Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 07.01.2008, Az.: L 5 SF 3/06
Streit über die Rechtmäßigkeit der Erhebung einer Pauschgebühr in einem sozialrechtlichen Verfahren gegen einen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende; Anspruch des Amtes auf Befreiung von den Gerichtskosten; Nachträglicher Wegfall einer Pflicht zur Zahlung der Pauschgebühr
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 07.01.2008
- Aktenzeichen
- L 5 SF 3/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 11291
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0107.L5SF3.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - AZ: S 30 AS 588/05 ER
Rechtsgrundlagen
- § 183 SGG
- § 184 SGG
- § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X
Tenor:
Die Erinnerung gegen den Auszug aus dem Verzeichnis der Streitsachengebühren vom 17. Januar 2006 (L 5696-3222) wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Erinnerungsführer wendet sich gegen die Festsetzung einer Pauschgebühr gem. § 184 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für das Beschwerdeverfahren L 8 AS 369/05 ER, in dem es um Ansprüche des Herrn B. C. auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ging. Dieses Verfahren endete mit Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 2. November 2005.
Gegen die Feststellung der Pauschgebühr in Höhe von 112,50 EUR (Auszug aus dem Verzeichnis der Streitsachengebühren vom 17. Januar 2006) richtet sich die am 17. Februar 2006 eingelegte Erinnerung. Der Erinnerungsführer ist der Auffassung, als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende von den Gerichtskosten befreit zu sein (§ 64 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung). Auch wenn diese Gesetzesänderung erst nach Erlass des angefochtenen Auszugs aus dem Verzeichnis der Streitsachengebühren in Kraft getreten sei, erfasse sie nach den Grundsätzen des intertemporalen Verfahrensrechts den vorliegenden Fall. Zudem sei § 64 Abs. 3 SGB X auch in seiner alten Fassung im Sinne einer Kostenbefreiung des Erinnerungsführers auszulegen: Zwar seien nach dem Wortlaut des § 64 Abs. 3 SGB X a.F. nur die Träger der Sozialhilfe (und nicht die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende) von der Pauschgebührenpflicht befreit gewesen. Allerdings sei es in dem Beschwerdeverfahren L 8 AS 369/05 ER um Kosten der Unterkunft gegangen, somit um Aufgaben, die auch nach Inkrafttreten des SGB II vom Sozialhilfeträger wahrgenommen würden. Lediglich für die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende habe seit 2005 eine Regelungslücke bestanden, die der Gesetzgeber zum 1. August 2006 im Wege der Klarstellung geschlossen habe. Diese Gesetzesänderung habe nur die bereits zuvor bestehende Grundhaltung des Gesetzgebers reproduziert (Gerichtskostenfreiheit für die Leistungsträger nach dem SGB XII, SGB II und nach dem AsylbLG).
Der Erinnerungsgegner ist dagegen der Auffassung, dass § 64 Abs. 3 SGB X a.F. - entsprechend seinem Wortlaut - Gerichtskostenfreiheit nur für die Träger der Sozialhilfe, nicht dagegen für die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende vorsehe. Eine Änderung der Rechtslage sei erst zum 1. August 2006 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt sei die Pauschgebühr für das Beschwerdeverfahren L 8 AS 369/05 ER jedoch bereits entstanden und fällig gewesen.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen, sondern sie dem erkennenden Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Erinnerung ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Auszug aus dem Verzeichnis der Streitsachengebühren vom 17. Januar 2006 erweist sich als rechtmäßig.
Die Verpflichtung des Erinnerungsführers zur Zahlung der Pauschgebühr für das Beschwerdeverfahren L 8 AS 369/05 ER ergibt sich aus § 184 SGG. Danach hat eine Behörde in einem gegen sie geführten sozialgerichtlichen Verfahren unabhängig vom Ausgang des Verfahrens eine Pauschgebühr zu entrichten, wenn der Prozessgegner zum kostenrechtlich privilegierten Personenkreis nach § 183 SGG gehört (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der Pauschgebühr nach § 184 SGG: BVerfG, Beschluss vom 01. Juli 1987 - 1 BvL 21/82, NVwZ 1988, 345; BSG, Beschluss vom 12. Februar 2004 - B12 P 2/03 R).
