus der Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung geschlossen, sondern nur aufgrund einer individuellen Würdigung der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Zu prüfen ist u.a., ob eine etwaige Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Unionsbürger künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdenden Straftaten mehr begehen wird. Fehlt es bereits an einer gegenwärtigen und schwerwiegenden Gefahr für wichtige Rechtsgüter, darf eine Verlustfeststellung nicht verfügt werden und aufrechterhalten bleiben (vgl. wiederum: BVerwG, Urt. v. 3.8.2004, a.a.O., Rn. 26, m.w.N.).
Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügE/EU - zweitens - davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.8.2004, a.a.O., Rn. 27). Diese Abwägung hat die Ausländerbehörde im Rahmen der in jedem Falle gebotenen Ermessensentscheidung vorzunehmen. Bei der Prüfung, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen jeweils liegt, ist stets die besondere Rechtsstellung der vom Gemeinschaftsrecht privilegierten Personen und die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 96). Wie bei jeder Ermessensentscheidung ist bei der Interessenabwägung außerdem den Grundrechten Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 97). Die dem Gemeinschaftsrecht immanenten Grundrechte wirken auf die Schranken ein, denen die gemeinschaftsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit unterliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.5.1990 - 1 B 64.90 -, juris Rn. 5). Neben den verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten haben insoweit die in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Grundrechte, die nach Art. 6 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union von dieser zu achten sind, eine besondere Bedeutung. Namentlich der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienlebens ist zugunsten des Unionsbürgers zu beachten. Bei der Beurteilung, ob der beabsichtigte Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, dem Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, steht, sind bei der Verlustfeststellung wie bei der Ausweisung eines Straftäters insbesondere Art und Schwere der begangenen Straftat, die Dauer seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat, die Zeit, die seit der Begehung der Straftat verstrichen ist, die familiäre Situation des Betroffenen und das Ausmaß der Schwierigkeiten zu berücksichtigen, denen er, sein Ehegatte und - gegebenenfalls - seine Kinder im Herkunftsland begegnen können (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 98 f. unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 2.8.2001 in der Rechtssache Boultif, InfAuslR 2001, 476; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, EuGRZ 2004, 317; BVerwG, Beschl. v. 22.2.1993 - 1 B 7.93 -, Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 9; EGMR, Urt. v. 31.10.2002 - 37295/97 - (Yildiz), InfAuslR 2003, 126).
Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Absatz 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (§ 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU).
Hier kann sich der Kläger auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, da er seinen rechtmäßigen Aufenthalt bereits seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland hat. Die danach erhöhten Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung sind nicht erfüllt.
1. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU liegen nicht vor.
a. Allerdings ist gegen den Kläger durch Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts L. vom 9. Juli 2013 nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verhängt worden. Das reicht für die Überschreitung der Schwelle des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU grundsätzlich aus. Wie bereits das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, ist es unerheblich, dass die Gesamtstrafenbildung durch Beschluss und nicht durch Urteil erfolgt ist (vgl. zur Ausweisung: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 54 AufenthG Rn. 8). Sinn und Zweck der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe ist es, die durch eine getrennte Aburteilung entstandenen Vor- und Nachteile auszugleichen, so dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch nach getrennter Aburteilung noch nachträglich so zu behandeln sind, dass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10 -, juris Rn. 25). Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU die Formulierung "wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten" gewählt und somit bewusst die Fälle, in denen eine Gesamtstrafenbildung erfolgt, einbezogen (vgl. zu diesem Wortlautargument im Rahmen der Auslegung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990: BVerwG, Urt. v. 31.8.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 11). Wurde die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB unterlassen, weil etwa die vorherige Verurteilung unbekannt oder noch nicht rechtskräftig war, Vorakten fehlten, die Strafgewalt nicht ausreichte oder der letzte Strafrichter die Regelung des § 55 StGB verkannt hat (vgl. Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. 2011, § 460 StPO, Rn. 3), besteht die Verpflichtung zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, bei der der Verurteilte so gestellt werden soll, als habe bereits der letzte Tatrichter die Gesamtstrafe gebildet (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl. 2013, § 460 Rn. 1). Diese Entscheidung ergeht nach § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO durch Beschluss. Nach Sinn und Zweck des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU kann die zufällige Form der Entscheidung aber keine unterschiedlichen Rechtsfolgen nach sich ziehen. Entscheidend ist zunächst die Höhe der Freiheitsstrafe und nicht die Frage, ob diese Sanktion im Urteils- oder Beschlusswege zustande gekommen ist. Allerdings dürfen Strafen aus verschiedenen Urteilen, bei denen es (i.d.R. wegen des Fehlens der Voraussetzungen des § 55 StGB) nicht zu einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gekommen ist, nicht schlichtweg zusammengerechnet werden (vgl. Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 41), da es sich in diesen Fällen nicht mehr um eine Strafe handelt.
