Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 30.09.2020, Az.: 5 A 2783/17

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
30.09.2020
Aktenzeichen
5 A 2783/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71837
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Aufgrund der schweren Fluten im Sudan ist derzeit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, in Bezug auf den Kläger ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf die Republik Sudan festzustellen. Der Bescheid vom 14. März 2017 (Geschäftszeichen: ) wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zuerkennung internationalen Schutzes.

Der Kläger ist eigenen Angaben zufolge sudanesischer Staatsangehöriger, zugehörig zum Stamm der Bergo und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 25. Februar 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 3. März 2015 einen Asylantrag. Seine persönliche Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgte am 27. Oktober 2016. Dort trug er im Wesentlichen vor, dass er im Sudan Freunde habe, die für die sudanesische Opposition arbeiten. Sie hätten ihn in seinem Heimatdorf Oum Labasa besucht, wovon die Regierung erfahren habe. Am 2. Januar 2013 sei er von einem Offizier und einer weiteren Person zu Hause festgenommen und in ein Gefängnis in Oum Labasa gebracht worden. Dort sei er von einem Offizier gefragt worden, wo sich seine Freunde aufhalten, was er nicht gewusst habe. Anschließend sei er gefoltert worden. Einen Tag nach seiner Ankunft im Gefängnis sei er aufgrund der erlittenen Folter zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht worden. Dort habe er aus einem Badezimmer die Flucht ergriffen und sich zu seiner Tante begeben, wo er von seiner Mutter erfahren habe, dass die Regierungsanhänger am gleichen Tag, an dem er aus dem Krankenhaus geflohen sei, bei ihm zu Hause nach ihm gesucht hätten. Nach einem Tag bei seiner Tante habe er noch 19 Tage in Khartoum/Souk Libya verbracht, bis er nach Libyen ausgereist sei.

Mit Schreiben vom 23. November 2016 teilte die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit, dass seine Freunde ihn innerhalb des einwöchigen Aufenthaltes im Dezember 2012 in Oum Labasa dreimal besucht hätten. Seine letzte offizielle Anschrift sei Oum Labasa gewesen, der letzte Aufenthaltsort hingegen Omdurman/Souq Libya. Für sie sei in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger bei der Frage nach der letzten offiziellen Anschrift seinen letzten Aufenthaltsort hätte erwähnen sollen.

Mit Bescheid vom 14. März 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, sein Vortrag über seine angebliche Festnahme sei äußerst vage und unsubstantiiert. Dasselbe gelte für seinen angeblichen Aufenthalt im Gefängnis. Sofern seine Freunde ihn tatsächlich dazu hätten überreden wollen, sich ihrer politischen Bewegung anzuschließen, sei davon auszugehen, dass der Kläger mehr über seine Freunde und deren Betätigung hätte erzählen können. Zudem ergäben sich Ungereimtheiten hinsichtlich der Anzahl bzw. der Zeitpunkte der Besuche seiner vermeintlichen Freunde. Falls Anhänger der Regierung tatsächlich Informationen über seine Freunde hätten in Erfahrung bringen wollen und bekannt gewesen sei, dass sich diese beim Kläger Zuhause aufhielten, sei davon auszugehen, dass auch seine übrigen Verwandten hätten festgenommen werden müssen, nicht lediglich der Kläger. Auch seine Ausführungen im Zusammenhang mit seiner angeblichen Flucht aus dem Krankenhaus wirkten konstruiert. Seine Fluchtgründe seien daher insgesamt unglaubhaft.

Der Kläger hat am 29. März 2017 Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, er sei aufgrund seines Kontaktes zu Freunden, die einer oppositionellen Gruppierung angehörten, festgenommen worden. In einem Gefängnis sei er nach deren Aktivitäten befragt und gefoltert worden. Aufgrund der Verletzungen sei er in ein Krankenhaus gebracht worden, wo ihm die Flucht gelungen sei. Der Dolmetscher beim Bundesamt sei extrem voreingenommen gewesen. Es bestünden daher Zweifel an einer zuverlässigen Übersetzung. Seine Angaben seien glaubhaft. Soweit das Bundesamt ausführe, sie seien zu vage und oberflächlich, sei für ihn nicht erkennbar gewesen, was er noch hätte vortragen sollen. Seine übrigen Geschwister hätten nichts mit den Freunden zu tun gehabt, sodass auch nachvollziehbar sei, weshalb sie nicht festgenommen worden seien. Infolge der Verletzungen durch die Folter sei er zunächst bettlägerig gewesen und hätte deswegen nicht sofort fliehen können. Die Flüchtlingseigenschaft sei zuzuerkennen. Auch sei er subsidiär schutzberechtigt aufgrund des bewaffneten Konfliktes im Bundesstaat Dschanub Darfur. Allein aufgrund seiner Herkunft bestehe für ihn im Großraum Khartum die Gefahr von staatlichen Übergriffen sowie eine allgemeine Diskriminierung seitens der Bevölkerung. Es komme immer wieder zur Diskriminierung afrikanisch-stämmiger Personen. In Anbetracht der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Lage, aufgrund seines Bildungsstandes und dem Fehlen familiärer Strukturen könne er zudem sein Existenzminimum nicht sichern. Zu berücksichtigen sei weiterhin, dass die Beklagte in zahlreichen Fällen sudanesischen Flüchtlingen aus Darfur und Kurdufan subsidiären Schutz zugesprochen habe. Die unterschiedliche Behandlung verstoße gegen Art. 3 GG.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten () vom 14. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, äußerst hilfsweise das Bestehen von Abschiebungsverboten zu seinen Gunsten festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über den Rechtsstreit hat nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 17. August 2020 der Einzelrichter zu entscheiden (§ 76 Abs. 1 AsylG). Das Gericht konnte, obwohl die Beklagte der mündlichen Verhandlung ferngeblieben ist, verhandeln und entscheiden, weil in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage hat nur hinsichtlich eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG Erfolg.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG und § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss, wie § 3a Abs. 3 AsylG klarstellt, eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).

