Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.07.2018, Az.: 4 ME 134/18

Anrechnung; Ausbildungsbeihilfe; Ausbildungsförderung; Ausbildungskosten; Bedarf; bedarfsberücksichtigungsfähiger Bedarf; Darlehen; Einkommen; Gleichheitsgrundsatz; Lebensunterhalt; Studiengebühren; Studium im Ausland; Ungleichbehandlung; Zweckbestimmung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.07.2018
Aktenzeichen
4 ME 134/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74352
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 28.05.2018 - AZ: 3 B 12217/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Anrechnung eines Darlehens ("postgraduate loan") der Student Finance England auf den Bedarf des in Großbritannien studierenden Deutschen.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 3. Kammer - vom 28. Mai 2018 geändert, soweit das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, dem Antragsteller vorläufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung - ab dem 8. Dezember 2017 bis einschließlich September 2018 weitere Ausbildungsförderung in Höhe von 66,25 EUR monatlich zu gewähren.

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens und ¼ der außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Antragsgegnerin trägt ¾ der außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die im erstinstanzlichen Beschluss getroffene Sachentscheidung hat Erfolg. Denn das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung weiterer Ausbildungsförderung in Höhe von monatlich 66,25 EUR für den Zeitraum vom 8. Dezember 2017 bis zum 30. September 2018 verpflichtet.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt kein Anordnungsanspruch vor. Der Antragsteller hat nämlich nicht glaubhaft gemacht, dass er in dem o. a. Zeitraum eine höhere Ausbildungsförderung als die ihm von der Antragsgegnerin in Höhe von monatlich 206,- EUR bewilligte Förderung beanspruchen kann.

Der berücksichtigungsfähige Bedarf des Antragstellers beläuft sich - wovon auch die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht übereinstimmend ausgegangen sind - nach § 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 BAföG i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 BAföG-AuslandszuschlagsV für den Bewilligungszeitraum auf 843,31 EUR monatlich; dieser Bedarf umfasst u. a. nachweisbar notwendige Studiengebühren in Höhe von 353,85 EUR monatlich, die zum berücksichtigungsfähigen Bedarf gehören, weil nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 Abs. 1 BAföG-AuslandszuschlagsV Ausbildungsförderung in der Form eines Zuschlags zur Deckung des diesbezüglichen Bedarfs für die Dauer eines Jahres bis zur Höhe von 4.600,- EUR geleistet wird.

Auf den o. a. Bedarf ist nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG das Einkommen des Antragstellers nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften anzurechnen. Da § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG bestimmt, dass auch Ausbildungsbeihilfen und gleichartige Leistungen, die nicht nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz geleistet werden, in Höhe der tatsächlich geleisteten Beträge als Einkommen gelten, muss mithin das Darlehen („postgraduate loan“) der Student Finance England, das der Antragsteller für sein 13-monatiges Masterstudium an der B. in C. in Höhe von 11.667,- EUR erhält, in vollem Umfang auf den Bedarf des Antragstellers angerechnet werden. Denn bei diesem Darlehen handelt es sich um eine Ausbildungsbeihilfe im Sinne der genannten Norm, die auch staatliche Leistungen, die nur darlehensweise erbracht werden, einschließt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 21.9.1989 - 5 C 10.87 -, BVerwGE 82, 323).

Der vollen Anrechnung des o. a. Darlehens auf den Bedarf des Antragstellers steht § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift gelten zwar Einnahmen, deren Zweckbestimmung einer Anrechnung auf den Bedarf entgegensteht, insbesondere Einnahmen, die für einen anderen Zweck als zur Deckung des Bedarfs im Sinne des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt sind, nicht als Einkommen. Dies trifft auf das dem Antragsteller gewährte Darlehen der Student Finance England jedoch nicht zu. In dem vom Antragsteller vorgelegten Nachweis über die Gewährung des Darlehens ist der Zweck des Darlehens folgendermaßen bezeichnet: „This loan helps towards the costs of your education and day-to-day living costs, and might affect any benefit you get“. Das Darlehen wird dem Antragsteller somit sowohl für die Ausbildungskosten als auch die Lebenshaltungskosten gewährt. Damit hat es dieselbe Zweckbestimmung wie die Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die nach § 11 Abs. 1 BAföG für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet wird. Dass das dem Antragsteller bewilligte Darlehen auch für Studiengebühren als Teil der vom Antragsteller zu tragenden Ausbildungskosten geleistet wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn bei einer Ausbildung im Ausland nach § 5 Abs. 2 BAföG - wie der des Antragstellers - gehören nachweisbar notwendige Studiengebühren zu den Ausbildungskosten, für die Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Form eines Zuschlags nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 BAföG-AuslandszuschlagsV geleistet wird. Folglich stellt das dem Antragsteller gewährte Darlehen keine Einnahme im Sinne des § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG dar, die für einen anderen Zweck als zur Deckung des Bedarfs im Sinne des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt ist. Die Zweckbestimmung des Darlehens steht auch nicht aus anderen Gründen einer Anrechnung auf den Bedarf des Antragstellers entgegen.