Der Erinnerungsführer genießt auch keine Gerichtskostenfreiheit nach § 64 Abs. 3 SGB X. Zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Pauschgebühr im November 2005 (Abschluss des Beschwerdeverfahrens L 8 AS 369/05 ER, vgl. § 185 SGG) genossen nur die Träger der Sozialhilfe, nicht dagegen SGB II-Leistungsträger Gerichtskostenfreiheit (§ 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung). Entgegen der Auffassung des Erinnerungsführers ergibt sich auch aus einer Auslegung des § 64 Abs. 3 SGB X a.F. kein Anspruch auf Befreiung von der Pauschgebührenpflicht. So sind SGB II-Leistungsträger vom Wortlaut des § 64 Abs. 3 SGB X a.F. unzweifelhaft nicht erfasst. Auch aus der Gesetzeshistorie ergeben sich keine Argumente für eine Pauschgebührenfreiheit des Erinnerungsführers: Während nämlich zeitgleich mit dem Inkrafttreten des SGB II für das Verwaltungsverfahren eine Kostenbefreiung für Beurkundungen und Beglaubigungen eingeführt wurde (§ 64 Abs. 2 Nr. 2 SGB X i.d.F. von Art. 10 Nr. 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I, S. 2954), unterblieb eine entsprechende Änderung der Vorschriften zur Befreiung der Leistungsträger von den Gerichtskosten zunächst. Eine solche Änderung des § 64 Abs. 3 SGB X erfolgte erst mit Wirkung ab 1. August 2006 (Art. 6 und 16 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006, BGBl. I, S. 1706). Der Vortrag des Erinnerungsführers, dass es infolge der Unterlassung der Änderung auch des Absatzes 3 des § 64 Abs. 3 SGB X zum 1. Januar 2005 zu einer vom Gesetzgeber unbeabsichtigten Regelungslücke gekommen sei, ist rein spekulativ. Zwar trifft es zu, dass die Träger der Sozialhilfe in gerichtlichen Verfahren, die in einem Sachzusammenhang mit der Leistungsgewährung stehen, unabhängig von der Rechtswegregelung zu jedem Zeitpunkt Gerichtskostenfreiheit genossen haben bzw. genießen (§ 188 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bzw. § 64 Abs. 3 SGB X). Dies gilt jedoch nicht für die infolge der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe erst seit dem 1. Januar 2005 existierenden SGB II-Leistungsträger: So hat die Bundesagentur für Arbeit als ehemaliger Träger der Arbeitslosenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren seit jeher Pauschgebühren nach § 184 SGG entrichtet. Dementsprechend hatte der Gesetzgeber zum Jahresbeginn 2005 zu entscheiden, ob die neu entstandenen SGB II-Leistungsträger in Anlehnung an § 188 Abs. 2 VwGO von den Gerichtskosten befreit werden sollten oder ob es insoweit bei der sich bereits allein aus der Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten ergebenden Pauschgebührenpflicht nach §§ 184 ff. SGG bleiben sollte. Dies war dem Gesetzgeber offensichtlich auch bewusst, da er an anderer Stelle das sozialgerichtliche Kostenrecht durchaus an die neuen Zuständigkeiten angepasst hat (Einfügung des Absatzes 3 in § 197a SGG m.W.v. 1. Januar 2005 durch das 7. SGGÄndG vom 9. Dezember 2004, BGBl. I, S. 3302). Aus der unterbliebenen Änderung des § 64 Abs. 3 SGB X zum 1. Januar 2005 kann nach alledem nicht auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, auch SGB II-Leistungsträger von der Pauschgebührenpflicht zu befreien. Somit unterliegen SGB II-Leistungsträger in gerichtlichen Verfahren, die - wie im vorliegenden Fall - vor der Änderung des § 64 Abs. 3 SGB X zum 1. August 2006 abgeschlossen worden sind, unverändert der Pauschgebührenpflicht nach § 184 SGG (im Ergebnis ebenso: SG Nürnberg, Beschluss vom 16. August 2005 - S 20 AS 9/05 KO; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. November 2005 - L 9 AS 4184/05 KO-A; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Januar 2006 - L 2 SF 1028/05; SG Lüneburg, Beschluss vom 15. August 2007 - S 20 SF 4/07).
