Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 10.09.2020, Az.: 10 B 4681/20

Corona-Virus; COVID-19; Mindestabstand; Mund-Nasen-Bedeckung; Ordner; SARS-CoV-2; versammlungsrechtliche Beschränkung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
10.09.2020
Aktenzeichen
10 B 4681/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71515
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen versammlungsrechtliche Beschränkungen einer Versammlung unter freiem Himmel. Sie zeigte der Antragsgegnerin am 20. August 2020 die Durchführung einer Versammlung mit bis zu 1.000 erwarteten Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu dem Thema „Selbstbestimmtes Leben“ an, die am Sonnabend, 12. September 2020, 15.30 Uhr bis 20.00 Uhr, auf dem Georgsplatz im Stadtgebiet A-Stadt stattfinden soll.

Mit Bescheid vom 9. September 2020 bestätigte die Antragsgegnerin die geplante Versammlung am 12. September 2020 unter mehreren Beschränkungen, insbesondere

„2. Die Versammlungsteilnehmer haben eine geeignete Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.

Hiervon ausgenommen sind Personen, denen aufgrund von Vorerkrankungen, wegen des höheren Atemwiderstands, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zumutbar ist. Dies ist gegenüber polizeilichen Einsatzkräften vor Ort auf Verlangen durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung glaubhaft zu machen.

Ebenfalls ausgenommen sind Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres.

Die Mund-Nasen-Bedeckung kann abgenommen werden, solange die Teilnehmerin/der Teilnehmer eine sitzende Position einnimmt und mit dieser das Abstandsgebot gem. dem Beschränkungspunkt Nr. 4 eingehalten wird.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben innerhalb des Versammlungsbereichs eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, wenn Sie auf dem Weg zu ihrem Sitzplatz sind oder sich von diesem entfernen. Des Weiteren besteht weiterhin für die Personen eine Trageverpflichtung die stehend an der Versammlung teilnehmen.
[...]

4. Zwischen den Versammlungsteilnehmern ist ein Abstand von jeweils mindestens 1,5 Metern durchgehend einzuhalten. Dies gilt nicht für Personen, die dem gleichen Hausstand angehören.

5. Alle Personen haben zu Rednern während deren Redezeit einen Abstand von mindestens 5 Metern einzuhalten.
[...]

11. Es ist mindestens eine Ordnerin/ein Ordner je 10 Teilnehmer einzusetzen. Diese müssen unbewaffnet und durch weiße Armbinden kenntlich gemacht werden, die nur die Bezeichnung „Ordnerin“ oder „Ordner“ tragen dürfen.
Auch Ordnerinnen/Ordner haben eine geeignete Mund-Nasen-Bedeckung (sh. Beschränkung zu 2.) zu tragen. Personen, die eine Ausnahme i. S. v. Beschränkung Nr. 2 S. 2 geltend machen können, dürfen nicht als Ordnerin/Ordner eingesetzt werden.

Hiervon ausgenommen sind Personen, denen aufgrund von Vorerkrankungen, wegen des höheren Atemwiderstands, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zumutbar ist. Dies ist gegenüber polizeilichen Einsatzkräften vor Ort auf Verlangen glaubhaft zu machen.“

Gegen den Bescheid vom 9. September 2020 hat die Antragstellerin am 10. September 2020 hinsichtlich der unter Nrn. 2., 4., 5. und 11. verfügten Beschränkungen um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht, ohne gleichzeitig Klage zu erheben.

Sie macht im Wesentlichen geltend, dass die Beschränkungen „reine Schikane“ seien, weil eine epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht gegeben sei. Die COVID-19-Pandemie werde von interessierten Kreisen überbewertet und diene der Einschüchterung der Bevölkerung und der Durchsetzung einer obrigkeitsstaatlichen Diktatur. Das Robert-Koch-Institut verbreite wahrheitswidrig überhöhte Infektionszahlen.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Zif. 2, die Zif. 4, der Zif. 5 und der Zif. 11 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 9. September 2020 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid,

den Antrag abzulehnen.

Mit der Eingangsverfügung wurde die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung der Kammer spätestens zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Klage, deren aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, erhoben sein muss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der Antrag der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.

Er ist schon unstatthaft, weil die Antragstellerin bisher keine Klage gegen die streitige Verfügung der Antragsgegnerin erhoben hat.

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Ein Rechtsbehelf, der aufschiebende Wirkung auszulösen in der Lage ist und dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden kann, ist danach denklogische Voraussetzung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO. Ein Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ohne eingelegten Hauptsacherechtsbehelf ist dementsprechend schon mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar sowie wegen der systematischen Verknüpfung mit § 80 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen. Auch aus § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO ergibt sich nichts Anderes. Diese Norm erfasst den Zeitraum zwischen der Zurückweisung eines (hier nicht statthaften) Widerspruchs und der Erhebung der Anfechtungsklage und trägt dem Umstand Rechnung, dass mit Blick auf den noch nicht bestandskräftigen Widerspruchsbescheid die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (und nicht etwa der Klage, vgl. Rn. 119) gerichtlich hergestellt wird (zu allem: Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 38. EL Januar 2020, Rn. 460 ff. zu § 80).

