Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.05.2000, Az.: 8 B 205/00

Ablösung von Erschließungsbeiträgen ; Einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Vollstreckung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
22.05.2000
Aktenzeichen
8 B 205/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 30718
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2000:0522.8B205.00.0A

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2001, 626-627 (Volltext mit red. LS)
  • NdsVBl 2001, 146-148

Verfahrensgegenstand

Erschließungsbeiträge - Antrag nach § 80 V

Einstellung der Zwangsvollstreckung - Antrag nach § 123

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig, 8. Kammer,
am 22. Mai 2000
beschlossen:

Tenor:

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Zwangsvollstreckung aus der Vereinbarung über die Ablösung von Erschließungsbeiträgen vom 21.9.1993 zu unterlassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks ... (Gemarkung ... Flur ... Flurstück ...). Am 21.9.1993 schloss er mit der Antragsgegnerin eine Vereinbarung über die Ablösung von Entwässerungs- und Wasserversorgungsbeiträgen. Der Antragsteller verpflichtete sich zur Zahlung von 11.015,80 DM für die Abwasserbeseitigung und 3.315,03 DM für die Wasserversorgung und den Hausanschluss. Diese Beträge bezahlte er vollständig.

2

Im Gegenzug verpflichtete sich die Antragsgegnerin zur Herstellung des Rohrnetzes, des Hausanschlusses für die öffentliche Wasserversorgung, und zur Herstellung der öffentlichen Abwasseranlagen zur Beseitigung der grundstücksbezogenen Niederschlags- und Schmutzwässer einschließlich des Grundstücksanschlusses. Der Grundstücksanschluss wurde jedoch zunächst versehentlich nicht erstellt, so dass der Antragsteiler im Jahre 1996 bei dem vergeblichen Versuch, sein Grundstück an die Regenwasserkanalisation anzuschließen, umfangreiche Schachtungsarbeiten vornehmen ließ. So entstanden ihm Aufwendungen in Höhe von 3.967,50 DM, die er der Antragsgegnerin erfolglos in Rechnung stellte. Die Antragsgegnerin lehnte eine Kostenübernahme mit der Begründung ab, der Antragsteller habe es versäumt, einen Anschluss an das öffentliche Abwassernetz zu beantragen, die Kosten mithin selbst verursacht.

3

Ebenfalls am 21.9.1993 hatte der Antragsteller mit der Antragsgegnerin eine Vereinbarung über die Ablösung von Erschließungsbeiträgen in Höhe von 23.832,00 DM geschlossen. Der Antragsteller bezahlte von dieser Summe nur 19.840,87 DM und behielt den Restbetrag von 3.991,13 DM ein. In Höhe seiner Aufwendungen für die Schachtungsarbeiten erklärte er die Aufrechnung mit dem restlichen Ablösungsbetrag.

4

Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller mehrfach erfolglos zur Zahlung des Restbetrages auf. Mit Datum vom 23.3.2000 erhielt der Antragsteiler von der Antragsgegnerin (Samtgemeindekasse als Vollstreckungsbehörde) eine Aufstellung von Zahlungsrückständen in Verbindung mit einer Mahnung. Darin wurde der Antragsteller aufgefordert, u.a. den Restbetrag des seit dem 2.12.1996 fälligen Erschließungsbeitrages in Höhe von 3.864,76 DM nebst Säumniszuschlägen hierfür bis März 2000 in Höhe von 1.678,00 DM bis zum 7.4.2000 zu zahlen. Andernfalls sehe sie sich gezwungen, zur Sicherung des Anspruches die Zwangsversteigerung des Grundbesitzes des Antragstellers beim Amtsgericht Gifhorn zu beantragen. In der Folgezeit pfändete die Antragsgegnerin das Konto des Antragstellers bei der Volksbank.

5

Der Antragsteller begehrt nunmehr einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollstreckung.

6

Die Antragsgegnerin tritt dem Vorbringen des Antragstellers im Einzelnen entgegen.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin, die Gegenstand des Verfahrens waren, sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.

8

II.

Soweit sich der Antragsteller gegen die Kontenpfändung wendet, ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO einschlägig, da gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 66 NVwVG gegen Verwaltungsakte in der Vollstreckung kein Widerspruchsverfahren stattfindet und die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Soweit die Antragsgegnerin angekündigt hat, mit Vollstreckungsmaßnahmen auf Grundeigentum des Antragstellers zuzugreifen, kommt ein Antrag auf einstweiliger Anordnung nach § 123 VwGO in Betracht.

9

Die Anträge haben Erfolg. Denn der Antragsteller kann verlangen, dass die Zwangsvollstreckung aus der Ablösungsvereinbarung hinsichtlich der Erschließungsbeiträge vom 21.9.1993 unterbleibt, weil insoweit die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Der Antragsgegnerin fehlt zur Vollstreckung aus der Ablösungsvereinbarung ein Vollstreckungstitel.

