Amtsgericht Hameln
Beschl. v. 06.04.2022, Az.: 19 VI 452/18
Eigenhändiges Testament; Druckbuchstaben; Blockbuchstaben; handschriftliches Testament; Erbschein; Schriftgutachten
Bibliographie
- Gericht
- AG Hameln
- Datum
- 06.04.2022
- Aktenzeichen
- 19 VI 452/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 58109
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- BGB § 2247
- FamFG § 352
- FamFG § 352a
- FamFG § 352e Abs. 1, Abs. 2
Amtlicher Leitsatz
Auch die Erstellung eines Testaments in Druckbuchstaben genügt den Anforderungen an die eigenhändige Erstellung des § 2247 BGB, wenn die Schriftzüge der Druckbuchstaben einen hinreichend sicheren Schluss auf die Urheberschaft des Erblassers zulassen.
Tenor:
Die aufgrund des Antrags der G. vom 29.05.2018 zur Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.
Es ist beabsichtigt, den Erbschein wie beantragt zu erteilen.
Da der beantragte Erbschein dem erklärten Willen der Beteiligten T. widerspricht, ist die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses auszusetzen und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückzustellen.
Gründe
I.
Der S. beantragt als Alleinerbe seiner am 09.04.2019 verstorbenen Mutter, der ursprünglichen Antragstellerin G., die Erteilung eines Erbscheins, der die T. und seine Mutter zu je 1/2 als Erben der Erblasserin ausweist (zur Alleinerbschaft des S. am Erbe der G. vgl. Erbschein vom 17.05.2019, Bl. 18 d. Nachlassbeiakte).
Der ursprünglich von Frau G. gestellte Antrag vom 29.05.2018 stützt sich auf testamentarische Erbfolge (zum Antrag vgl. Bl. 2 ff. Bd. I d.A. Nachlassakten, Blattzahlen ohne Aktenzeichen sind solche der Nachlassakten). Folgende letztwillige Verfügung der Erblasserin ist eröffnet: ein handschriftliches Testament der Erblasserin vom 26.07.2016 (Bl. 2 d. Testamentsakte). In diesem Testament hat die Erblasserin die T. und die Mutter des S., Frau G., zu gleichen Teilen zu ihren Erben bestimmt.
Diesem Antrag hat die T. mit Schreiben vom 02.07.2018 (Bl. 18 f. Bd. I d. A.) widersprochen und abweichend beantragt, sie als alleinige Erbin der Erblasserin auszuweisen.
Die T. hat ihren Antrag wie folgt begründet:
Als gesetzliche Erbin sei sie Alleinerbin. Das streitgegenständliche Testament vom 26.07.2016 habe die Erblasserin nicht eigenhändig geschrieben und auch nicht eigenhändig unterschrieben. Es sei eine Fälschung. Dass die Erblasserin nicht Urheberin des Testaments sei, ergebe sich schon daraus,
- dass die Erblasserin sonst stets in Schreibschrift und nicht in Druckschrift geschrieben habe. Insbesondere habe sie stets in Schreibschrift unterschrieben (vgl. Bl. 18 f., 118 Bd. I d. A.).
- dass das Testament mit B., statt B. S. unterzeichnet sei (Bl. 87, 106 Bd. I d. A.),
- dass als Geburtsland Kroatien statt Jugoslawien aufgeführt sei (Bl. 106 Bd. I d. A.),
- dass eine unzutreffende Orthografie für eine Adresse verwendet worden sei (Deligratska statt Deligradska, vgl. Bl. 107 Bd. I d. A.),
- dass das Testament ansonsten keine Rechtschreibfehler aufweise, obwohl die Erblasserin die deutsche Schriftsprache nicht fehlerfrei beherrscht habe (Bl. 107 Bd. I d. A.),
- dass Teile des Testaments nachträgliche Veränderungen aufwiesen (Bl. 220b Bd. II d. A.).
Zur Ergänzung der Einwände wird auf die Schriftsätze der T., ihres Verfahrensbevollmächtigten und insbesondere ihres Bevollmächtigten D. verwiesen (zur Vollmacht für den Beauftragten D. vgl. Bl. 74 Bd. I d. A.).
II.
Aufgrund des wirksam errichteten Testaments sind die T. und die Mutter des S. zu je 1/2 Erben der Erblasserin geworden (§§ 2231 Nr. 2, 2247 BGB). Gemäß §§ 352a, 352e Abs. 1, Abs. 2 FamFG ist ein entsprechender Erbschein zu erteilen.
