Amtsgericht Hameln
Beschl. v. 27.01.2022, Az.: 19 VI 157/20

Bibliographie

Gericht
AG Hameln
Datum
27.01.2022
Aktenzeichen
19 VI 157/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70458
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Der Nacherbe hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Erbscheins an sich, weil auf ihn nicht die Berechtigungen eines Erben übergegangen sind und er auch nicht zur Verwaltung des Nachlasses berufen ist.

Das Anwartschaftsrecht des Nacherben gibt ebenfalls keinen Anspruch auf Erteilung eines Erbscheins, da dieses ebenfalls keine Verfügungen über den Nachlass ermöglicht.

Tenor:

Der Beschwerde des Beteiligten zu 2 vom 09.09.2021 (Bl. 112 ff. d.A.) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hameln - Nachlassgericht vom 28.05.2021 (Bl. 104 f. d.A.) wird nicht abgeholfen.

Die Akten werden dem Oberlandesgericht Celle zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

I.

Die am 10.09.2021 eingegangene Beschwerde gegen Beschluss des Amtsgerichts vom 28.05.2021, dem Beschwerdeführer zugestellt am 10.08.2021, ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 352e Abs. 1 Satz 2, 58 Abs. 1, 59 Abs. 2 FamFG) sowie form- und fristgerecht eingereicht (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1, 2 FamFG). Im Hinblick auf sein behauptetes Antragsrecht ist der Beteiligte zu 2 auch beschwerdebefugt.

II.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Dem Beteiligten zu 2 steht derzeit kein Antragsrecht auf Erteilung eines Erbscheins in der Rechtsnachfolge der Erblasserin W. zu. Der Beteiligte zu 2 kann als Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalls weder an sich (1.) noch für die Beteiligte zu 1 als Vorerbin die Erteilung eines Erbscheins beantragen (2.)

1. Der Beteiligte zu 2 hat - entgegen seinem ursprünglichen Antrag - derzeit keinen Anspruch auf Erteilung eines Erbscheins an sich als Nacherben.

a) Mit dem Erbschein wollte der Gesetzgeber dem Erben einen Ausweis über sein Erbrecht an die Hand geben, der ihm Verfügungen über zur Erbschaft gehörende Gegenstände und Rechte erleichtert, da ihm besondere Beweiskraft und öffentlicher Glaube innewohnt (§§ 2365 bis 2367 BGB). Weil der Erbschein als Ausweis gedacht ist, der allein dem Interesse des Erben dient, bestimmt § 2353 BGB, dass er "dem Erben" zu erteilen ist, und zwar nur auf Antrag. Grundsätzlich soll allein der Erbe über die Erteilung des Erbscheins entscheiden können.

Dem Sinn und Zweck dieser Regelung entspricht es, dass auch der Erbeserbe und der Erbteilserwerber sowie Testamentsvollstrecker, Nachlass- und Nachlassinsolvenzverwalter den Erbschein - auf den Namen des Erben - beantragen können. Die einen können den Erbschein beantragen, weil auf sie die Berechtigung des Erben übergeht. Die anderen können den Erbschein beantragen, weil sie ihn zur Verwaltung des Nachlasses benötigen, da ihr Amt auch die Befugnis einschließt, über Nachlassgegenstände zu verfügen (Grziwotz in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2353 Rn. 85 ff. m.w.N.; Herzog in: Staudinger, BGB, 2016, § 2353 Rn. 16 ff. m.w.N.). Mit dem Sinn und Zweck dieser Regelung wäre es aber nicht vereinbar, wenn allgemein jeder, der nur ein rechtliches Interesse an der Erteilung des Erbscheins hat, berechtigt wäre, den Erbschein zu beantragen.

Der Nacherbe wird nicht schon mit dem Tod des Erblassers Erbe. Die Erbschaft fällt vielmehr dem Vorerben an. Dieser allein ist zunächst der Erbe und damit der Inhaber der zum Nachlass gehörenden Rechte. Erst mit dem Eintritt des Nacherbfalls geht die Erbschaft auf den Nacherben über (§ 2139 BGB; Lieder in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2100 Rn. 1). Vorher hat er nur ein Anwartschaftsrecht, das keine Verfügungen über den Nachlass ermöglicht (Lieder in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 51).

Bis zum Nacherbfall hat daher allein der Vorerbe die für die Erteilung des Erbscheins erforderliche Eigenschaft als Erbe im Sinne des § 2353 BGB. Er allein kann über den Nachlass verfügen und er allein benötigt dazu unter Umständen den Erbschein. Für den Nacherben kommt in dieser Zeit ein eigener Erbschein nicht in Betracht. Da er noch nicht Erbe ist, kann ihm auch kein Erbrecht bezeugt werden. Vielmehr kann sein Erbrecht erst nach Eintritt des Nacherbfalls bezeugt werden (vgl. BGH FamRZ 1980, 563, 564; BayObLG, Beschluss vom 08.03.1999, 1Z BR 73-98, NJW-RR 1999, 805 [BayObLG 08.03.1999 - 1 Z BR 73/98]; Zimmermann in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 352b Rn. 3; Grziwotz in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2353 Rn. 90). Der Erbschein, der dem Vorerben auf dessen Antrag erteilt wird, weist allein dessen Erbrecht aus. Die Angaben über die Nacherbschaft, die der Erbschein des Vorerben gem. § 2363 BGB enthält, bescheinigen nicht das Nacherbrecht, sondern dienen nur dazu, die Beschränkungen der Rechtsstellung des Vorerben auszuweisen (vgl. Grziwotz in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 35 ff. m.w.N.).

