Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 14.11.2007, Az.: 3 A 1746/06
Amtsermittlungspflicht einer Landesrundfunkanstalt bei Anhaltspunkten für eine tatsächliche oder beabsichtigte Beendigung der Gebührenpflicht; Bestehen von Beweiserleichterungen im Hinblick auf die Abmeldung eines Empfangsgeräts und den Zugang der Abmeldung im Fall von Obliegenheitsverletzungen der Landesrundfunkanstalt
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 14.11.2007
- Aktenzeichen
- 3 A 1746/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 48996
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2007:1114.3A1746.06.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 2 RGebStV
- § 4 Abs. 4 RGebStV
- § 4 Abs. 7 RGebStV
- § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG
- § 108 VwGO
Verfahrensgegenstand
Rundfunkgebühren
Redaktioneller Leitsatz
Unterlässt es die GEZ bei konkreter Veranlassung, zeitnah bei den in § 4 Abs. 5 S. 2 RGebStV genannten Personen hinsichtlich der Abmeldung eines Teilnehmers nachzufragen, tritt zugunsten des grundsätzlich beweisbelasteten Teilnehmers Beweiserleichterung, im Extremfall Beweislastumkehr für seine Abmeldung ein.
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Stade - 3. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2007
durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Schulz als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 02. Juni 2006 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger (Gebührenteilnehmer bei dem Beklagten unter der Nr. C.) wehrt sich gegen die Heranziehung eines angeblichen Gebührenrückstandes in Höhe von 1.183,13 EUR (303,32 EUR für die Zeit vom Juli 1999 bis Dezember 2000, 874,70 EUR für die Zeit vom Januar 2000 bis Juni 2006, Säumniszuschlag 5,11 EUR), festgesetzt mit Gebühren- und Leistungsbescheid vom 02. Juni 2006.
Mit seiner Klage vom 06. Juli 2006 bringt der Kläger vor: Von D. aus habe er 1999 aus beruflichen Gründen in E. eine Wohnung anmieten müssen(F.). Am 14. März 1999 habe er für diese Wohnung bei der GEZ seine privat genutzten Rundfunkempfangsgeräte angemeldet und dafür eine Einzugsermächtigung bei der G. Sparkasse erteilt. Bis zum 1. Quartal 1999 habe die GEZ auch entsprechende Abbuchungen vorgenommen. Die Wohnung habe er im April 1998 aufgegeben und sei zurück nach D. (H.) gezogen - zu seiner Lebensgefährtin I., die über angemeldete Geräte verfügte. Diese habe auch das Kündigungsschreiben an die GEZ für ihn verfasst und abgesandt, allerdings später. Denn er habe die G. Wohnung nicht gleich nachvermieten können und habe versucht den dort verbliebenen Hausrat zu verkaufen. Das sei erst Ende 1998 oder Anfang 1999 gelungen. Bis dahin habe er Miete gezahlt und dann erst habe er sich in Berlin abgemeldet, für ein halbes Jahr einen Nachsendeauftrag erteilt und sein G. Bankkonto aufgelöst. Mit der Abmeldung bei der GEZ - durch seine Lebensgefährtin - in diesem zeitlichen Zusammenhang, ohne das tatsächlich noch datieren zu können, habe er die ganze Angelegenheit für erledigt gehalten und weil er bis Juni 2005 nichts mehr davon hörte auch halten dürfen. Von der Rücklastschrift vom 09. April 1999 (Abbuchung für das 2. Quartal 1999), auf die der Beklagte jetzt verweist, habe er ebenso wenig etwas erfahren, wie von dem Gebührenbescheid des Beklagten vom 03. Mai 2000, der offensichtlich (nach Ablauf des Nachsendeauftrags!) nicht zugestellt werden konnte. Erst als er sich zum 01. Mai 2005 in D. in die J. ummeldete, habe die GEZ wohl einen EMA - Datensatz erhalten. Diese habe ihn am 17. Juni 2005 deswegen völlig überraschend unter seiner (neuen) K. Adresse angeschrieben ("da wir sie auf dem Postwege nicht erreichen konnten") und ihm den Gebührenrückstand für die G. Wohnung seit 1999 mitgeteilt. Daraufhin habe er unverzüglich darauf verwiesen, dass er seit seinem Wegzug aus E. und seit der Abmeldung bei der GEZ - was er beides nach 5 Jahren natürlich nicht mehr belegen könne - keine meldepflichtigen Geräte zum Empfang bereitgehalten habe und dass er seit März 2005 mit seiner Lebensgefährtin unter der neuen Anschrift wohne. Zudem habe er deren Teilnehmernummer bei der GEZ benannt. Das habe der Beklagte schließlich als Abmeldung ab Juni 2006 akzeptiert und nicht wie es richtig wäre als Abmeldung ab 2. Quartal 1999. Vor diesem Hintergrund könne die Gebührenforderung vom 02. Juni 2006 keinen Bestand haben, weil die Gebührenpflicht mit seiner Abmeldung spätestens mit Ablauf des 2. Quartals 1999 erloschen ist. Dass er nun die Abmeldung nicht mehr nachweisen könne, liege auch am Verhalten des Beklagten. Weder habe dieser nach der Rückbuchung vom April 1999 zeitnah nachgefragt, noch zeitnah einen Gebührenbescheid versandt - als sein Nachsendeauftrag noch bestand und die Nachfrage ihn auch erreicht hätte! Damit habe der Beklagte auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes "Massenverfahren" ganz nahe und in dessen Interesse liegende Obliegenheiten verletzt und dieses selbst dann, wenn die Abmeldung doch unterblieben sein oder verloren gegangen sein sollte. Im Übrigen berufe er sich für die erhobenen Gebühren bis 2002 auf Verjährung. Dieses sei auch nicht treuwidrig - wie für die Fälle der unterlassenen An meldung entschieden. Hier gehe es um den Nichtnachweis einer Ab meldung. Warum sollte ein Gebührenschuldner die ihm nachteilige Anmeldung ordnungsgemäß vornehmen, die ihm vorteilhafte Abmeldung aber nicht ?