Der Antrag wäre darüber hinaus, selbst wenn er zulässig wäre, unbegründet.

Die vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs einzubeziehen sind. Hierbei ist bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der angegriffenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen, im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81 –, BVerfGE 69, 315, 363f. – „Brokdorf II“), in die wiederum die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind.

Nach diesen Grundsätzen überwiegt hier das öffentliche Interesse am Sofortvollzug gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Maßgeblich für die Interessenabwägung ist dabei, dass auch eine noch erhobene Klage der Antragstellerin nach derzeitigem Sachstand voraussichtlich keinen Erfolg hätte, weil sich die angegriffenen versammlungsrechtlichen Beschränkungen aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen.

Rechtsgrundlage für versammlungsrechtliche Beschränkungen ist § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) vom 07.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.

Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann sich jedoch auch aus anderweitigen gravierenden Gefahren für hochrangige Schutzgüter wie Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) oder die Aufrechterhaltung des öffentlichen Gesundheitssystems im Falle einer Pandemie durch ein hochansteckendes Virus mit einer hohen Anzahl schwerer Erkrankungsverläufe ergeben.

Die „unmittelbare Gefährdung“ i. S. d. § 8 Abs. 1 NVersG setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgütern führt. Die Gefährdung muss nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (BVerfGE 69, 315, 353 f.; BVerfGE 87, 399, 409; BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 –, NVwZ 2008, 671, 672; BVerfG, Beschluss vom 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 –, NJW 2010, 141, 142). Gefordert sind vielmehr konkrete ordnungsbehördliche Erkenntnisse als Grundlage der Gefahrenprognose, so z. B. je nach Gefahrentyp über die Zahl und den Kreis der zu erwartenden Versammlungsteilnehmer, über Aufrufe zu Gewalttaten oder sonstige konkrete Indizien für befürchtete Straftaten (BVerfG, Beschluss vom 21.4.2000 – 1 BvQ 10/00 –, NVwZ-RR 2000, 554, 555). Dabei sind allerdings an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Insofern ergeben sich konkrete rechtliche Vorgaben für die Gefahrenprognose und die darauf beruhende Abwägung aus § 1 Abs. 6 Satz 2 der Niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 – Niedersächsische Corona-Verordnung – vom 10. Juli 2020 in der Fassung vom 26. August 2020 (Nds. GVBl. S. 279), wonach die Veranstalterinnen und Veranstalter von Versammlungen unter freiem Himmel durch geeignete Maßnahmen den Schutz vor Infektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 sicherzustellen haben.

Nach diesem Maßstab erweisen sich die angefochtenen Beschränkungen zur Konkretisierung und Durchsetzung dieser Verpflichtung voraussichtlich als rechtmäßig.

Die dagegen erhobenen Einwände der Antragstellerin greifen nicht durch. Sie richten sich materiell nicht gegen die konkret angeordneten Beschränkungen, sondern gegen die dem Erlass der Niedersächsischen Corona-Verordnung zugrundeliegende Annahme einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne von § 28 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG -) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), in der hier maßgeblichen zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) mit Wirkung vom 28. März 2020 geänderten Fassung.

Dementgegen geht das Gericht mit der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG angesichts der weiterhin herrschenden Corona-Pandemie erfüllt sind (vgl. eingehend Nds. OVG, Beschluss vom 29.6.2020 – 13 MN 244/20 –, juris Rn. 15 bis 21 –, bestätigt zuletzt durch Beschluss vom 24.8.2020 – 13 MN 297/20 –). Gegenüber dem diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachstand hat sich keine wesentliche Veränderung ergeben. Der Mittelwert der in den vergangenen 7 Tagen neu Erkrankten ist schon seit Anfang August 2020 wieder erhöht und im Vergleich zu Ende Juni 2020 aktuell annähernd verdoppelt (siehe www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/ (Stand 9.9.2020)). Von einer tatsächlich nicht vorhandenen Pandemie kann angesichts der danach derzeit täglich rund 100 zusätzlichen Neuinfektionen mit dem Corona-Virus in Niedersachsen keine Rede sein. Auch der Einwand der Antragstellerin, dass das Robert-Koch-Institut überhöhte Infektions- oder Todesfallzahlen veröffentliche, greift nicht durch, nachdem es sich um aggregierte Infektionszahlen handelt, die die Gesundheitsämter der Landkreise erhoben und mitgeteilt haben.

