Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 11.05.2000, Az.: 6 A 150/00
Einreise; Reiseweg; Seeweg; Syrien
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 11.05.2000
- Aktenzeichen
- 6 A 150/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41232
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 16a Abs 2 GG
- § 26a AsylVfG
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Der Bescheid des Bundesamtes vom 18. Januar 2000 ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben (Nr. 1 des Bescheides).
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandelt und entschieden werden, da in den Ladungen zur mündlichen Verhandlung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die dem Beigeladenen unter seiner bisher bekannten Anschrift in Wolfsburg zugestellte Ladung gilt unabhängig davon, dass der Beigeladene nach den Angaben des Diakonischen Werks Wolfsburg nach dem 07. März 2000 mit unbekannter Adresse verzogen ist, als ordnungsgemäß bewirkt, weil der Beigeladene während der Dauer des Asylverfahrens mit einer unverzüglichen Mitteilung eines jeden Anschriftenwechsels die jederzeitige Erreichbarkeit sicherzustellen hat (§ 10 Abs. 1 und 2 Satz 1 AsylVfG).
Das Gericht folgt den Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 18. Januar 2000 darin, dass das Vorbringen des Beigeladenen die Annahme einer politischen Verfolgung begründet und damit die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt. Diese in dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung ist bestandskräftig geworden und nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung. Da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, soweit es die Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale betrifft, denen des Art. 16a Abs. 1 GG gleich sind, bestünde für den Beigeladenen außerdem ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, sofern er nicht auf dem Landweg, sondern - ohne die Möglichkeit der Unterbrechung der Reise in einem "sicheren Drittstaat" i.S.d. § 26a Abs. 2 AsylVfG - auf dem Seeweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist wäre. Hiervon geht das Gericht nach den von dem Beigeladenen gemachten Angaben zu den Einzelheiten seines Reisewegs jedoch nicht aus.
Nach den §§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist der Asylbewerber gehalten, die erforderlichen Angaben über seinen Reiseweg zu machen und seinen Pass vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG). Bei einer Einreise auf dem Luftweg hat er seinen Flugschein und etwaige sonstige Unterlagen über seinen Reiseweg nach Deutschland vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 3 und 4 AsylVfG). Sofern der Ausländer nicht im Besitz der erforderlichen Reisepapiere ist, hat er an der Grenze oder bei der Grenzbehörde auf dem Flughafen um Asyl nachzusuchen (§§ 13 Abs. 3 Satz 1, 18 f. AsylVfG). Die Verpflichtung zur Angabe von Einzelheiten des Reisewegs und einer Vorlage der diesbezüglich verfügbaren Unterlagen erstreckt sich auch auf den Fall, dass der Ausländer auf dem Seeweg nach Deutschland eingereist sein will und behauptet, keinen Zwischenaufenthalt in einem europäischen Staat gehabt zu haben. Kommt der Asylbewerber diesen Mitwirkungspflichten nicht oder nur teilweise nach und steht die behauptete Einreise auf dem Luftweg oder auf dem Seeweg deshalb nicht eindeutig fest, ist es Sache des Gerichts, erforderlichenfalls den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären und im Rahmen seiner Überzeugungsbildung alle Umstände zu würdigen (§§ 86 Abs. 1, 108 Abs. 1 VwGO). Dabei hat das Gericht auch zu berücksichtigen, dass und aus welchen Gründen die gesetzlich vorgesehene Mitwirkung des Asylbewerbers bei der Feststellung seines Reisewegs unterblieben ist (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, AuAS 1999, 260).