Für die Frage, ob dem Asylsuchenden Verfolgung droht, gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit als einheitlicher Maßstab sowohl im Hinblick auf eine etwaige Vorverfolgung als auch für Nachfluchtgründe. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer – bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr – die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22-33, Rn. 22; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, BVerwGE 146, 67-89, Rn. 32; BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 1 B 120/17 –, Rn. 8, juris). Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, BVerwGE 146, 67-89, Rn. 32.). Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn bei einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise ein Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für dessen Eintritt besteht (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 31/18 –, Rn. 16, juris). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus; ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 31/18 –, Rn. 16, juris). Bei der Abwägung aller Umstände ist die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in die Betrachtung einzubeziehen. Besteht bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er zum Beispiel lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit; sie bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, Rn. 37, juris).

Ist der Kläger vorverfolgt ausgereist, kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Qualifikationsrichtlinie]) zugute. Nach dieser Vorschrift ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. Etwas Anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, streitet also die tatsächliche – allerdings widerlegbare – Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden.

Dabei ist es Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich die Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form vorzutragen. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung gewinnen. Auf Grund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründeten Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht jedoch mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 – 9 B 239/89 –, juris). Das Asylverfahren ist eine Einheit, sodass ein gegenüber den Angaben vor der Verwaltungsbehörde im gerichtlichen Verfahren vorgetragener neuer Sachverhalt regelmäßig Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorbringens wecken wird. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Asylsuchenden nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 – 9 C 27/85 –, juris). Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen und plausible, wirklichkeitsnahe Angaben machen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstandes und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende, möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.

Diese Voraussetzungen für die Annahme einer politischen Verfolgung durch den sudanesischen Staat können in der Person des Klägers nicht ausreichend sicher festgestellt werden.

Zunächst fällt auf, dass die Angaben des Klägers beim Bundesamt chronologisch nicht nachvollziehbar sind. So hat er zunächst angegeben, seine Freunde, die für die Opposition arbeiten würden, hätten ihn dreimal im Dezember 2012 besucht. Später ergänzte er, dass einer seiner Freunde ihn auch am 5. Januar 2013 besucht habe. Darauf angesprochen, dass er seinen Angaben zufolge bereits am 2. Januar 2013 festgenommen worden sei, erklärte er, er sei nicht zu Hause gewesen, als der Freund ihn im Januar besucht habe. Er sei am 2. Januar 2013 festgenommen und am Tag darauf, folglich am 3. Januar 2013, ins Krankenhaus gebracht worden. Fünf Tage später habe er aus dem Krankenhaus fliehen können und sei zu seiner Tante gegangen, wo er eine Nacht geblieben sei. Dort müsste er folglich bis zum 9. Januar 2013 geblieben sein. Er erklärte allerdings, schon am 6. Januar 2013 mithilfe eines Schleuser das Haus seiner Tante verlassen zu haben. Der Kläger hat zwar in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, er sei nicht fünf Tage im Krankenhaus gewesen, sondern sei am fünften Tag des Jahres geflohen, sodass es wiederum möglich sein kann, dass er am 6. Januar 2013 mit einem Schleuser das Haus seiner Tante verließ. Dennoch kann nicht ausreichend sicher festgestellt werden, dass sich die Angaben des Klägers wie von ihm geschildert ereignet haben. Es ergeben sich Widersprüche und Unklarheiten.

Wie bereits dargestellt erklärte der Kläger beim Bundesamt, seine Freunde hätten ihn insgesamt viermal besucht, einmal während seiner Abwesenheit. In der mündlichen Verhandlung hat er bekundet, seine Freunde seien nur dreimal im Dorf gewesen, in dem er gelebt habe. Davon habe er sie nur ein einziges Mal bei sich zu Hause empfangen. Dies sei im Dezember 2012 gewesen, nicht drei oder vier Mal. Dass das auf eine sprachliche Fehlübersetzung des Dolmetschers beim Bundesamt zurückzuführen ist, erscheint im Gegensatz zu den klägerischen Angaben zur Aufenthaltsdauer im Krankenhaus („Entlassung nach fünf Tagen“ bzw. „Entlassung am fünften Tag des Jahres“) nicht plausibel. Selbst wenn es Verständigungsschwierigkeiten gegeben haben mag, erschließt sich nicht, weshalb der Dolmetscher auf Nachfrage falsch übersetzt haben sollte, dass die Freunde des Klägers ihn dreimal im Dezember und einmal im Januar besucht hätten. Hier müsste der Dolmetscher bewusst wahrheitswidrig übersetzt und sich etwas ausgedacht haben, was hier nicht erkennbar ist. Das Anhörungsprotokoll enthält zum Besuch der Freunde die folgenden Ausführungen:

Frage: Wann war das?

Antwort: Das war einmal im Dezember 2012. Die weiteren Male waren auch im Dezember 2012.

Frage: Wann war das letzte Mal, dass Ihre Freunde Sie besuchten?

Antwort: Das war im Dezember 2012. Im Januar 2013 besuchte mich auch noch einer von ihnen.

Frage: Wann war das genau im Januar 2013, als Sie Besuch von einem Ihrer Freunde hatten?

Antwort: Das war am 05.01.2013.

Hinzu kommt, dass der Kläger dem Bundesamt über seine Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 23. November 2016 mitteilte, die Freunde hätten ihn währen eines einwöchigen Aufenthaltes im Dezember dreimal besucht.

Ohnehin erscheint es für den Einzelrichter fragwürdig, weshalb die Polizei ausschließlich den Kläger festgenommen haben soll. Er hat angegeben, gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern gewohnt zu haben. Die Freunde hätten ihn dort besucht. Auch wenn man berücksichtigt, dass das Handeln der sudanesischen Behörden nicht rechtsstaatlich und damit auch nicht stets nachvollziehbar ist, erklärt sich nicht, weshalb die Polizei die Vermutung aufstellen sollte, dass ausschließlich der Kläger mit den drei Freunden zusammenarbeite. Es erscheint auch wenig plausibel, dass ein ganzes Dorf von der Freundschaft des Klägers zu den oppositionellen Personen gewusst haben soll.

