Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.06.2005, Az.: 11 KO 19/05
Verpflichtung des Erinnerungsgegners zur Erstattung der dem Erinnerungsführer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen; Erstattungsfähige Aufwendungen bei einem als Rechtsbeistand in eigener Sache Tätigen; Heranziehung von Wertvorschriften für die Gerichtsgebühren bei der Bemessung des Gegenstandswerts für das gerichtliche Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.06.2005
- Aktenzeichen
- 11 KO 19/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 17300
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2005:0609.11KO19.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 139 Abs. 1 FGO
- § 155 FGO
- § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO
- § 23 Abs. 1 S.1 RVG
- § 52 Abs. 1 GKG
Fundstellen
- EFG 2005, 1804-1805 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB direkt 2005, 3
- RVGreport 2005, 398
Redaktioneller Leitsatz
Nach § 23 Abs.1 S. 1 RVG sind bei der Bemessung des Gegenstandswerts für das gerichtliche Verfahren die Wertvorschriften für die Gerichtsgebühren heranzuziehen. Gem. § 52 Abs.1 GKG, bemisst sich der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers ergebenden Bedeutung der Sache. Diese Regelung wird aber durch § 52 Abs. 4 GKG modifiziert, wonach der Streitwert nicht unter einen Mindestbetrag von 1.000 EUR angenommen werden darf. Diese Vorschrift wird auch von der Verweisung in § 23 Abs.1 S. 1 RVG umfasst, sodass auch bei der Bemessung des Gegenstandswerts von einem Mindestbetrag in dieser Höhe auszugehen ist.
Es besteht daher in finanzgerichtlichen Verfahren ein "Mindeststreitwert" von 1000 Euro
Gründe
Verfahrensgegenstand ist der Kostenfestsetzungsbeschluss vom ... Februar 2005. Die Beteiligten streiten um den Umfang der dem Erinnerungsführer zu erstattenden Aufwendungen.
Der Erinnerungsführer ist als selbstständiger Rechtsbeistand tätig. Die Klage in der Hauptsache 11 K 11940/04 richtete sich gegen den Bescheid vom des Erinnerungsgegners vom ... Oktober 2004 über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags in Höhe von 30,00 EUR wegen der nicht fristgerechten Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat August 2004 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom ... November 2004. Der Erinnerungsgegner nahm den angefochtenen Bescheid am ... Januar 2005 aus verwaltungsökonomischen Gründen zurück. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Beschluss vom ... Januar 2005 legte das Gericht dem Erinnerungsgegner die Kosten des Verfahrens auf.
Mit Schreiben vom ... Februar 2005 beantragte der Erinnerungsführer, die Kosten gegen den Beklagten festzusetzen, wobei er bei der Bemessung der Verfahrensgebühr von einem Gegenstandswert von 1.000 EUR ausging. Im Kostenfestsetzungsbeschluss wich die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle von diesem Antrag ab und legte der Berechnung einen Streitwert von 30 EUR zu Grunde. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass der Erinnerungsführer die Aufhebung eines Bescheids begehrt habe, der ihn in Höhe des festgesetzten Verspätungszuschlags belastet habe.
Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene Erinnerung. Der Erinnerungsführer begehrt die Festsetzung der zu erstattenden Aufwendung unter Berücksichtigung eines Streitwerts von 1.000 EUR. Zur Begründung weist er darauf hin, dass der in § 52 Abs. 4 Gerichtskostengesetz vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718 (GKG) festgeschriebene Mindeststreitwert nach § 23 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) auch für die Bemessung seiner Aufwendungen maßgeblich sei.
Der Erinnerungsführer beantragt,
unter Änderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 23. Februar 2005 die zu erstattenden Kosten von 48 EUR auf 156 EUR heraufzusetzen.
Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass das RVG keinen Mindeststreitwert vorsehe.
Die Erinnerung hat Erfolg.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist rechtswidrig und belastet den Erinnerungsführer in seinen Rechten, weil er einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen unter Berücksichtigung eines Gegenstandswerts von 1.000 EUR hat.
