Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 25.05.2000, Az.: 6 A 221/00

Anhörungsfrist; Fahrtenbuch; Frontfoto; Höchstgeschwindigkeit; Streitwert

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
25.05.2000
Aktenzeichen
6 A 221/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41236
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine verspätete Anhörung des Fahrzeughalters zum Verkehrsverstoß ist unerheblich, wenn vom Fahrzeugführer ein deutliches Frontfoto vorliegt, das jedenfalls dem Halter eine Identifizierung ermöglicht.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Antrag des Klägers, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird abgelehnt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist Halter eines Kraftfahrzeugs des Typs Hyundai mit dem amtlichen Kennzeichen PE-.... Am 23. September 1999 (20.25 Uhr) überschritt der Fahrer dieses Fahrzeugs auf der Bundesautobahn A 2 in der Gemarkung Peine in Richtung Berlin die dort vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 22 km/h. Diese Ordnungswidrigkeit wurde durch ein Geschwindigkeitsmessgerät und mit einem Foto aufgezeichnet.

2

Unter dem 29. Oktober 1999 wurde dem Kläger mit einem ihm übersandten Anhörungsbogen Gelegenheit gegeben, sich zu dem Vorfall zu äußern. Diesen Anhörungsbogen sandte der Kläger am 10. November 1999 an den Beklagten zurück und gab an, nicht der Fahrer bei dem fraglichen Verkehrsverstoß gewesen zu sein. Der Beklagte ersuchte daraufhin das Polizeikommissariat Ilsede um weitere Ermittlungen. Bei einer von dieser Polizeidienststelle durchgeführten Vernehmung des Klägers als Zeugen gab der Kläger an, dass er die auf dem Radarfoto abgebildete Person nicht erkennen könne, er sei nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis und verleihe deshalb des Öfteren sein Fahrzeug.

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Mit Verfügung vom 29. November 1999 kündigte der Beklagte dem Kläger an, für das fragliche Fahrzeug das Führen eines Fahrtenbuchs anordnen zu wollen. Daraufhin machte der Kläger gegenüber der Behörde geltend:

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Im Hinblick darauf, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h nur wenig oberhalb der Grenze der im Verkehrszentralregister einzutragenden Verkehrsordnungswidrigkeiten gelegen habe, sei die angekündigte Maßnahme unverhältnismäßig. Außerdem habe die Ermittlungsbehörde nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Aufklärung des Verkehrsverstoßes unternommen. Schließlich sei seine Anhörung zu dem Verstoß nicht innerhalb von zwei Wochen erfolgt. Die unterbliebene Aufklärung des Vorfalls sei nicht auf seine mangelnde Mitwirkung, sondern darauf zurückzuführen, dass er sich nicht mehr an die Person des Fahrers, dem er den Pkw überlassen habe, habe erinnern können.

5

Mit Bescheid vom 11. Januar 2000 gab der Beklagte dem Kläger auf, für den Pkw mit dem Kennzeichen PE-.... oder ein Ersatzfahrzeug für die Dauer von sechs Monaten ab Bestandskraft des Bescheides ein Fahrtenbuch zu führen. Hiergegen erhob der Kläger am 03. Februar 2000 Widerspruch, den die Bezirksregierung Braunschweig durch Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2000 - zugestellt am 24. Februar 2000 - als unbegründet zurückwies.

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Am 20. März 2000 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 21. Februar 2000 aufzuheben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er entgegnet:

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Die späte Anhörung zum Verkehrsverstoß sei unerheblich, weil das Radarfoto dem Kläger eine Identifizierung des Fahrers ermöglicht hätte. Der Kläger habe jedoch mit dem Hinweis darauf, die abgebildete Person nicht erkennen zu können, eine Mitwirkung an der Aufklärung des Vorfalls verweigert. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h rechtfertige die angefochtene Maßnahme. Es handele sich um eine Verkehrsverfehlung von erheblichem Gewicht.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

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Rechtsgrundlage für die für den Kläger als Fahrzeughalter angeordnete Maßnahme des Beklagten ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

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Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist darin zu sehen, dass am 23. September 1999 mit dem Kraftfahrzeug des Klägers auf der BAB A 2 die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 22 km/h überschritten wurde. In einer Geschwindigkeitsübertretung dieser Größenordnung liegt entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ein erheblicher Verkehrsverstoß, der bereits nach einem erstmaligen Vorfall die Anordnung rechtfertigt, ein Fahrtenbuch zu führen (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982, BayVBl 1983, 310; OVG Lüneburg, Urt. vom 26.6.1980 - 12 OVG A 45/80). Des Nachweises einer konkreten Gefährdung durch diesen zu den Hauptunfallursachen rechnenden Verkehrsverstoß bedarf es nicht.

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug des Klägers gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i.S.d. § 31a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Polizei regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, aaO., Nr. 18 m.w.N.).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Behörde angemessen. Zwar gehört hierzu die unverzügliche Benachrichtigung des Halters von der mit seinem Fahrzeug begangenen Zuwiderhandlung, weil die Erwartung, dass der Halter die Frage nach dem Fahrzeugführer noch zuverlässig beantworten kann, regelmäßig nur dann begründet ist, wenn die Benachrichtigung innerhalb von zwei Wochen erfolgt. Daraus, dass diese Frist im Falle des Klägers überschritten worden ist, lässt sich aber noch nicht die Unzulässigkeit der Fahrtenbuchauflage herleiten. Der Beklagte hat vielmehr zu Recht darauf hingewiesen, dass eine verspätete Anhörung eine Fahrtenbuchauflage jedenfalls dann nicht ausschließt, wenn die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich war (vgl. hierzu: BVerwG, Beschl. vom 25.06.1987, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 17; OVG Lüneburg, Urt. vom 11.10.1990, 12 L 307/89; VGH Mannheim, Beschl. vom 09.04.1991, NZV 1991, 328). Hiervon ist in Anbetracht des bei der Geschwindigkeitsüberschreitung aufgenommenen Frontfotos, dessen Qualität nach Auffassung des Gerichts zur Identifizierung des betreffenden Fahrers ausreichend ist, auszugehen. Das Foto lässt den Fahrer noch mit einer solchen Deutlichkeit erkennen, dass die Möglichkeit zur Identifikation jedenfalls durch den Kläger als Halter anzunehmen ist, weil davon auszugehen ist, dass er die Personen kennt, denen er als Fahrer des abgebildeten Kraftfahrzeugs sein Fahrzeug überlassen hat. Da eine Identifizierung des Fahrers anhand des Geschwindigkeitsmessfotos keine Anforderungen an das Erinnerungsvermögen, sondern an das Erkenntnisvermögen des Fahrzeughalters stellt, das von einer zeitlichen Nähe zum Verkehrsverstoß grundsätzlich unabhängig ist, ist eine verspätete Benachrichtigung des Klägers im Ordnungswidrigkeitenverfahren für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich. Das Gericht wertet die Behauptung des Klägers, an die Person des auf dem Frontfoto abgebildeten Fahrzeugführers keine Erinnerung mehr zu haben, als offenkundige Schutzbehauptung.

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Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da hiernach der Kläger die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen hat, bestand kein Anlass, die mit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren verbundenen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 2 VwGO). Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf 500,-- DM je Monat der angeordneten Dauer zum Führen eines Fahrtenbuchs (Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit/NVwZ 1996, 563).