Dieser Beurteilung lässt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass das Darlehen anders als die Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz der vollständigen Deckung der vom Antragsteller zu tragenden Studiengebühren und nur im Übrigen der Bestreitung des Lebensunterhalts diene. Denn diese Annahme ist unzutreffend. Der Zweckbestimmung des Darlehens lässt sich nicht entnehmen, dass aus dem Darlehen zunächst die Studiengebühren in vollem Umfang zu decken sind und nur der übrige Betrag für den Lebensunterhalt verwendet werden kann. Vielmehr ist das Darlehen ausweislich des vom Antragsteller vorgelegten Nachweises sowohl für die Ausbildungskosten als auch für die Kosten des allgemeinen Lebensunterhalts gewährt worden. Folglich kann keine Rede davon sein, dass das Darlehen zuerst der Deckung der gesamten Studienbeiträge in Höhe von 9.358,- EUR dient und damit eine Zweckbestimmung hat, die nur eine Anrechnung des Teils des Darlehens erlaubt, der auf den durch den Zuschlag nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 BAföG-AuslandszuschlagsV gedeckten Teil der Studienbeiträge und die Lebenshaltungskosten entfällt.

Dass das dem Antragsteller gewährte Darlehen in vollem Umfang auf dessen berücksichtigungsfähigen Bedarf anzurechnen ist, führt auch - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - zu keiner verfassungswidrigen Ungleichbehandlung des Antragstellers gegenüber „Deutschen, die im Inland wohnen und grundsätzlich ohne Studiengebühren studieren können“. Zwar dürfte eine ausbildungsförderungsrechtliche Ungleichbehandlung von deutschen Auszubildenden, die wie der Antragsteller im Ausland studieren, gegenüber den deutschen Auszubildenden, die im Inland studieren und keine Studiengebühren zu zahlen haben, vorliegen, wenn die Auszubildenden im Ausland Studiengebühren, die die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 BAföG-AuslandszuschlagsV zu zahlenden Zuschläge übersteigen, zu entrichten haben und Darlehen, die ihnen für die Ausbildungskosten und die Lebenshaltungskosten gewährt werden, in vollem Umfang auf den Bedarf angerechnet werden. Eine solche Ungleichbehandlung ist aber sachlich gerechtfertigt und daher nicht verfassungswidrig. Denn diese ist darauf zurückzuführen, dass der Verordnungsgeber in der BAföG-AuslandszuschlagsV ein Regulativ in der Form einer grundsätzlich einzuhaltenden Obergrenze für die berücksichtigungsfähigen Studiengebühren eingeführt hat, das sich angesichts dessen, dass - erstens - ein Studium im Ausland insbesondere an privaten Universitäten mit sehr hohen Studiengebühren verbunden sein kann (BT-Drs. 10/5025 S. 9, 17 f.), dass - zweitens - die Obergrenze so bemessen ist, dass in allen Studienfächern qualitativ hochwertige Studienangebote im Ausland erreichbar sind, wenn der Auszubildende eine entsprechend preisgünstige Hochschule wählt (BR-Drs. 177/86 S. 7 f.) und dass - drittens - Zuschläge für Studiengebühren nach § 3 Abs. 2 BAföG-AuslandszuschlagsV unter den dort genannten Voraussetzungen - u. a. wenn die Ausbildung nur an der gewählten Hochschule durchgeführt werden kann - auch über den in § 3 Abs. 1 BAföG-AuslandszuschlagsV genannten Höchstbetrag hinaus geleistet werden können, als angemessen und sachgerecht erweist. Hinzu kommt, dass nach § 23 Abs. 5 BAföG auf besonderen Antrag ein weiterer Teil des Einkommens des Auszubildenden bis zu einem Betrag von 260,- EUR monatlich zur Vermeidung unbilliger Härten anrechnungsfrei gestellt werden kann, soweit dieser zur Deckung besonderer Kosten der Ausbildung, die - wie die Teile der Studienbeiträge, die die Zuschläge nach § 3 BAföG-AuslandszuschlagsV übersteigen - nicht durch den Bedarfssatz gedeckt sind, erforderlich ist. Nach alledem kann von einem sachlich nicht gerechtfertigten und damit verfassungswidrigen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG keine Rede sein.

Schließlich ist auch eine Ungleichbehandlung von Empfängern des postgraduate loan und von Empfängern von Bildungskrediten des Bundes nicht festzustellen. Denn Bildungskredite des Bundes sind mit den Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht zweckidentisch, da Bildungskredite bei den nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz geförderten Auszubildenden der Finanzierung eines außergewöhnlichen, nicht durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz erfassten Aufwandes dienen, während das postgraduate loan für die Ausbildungskosten und den Lebensunterhalt gewährt wird und damit mit den Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zweckidentisch ist. Die Annahme der Vorinstanz, dass das dem Antragsteller gewährte Darlehen mit dem Bildungskredit nach dem Bundesprogramm vergleichbar sei, ist daher unzutreffend.

Die vollständige Anrechnung des dem Antragsteller gewährten Darlehens auf dessen berücksichtigungsfähigen Bedarf, die nach den vorstehenden Ausführungen gesetzlich vorgeschrieben ist, hat zur Folge, dass der Antragsteller eine höhere Ausbildungsförderung als die ihm von der Antragsgegnerin bereits bewilligte nicht beanspruchen kann. Mithin muss seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Erfolg versagt bleiben.