Nach § 139 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) ist der Erinnerungsgegner auf Grund des Beschlusses vom 26. Januar 2005 verpflichtet, dem Erinnerungsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Da der Erinnerungsführer als Rechtsbeistand in eigener Sache tätig geworden ist, gehören zu diesen Aufwendungen nach § 155 FGO in Verbindung mit § 91 Abs. 2 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO) die Gebühren und Auslagen, die er bei einer Bevollmächtigung eines anderen Rechtsanwalts hätte geltend machen können (vgl. auch Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 2. November 1971 VII B 161/69, BStBl II 1972, 94).
Bei der Bemessung der dem Erinnerungsführer zu erstattenden Gebühren und Auslagen ist das RVG anzuwenden, weil die Klage am 2. Dezember 2004 erhoben worden ist (§ 61 Abs. 1 RVG). Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG sind bei der Bemessung des Gegenstandswerts für das gerichtliche Verfahren die Wertvorschriften für die Gerichtsgebühren heranzuziehen. Nach § 52 Abs. 1 GKG - anwendbar gemäß § 72 Nr. 1 GKG - bemisst sich der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers ergebenden Bedeutung der Sache. Diese Regelung wird aber durch § 52 Abs. 4 GKG modifiziert, als der Streitwert nicht unter einen Mindestbetrag von 1.000 EUR angenommen werden darf. Entgegen der Ansicht des Erinnerungsgegners ist diese Vorschrift auch von der Verweisung in § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG umfasst, sodass auch bei der Bemessung des Gegenstandswerts von einem Mindestbetrag in dieser Höhe auszugehen ist.
Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG. Nach der gesetzlichen Regelung sollen die "für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften" maßgeblich sein, zu denen im finanzgerichtlichen Verfahren nicht nur die allgemeine Regelung in § 52 Abs. 1 GKG, sondern auch die vorrangige Ausnahmevorschrift in§ 52 Abs. 4 GKG gehören. Dass der Gesetzgeber mit der Verweisung auf die Vorschriften im GKG diese Sondervorschrift nicht in Bezug nehmen wollte, ist dem Wortlaut der generell formulierten Rechtsfolge nicht entnehmbar.
Zudem entspricht die Einbeziehung des § 52 Abs. 4 GKG in die Bemessung des Gegenstandswerts zur Berechnung der Gebühren für den Rechtsanwalt auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit der Einführung eines Mindeststreitwerts erreichen wollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - muss der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Gebührenregelung für die anwaltliche Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren auch die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleistete Berufsfreiheit der Rechtsanwälte beachten. Das Entgelt muss zwar nicht genau dem Wert der anwaltlichen Leistung im Einzelfall entsprechen, aber doch so bemessen sein, dass der Anwalt aus seinem Gebührenaufkommen nach einer Mischkalkulation sowohl seinen Kostenaufwand als auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 1992 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337; zur Neuregelung durch das RVG vgl. Madert, in: von Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Aufl. 2004, Einl. Rdnr. 12). In der Entwurfsbegründung zur Einführung des Mindeststreitwerts in § 52 Abs. 4 GKG wird ausgeführt, dass zahlreichen Verfahren vor den Finanzgerichten ein sehr geringer Streitwert zu Grunde liege. Die in diesen Verfahren anfallenden sehr geringen Gebühren könnten nicht durch hohe Gebühren bei Verfahren mit höheren ausgeglichen werden. Mit dem Mindeststreitwert könne daher dem Aufwand, den ein finanzgerichtliches Verfahren mit sich bringe, besser Rechnung getragen werden. Auch hätten die Verfahren schon häufig deshalb eine höhere Bedeutung, als der sich in Streit befindliche Betrag, weil die Entscheidung in einer Steuersache Bedeutung für die Folgejahre haben könne (Entwurfsbegründung zum Kostenmodernisierungsgesetz, BT-Drs. 15/1971, S. 156). Diese Situationsbeschreibung und die hieraus gezogenen Folgerungen müssen sich konsequenterweise auch bei der Bemessung der Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit niederschlagen.
Die zu erstattenden Kosten bemessen sich wie folgt:
Verfahrensgebühr unter Berücksichtigung eines Gegenstandswerts von 1.000 EUR; Nr. 3200 Vergütungsverzeichnis (VV) RVG | 1,6 136,00 EUR |
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Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG | 20 v. H., höchstens 20 EUR 20,00 EUR |
Summe | 156,00 EUR |
davon zu Lasten des Erinnerungsgegners (100 v. H.) | 156,00 EUR |
Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. 8 GKG.