Davon unabhängig bestehen auch deshalb Zweifel an den Angaben des Klägers, weil sie auch in der mündlichen Verhandlung oberflächlich geblieben sind. Zu seinen Freunden hat er nur mitgeteilt, sie hätten die bewaffneten Oppositionellen unterstützt. Sie hätten gewollt, dass er mit ihnen arbeite. Genauere Informationen hierzu, insbesondere zum Inhalt des Gesprächs mit ihnen, hat der Kläger nicht angegeben. Auch seine Angaben zum Verhör im Gefängnis bleiben vage. Hierzu hat der Kläger lediglich bekundet, er habe zugeben sollen, dass er mit dem Gegner zusammenarbeite. Dann sei er gefoltert worden. Auch hinsichtlich der Folter bleiben die Ausführungen detailarm. Nähere Informationen mussten dem Kläger „aus der Nase gezogen“ werden. So hat er erst auf mehrfache Nachfrage mitgeteilt, ihm sei ein Schlauch, der bei der Folter benutzt worden sei, rektal eingeführt worden. Zuvor erklärte er lediglich, er habe sich im Schlamm wälzen müssen und sei mit Peitschen und aus Plastik bestehenden Wasserrohren geschlagen worden

Der Einzelrichter kann sicherlich nicht hundertprozentig ausschließen, dass sich die Angaben des Klägers tatsächlich wie geschildert zugetragen haben. Allerdings kann aufgrund der dargelegten Widersprüche und detailarmen Schilderungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er im Sudan verfolgt wurde. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Verdacht ist nicht möglich.

Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht wegen einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuerkannt werden. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Vielmehr müssen die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. April 2018 – 11 ZB 18.30268 –, Rn. 5, juris). Hierzu hat der Kläger ausgeführt, er gehöre dem Stamm der Bergo an. Er hat jedoch auch mitgeteilt, im Sudan deshalb zu keinem Zeitpunkt Probleme gehabt zu haben. Er zitiert in der Klagebegründung vom 10. Juni 2017 zwar eine Quelle, wonach es zur Diskriminierung von Afrikanern und Afrikanerinnen mit sudanesischer Staatsbürgerschaft komme. Doch zum einen stammt diese Quelle aus dem Jahr 2011 und kann folglich nicht als aktuell angesehen werden und zum anderen muss stets eine Betrachtung des Einzelfalls erfolgen. Zumindest für den Kläger sind Gefahren insoweit nicht erkennbar.

Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf Nachfluchtgründe berufen. Zwar kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eintreten, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auf einem Verhalten des Ausländers, dass Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Das Gericht ist nicht zu der erforderlichen Überzeugung gelangt, dass dem Kläger aufgrund seiner Ausreise aus dem Sudan und der Asylantragstellung im Ausland bei seiner Wiedereinreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Repressionen drohen.

Mit der Stellung eines Asylantrags ist auch nach illegaler Ausreise aus dem Sudan nicht die Gefahr verbunden, im Sudan politisch verfolgt zu werden. Nach Angaben des Auswärtigen Amts in seinem jüngsten Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan vom 28. Juni 2020 führten bisher weder längere Auslandsaufenthalte noch Asylanträge im Ausland zu einer Gefährdung bei Rückkehr. Dies gelte auch für Deserteure und Wehrdienstverweigerer. Selbst Personen, die im Ausland Asyl erhalten hätten, könnten nach Sudan zurückkehren, wie von im Sudan lebenden Betroffenen berichtet worden sei (Seite 26 des Berichts).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer subsidiären Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes (Nr. 3). Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend.

Der Kläger hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden, d.h. die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Der Einzelrichter hat bereits begründet, dass nicht sicher festgestellt werden kann, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit Rechtsverletzungen durch staatliche Stellen oder andere Akteure rechnen muss. Auch die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse rechtfertigen nicht die Annahme solcher Gefahren.

Soweit in einem Bericht von Amnesty International vom 30. Januar 2018 (abrufbar unter www.ecoi.net) unter Berufung auf Angaben des Tharir Institute for Middle East Policy geschildert worden war, dass im Jahre 2017 aus Belgien abgeschobene Sudanesen, die teilweise aus Darfur bzw. konfliktbetroffenen Regionen im Sudan kamen, angegeben haben sollen, nach ihrer Rückkehr in den Sudan gefoltert worden zu sein, ließen sich diese Angaben nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018 und den Angaben im aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan vom 28. Juni 2020 nicht bestätigen. Im aktuellen Lagebericht heißt es hierzu auf Seite 28:

„Im Dezember 2017 berichteten internationale Zeitungen, dass aus Belgien zurückgeführte Personen in Sudan misshandelt worden seien. Die Zeitungsartikel beziehen sich auf den Bericht der USbasierten Nichtregierungsorganisation Tahrir Institut, die angab mit den Betroffen in Kontakt gestanden zu haben. Drei der aus Belgien rückgeführten Personen hatten IOM in Khartum kontaktiert, dort aber nicht von Befragungen, Misshandlungen, Festnahmen oder Folter berichtet und keine physisch sichtbaren Spuren von Misshandlung präsentiert. Die belgische Regierung hat am 22. Dezember 2017 eine unabhängige Untersuchung der Aussagen und Misshandlungsvorwürfe beim belgischen Büro des Generalkommissars für Flüchtlinge und Staatenlose Personen (Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons - CGRS) beantragt. Das CGRS konnte nicht abschließend klären, ob die vom Tahrir Insitut berichteten Ereignisse stattgefunden haben, kommt aber zu dem Schluss, dass es ernsthafte Zweifel an der Glaubhaftigkeit der gesamten Aussagen im Bericht des Tahrir Instituts gibt. Der Bericht des Tahrir Instituts ist weiterhin nicht frei zugänglich, auch auf Nachfrage der Bundesregierung hat das Institut seinen Bericht nicht zur Verfügung gestellt. Ebenso reagierte es nicht auf Nachfragen von Seiten der EU-Delegation in Sudan. Daher ist eine unabhängige Bewertung des Berichts nicht möglich. Auch Personen, die vor Aktivierung der ERIN-Partnerschaft aus Belgien zurückgekehrt sind, können bei IOM Unterstützung erhalten. Hiervon haben zwei der insgesamt 10 rückgeführten Personen sowie ein freiwilliger Rückkehrer Gebrauch gemacht. Keine der drei Personen gab an, dass er/sie bei Rückkehr misshandelt worden sei.“