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 02. Juni 2006 aufzuheben
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und erwidert: Der Gebührenschuldner habe den Beginn und das Ende des Bereithaltens und einen Wohnungswechsel anzuzeigen. Dafür sei er beweispflichtig. In einem Massenverfahren reiche bereits das objektive rechtswidrige Verhalten des Rundfunkteilnehmers aus, da der Nachweis konkreten Verschuldens der Rundfunkanstalt aufgrund des erheblichen Verwaltungsaufwandes nicht zugemutet werden könne. Die Verjährungseinrede sei folglich unbeachtlich, wenn sie gegen das Verbot unzulässiger Rechtsausübung verstoße. Das sei der Fall. Den Vorteil der Verjährung könne der Kläger nicht durch rechtswidriges Tun/Unterlassen herbeiführen - nämlich die unterlassene Abmeldung und Anzeige des Wohnungswechsels.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 02. Juni 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO), Für den Heranziehungszeitraum ist der Kläger nicht (mehr) gebührenpflichtig gewesen.
Dazu im Einzelnen:
Die bis 1999 hinein und seit Anmeldung für die Berliner Wohnung im Jahr 1991 bestehende Gebührenpflicht des Klägers als Rundfunkteilnehmer endete vor dem mit Bescheid veranlagten Zeitraum (ab Juli 1999) durch Nichtbereithalten der Geräte und Abmeldung bei der GEZ. Gemäß § 4 Abs. 2 RGebStV endet die Rundfunkgebührenpflicht mit Ablauf des Monats, in dem das Bereithalten eines Empfangsgerätes endet, jedoch nicht vor Ablauf des Monats, in dem dies der Landesrundfunkanstalt angezeigt wird. Das Gericht ist - gemäß § 108 VwGO - unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zur Überzeugung gelangt, dass die Anzeige (Abmeldung) spätestens im April 1999 bei der GEZ vorgelegen hat, oder aber auf zeitnahe Rückfragen erneut/wiederholt so hätte angezeigt werden können, dass diese ab 01. Juli 1999 noch wirksam hätte werden können. Dabei verkennt das Gericht verkennt nicht, dass den Rundfunkgebührenteilnehmer für die Anzeige (hier Abmeldung) und deren Zugang "die Beweislast trifft" (§ 4 Abs. 7 RGebStV i.V.m. § 3 Abs. 4 der Satzung des Norddeutschen Rundfunks zur Leistung der Rundfunkgebühr vom 21. 12. 1993 in Nds. MinBl. 1993, S. 1329 i.d.F. vom 10. 12. 1996 in Nds. MinBl. 1996, S. 1866) und dass dieses rechtlich nicht zu beanstanden ist, weil es sich beim Gebühreneinzug um eine "Massenverwaltung" handelt (vgl. Hahn/Vesting, Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Auflage 2008, § 4 RGebStV, Anhang nach Rdnr. 133 - Anhang Mustersatzung über das Verfahren zur Leistung von Rundfunkgebühren, dort zu § 3 Abs. 5 mit zahlreichen Nachweisen). Denn das bedeutet gleichwohl nicht, der Beklagte als Rundfunkanstalt unter Berücksichtigung der vom "Regelfall" abweichenden Besonderheiten einer Gebührenerhebung von jeglicher Amtsermittlung (§ 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 NdsVwVfG ) und Obliegenheit gegenüber dem grundsätzlich beweispflichtigen Gebührenschuldner befreit ist, wie auch aus den Regelungen des § 4 Abs. 5 und 6 RGebStV folgt. Wenn eine Anzeige nicht oder nicht umfassend vorliegt, dürfen danach die Landesrundfunkanstalten u.a. auch Auskünfte bei den Meldebehörden einholen, soweit dies zur Überwachung der Rundfunkgebührenpflicht erforderlich ist. Im Zusammenhang mit dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folgt daraus, dass das auch für den Fall der Ab meldung - nachteilig für den Beklagten, vorteilhaft für den Kläger - gilt, wenn ein Anhalt besteht, dass die Gebührenpflicht beendet ist oder hat beendet werden sollen (vgl. Hahn/Vesting, a.a.O., § 4 Rdnrn. 