Die gerichtliche Aufklärungspflicht findet allerdings dort ihre Grenze, wo das Vorbringen des Ausländers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Dies ist generell dann der Fall, wenn der Asylbewerber unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflichten seine Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht unter Angabe genauer Einzelheiten schlüssig schildert. Ob bei einer vom Asylbewerber behaupteten, aber nicht belegten Einreise auf dem Luftweg oder - ohne Zwischenaufenthalt in europäischen Häfen - auf dem Seeweg weitere Ermittlung durch das Gericht anzustellen sind, ist eine Frage der Ausübung tatrichterlichen Ermessens im Einzelfall. Ein Anlass zu weiterer Aufklärung ist beispielsweise dann zu verneinen, wenn der Asylbewerber keine nachprüfbaren Angaben zu seiner Einreise gemacht hat und es damit an einem Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen fehlt. Macht der Asylbewerber dagegen hierzu einzelne Angaben, so hat das Gericht diese zu berücksichtigen. Es kann in diesem Zusammenhang frei würdigen, dass und aus welchen Gründen der Asylbewerber mit falschen Papieren nach Deutschland eingereist ist, dass und warum er Reiseunterlagen, die für die Feststellung seines Reisewegs bedeutsam sind, nach seiner Ankunft in Deutschland aus der Hand gegeben hat und schließlich, dass und weshalb er den Asylantrag nicht bei seiner Einreise an der Grenze, sondern Tage oder Wochen später an einem anderen Ort gestellt hat (BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, aaO.).
Im Rahmen der Überzeugungsbildung ist das Gericht aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, die Angaben des Asylbewerbers auch ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen. In den Fällen, in denen der Asylbewerber die Weggabe wichtiger Beweismittel behauptet und damit ein Fall einer selbst geschaffenen Beweisnot vorliegt, ist das Vorbringen allerdings besonders kritisch und sorgfältig zu prüfen. Den Asylsuchenden trifft insoweit zwar keine Beweisführungspflicht; das Gericht kann jedoch bei der Feststellung des Reisewegs die behauptete Weggabe von Beweismitteln wie bei einer Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen. Eine solche Würdigung liegt umso näher, je weniger plausibel die Gründe erscheinen, die für das beweiserschwerende Verhalten angeführt werden. Insbesondere der pauschale Vortrag der Weggabe von Reiseunterlagen kann danach ebenso wie eine Weigerung oder das Unvermögen, mit der Reise in Zusammenhang stehende Fragen (z.B. nach den Namen in den benutzten gefälschten Pässen) zu beantworten, den Schluss rechtfertigen, dass die Einreise über einen See- oder Flughafen nur vorgespiegelt wird. Bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der behaupteten Einreise auf dem Luftweg oder auf dem Seeweg scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Asylbewerber auf dem Luftweg oder auf dem Seeweg eingereist ist, kann es gleichzeitig aber auch nicht die Überzeugung von einer Einreise auf dem Landweg gewinnen, ist die Nichterweislichkeit der behaupteten Einreise auf dem Luftweg oder auf dem Seeweg festzustellen und eine Beweislastentscheidung zu treffen. Bleibt in einem solchen Fall der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaats nach Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein (BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, aaO., m.w.N.).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Beigeladenen nicht oder jedenfalls nicht in der von ihm behaupteten Weise ohne Zwischenaufenthalt in einem europäischen Drittstaat auf dem Seeweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Die vom Beigeladenen behauptete Dauer der Seereise legt die Annahme nahe, dass die Einreise auf dem Landweg erfolgt ist. Dies machen seine Angaben zu der Zeitdauer der vorgeblichen Seereise deutlich. Selbst bei einer Seereise, die ohne einen Zwischenaufenthalt direkt von Beirut bis nach Hamburg stattfindet, ist eine solche Wegstrecke innerhalb des vom Beigeladenen behaupteten Zeitraums von höchstens zwei Tagen ausgeschlossen. Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass der Beigeladenen weder auf dem Luftweg noch auf dem Seeweg ohne einen Zwischenaufenthalt in einem europäischen Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist.
Der Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG zu entsprechen. Da der Beigeladene einen Klageantrag nicht gestellt hat, sind weder seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO) noch er an den Verfahrenskosten zu beteiligen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.