In der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018 wird weiter ausführlich dargestellt, dass die Angaben über Haft, Folter bzw. Misshandlungen von den Betroffenen größtenteils nicht aufrechterhalten wurden und teilweise auch widerlegt werden konnten (etwa, weil die Person während einer angeblichen Inhaftierung bei IOM vorgesprochen hatte, vgl. Seiten 5 bis 7).

Abgesehen davon, dass sich die Behauptung von Haft, Misshandlung und Folter bei Rückkehr nicht bestätigen ließ, bezogen sich die Angaben in dem Bericht des Tahrir Instituts auch lediglich auf eine spezifische Personengruppe, die in Belgien illegal aufhältig und deren Ausreise speziell unter Beteiligung der sudanesischen Behörden organisiert worden war, sodass aus diesen Schilderungen auch nicht unbedingt auf die Situation aller Rückkehrer geschlossen werden kann.

Auch soweit nach einem bei www.ecoi.net veröffentlichten Bericht des UK Home Office von August 2016 Personen ohne Ausreisestempel im Pass bei einer Wiedereinreise in den Sudan besonderen Kontrollen unterzogen werden, führt dies nicht zur Annahme einer unmenschlichen Behandlung bei Rückkehr. Eine Ausreise ohne Ausreisestempel/-visum stellt lediglich einen Verstoß gegen die entsprechenden passrechtlichen Bestimmungen dar, der entsprechend geahndet werden kann. Nach dem aktuellen Lagebericht (Seite 27) ist die Wiedereinreise, ohne zuvor ein Visum erhalten zu haben, unproblematisch. Ein Ausreisevisum sei in Sudan für jeden Sudanesen und jeden Ausländer gesetzlich vorgeschrieben, die Ausreise ohne ein solches Visum sei ein Verstoß gegen Pass- und Einwanderungsgesetz und könne mit einer Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten geahndet werden. Im Allgemeinen werde aber bei Einreise nicht geprüft, ob ein solches Ausreisevisum erteilt worden sei.

Dem Kläger ist auch mit Blick auf die schlechte humanitäre Lage im Sudan kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Der Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG entspricht nahezu vollständig dem von Art. 3 EMRK, der einschließlich der hierzu entwickelten Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung zu beachten ist (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5. Dezember 2017 – 4 LB 51/16 –, Rn. 50 ff., juris). Allerdings reicht für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind, da gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der §§ 3c bis 3e AsylG zu beachten sind. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden bzw. der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten (Nds. OVG, Urteil vom 24. September 2019 – 9 LB 136/19 –, Rn. 65, juris). Daher können schlechte humanitäre Bedingungen, die – wie vorliegend der Fall – nicht auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführen sind, nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG führen. Den Erkenntnismitteln ist nicht zu entnehmen, dass Akteure i.S.v. § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3c AsylG ein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigen und diese auf ihre Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen sind. Die kritische Versorgungslage wird vielmehr insbesondere durch die allgemein schwierige Situation im Sudan beeinflusst (siehe hierzu den aktuellen Lagebericht, Seiten 7 ff., 25).

Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei seiner Rückkehr in den Sudan Opfer eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes zu werden.

Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung von Art. 3 der Genfer Konvention zum humanitären Völkerrecht 1949 und des am 8. Juni 1977 abgeschlossenen Zusatzprotokolls II auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 – und Urteil vom 24. Juni 2008 – 10 C 43/07 – zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 lit. b der Richtlinie 2004/83/EG, juris).

Besteht ein bewaffneter Konflikt nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung erst dann in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d. h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17. Januar 2009 – C-465/07 – mit der Bezugnahme auf Art. 8 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie; BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 – 10 C 9/08 –; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2012 – A 11 S 3079/11 –; BayVGH, Urteil vom 20. Januar 2012 – 13a B 11. 30394 –, juris).

Der Ausländer muss von dem bewaffneten Konflikt individuell bedroht sein. Eine solche individuelle Bedrohung ist anzunehmen, wenn der Ausländer spezifisch aufgrund von Umständen bedroht ist, die seiner persönlichen Situation innewohnen. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa, weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, stellen demgegenüber normalerweise keine individuelle Bedrohung dar (vgl. insoweit auch den Erwägungsgrund 35 der Richtlinie 2011/95/EG).

Gemessen an diesen Grundsätzen steht dem Kläger kein Anspruch auf subsidiären Schutz zu. Der Kläger hat vor seiner Ausreise in dem Dorf Oum Labassa, vier Autostunden westlich von Nyala gelebt. Nach dem Lagebericht bleibt die Lage dort angespannt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Region tatsächlich durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. zu aktuellen Erkenntnissen den Lagebericht 2020, Seiten 18 und 19). Auch offenbleiben kann, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre, denn es steht ihm eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG). Es spricht im Falle des Klägers hinsichtlich gewaltsamer Konflikte im Sudan nichts gegen einen Aufenthalt in Khartoum (vgl. hierzu VG Würzburg, Urteil vom 23. Juli 2020 – W 5 K 20.30327 –, Rn. 25 ff., juris unter Bezugnahme auf den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes). Allein die Tatsache, dass die Familie des Klägers in dieser Region nicht beheimatet ist, genügt nicht, um davon auszugehen, dass ein Aufenthalt für ihn dort nicht in Betracht käme.