Das Gericht hat als Tatsache festgestellt, dass die Erblasserin das streitgegenständliche Testament vom 26.07.2016 (Bl. 2 d. Testamentsakte) eigenhändig und formgültig erstellt und unterschrieben hat. Auch die Erstellung eines Testaments in Druckbuchstaben genügt den Anforderungen an die eigenhändige Erstellung des § 2247 BGB, wenn die Schriftzüge der Druckbuchstaben einen hinreichend sicheren Schluss auf die Urheberschaft des Erblassers zulassen (ebenso Krätschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Aufl. 2018, § 8 Rn. 26).
So liegt es hier. Für die Feststellung der eigenhändigen Erstellung des Testaments gilt das Beweismaß der persönlichen Überzeugung, also ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt (vgl. § 442 ZPO; BGH, Urteil vom 14.12.1993 - VI ZR 221/92, juris, Rn. 13 m.w.N.).
Diese Überzeugung hat sich das Gericht nach selbständiger und eigenverantwortlicher Prüfung der Unterlagen und der vorliegenden Beweismittel gebildet. Hierzu hat es Beweis erhoben durch Einholung eines Schriftgutachtens der Sachverständigen Dr. B. (1.), durch Vernehmung der Zeugen Rechtsanwalt W. und der Zeugin R. (2.) sowie durch Einholung von Auskünften des Klinikums in H. (3.). Weitere Ermittlungen sind nicht geboten (4.).
1.
Die eigenhändige Erstellung des Testaments durch die Erblasserin ergibt sich für das Gericht zunächst aus dem Gutachten der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Handschriftenuntersuchungen Dr. B. vom 28.10.2021 (Anlagenband Sachverständigengutachten mit Band I Gutachten und Band II Anhang A: Erläuterungen zu Wahrscheinlichkeitsaussagen und Anhang B: Material- und Befunddokumentation). Auch die mündliche Befragung der Sachverständigen in der Verhandlung vom 07.03.2022 hat das Ergebnis bestätigt.
a) Das Gericht ist von der Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen überzeugt. Die Sachverständige hat dem Gutachten zutreffende Anknüpfungstatsachen zu Grunde gelegt und daraus widerspruchsfreie, gut nachvollziehbare und überzeugende Schlussfolgerungen gezogen.
Die Sachverständige hat die Echtheitsprüfung des streitgegenständlichen Testaments anhand von 40 Vergleichsproben durchgeführt, die sowohl Unterschriften als auch textschriftliche Eintragungen enthalten. Sie hat das streitgegenständliche Testament und die Vergleichsproben sowohl physikalisch-technischen Untersuchungen als auch eingehenden schriftvergleichenden Analysen unterzogen.
Die physikalisch-technischen Urkundenuntersuchungen haben keine Befunde ergeben, die auf Manipulation hindeuten. Anzeichen, dass einzelne Passagen des zu prüfenden Testaments mit einem anderen Schreibgerät gefertigt wurden, haben sich bei der optischen Untersuchung nicht ergeben. Die stereomikroskopische Untersuchung zeigte neben Strichbesonderheiten deutliche Hinweise auf einen ansonsten dynamischen Schreibverlauf, der den Schluss zulässt, dass der streitgegenständlichen Aufzeichnung die habituelle Schreibweise der Erstellerin zugrunde liegt (vgl. hierzu insbesondere Seite 52 f. Gutachten).
Die grafischen Vergleichsuntersuchungen des streitgegenständlichen Testaments mit den vorgelegten Schriftproben aus der Hand der Erblasserin erbrachten eine solche Vielzahl und Intensität an Gemeinsamkeiten, dass von der Urheberschaft der Erblasserin auszugehen ist. Die Übereinstimmungen beschränken sich nicht nur auf augenfällige Merkmale wie die Formgebung, die Schriftlage oder die Schriftgröße, die beispielsweise bei einer Pausfälschung ebenfalls zu erwarten sind. Entsprechungen ergeben sich auch gerade auch in Sachverhalten, die einer willkürlichen Bewegungssteuerung kaum zugänglich sind, da sie automatisierten Bewegungsprogrammen folgen. Von Bedeutung sind dabei - auch in Anbetracht verschiedener Strichbesonderheiten - die Indikatoren der Schreibdynamik, die unter anderem in Details der Druckgebung und des Bewegungsflusses zu sehen sind und auf eine Umsetzung gelernter motorischer Programme hinweisen. Analogien in den Größen- und Weitenproportionen, der Bewegungsrichtung und der Bewegungsführung sind in diesem Zusammenhang ebenfalls relevant.