b) Aus diesen Gründen folgt - entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 2 (Seite 5 Beschwerdeschrift vom 09.09.2021, Bl. 116 d.A.) - auch kein Anspruch auf Erteilung eines Erbscheins für den Beteiligten zu 2 aus dem Anwartschaftsrecht der Beteiligten zu 2 und 3 als Ersatznacherben.

c) Ein Antragsrecht des Beteiligten zu 2 folgt ebenfalls nicht aus dem Hinweis des Amtsgerichts Hameln vom 19.12.2019, "dass ein neuer Erbschein gesondert beantragt werden muss" (Seite 4 Beschwerdeschrift vom 09.09.2021, Bl. 115 d.A.). Insbesondere begründet der Hinweis keinen Anspruch, dass ein Erbschein mit einem Nacherbenvermerk, der auf die Beteiligten zu 2 und 3 lautet, vor Ableben der Beteiligten zu 1 erteilt werden müsste.

d) Ein Anspruch auf Erteilung des beantragten Erbscheins ergibt sich zudem nicht daraus, dass "mit dem Einziehungsbeschluss [des unrichtigen Erbscheins, Anm. des Gerichts] zugleich ein Feststellungsbeschluss nach § 2353 erlassen werden kann, wenn mit dem Antrag auf Einziehung des unrichtigen Erbscheins der Antrag auf Erteilung eines berechtigten Erbscheins verbunden wurde" (Seite 5 Beschwerdeschrift vom 09.09.2021, Bl. 116 d.A.). Der Beteiligte zu 2 übersieht auch insofern, dass ihm die Antragsbefugnis zur Erteilung eines Erbscheins fehlt.

e) Das Nachlassgericht folgt dem Beteiligten zu 2 ferner nicht darin, dass ihm ein Anspruch auf Erbscheinserteilung deshalb zuzusprechen wäre, weil er nur auf diese Weise seine Auskunftsrechte aus § 2127 BGB geltend machen oder eine Sicherheitsleistung gemäß § 2128 BGB verlangen könnte (entgegen Seite 5 f. Beschwerdeschrift vom 09.09.2021, Bl. 116 f. d.A.). Ein Erbschein ist zur Verfolgung dieser Rechte nicht erforderlich.

2. Der Beteiligte zu 2 kann auch nicht beantragen, dass das Nachlassgericht einen berichtigten Erbschein zu Händen der Beteiligten zu 1 als Vorerbin erteilt, der die Beteiligten zu 2 und 3 als (Ersatz)Nacherben bezeichnet (vgl. hierzu den zuletzt gestellten Antrag Seite 6 Schriftsatz vom 09.09.2021, Bl. 117 d.A.).

a) Für den Erbschein des Vorerben ist nur der Vorerbe antragsberechtigt. Obwohl der Nacherbe durch den Erbschein des Vorerben in seinen rechtlichen Interessen berührt wird, kann er keinen Erbschein für den Vorerben beantragen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 08.03.1999, a.a.O.; Zimmermann in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 352b Rn. 3; Grziwotz in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2353 Rn. 90; Grziwotz in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2019, § 352b FamFG). Dies folgt - wie schon dargelegt - daraus, dass nicht jeder, der ein rechtliches Interesse an der Erteilung des Erbscheins hat, berechtigt ist, den Erbschein zu beantragen, sondern grundsätzlich nur der Erbe. Für ihn können nur diejenigen den Erbschein beantragen, die kraft gesetzlicher Aufgabenzuweisung oder Rechtsnachfolge die Rechte des Erben wahrzunehmen haben oder durch einen Titel ermächtigt sind, in diese Rechte einzugreifen. Zu dem so abgegrenzten Kreis der Antragsberechtigten gehört aber der Nacherbe nicht. Das Gesetz beschränkt ihn vor Eintritt des Nacherbfalls auf die Befugnis, die Einziehung eines dem Vorerben erteilten, das Nacherbrecht nicht zutreffend wiedergebenden Erbscheins betreiben zu können (vgl. §§ 2363, 2362 Abs. 1 BGB).

b) Für eine Befugnis des Beteiligten zu 2, den Erbschein in Stellvertretung für die Vorerbin oder im Wege der Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend machen zu können, fehlt die Bevollmächtigung durch die Vorerbin. Diese hat einem Erbscheinantrag vielmehr ausdrücklich widersprochen (Seite 1 f. Schriftsatz vom 16.01.2021, Bl. 98 f. d.A.).