Soweit der Kläger vorträgt, es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte in zahlreichen Fällen sudanesischen Flüchtlingen aus Darfur und Kurdufan subsidiären Schutz zugesprochen habe und die unterschiedliche Behandlung gegen Art. 3 GG verstoße, ist zu berücksichtigen, dass es sich stets um eine Einzelfallbetrachtung handelt. Da der Einzelrichter nicht erkennen kann, dass der Kläger subsidiär schutzberechtigt ist, könnte ihm, selbst wenn seine Ausführungen zur Praxis der Beklagten vollständig zuträfen, kein Status zugesprochen werden, da eine pauschale Zuerkennung rechtswidrig wäre und eine Gleichbehandlung im Unrecht nicht in Betracht kommt.

3. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – (BGBl. 1952 II S.685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies umfasst das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Dies kann unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen für den Kläger nicht festgestellt werden.

In besonderen Ausnahmefällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Abschiebungszielstaat ein Abschiebungsverbot begründen. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 –, Rn. 11 f., juris m.w.N. (ähnlich auch Nds. OVG, Urteil vom 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 –, Rn. 50 f., juris) aus:

„Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25; s.a. Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. ECLI:EU:C:2019:219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre".“

Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch diejenige des Bundesverwaltungsgerichts machen somit deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, wenn die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind (VG Würzburg, Urteil vom 23. Juli 2020 – W 5 K 20.30327 –, Rn. 35, juris). Die Beurteilung, ob eine solche Situation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vorliegt, hängt von den individuellen Umständen – wie etwa Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, familiären und freundschaftlichen Verbindungen, Vermögensverhältnissen, (Aus-)Bildungsstand und anderen auf dem Arbeitsmarkt nützlichen Eigenschaften des Klägers – ab (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 23. März 2020 – 2 A 357/19 –, Rn. 11, juris; VG Stade, Urteil vom 21. Juli 2020 – 4 A 2524/17 – m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen spricht wegen der aktuellen schweren Überflutungen im Sudan eine ausreichend beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr aufgrund der schlechten humanitären Verhältnisse in Sudan einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre.

Werden die Überflutungen im Sudan ausgeblendet, gilt zur dortigen Lage das Folgende:

Nach dem aktuellen Lagebericht vom 28. Juni 2020 ist die Versorgungslage des Landes besorgniserregend. Hauptursachen seien die hohe Armut, Vertreibungen aufgrund andauernder Spannungen in Darfur und der Grenzregion zum Südsudan (Süd-/Westkordufan, Blue Nil), chronische Ernährungsunsicherheit aufgrund klimatischer und sozioökonomischer Faktoren sowie die seit Beginn 2018 anhaltende Wirtschaftskrise. 60 Prozent der Bevölkerung seien von extremer Armut betroffen, in Regionen wie Südkordufan oder Darfur teilweise sogar bis zu 90 Prozent. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung gebe mindestens 75 Prozent der Einkünfte für die Sicherung der Ernährung aus. 2,4 Millionen Kinder seien von akuter Unterernährung betroffen. Aktuell werde die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen seien, von den UN-Organisationen mit 9,3 Millionen beziffert. Der deutliche Anstieg zum Vorjahr (plus 5,5 Prozent) hänge in erster Linie mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zusammen. Besonders betroffen seien die 1,9 Millionen Binnenvertriebenen und 1,1 Millionen Flüchtlinge (hauptsächlich Südsudanesen und Eritreer, zuletzt zunehmend aber aus der Zentralafrikanischen Republik), die seit Jahren auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Ein Wegfall der Subventionen würde diese Gruppen besonders treffen und ihre prekären Lebensverhältnisse verschärfen. Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie habe sich die Versorgungslage zunehmend verschärft, insbesondere für Tagelöhner, die nun noch schwerer Arbeit finden würden. Im Vergleich zu den Peripherien existiere in der Hauptstadt Khartoum ein recht gutes Warenangebot. Über den zum Leben benötigten Mindestbedarf hinausgehende Güter seien aber auch hier für den Großteil der Bevölkerung kaum erschwinglich. Mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung könne ihren täglichen Kalorienbedarf nicht mehr aus eigener Kraft decken, da ihnen die nötige Kaufkraft fehle. Ein ausreichendes Nahrungsmittelangebot wäre verfügbar, sei für die meisten aber nicht bezahlbar. Besonders betroffen seien die Krisenregionen, wo staatliche Daseinsvorsorge kaum oder gar nicht existiere (Lagebericht, Seiten 8 und 25).

Auch in dem Lagebericht des (UN) Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) vom 6. August 2020 (OCHA Situation Report, Last updated: 6 Aug 2020 (Archive), https://reports.unocha.org/en/country/sudan) wird die Ernährungssituation in Sudan, insbesondere in Nord-Kordufan, als besorgniserregend beschrieben. Mehr als 9,6 Millionen Menschen, fast ein Viertel der gesamten sudanesischen Bevölkerung, benötigten dringend Hilfe, wie sich aus dem jüngsten Bericht der Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET), einem von der US-Agentur für internationale Entwicklung und dem US-Außenministerium betriebenen Hungersnot-Frühwarnsystem (vgl. https://fews.net/) ergebe. Nach der von FEWS NET erstellten „Integrated Phase Classification (IPC)“, wonach die Ernährungssituation eines Landes anhand der fünf Phasen „1: Minimal“, „2: Stressed“, „3: Crisis“, „4: Emergency“ und „5: Famine“ bewertet wird, sind im Sudan 2,2 Millionen Menschen der ICP-Phase 4 (Notstand) und 7,4 Millionen Menschen der Phase 3 (Krise) zugeordnet. Weitere 15,9 Millionen Menschen befänden sich in der ICP-Phase 2 (s. OCHA, a.a.O., Seiten 10, 11; siehe hierzu auch radio dabanga, Bericht vom 5. Juni 2020, https://www.dadngasudan.org/en/all-news/article/staple-food-prices-continue-to-increase-in-sudan).