Die Behauptung der T., eine dritte Person habe versucht, die blockschriftliche Schreibweise der Erblasserin nachzuahmen, ist mit diesen Befunden nicht vereinbar (vgl. ausführlich Seite 54 Gutachten). Zum einen haben die physikalisch-technischen Urkundenuntersuchungen keine nachahmungstypischen Manipulationsindikatoren erbracht. Zum anderen beziehen sich die Analogien zwischen dem streitgegenständlichen Testament und den Vergleichsproben auf grafische Details, deren Bewegungsführung erst bei mikroskopischer Analyse erkennbar oder exakt feststellbar sind (vgl. Seite 55 Gutachten und die exakten Analysen im Gutachten sowie dem Anlagenband). Beispielhaft zu nennen sind die druckschwachen Einleitungszüge, die Mikrodetails, der Verbundenheitsgrad verschiedener Zeichen und die Bewegungsabfolgen von Einzelsequenzen. Nach Auskunft der Sachverständigen gelinge es auch einem erfahrenen Fälscher mit besonderer Beobachtungsgabe und besonderer grafischer Gewandtheit nicht, die nachweisbaren Details in einer entsprechenden Präzision zu erkennen und unter Beibehaltung einer weitgehend natürlichen Dynamik in dieser Form umzusetzen.
b) Auch die von der T. erhobenen Einwände geben dem Gericht keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung.
aa) Insbesondere waren keine weiteren Vergleichsproben oder Unterschriften der Erblasserin einzuholen. Die Sachverständige hat klargestellt, dass eine ausreichend große Zahl an Vergleichsproben für eine fachgerechte Begutachtung vorlag (vgl. auch Seite 17 Gutachten; Seite 5 f. Verhandlungsprotokoll vom 07.03.2022, Bl. 11 f. Bd. III d. A.). Aus diesem Grund mussten auch keine (weiteren) Schriftstücke der Stadtwerke in P., des ambulanten Pflegedienstes B. oder anderer Stellen eingeholt werden (entgegen Schriftsatz der R. T. vom 04.03.2022, Bl. 247 Bd. II d. A.).
bb) Entgegen der Ansicht der T. (Bl. 220b Bd. II d. A.) existieren keine Anhaltspunkte für nachträgliche Änderungen des Testaments. Hiergegen spricht nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen schon, dass das Testament mit einem einheitlichen Schreibgerät, einem Kugelschreiber mit ganz spezifischen Besonderheiten im Schriftbild, gefertigt wurde (vgl. hierzu Seite 3 f. Verhandlungsprotokoll vom 07.03.2022, Bl. 9 f. Bd. III d. A.).
cc) Auch der Umstand, dass die Erblasserin das Testament in Druckbuchstaben verfasst hat, spricht nicht gegen die Urheberschaft. Für das Erstellen in Druckbuchstaben sind vielfältige Gründe denkbar. Ursache kann die fehlende schriftliche Gewandtheit in der deutschen Sprache oder der Wunsch der Erblasserin sein, den eigenen letzten Willen besonders ordentlich niederzulegen. Für die letztgenannte Erklärung spricht die Aussage des Zeugen Rechtsanwalt W.. Dieser hat bekundet, dass sich seiner Ansicht nach die Erblasserin im Irrglauben befunden habe, dass das Testament in Schönschrift abgefasst werden müsste, um wirksam zu sein (vgl. hierzu Seite 2 f. Verhandlungsprotokoll vom 28.08.2020, Bl. 33 f. Bd. II d. A.).
dd) Keine Zweifel weckt ferner, dass die Erblasserin entgegen ihrer Muttersprache zunächst mit Vor- und dann den Familiennamen und auch lediglich mit Branka statt Brankica unterschrieben hat (entgegen Ansicht T., vgl. Bl. 87, 106, 190 Bd. I d. A.). Sowohl die Reihenfolge des Vor- und Familiennamens als auch die Kurzform Branka findet sich vielfach in den Vergleichsdokumenten (vgl. statt vieler nur Unterschriftensammlung V 19a und V19b, Seite 4, V 38.35, Seite 24 Anhang B des Gutachtens).