Die gem. §§ 184 Abs. 1 S. 2, 185 SGG bereits im Oktober 2005 entstandene und im November 2005 fällig gewordene Pauschgebühr ist auch nicht durch die zum 1. August 2006 in Kraft getretene Änderung des § 64 Abs. 3 SGB X nachträglich entfallen. Eine solche Rückwirkungsklausel enthält das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 nicht. Ebenso wenig ergibt sich eine rückwirkende Befreiung von der Pauschgebührenpflicht aus den Grundsätzen des intertemporalen Verfahrensrechts (vgl. allgemein zum intertemporalen Rechtssatz: Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Februar 1992 - GS 1/89, BSGE 70, 133). Denn im vorliegenden Erinnerungsverfahren geht es nicht um die Anwendung des zutreffenden Verfahrensrechts in einem sowohl vor als auch nach einer Änderung des Prozessrechts laufenden gerichtlichen Verfahren. Vielmehr richtet sich die Erinnerung gegen den Auszug aus dem Verzeichnis der Streitsachengebühren vom 17. Januar 2006, also gegen einen Verwaltungsakt der Justizverwaltung, der ein zum Zeitpunkt seines Erlasses bereits abgeschlossenes gerichtliches Verfahren betrifft (vgl. zur Rechtsnatur der Feststellung nach § 189 SGG: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 189 Rn 2, 2a; Zeihe, SGG, § 189 Rn 2c, 3; Hk-SGG/Groß, 2. Auflage 2006, § 189 Rn 4). Damit sind im vorliegenden Erinnerungsverfahren keine reinen Verfahrensfragen streitbefangen, sondern die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des Justizverwaltungsaktes vom 17. Januar 2006.
Auch der weitere umfangreiche Vortrag des Erinnerungsführers vermag nicht zu überzeugen: Der Erinnerungsführer hat gegenüber Herrn C. gerade nicht als Sozialhilfe- sondern als SGB II-Leistungsträger gehandelt. Dass der Erinnerungsführer bereits in der Zeit vor dem 1. Januar 2005 über vergleichbare Leistungen nach dem BSHG entschieden hat und zudem seit dem 1. Januar 2005 - in anderen Leistungsfällen - als SGB XII-Leistungsträger tätig wird, ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich. Träger der Sozialhilfe genießen schließlich keine umfassende persönliche Befreiung von Gerichtskosten, sondern nur in Verfahren, die in einem untrennbaren Sachzusammenhang mit ihrer öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit als Sozialhilfeträger stehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Mai 1999 - 10 W 48-99, NJW-RR 1999, 1669 m.w.N.). Entgegen dem Vortrag des Erinnerungsführers stellt die Änderung des § 64 Abs. 3 SGB X zum 1. August 2006 hinsichtlich der SGB II-Leistungsträger auch keine reine Klarstellung der bereits bisher geltenden Rechtslage dar. Ausweislich der Gesetzesbegründung strebte der Gesetzgeber hinsichtlich der SGB II-Leistungsträger eine Änderung der bisherigen Rechtslage an; lediglich hinsichtlich der AsylbLG-Leistungsträger hat der Gesetzgeber seiner Gesetzesänderung eine nur klarstellende Bedeutung beigemessen (vgl. S. 33 der Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 9. Mai 2006, BT-Drucksache 16/1410). Der Vortrag des Erinnerungsführers, wonach sich eine Gerichtskostenfreiheit für das Verfahren L 8 AS 369/05 ER bereits aus der Verwaltungspraxis des Erinnerungsgegners ergeben soll (vgl. hierzu: Regelung des Erinnerungsgegners vom 14. August 2006, Bl. 27, 28 der Gerichtsakte), ist nicht nachvollziehbar: Die vorliegende Fallkonstellation unterfällt der Fallgruppe 2 der o.g. Regelung, so dass auch nach der Verwaltungspraxis des Erinnerungsgegners ein rückwirkender Verzicht auf die bereits entstandene Pauschgebühr nicht stattfindet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).