Wenn demnach die Ernährungssituation in Sudan für einen großen Teil der Bevölkerung sehr schlecht bzw. schlecht ist, ergibt sich aus den genannten Quellen allerdings auch, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung hiervon nicht so stark betroffen ist. Dabei spielen auch regionale Unterschiede und die Zugehörigkeit zur Gruppe der Flüchtlinge aus Südsudan, Eritrea und Zentralafrikanischer Republik und der Binnenvertriebenen eine Rolle. Der Kläger gehört nicht zu diesen Flüchtlingsgruppen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ferner nicht bekundet, dass er sich nicht hätte versorgen können. Wenn er danach auch nicht explizit gefragt worden ist, hätte es zumindest nahegelegen, dass er Angaben aus eigenem Interesse hierzu macht, wenn dies der Fall gewesen wäre. Ein Großteil seiner Familie lebt zudem noch im Sudan. Dass sie besondere Probleme wirtschaftlicher Art hätten, hat der Kläger ebenfalls nicht angesprochen. Auch ist nicht ersichtlich, dass er sich seinen Lebensunterhalt – beispielsweise in Khartoum – nicht verdienen könnte. Soweit laut OCHA Lagebericht (a.a.O. Seiten 9, 10) sudanesische Kinder besonders stark von der schlechten Ernährungslage betroffen sind, 1,1 Millionen Kinder würden unter starkem Hunger leiden, ihre in die ICP-Phase 4 einzuordnende Anzahl habe sich seit 2019 verdoppelt, von den insgesamt 9,6 Millionen von großer Ernährungsunsicherheit betroffenen Menschen (ICP 3 und 4) seien die Hälfte Kinder, betrifft dies den Kläger ebenfalls nicht.

Es gab bislang auch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich die schlechte Versorgungslage in Sudan weiter ungebremst ausbreiten wird. Vielmehr unternimmt die sudanesische Übergangsregierung mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft große Anstrengungen, um die humanitäre Situation in Sudan zu verbessern.

Zum Stand bei den staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung führt das VG Braunschweig unter Berufung auf diverse Veröffentlichungen im Urteil vom 26. Juni 2020 – 3 A 51/20 –, aus:

„Zwar ist die soziale Krise in Sudan, die sich nach der Ankündigung von deutlichen Preiserhöhungen u.a. für Grundnahrungsmittel im Dezember 2018 zu den sog. Hungeraufständen gesteigert und letztlich den Umsturz herbeigeführt hat, nicht beseitigt und nicht zuletzt durch die hohe Inflation eher gesteigert. Die gegenwärtige Regierung steuert ihr aber - unterstützt durch finanzielle Hilfen aus dem Ausland, u.a. auch von der EU (vgl. dazu etwa die Berichte in der Sudan Tribune vom 01.03.2020 https://www.sudantrbune.com/spip.php?article69046 und 23.06.2020 https://www.sudantribune.com/spip.php?article69506) - entgegen; sie hat nicht nur die angekündigten Preiserhöhungen für Nahrungsmittel nicht realisiert, sondern u.a. kostenlose Schulmahlzeiten eingeführt und die Mindestlöhne deutlich erhöht (vgl. dazu etwa den Bericht vom 26.05.2020 https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-this-week-s-news-in-brief-12 ). Außerdem hat sie erklärt, dass sie beabsichtige, die Unterstützung armer Menschen dadurch zu verbessern, dass sie anstelle von subventionierten Waren, die nicht selten ins Ausland verbracht (und die Armen nicht erreichen) würden, Bargeld erhalten und die Subventionen für die Weizen und Kochgas-Subvention beizubehalten sowie lediglich die Brennstoffsubventionen schrittweise zu kürzen (vgl. vgl. dazu den Beitrag in der in Paris herausgegebenen Sudan Tribun vom 13.01.2020, https://www.sudantribune.com/spip.php?article68848, Abfrage vom 15.01.2020; https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/cash-support-project-kicks-off-in-sudan vom 15.06.2020, Abfrage vom 24.06.2020). Die zugesagte direkte finanzielle Unterstützung hat die Regierung einem Presse-Bericht zufolge mittlerweile eingeleitet mit dem Ziel, dass Ende des Jahres 2020 alle bedürftigen Familien davon profitieren werden (vgl. dazu https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/cash-support-project-kicks-off-in-sudan vom 15.06.2020, Abfrage vom 245.06.2020).“

Dass – auch mit Blick auf die Covid-19-Pandemie – im Sudan verstärkte Hilfsmaßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage erfolgen, ergibt sich auch aus dem OCHA-Lagebericht. Danach haben die Vereinten Nationen und die humanitären Partner am 19. Juli 2020 einen Nachtrag zum humanitären Reaktionsplan 2020 veröffentlicht, um auf den wachsenden humanitären Bedarf im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie im Sudan zu reagieren. Der Plan sehe zusätzliche 283 Millionen Dollar vor, um die Regierung bei der Bekämpfung der Ausbreitung der Pandemie und deren Folgen zu unterstützen und mehr als 6,7 Millionen Menschen im ganzen Land lebensrettende Hilfe zu leisten. (OCHA, a.a.O., Seite 8). Darüber hinaus hätten Organisationen der Vereinten Nationen und humanitäre Partner in den letzten neun Monaten 350.000 Menschen in den zuvor unzugänglichen Teilen des Gebiets Jebel Marra in Süd-Darfur Lebenshilfe geleistet (OCHA, a.a.O. Seite 11). Ferner hätten der Zentrale Nothilfefond der Vereinten Nationen (CERF) und der Sudan Humanitarian Fund (SHF) gemeinsam 23,5 Millionen US-Dollar bereitgestellt, um Hilfsorganisationen im Sudan zu unterstützen und auf den durch Covid-19 im Land verursachten steigenden Bedarf zu reagieren (OCHA, a.a.O. Seiten 12 und 13). Weiter heißt es, das von der Übergangsregierung mit Unterstützung des Welternährungsprogramms initiierte Programm zur Unterstützung von schutzbedürftigen Familien erfasse 600.000 Familien und damit etwa 36 Millionen und fast 80 Prozent der Bevölkerung und stelle fünf US-Dollar pro Person und Monat zur Verfügung. Bei der Sudan Partnerships Conference am 25. Juni 2020 in Berlin hätten die Geber schätzungsweise 582 Millionen Dollar für dieses Programm zugesagt (OCHA, a.a.O., Seite 7). Auch in dem Bericht der European Council on foreign relations aus Juni 2020 mit dem Titel „BAD COMPANY: HOW DARK MONEY THREATENS SUDAN´S TRANSISTION“, Verfasser Jean-Baptiste Gallopin (https://www.ecfr.eu/publications/summary/bad_company_how_dark_money_threatens_sudans_transition) werden die verschiedenen Hilfsmaßnahmen thematisiert, wenn deren Wirkung auch eher kritisch bewertet wird (Seiten 7 ff., insbesondere Seiten 11 und 12 des Berichts).