16 ff.). Auch wenn Art und Umfang der nach den genannten Vorschriften dem Beklagten obliegenden Ermittlungstätigkeit durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt sind, so berechtigt dies doch keinesfalls zu einer nur oberflächlichen oder gar unterbliebenen Sachverhaltsermittlung lediglich aus Personal- und Kostengründen. Die Abwägung zwischen Aufwand und Ermittlungsergebnis darf vielmehr nur aus Gründen des jeweiligen Einzelfalls vorgenommen werden, nicht aus Gründen, die allen Einzelfällen gemeinsam sind (OVG Lüneburg, B. v. 07. 05. 2007 - 4 LA 521/07 - und B. v. 30. 11. 2005, 10 PA 118/05 zitiert nach [...] unter Hinweis auf Stelkens/Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Auflage, München 20021, § 24 Rn. 36,37). Unterlässt der Gebührengläubiger es bei konkreter Veranlassung, zeitnah beim Gebührenschuldner, bei der Bank, beim Meldeamt oder anderen in § 4 Abs. 5 Satz 2 RGebStV genannten Personen nachzufragen, erschwert er damit zugleich dem Gebührenschuldner den Beweis oder bei weiterem Zeitablauf vereitelt er diesen dadurch, dass der Gebührenschuldner "mit guten Gewissen" nach Ablauf der geläufigen Verjährungsfristen entsprechende Beweisunterlagen vernichtet. Veranlassung in diesem Sinne bestand für den Beklagten zweifach: Auf den jahrelang problemlosen Gebühreneinzug im Lastschriftverfahren über die Bankverbindung des Klägers erfolgte Rückbuchung im April 1999 und der Gebührenbescheid vom 03. Mai 2000 erwies sich unter der letzten bekannten Anschrift des Klägers als unzustellbar - unstreitig nach Beendigung des üblicherweise für 6 Monate erteilten Nachsendeauftrags. Die Folge in einem solchen Falle ist, dass Beweiserleichterung, im Extremfall Beweislastumkehr eintritt (§§ 108 VwGO i.V.m. § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. dazu Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Auflage 2005, § 286 Rdnr. 17 und 18 mit Nachweisen). Vor dem Hintergrund - mindestens Obliegenheitsverletzungen des Beklagte hindern den Kläger 6 Jahre nach seiner behaupteten Abmeldung am Vollbeweis - genügt es, wenn der Kläger die Abmeldung und den Zugang bei dem Beklagten glaubhaft macht (§ 108 VwGO i.V.m. § 294 ZPO). Nach allen Geschehensabläufen und Daten für den Umzug, die melderechtlichen Schritte, dem Nachsendeauftrag, der Kündigung der G. Bankverbindung und damit dem Erlöschen der Einzugsermächtigung sowie der im Gegensatz zur An meldung anderen Interessenslage bei der Ab meldung, ist glaubhaft, dass der Kläger eine spätestens zum 01. Juli 1999 wirksam werdende Abmeldung ( § 4 Abs. 2 RGebStV) getätigt hat oder unter mitwirkendem Verschulden des Beklagten daran gehindert worden ist. Damit ist die Gebührenpflicht vor dem hier streitigen Veranlagungszeitraum beendet gewesen.
Ist die Gebührenpflicht aber erloschen, braucht dem Verjährungseinwand des Klägers nicht, auch nicht teilweise, nachgegangen zu werden (§ 4 Abs. 4 RGebStV i.V.m. §§ 195 ff. BGB n.F. i.V.m. Art 229 § 6 Abs. 1 EGBGB), insbesondere nicht der Frage, ob der Beklagte sich in Anbetracht seiner oben ausgeführten Obliegenheitsverletzungen auf unzulässige Rechtsausübung durch den Kläger insoweit berufen kann und ob dieser Fall der angeblich unterlassenen Ab meldung dem in der Rechtsprechung erörterten Fall der unterlassenen An meldung (vgl. dazu ausführlich: OVG Lüneburg, B. v. 07. 05. 2007 und v. 30. 11. 2005, a.a.O.) vergleichbar ist.
Nach alledem hat die Klage Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf
1.183,13 EUR
festgesetzt.