b. Allein das Überschreiten der Unschädlichkeitsschwelle des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU, die Verurteilung zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Taten, reicht jedoch nicht aus. Es ist immer eine umfassende Prüfung erforderlich, ob die konkrete Tat Anlass gibt, von einer zwingenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen. Das wird in der Regel nur bei schwersten Straftaten und Vorliegen einer Wiederholungsgefahr der Fall sein (vgl. Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 6 FreizügG/EU Rn. 63).
Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, dient der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürgerrichtlinie). Er setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme/Verlustfeststellung ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (vgl. EuGH, Urt. v. 23.11.2010 - C-145/09 -, juris, Rn. 40 f.). Die Verlustfeststellung muss auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden und kann nur dann mit zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt werden, wenn sie angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist; Voraussetzung ist weiter, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann. Dabei ist insbesondere der außergewöhnliche Charakter der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit aufgrund des persönlichen Verhaltens der betroffenen Person nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung, gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Aufnahmemitgliedstaat, in den er vollständig integriert ist, zu gefährden (vgl. EuGH, Urt. v. 23.11.2010, a.a.O., Rn. 49 f.). Im Falle einer Verurteilung wegen Straftaten ist Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Unionsbürgerrichtlinie dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten (Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität) als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Verlustfeststellung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Zudem setzt eine Verlustfeststellung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. EuGH, Urt. v. 22.5.2012 - C-348/09 -, juris Rn. 33 f.). Ob die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU durch eine Vielzahl kleinerer Straftaten erfüllt werden, die für sich genommen nicht geeignet sind, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft zu begründen, ist dabei ohne Bedeutung (vgl. EUGH, Urt. v. 4.10.2007 - C-349/06 -, juris Rn. 28 ff. (zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80); a.A. Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 6 FreizügG/EU, Rn. 16).
Hieran gemessen muss die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung von vorneherein wegen Geringfügigkeit außer Betracht bleiben. Bei Beachtung der genannten Vorgaben lassen aber auch die übrigen Straftaten des Klägers, die dem Gesamtstrafenbeschluss vom 9. Juli 2013 zugrundeliegen, keinen hinreichenden Rückschluss auf das Bestehen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit zu.
(1) Dies gilt zunächst für die Verurteilung des Klägers wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 3 Fällen durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 8. Juni 2011. Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob diese Delikte in der Nähe einer sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern im Sinne des Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV liegen, der die Annahme zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit nahelegt. Denn die Art und Weise der Begehung dieser Straftaten im konkreten Fall weist keine besonders schwerwiegenden Merkmale auf. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, denen der Senat auch für die Frage des Vorliegens zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit folgt, lag die Intensität aller 3 Taten eher in der unteren Hälfte der erfüllten Tatbestände. Das Bestehen einer verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) konnte aufgrund des Drogenkonsums des Klägers nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger hat die Taten zudem aufrichtig bereut sowie eingeräumt und so seiner Tochter eine Aussage in der Hauptverhandlung erspart. Aus diesen Gründen gelangte das Amtsgericht trotz erheblicher strafrechtlicher Vorbelastung des Klägers lediglich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die allerdings mangels besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Diese Fallkonstellation unterscheidet sich deutlich von der, die dem Urteil des EuGH vom 22. Mai 2012 (C-348/09) zugrunde lag, in dem der Gerichtshof das Vorliegen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit weiter präzisiert hat. Dort war der Ausländer wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, sexueller Nötigung und Vergewaltigung, die fortlaufend innerhalb eines Zeitraums von elf Jahren zum größten Teil nahezu wöchentlich begangen wurden (vgl. Rn. 10 des Urteilsabdrucks), zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.