10

Die Ablösungsvereinbarung vom 21.9.1993 ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S. der §§ 54 ff. VwVfG. Die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes zu öffentlich-rechtlichen Verträgen sind im Bereich des Abgabenrechtes anwendbar. § 11 NKAG verweist zwar auf Vorschriften der Abgabenordnung (§ 11 NKAG gilt subsidiär auch für Erschließungsbeiträge gemäß §§ 127 ff. BauGB). § 2 Abs. 2 Nr. 1 NVwVfG schließt die Anwendung des VwVfG aber nur aus, "soweit" Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind. Die Abgabenordnung enthält keine Vorschriften über öffentlich-rechtliche Verträge. Nach § 54 Satz 2 VwVfG kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde. Um einen solchen sogenannten subordinationsrechtlichen Vertrag handelt es sich bei einer Ablösungsvereinbarung über Erschließungsbeiträge. Nach § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB kann die Gemeinde Bestimmungen über die Ablösung des Erschließungsbeitrages im Ganzen vor Entstehung der Beitragspflicht treffen. In diesem Fall sieht die Gemeinde davon ab, den Erschließungsbeitrag durch Verwaltungsakt mit einem Bescheid anzufordern.

11

Damit unterwirft sie sich dann aber auch den Regeln, die für die Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Verträgen gelten. Geldansprüche aus öffentlich-rechtlichen Verträgen können nur zwangsweise durchgesetzt werden, wenn der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel gegen den Schuldner erwirkt. Eine hoheitliche Vorgehensweise durch Erlass eines Verwaltungsaktes ist unzulässig und auch mit dem Prinzip der Gleichordnung der Vertragspartner nicht vereinbar. Die Gemeinde muß als Gläubigerin der Forderung aus der Ablösungsvereinbarung eine allgemeine Leistungsklage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Die gerichtliche Entscheidung (z.B. das rechtskräftige oder vorläufig vollstreckbare Urteil oder der gerichtliche Vergleich) ist ein Vollstreckungstitel i.S. des § 168 VwGO. Um den auf diese Weise titulierten Geldanspruch zu realisieren, kann die Gemeinde einen Antrag an den zuständigen Vorsitzenden Richter des Verwaltungsgerichtes auf Einleitung des verwaltungsgerichtlichen Vollstreckungsverfahrens gemäß § 169 Abs. 1 VwGO i.V.m. Verwaltungsvollstreckungsgesetz stellen.

12

Nur, wenn sich der Bürger in der Ablösungsvereinbarung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 VwVfG der sofortigen Vollstreckung unterworfen hat, darf die Gemeinde selbst die Aufgaben der Vollstreckungsbehörde wahrnehmen und Maßnahmen nach dem Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz einleiten. Nach § 3 Satz 1 NVwVfG werden öffentlich-rechtliche Verträge i.S. des § 61 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nach dem Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz vollstreckt. Durch diese Bestimmung werden öffentlich-rechtliche Verträge mit einer Unterwerfungsklausel den Leistungsbescheiden als Vollstreckungstitel gleichgesetzt. Ein unanfechtbarer oder sofort vollziehbarer Leistungsbescheid ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 NVwVG Voraussetzung der Vollstreckung. Ebenso darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn sich der Schuldner der Ablösungsvereinbarung der sofortigen Vollstreckung unterworfen hat. Dieses ist in der Ablösungsvereinbarung vom 21.9.1993 nicht geschehen. Die Vereinbarung enthält beispielsweise in § 4 Abs. 3 einen Ausschluss von Nachforderungen und in § 5 eine Regelung über die Fälligkeit des Beitrages. Weder in diesen noch in anderen Bestimmungen werden aber Aussagen zu einer Vollstreckung aus der Vereinbarung getroffen.

13

Die Aufrechnung des Antragstellers mit seiner Forderung in Höhe von 3.967,50 DM gegenüber dem Anspruch der Antragsgegnerin auf Zahlung des Restbetrages aus der Ablösungsvereinbarung ist unzulässig. § 226 Abs. 3 AO, der über § 11 Abs. 1 Nr. 5 a NKAG Anwendung findet, bestimmt, dass gegen Ansprüche aus einem Abgabenschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufgerechnet werden darf. Diese Vorschrift gilt auch für Forderungen aus Ablösungsvereinbarungen, da diese - wie ausgeführt - ihre Rechtsgrundlage in § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB i.V.m. der kommunalen Erschließungsbeitragssatzung finden. Durch die Ablösungsvereinbarung wird ein Abgabenschuldverhältnis i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5 a NKAG i.V.m. § 226 Abs. 3 AO geschaffen. Die Forderung des Antragstellers in Höhe von 3.967,50 DM wird von der Antragsgegnerin bestritten. Sie ist auch nicht rechtskräftig festgestellt. Auf die Ausführungen der Beteiligten zu Grund und Höhe des Anspruches kommt es danach nicht an.

14

Auch die Vollstreckung der Säumniszuschläge in Höhe von 1.678,00 DM bis März 2000 ist unzulässig. Denn die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Hauptforderung liegen nicht vor. Nach § 3 Abs. 2 NVwVG kann bei Nebenleistungen wie Säumniszuschlägen, Zinsen und Kosten von dem Erlass eines Leistungsbescheides abgesehen werden, wenn die Vollstreckung wegen der Hauptleistung eingeleitet worden ist und im Leistungsbescheid über die Hauptleistung auf diese Nebenleistungen dem Grunde nach hingewiesen wurde. Vorliegend darf wegen des Ablösungsbetrages die Vollstreckung gegenwärtig nicht betrieben werden, weshalb in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 2 NVwVG die nicht durch Leistungsbescheid festgesetzten Säumniszuschläge allein wegen deren Erwähnung in § 5 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 der Ablösungsvereinbarung vom 21.9.1993 nicht vollstreckt werden dürfen.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Büschen
Krause
Dr. Struß