ee) Auch der Schreibfehler der Erblasserin bei der eigenen Unterschrift ist nach Auskunft der Sachverständigen Dr. B. keine seltene Erscheinung bei der Verfassung von Testamenten (vgl. Seite 11 Verhandlungsprotokoll vom 07.03.2022, Bl. 11 Bd. III d. A.).
ff) Die falsche Schreibweise "Deligratska" statt richtigerweise "Deligradska" im streitgegenständlichen Testament ist auffällig, vermag jedoch nicht die Überzeugung des Gerichts von der eigenhändigen Erstellung des Testamentes durch die Erblasserin zu erschüttern. Es sind mehrere Gründe denkbar, die die falsche Schreibweise erklären können: Es kann sich um einen einfachen Schreibfehler handeln. Die Erblasserin mag diesen in dem Ausnahmezustand begangen haben, den der Zeuge Rechtsanwalt W. eindrucksvoll geschildert hat. Denkbar ist auch, dass sich die Erblasserin an der Textvorlage des Zeugen Rechtsanwalt W. orientiert hat. Diese Orientierung erklärt auch, warum sie als Geburtsland Kroatien statt Jugoslawien angegeben hat (vgl. Testamentsentwurf Zeugen Rechtsanwalt W., Bl. 122 Bd. I d.A.).
2.
Die Feststellungen zur eigenhändigen Erstellung des Testaments durch die Erblasserin werden bestätigt durch die Aussagen des Zeugen Rechtsanwalt W. (a) und der Zeugin R. (b).
a) Der Zeuge Rechtsanwalt W. hat geschildert, dass ihn die Erblasserin gebeten habe, den Entwurf eines Testaments zu fertigen, der die T. und die Mutter des S. als Erben zu gleichen Teilen ausweise. Zudem hat der Zeuge Rechtsanwalt W. bestätigt, dass die Erblasserin in seiner Gegenwart das Testament eigenhändig angefertigt habe (Seite 2 Verhandlungsprotokoll vom 28.08.2022, Bl. 27 f. Bd. II).
b) Die Zeugin R. hat ebenfalls bestätigt, dass die Erblasserin auch die Mutter des S. zur Erbin einsetzen wollte (Seite 2 Verhandlungsprotokoll vom 07.03.2022, Bl. 8 Bd. III d.A.). Aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin R. ist auch die Behauptung der T. widerlegt, dass die Mutter des S. zwischen dem 08.05.2018 und dem 20.05.2018 und somit unmittelbar nach dem Ableben der Erblasserin zu der T. gesagt habe, "es gibt kein Testament. Branka hat kein Testament gemacht" (Seite 2 Schriftsatz des Bevollmächtigten D. vom 09.12.2021, Bl. 136 Bd. II d.A.). Die Zeugin R. hat überzeugend klargestellt, dass die Mutter des S. lediglich mitgeteilt hat, dass es kein amtliches oder notarielles Testament gebe (Seite 2 Verhandlungsprotokoll vom 07.03.2022, Bl. 8 Bd. III d.A.).
3.
Soweit die T. Zweifel an den Umständen zur Entstehung des Testamentes hegt und eine Fälschung des Testamentes daraus ableiten möchte, dass sich die Erblasserin nie stationär im Klinikum in H. aufgehalten und dort auch kein(en) (Entwurf eines) Testament(s) unterschrieben habe (vgl. Bl. 119 Bd. I, 136, 187 Bd. II d.A.), ist diese Behauptung durch die schriftliche Auskunft des Klinikums in H. widerlegt, dass die Erblasserin sich auch in stationärer Behandlung im Klinikum in H. befand (Bl. 228b Bd. II d.A.).
4.
Weitere Ermittlungen sind nicht geboten. Insbesondere war nicht Frau Z., die Tochter der T., zu ihrer Behauptung zu vernehmen, die Erblasserin habe ihr in Telefonaten erklärt, die T. werde nach dem Ableben der Erblasserin alles erben. Eine Zeugeneinvernahme ist schon deshalb entbehrlich, weil die Aussage der Frau Z. als wahr unterstellt werden kann ohne, dass dies zu einer anderen Entscheidung führte (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO analog). Die Aussage widerlegt die eigenhändige Erstellung des Testamentes schon deshalb nicht, weil vielfältige Gründe denkbar sind, aus denen die Erblasserin die Erbfolgeentscheidung nicht offenbart oder nachträglich geändert hat.
III.
Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses wird gemäß § 354 Abs. 1, 352e Abs. 2 FamFG ausgesetzt.