(2) Deutlich schwerer wiegt demgegenüber die Verurteilung des Klägers wegen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls in 45 Fällen durch Urteil des Landgerichts L. vom 9. August 2011. Allerdings reichen auch diese Straftaten zur Annahme zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht aus. Auch wenn durch die fortwährenden Diebstähle ein beträchtlicher Sachschaden für die Opfer entstanden ist und ein erhebliches Interesse der Gesellschaft an der Verhinderung künftiger Taten besteht, werden diese nicht allein im Bereich der Beschaffungskriminalität durchaus häufig zu beobachtenden Delikte nicht dem Ausnahmecharakter des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU gerecht, der das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände voraussetzt (vgl. Erwägungsgrund 24 der Unionsbürgerrichtlinie; Nr. 6.5.1 der AVV zum FreizügG/EU v. 3.2.2016). Zwar handelte es sich in allen Fällen jeweils um einen Diebstahl in einem besonders schweren Fall im Sinne des § 243 Abs. 1 StGB, die Grenze zum Bandendiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und damit zur organisierten Kriminalität wurde jedoch trotz arbeitsteiliger Begehungsweise nicht überschritten. Erst in diesen Fällen legt der Rückgriff auf Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV das Bestehen außergewöhnlicher Umstände nahe, die eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU rechtfertigen. Die gewerbsmäßige Begehung von Einbruchsdiebstählen durch den Kläger im vorliegenden Fall reicht hingegen nicht aus, zumal er nach den Feststellungen des Landgerichts zwar Mittäter, aber nicht treibende Kraft der Vergehen war. Derartige Delikte eines EU-Bürgers, der sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, können - vergleichbar der Situation eines deutschen Staatsangehörigen - lediglich strafrechtlich, regelmäßig nicht aber aufenthaltsrechtlich geahndet werden.
2. Unabhängig vom nicht ausreichenden Gewicht der konkret verwirklichten Delikte kann sowohl hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs als auch hinsichtlich der Einbruchsdiebstähle zudem nicht (mehr) von einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus. Sie haben auch nicht zur Folge, dass die Wiederholungsgefahr zumindest in der Regel wegfällt. Dies gilt auch dann, wenn die Strafvollstreckungskammer - wie hier - zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Denn auch dieses orientiert sich inhaltlich an den materiellen strafrechtlichen Voraussetzungen einer Aussetzungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 -, juris Rn. 18 m.w.N.). Wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll, bedarf es einer substantiierten Begründung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.8.2010 - 2 BvR 130/10 -, juris Rn. 36 m.w.N.). Diese kann etwa darin liegen, dass die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn die Ausländerbehörde oder das Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen oder wenn den Strafgerichten bedeutsame Umstände des Einzelfalls nicht bekannt gewesen oder von ihnen nicht beachtet worden sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 24). Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU.
Die Frage der Wiederholungsgefahr kann auch ohne Hinzuziehung eines (weiteren) Sachverständigen entschieden werden. Bei der Gefahrenprognose im Fall der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers bzw. im Falle der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU bewegen sich die Tatgerichte regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind; es bedarf der Hinzuziehung eines Sachverständigen nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, Beschl v. 1.3.2016 - 1 B 30.16 - , juris Rn. 7 m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht erkennbar.
a. Im Hinblick auf den abgeurteilten sexuellen Missbrauch kann die für eine Verlustfeststellung erforderliche Wiederholungsgefahr von vornherein nicht angenommen werden. So führt bereits der von der Strafvollstreckungskammer beauftragte Gutachter Dr. med. Z. U. in seinem psychiatrischen Gutachten vom 5. Dezember 2014 aus (S. 35 des Gutachtens), das Risiko sexueller Straftaten liege im untersten Bereich, insbesondere weil es sich um ein Sexualdelikt innerhalb der eigenen Familie gehandelt habe und in einer sehr spezifischen Situation erst habe entstehen können. Bei der Exploration sei gerade zu diesem Punkt sehr deutlich geworden, dass zum einen die Enthemmung durch Alkohol und/oder Drogen eine Rolle gespielt habe, auf der anderen Seite aber auch die schwierige Beziehung des Klägers zu seiner Exfrau. An anderer Stelle (S. 36 des Gutachtens) wiederholt der Gutachter, das Risiko von Sexualdelikten werde man als extrem gering einschätzen können. Die Verurteilung wegen der Sexualstraftat liege zum einen sehr lange zurück und habe sich zum anderen im sozialen Nahbereich abgespielt. Es sei auch die einzige Straftat, die den Kläger erkennbar bewegt habe und die ihm sichtbar peinlich gewesen sei. Diesen Ausführungen widersprechende Erkenntnisse liegen dem Senat nicht vor und sind auch von der Beklagten nicht vorgetragen worden.