Der Kläger ist im Sudan aufgewachsen, hat sich dort nach eigenen Angaben bis in das Alter von 18 Jahren aufgehalten.Trotz seiner längeren Abwesenheit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass er mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut ist und sich in diese bei einer Rückkehr wieder einfinden kann. Außerdem hat er nach seinen Angaben noch Familienangehörige im Sudan, die ihn bei einer Rückkehr unterstützen können. Der Einzelrichter geht auch davon aus, dass der Kläger unter gewöhnlichen Bedingungen in der Lage sein wird, langfristig eine Erwerbstätigkeit zu finden. Er ist jung, gesund und arbeitsfähig, sodass er im Sudan sein Existenzminimum, einschließlich elementarer Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, aus eigener Kraft oder eventuell mit ergänzender Unterstützung seiner Familie bestreiten kann.

Nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa, weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem das wirtschaftliche Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, ist hingegen keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 – 1 C 24/06 –, Rn. 11, juris).

Dass der Kläger nach dem Ende der gegenwärtigen Flutkatastrophe einer zumutbaren Tätigkeit nicht nachgehen könnte, ist nicht erkennbar, wobei die künftige Entwicklung im Sudan selbstverständlich abzuwarten bleibt. Er behauptet das zwar im Rahmen seiner Klagebegründung vom 10. Juli 2017. Beim Bundesamt hat er allerdings mitgeteilt, als Händler auf dem Markt gearbeitet zu haben. Es erschließt sich nicht, weshalb dafür besondere familiäre und ethnische Strukturen notwendig seien. Zu berücksichtigen ist auch, dass für Rückkehrer und rückgeführte Personen die Möglichkeit besteht, durch die Internationale Organisation für Migration (IOM) unterstützt zu werden, was die Ausgangslage des Klägers für eine wirtschaftliche Integration verbessern könnte (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Braunschweig vom 13. September 2018, Gz. 508-516.80/05.04.2002 und vom 17. Oktober 2018, Gz. 508-516.80/50266; aktueller Lagebericht, Seite 26).

Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich aufgetretenen Corona-Pandemie ergibt sich nichts Anderes. Die im Internet ohne weiteres verfügbaren (bekannten) Zahlen weisen für den Sudan im Vergleich zu Deutschland jedenfalls keine deutlich stärkere Betroffenheit durch das Virus aus. Nach den auf ihrer einschlägigen Internetseite (https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdahboard/index.html#bda7594740fd40299423467b48e9ecf6, Abfrage am 12. August 2020) veröffentlichten Zahlen der weltweit bekannten und geachteten Johns Hopkins Universtiy (JHU) gab es am 12. August 2020 im Sudan 2.033 Infizierte, 6.282 Genesene und 786 Tote, woraus sich 4.965 aktive Fälle errechnen lassen. Für Deutschland wurden 219.623 Infizierte, 181.389 Genesene und 9.213 Tote angegeben, woraus sich 29.021 aktive Fälle errechnen lassen. Unter Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von 43 Millionen in Sudan (vgl. dazu https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-population-eceeds-43-million-nearly-on- in-four-in need-of-aid;) ergibt sich demnach keine wesentlich höhere Betroffenheit als in der Bundesrepublik Deutschland mit ca. 80 Millionen Einwohnern. Wie valide die festgestellten Zahlen angesichts nicht einschätzbarer Dunkelziffern sind und wie sich die Verhältnisse in Zukunft entwickeln werden, kann gegenwärtig nicht festgestellt bzw. nicht hinreichend sicher prognostiziert und demnach hier auch nicht berücksichtigt werden.

Da jedenfalls die verfügbaren Zahlen an Infizierten im Sudan im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nicht exorbitant hoch sind, kann auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die medizinische Versorgung jedenfalls außerhalb Khartoums allenfalls auf geringem niedrigen Niveau gewährleistet ist (siehe aktueller Lagebericht, Seite 25), viele Kliniken während der Pandemie geschlossen haben und der Sudan nur über 184 Intensivbetten (hiervon 160 mit Beatmungsgeräten) verfügt (OCHA, a.a.O., Seite 69), nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der im Zeitpunkt der Entscheidung offenbar gesunde Kläger im Falle seiner Rückkehr aufgrund des mangelhaften Gesundheitssystems im Sudan einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Dies gilt nicht auch zuletzt mit Blick auf die bereits geschilderten Anstrengungen der sudanesischen Übergangsregierung und der internationalen Staatengemeinschaft zur Verbesserung der humanitären Lage im Sudan.

Ein Anspruch auf das Abschiebungsverbot besteht jedoch aufgrund der zwischenzeitlich aufgetretenen schweren Fluten im Sudan. Nach dem OCHA-Lagebericht vom 10. September 2020 (Update vom 24. September 2020) handelt es sich bei der Flut um die schwerste im Sudan innerhalb der letzten 30 Jahre. Die Häuser von etwa 830.000 Menschen seien zerstört oder beschädigt worden; über 120 Personen seien gestorben. Besonders betroffen seien die Regionen Nord Darfur, Khartoum, West Darfur und Sennar. Nicht nur Häuser und die Infrastruktur seien zerstört worden, sondern ebenfalls Farmen. Im Staat Khartoum seien in Um Durman 67 Prozent der Farmen überflutet worden, in Karari etwa 60 Prozent und etwa 30 Prozent in Nord Khartoum. Framen in anderen Staaten habe es ähnlich schlimm getroffen. Etwa 10 Millionen Personen bräuchten nun Unterstützung.

