Amtsgericht Hameln
Urt. v. 19.10.2022, Az.: 32 C 25/22
Desinfektion; Desinfektionskosten; Allgemeinkosten; betrieblicher Arbeitsschutz; Mitarbeiterschutz; gesamtgesellschaftliche Anforderung; Werkstattrisiko; Verbringungskosten
Bibliographie
- Gericht
- AG Hameln
- Datum
- 19.10.2022
- Aktenzeichen
- 32 C 25/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 58086
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- BGB § 249
- BGB § 421
- BGB § 823
- StVG § 7
- StVG § 18
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ohne ausdrückliche Vereinbarung hat eine Reparaturwerkstatt keinen Anspruch auf Erstattung von Desinfektionskosten.
Desinfektion sind Teil des betrieblichen Arbeitsschutzes, die dem Arbeitgeber zum Schutz der Mitarbeiter obliegen.
Diese Allgemeinkosten des Reparaturbetriebs kann der Geschädigte - auch unter dem Gesichtspunkt des Werkstattrisikos - nicht gegenüber dem Unfallgegner und seiner Haftpflichtversicherung geltend machen.
- 2.
Verbringungskosten sind als adäquat kausaler Schaden eines Verkehrsunfalls grundsätzlich zu erstatten.
In dem Rechtsstreit
..
Kläger
Prozessbevollmächtigter: ...
gegen
...
Beklagte
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2: .
hat das Amtsgericht Hameln im Verfahren gem. § 495 a ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 28.09.2022 am 19.10.2022 durch den ...... für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 47,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2021 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 86,63 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 52 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 48 %.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
[Tatbestand]
Von der Darstellung des
Tatbestandes
wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 7, 18 StVG, 249 Abs. 2, 421 BGB aus dem Verkehrsunfall vom 15.08.2021 in Bad P. einen Anspruch auf Zahlung der weitergehenden Verbringungskosten in Höhe von 47,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2021 (1.) sowie auf Erstattung der weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten (3.). Die Desinfektionskosten kann der Kläger nicht verlangen (2.).
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der Verbringungskosten in Höhe von 47,60 Euro (a). Der Anspruch ist zu verzinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2021 (b).
a) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Kläger aktivlegitimiert zur Geltendmachung der Schadensposition. Die zwischen dem Kläger und der Werkstatt geschlossene Abtretungsvereinbarung vom 24.08.2021 (Bl. 30 d.A.) steht der Geltendmachung des Schadens nicht entgegen. Die Werkstatt hat durch Schreiben vom 19.09.2022 bestätigt, dass der Kläger die Werkstattrechnung vollständig beglichen habe und sie ihn deshalb ermächtige, den Schaden im eigenen Namen geltend zu machen.
Die Verbringungskosten sind gemäß § 249 Abs. 2 BGB als adäquat kausaler Schaden aus dem Unfallereignis von den Beklagten zu erstatten. Die Beklagten haben den Zustand herzustellen, der bestünde, wenn das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre. Dann wären die tatsächlich durchgeführte Reparatur und die hierfür anfallenden Verbringungskosten nicht entstanden. Das Gericht geht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO davon aus, dass die Verbringungskosten nicht nur in Höhe der von den Beklagten beglichenen 95,20 Euro, sondern in Höhe von 147,80 Euro angefallen sind. Die Beklagten schulden daher den Differenzbetrag in Höhe von 47,60 Euro.
b) Der Betrag ist nicht schon ab dem 01.10.2021, sondern erst ab dem 01.12.2021 gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Erst das Schreiben der Beklagten zu 1 vom 01.12.2021 (Bl. 36 d.A.), nicht schon das Schreiben der Beklagten zu 1 vom 30.11.2021 (Bl. 33 d.A.) ist als verzugsauslösende ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung im Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu verstehen.
2. Desinfektionskosten kann der Kläger nicht verlangen.
Für einen Anspruch auf Erstattung der Desinfektionskosten fehlt es bereits an einer Rechtsgrundlage. Da der Geschädigte nur Kosten verlangen kann, die ihm selbst durch den Unfall entstanden sind, hätte er zunächst darlegen und beweisen müssen, auf welcher Rechtsgrundlage er zur Zahlung dieser Kosten verpflichtet sein könnte, wobei eine Vereinbarung mit der Reparaturwerkstatt erforderlich wäre. Eine solche wurde im Reparaturauftrag nicht getroffen. Von einer stillschweigenden Übereinkunft ist nicht auszugehen, da es in Zeiten der Pandemie sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich als selbstverständlich angesehen wird, dass weder Desinfektionsmittel noch der personelle Aufwand für die Desinfektion in Rechnung gestellt wird. Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Anforderung, die jeder trifft und die nicht gesondert vergütet wird. So wird etwa in Einkaufsgeschäften, Gaststätten oder Theatern auch keine zusätzliche Vergütung für die Desinfektion verlangt.
Soweit die Kosten für Schutzmaßnahmen und Desinfektion dem Schutz der Mitarbeiter des Reparaturbetriebs dienen, sind diese Kosten Teil der Kosten für betriebliche Arbeitsschutzmaßnahmen, die dem Arbeitgeber zum Schutz seiner Mitarbeiter obliegen. Es handelt sich hierbei um Allgemeinkosten des Reparaturbetriebs. Selbst wenn man dies anders sähe, wäre von einer Leistungserschwerung auszugehen, die im Regelfall und auch vorliegend zulasten des Schuldners, hier des Reparaturbetriebs als Werkunternehmer geht (Grüneberg in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 313 Rn. 30).
Die Desinfektionskosten können auch nicht als Teil des Werkstattrisikos vom Kläger beansprucht werden. Auf das Werkstattrisiko kann sich der Geschädigte nicht berufen, wenn er hinreichende Erkenntnisse dahingehend hat, dass Positionen der Reparaturrechnung nicht geschuldet sind. Dass Desinfektionsmaßnahmen den eigenen Verantwortungsbereich der Werkstatt und den des Geschädigten betreffen, ist allgemein bekannt. Der Geschädigte hat genügend Anlass, die Rechnung an dieser Stelle zu monieren und es muss ihm klar sein, dass hinsichtlich dieser Position unberechtigte Kosten abgerechnet werden, weshalb eine Schutzwürdigkeit des Geschädigten dahingehend, dass dieser auf die Abrechnung vertrauen durfte, in einem solchen Fall nicht besteht. Die Erkennbarkeit folgt letztlich auch aus den offensichtlich utopischen Fantasiekosten für diese Position.
3. Die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 86,63 Euro kann der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldnern gemäß §§ 7, 18 StVG, 249 Abs. 2 BGB verlangen. Auch bei Abzug der Desinfektionskosten in Höhe von 51,77 Euro liegt der Gegenstandswert für die Rechtsanwaltsgebührenberechnung bei über 4.000,- Euro und bis 5.000,- Euro. Die Anwaltsgebühren bestimmen sich damit nach dem Wert bis 5.000,- Euro und - anders als die Beklagten meinen - nicht nach einem Gegenstandswert bis 4.000,- Euro. Die Beklagten haben mithin den Differenzbetrag zwischen den Anwaltsgebühren für einen Gegenstandswert bis 5.000,- Euro (540,50 Euro) und einem Gegenstandswert bis 4.000,- Euro (453,87 Euro), somit 86,63 Euro zu zahlen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.