b. Bei der anzustellenden Gefahrenprognose hinsichtlich der abgeurteilten Eigentumsdelikte ist zu berücksichtigen, dass mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L. vom 3. August 2015 der Strafrest nach Verbüßung von 2/3 der Freiheitsstrafe mit Wirkung zum 11. August 2015 zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die Bewährungszeit beträgt 4 Jahre. Dem Kläger wurde zur Auflage gemacht, eine Drogenentwöhnungstherapie bei der Fachklinik AA. für die Dauer von mindestens 22 Wochen anzutreten und ordnungsgemäß durchzuführen sowie im Anschluss an der ambulanten Nachsorgemaßnahme teilzunehmen und sich nach Weisung seines Bewährungshelfers Suchtmittelkontrollen zu unterziehen. Der von der Strafvollstreckungskammer beauftragte Sachverständige Dr. med. Z. U. gelangte in seinem psychiatrischen Gutachten vom 5. Dezember 2014 (dort S. 36) zu dem Schluss, die zum damaligen Zeitpunkt eher schlechte Legalprognose insbesondere hinsichtlich erneuter Delikte im Beschaffungsbereich, einschließlich Raubdelikten, werde man nur durch eine stationäre Langzeittherapie überhaupt verbessern können, eine ambulante Therapie sei hier sicher nicht ausreichend. Es sei ein Zeitraum von mindestens 4 bis 5 Monaten anzusetzen. Die Therapie in der Fachklinik AA. hat der Kläger am 11. August 2015 begonnen. Er musste aber bereits am 3. September 2015 auf ärztliche Veranlassung wieder entlassen werden. Aus der dazu eingeholten Stellungnahme der behandelnden Ärzte vom 22. September 2015 (BeiA 5, Bl. 49 ff.) ergab sich, dass der Kläger auch in der Therapie nur ein geringes Krankheitsverständnis erkennen ließ. Er sei emotional unterversorgt und habe Probleme, Grenzen zu akzeptieren oder Kritik anzunehmen. Seine darauf beruhende mangelnde Therapiemotivation habe letztlich zum Abbruch der Therapie führen müssen. Die Prognose hinsichtlich zukünftiger Abstinenz werde als ungünstig beurteilt. Im Hinblick auf die weiteren Bemühungen des Klägers um eine erfolgreiche Therapie seiner Drogensucht nahm die Staatsanwaltschaft L. mit Verfügung vom 26. Februar 2016 (BeiA 5, Bl. 116) ihren Antrag auf Widerruf der Bewährung vom 8. Oktober 2015 (BeiA 5, Bl. 52) jedoch vorläufig zurück. Mit Beschluss vom 22. März 2016 änderte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L. daraufhin ihren Beschluss vom 3. August 2015 und gab dem Kläger anstelle der Durchführung einer stationären Therapie auf, die ambulante Therapie bei der Suchthilfe Zentrum AB. in AC. weiterzuführen und alles zu unterlassen, was zu einem Abbruch dieser Therapie aus in seiner Person liegenden Gründen führen könnte. Diese Therapie hat der Kläger ausweislich des Schreibens des Bewährungshelfers AD. AE. vom 31. Oktober 2016 (BeiA 5, Bl. 133) zwischenzeitlich erfolgreich durchlaufen und ist regulär entlassen worden. Drogenscreenings im März 2016 (BeiA 5, Bl. 130) sowie im April und Oktober 2017 (BeiA 5, Bl. 138, Bl. 140) verliefen negativ. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat trotz des Abbruchs der stationären Therapie im Jahr 2015 die Gefahr eines Rückfalls des Klägers in seine Drogensucht inzwischen als deutlich reduziert an. Die Bewährungshelferin Anja V. hebt in ihrer Stellungnahme vom 9. Mai 2017 (BeiA 5, Bl. 136 f.) hervor, dass der Kläger trotz der großen Enttäuschung, die er nach seiner ersten Rückkehr nach K. im Hinblick auf ein erneutes Zusammenleben mit seinen Kindern erfahren habe, nicht in alte Verhaltensweisen zurückgefallen sei. Gerade sein altes Umfeld in K., in dem er auch Bekannte aus seiner delinquenten Zeit getroffen habe, habe ihn nicht dazu verleiten können, den vermeintlich einfacheren Weg zu gehen und auf die Angebote, die er bezüglich Drogenerwerbs bekommen habe, anzunehmen. Das Verhalten des Klägers zeige eine deutliche Nachreifung