Aus einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. September 2020 (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/sudan-der-kampf-gegen-ueberschwemmungen-16959799.html) ergibt sich zudem, dass mittlerweile sämtliche 18 sudanesischen Bundesstaaten in Mitleidenschaft gezogen seien. Solche Wassermassen habe es zuletzt im Jahr 1988 gegeben. Besonders verheerend sei die Lage an den Ufern des Nils. Die Regenzeit werde voraussichtlich noch bis Oktober anhalten. Noch nie sei am Nil so ein hoher Wasserstand gemessen worden. Die Regierung habe den Notstand ausgerufen. Einem der ärmsten Länder der Welt drohten nun Hungersnöte. Tausende Hektar Ackerland, 360 Lagerhallen und mehr als 12.000 Latrinen seien zerstört worden. 11.000 Nutztiere seien erkrankt oder von den Fluten fortgespült worden. Im Südosten des Staates Blue Nile sei der Bout-Staudamm gebrochen. Er habe 5 Millionen Kubikmeter Wasser gestaut. Allein durch den Dammbruch sei die Trinkwasserversorgung von rund 100.000 Menschen in Gefahr.

Ein Bericht des Tagesspiegels vom 27. September 2020 (https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/extreme-ueberschwemmungen-afrikas-sintflut/26223006.html) spricht davon, dass die Überflutungen im Sudan besonders schlimm seien. In der Hauptstadt seien ganze Stadtteile überflutet, zigtausende Häuser zerstört und über 100 Menschen getötet worden. In einem Artikel des greenpeace magazin vom 16. September 2020 (https://www.greenpeace-magazin.de/ticker/von-den-fluten-des-nils-mitgerissen-jahrhundertflut-im-sudan-von-gioia-forster-und-hipa) heißt es, 650.000 Menschen seien einer Jahrhundertflut zum Opfer gefallen. Sintflutartiger Regen habe überall im Wüstenstaat Straßen in Flüsse und Ackerland in Seen verwandelt. Sturzfluten hätten ganze Dörfer vernichtet. Über 111.000 Häuser seien beschädigt oder zerstört worden. Die Menschen müssten nun mit dem allernötigsten versorgt werden und das in einem Land, das ohnehin schon unter einer desaströsen Wirtschaft leide. Grundbedürfnisse könnten teilweise nicht mehr befriedigt werden. Betroffene hätten kein Dach über dem Kopf, kein sauberes Trinkwasser, Nahrungsmittel oder Sanitäranlagen. Besonders schlimm sei die Hauptstadt betroffen. Viele Bauern hätten ihre Ernte verloren. Schon zwischen Juni und September 2020 seien bereits 9,6 Millionen Menschen – rund ein Fünftel der Bevölkerung – akut vom Hunger betroffen gewesen. Das liege vor allem an der schlechten Wirtschaftslage, sowie an der Dürre, Konflikten und dem Corona-Lockdown. Dies könnte sich durch die Überschwemmungen nun noch verschärfen. Weitere Gefahren drohen. Es werde erwartet, dass sich Krankheiten ausbreiten. Vielerorts könne das Wasser nicht abfließen. Ebenfalls bedrohe bei mangelndem Zugang zu sauberem Trinkwasser ein Ausbruch von Cholera und anderen Durchfallerkrankungen.

Bestätigt werden diese Ausführungen in einem Videobericht des ZDF vom 21. September 2020 (https://www.zdf.de/nachrichten/heute-sendungen/videos/ueberschwemmungen-sudan-100.html). Der Weiße Nil und der Blaue Nil würden gigantische Wassermassen ins Land tragen. Die Hauptstadt sei besonders schwer betroffen. Ganze Städte seien weggeschwemmt worden. Ein Kamerateam habe sich von der Hauptstadt 200 Kilometer Richtung Norden begeben und sei dort lediglich auf Wassermassen getroffen. Menschen und Tiere würden sich vor den Überflutungen in Sicherheit bringen. Es mangele an Nahrung und sauberem Trinkwasser. Mangelnde Hygiene habe viele krankgemacht und Hilfe würde nur schleppend ankommen. Die Lebensgrundlage von 100.000 Menschen sei zerstört und es drohe Hunger. Betroffen seien weite Teile des Sudans. Die Regenzeit dauere noch bis Ende Oktober.

Unter diesen Umständen ist es dem Kläger derzeit nicht zumutbar, in den Sudan zurückzukehren. Es kann nicht sicher davon ausgegangen werden, dass er sich – auch durch Arbeit – während der Überschwemmungen eine Lebensgrundlage schaffen und sich mit den notwendigsten Grundbedürfnissen ausstatten kann.

Den Beteiligten waren die zu den Überflutungen genutzten Erkenntnismittel bislang nicht bekannt. Für den Kläger haben sie jedoch zu einer günstigen Entscheidung geführt und die Beklagte hat im Rahmen ihrer allgemeinen Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 auf die Übersendung von Erkenntnismittellisten verzichtet. Daher konnten diese Quellen vom Einzelrichter genutzt werden, auch wenn die Beteiligten hierzu bislang nicht Stellung nehmen konnten.

4. Ausreiseaufforderung, Abschiebungsandrohung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Bescheid des Bundesamtes vom 14. März 2017 sind wegen des Anspruchs auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes ebenfalls rechtswidrig.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG. Das Gericht nimmt drei „Angriffe“ gegen die Beklagte an (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Zuerkennung subsidiären Schutzes, Feststellung von Abschiebungsverboten). Der Kläger hatte nur mit einem Begehren Erfolg, sodass die Kosten wie aus dem Tenor ersichtlich aufzuteilen waren.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.