seiner Persönlichkeit. Statt der Versuchung nachzugeben, habe er sich Gedanken gemacht, wie er seinem Leben eine andere Wendung dahin geben könne, dass er nicht ständiger Enttäuschung ausgesetzt sei, und sich zum Zwecke der Arbeitsaufnahme wieder an seinen Onkel gewandt. Der Kläger sei in ständigem Austausch mit der Bewährungshilfe und zeige sich nach wie vor offen und kritikfähig. Der erfolgreiche Abschluss der ambulanten Drogentherapie zeige außerdem, dass der Kläger mittlerweile sein Handeln vorab angemessen überdenken könne, anstatt wie früher impulsiv und spontan zu handeln. In seiner Stellungnahme vom 25. Mai 2018 (BeiA 5, Bl. 144 f.) weist der Bewährungshelfer AD. AE. darauf hin, dass der Kläger nach seinem erneuten Umzug nach K. in einer Pizzeria ca. 1.400 € netto im Monat verdiene. (Die vom Kläger vorgelegten Verdienstbescheinigungen für April und Mai 2018 (GA, Bl. 443 f.) belegen einen Nettoverdienst von 1.100 € bei einem Bruttoverdienst von nahezu 1.500 €). Hinweise auf Drogenmissbrauch lägen nicht vor. Aufgrund seiner beruflichen Eingebundenheit besuche der Kläger die Selbsthilfegruppe in K. nur noch unregelmäßig. Die Kontakthaltung zum Bewährungshelfer sei beanstandungsfrei. Insgesamt scheine es so, dass der Kläger durchaus wieder Fuß gefasst und eine gute Basis für ein straffreies Leben gefunden habe. Diese Einschätzung hat er in seinem schriftlichen Bericht gegenüber dem Senat vom 25. Juni 2018 (GA, Bl. 461 f.) trotz des Hinweises auf zwischenzeitliche Fehltermine bei der Kontaktaufnahme wiederholt und auf weitere negativ verlaufene Urinkontrollen vom 30. August 2017, 8. Dezember 2017, 30. Mai 2018 und 7. Juni 2018 verwiesen. Auch habe der Kläger zwischenzeitlich wieder Kontakt mit seiner in AF. lebenden Familie und erledige dort diverse Garten- und Hausarbeiten.
Nimmt man die sich in diesen Stellungnahmen widerspiegelnde aktuelle Entwicklung des Klägers in den Blick, so kann von einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf mögliche Eigentumsdelikte nicht mehr ausgegangen werden, zumal der Kläger die Drogenproblematik derzeit und für einen absehbaren Prognosezeitrum im Griff zu haben scheint. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass der Kläger trotz seines mehrfachen Umzugs und des Fehlens einer abgeschlossenen Berufsausbildung sich sowohl in R. -S. als auch in K. letztlich jeweils erfolgreich um die Sicherung seines Lebensunterhalts bemüht hat. Der Senat verkennt dabei nicht, dass im Hinblick auf die vorangegangene Drogensucht und die langjährige kriminelle Karriere des Klägers ein Rückfall in alte Verhaltensmuster nicht völlig ausgeschlossen werden kann, auch wenn das letzte Eigentumsdelikt mehr als sieben Jahre zurückliegt und der Kläger sich nunmehr nahezu drei Jahre beanstandungsfrei - wenn auch unter laufender Bewährung - wieder in Freiheit befindet. Dieses verbleibende Risiko muss im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Unionsbürgerrichtlinie, deren Umsetzung § 6 Abs. 5 FreizügG/EU dient, letztlich aber von dem betreffenden Aufnahmemitgliedstaat hingenommen werden.
Liegen schon die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1, Abs. 5 FreizügG/EU nicht vor, so bedarf es einer Überprüfung der getroffenen Ermessensentscheidung nicht mehr.
Mit der Aufhebung der Verlustfeststellung ist auch dem gesetzlich angeordneten Einreiseverbot nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU die Grundlage entzogen. Einer Überprüfung der Angemessenheit der nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU ausgesprochenen Befristung bedarf es mithin nicht.
Mangels Ausreisepflicht des Klägers ist auch die im angefochtenen Bescheid vom 4. März 2015 ausgesprochene Abschiebungsandrohung aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.