Vor diesem Hintergrund erweisen sich die angefochtenen Beschränkungen nach der im vorläufigen Rechtsschutz nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage als grundsätzlich zulässig und geeignet. Das Gericht geht mit der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass das Einhalten von Abständen sowie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen durch Teilnehmer und insbesondere Ordner in einem System verschiedener Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos ein tauglicher Baustein ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 –) und insbesondere dann wirksam wird, wenn möglichst viele Personen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Diese allgemeinen Überlegungen greifen auch und insbesondere bei Versammlungen unter freiem Himmel durch, weil dort zum einen andere Maßnahmen wie das Einhalten von Abstandsgeboten und Husten- und Niesetikette mit zunehmender Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht durchgehend sichergestellt werden können. Zum anderen sind gerade Versammlungen häufig dadurch geprägt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr kommunikatives Anliegen durch gemeinsames Rufen zu höherer Aufmerksamkeit bringen, damit jedoch auch ein gegenüber dem normalen Alltagsverhalten deutlich gesteigertes Risiko besteht, feine Tröpfchen von Speichel im näheren Umfeld zu verteilen, die eine Mund-Nasen-Bedeckung auffangen kann. Bei der von der Antragstellerin angezeigten Versammlung tritt weiterhin hinzu, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – wie die Antragstellerin auch – das Bestehen der Pandemie als solcher und folglich auch das Risiko einer Verbreitung des Sars-CoV-2-Virus in Abrede stellen und sich nach der Lageeinschätzung der Antragsgegnerin auch bei früheren Versammlungen nicht an versammlungsrechtliche Beschränkungen zur Infektionsvermeidung wie die Maskenpflicht und das Abstandsgebot gehalten haben. Angesichts dessen ist auch aus Sicht des Gerichts nicht damit zu rechnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Eigenverantwortung oder Verantwortung Dritten gegenüber freiwillige Maßnahmen zum Infektionsschutz treffen.

Von diesen Grundsätzen ausgehend erweisen sich die von der Antragsgegnerin auf die Versammlung der Antragstellerin angepassten Beschränkungen auch konkret als verhältnismäßig. Im Einzelnen:

Soweit die Antragsgegnerin unter Nr. 2 verfügt hat, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – von näher bezeichneten Ausnahmen abgesehen, die die Antragstellerin nicht anfechten wird – während der Versammlung innerhalb des Versammlungsbereichs eine geeignete Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen haben, soweit sie nicht eine sitzende Position einnehmen, erweist sich diese Beschränkung als verhältnismäßig, weil sie dem Umstand begegnet, dass sich Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, soweit sie nicht sitzen, bei lebensnaher Betrachtung im Versammlungsbereich bewegen und dabei die gebotenen Mindestabstände unterschreiten können. Auch die unter Nr. 4 verfügten Mindestabstände zwischen den Versammlungsteilnehmern sind verhältnismäßig und mit den gegebenen Ausnahmen rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 26.6.2020 – 11 ME 139/20 –). Soweit die Abstände zu Rednerinnen und Rednern auf fünf Meter erhöht sind, erweist sich auch diese Beschränkung vor dem Hintergrund eines bei lautem Sprechen signifikant höheren Ausstoßes feiner Tröpfchen von Speichel im näheren Umfeld als angemessen.

Auch die gegenüber den im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin „ortsüblichen“ versammlungsrechtlichen Beschränkungen erhöhte Anzahl der Ordnerinnen und Ordner (je 10 Teilnehmer/innen ein/e Ordner/in) erweist sich als geeignet und angemessen, um insbesondere die Pflicht zur Einhaltung der Mindestabstände und zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung tatsächlich effektiv durchsetzen zu können. Weil zu erwarten ist, dass Ordnerinnen und Ordner sprechen und unter Umständen auch die Mindestabstände unterschreiten, wenn sie auf die Einhaltung dieser Beschränkungen dringen, ist auch nicht zu beanstanden, dass nur solche Personen als Ordnerinnen und Ordner eingesetzt werden dürfen, die tatsächlich selbst durchgehend eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen können (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 26.6.2020 – a. a. O. –). Personen, die von der Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz befreit sind, bleibt die Teilnahme an der Versammlung dadurch nicht verwehrt; ihr kommunikatives Anliegen können sie ohne Weiteres auch zum Ausdruck bringen, ohne als Ordnerin oder Ordner zu agieren.

Neben all dem spricht, die Entscheidung selbständig tragend, auch bei Annahme offener Erfolgsaussichten eine Folgenabwägung für ein überwiegendes öffentliches Interesse am Vollzug der angefochtenen Verfügung. Bestätigen sich die angefochtenen Beschränkungen im Nachhinein als rechtmäßig, wäre der Verzicht auf einen wirksamen Baustein der Pandemiekontrolle möglicherweise Ursache für einen Infektionscluster größeren Umfangs und würde schlimmstenfalls neuerliche Beschränkungen des öffentlichen Lebens erforderlich machen. Erwiese sich die Beschränkung dagegen als rechtswidrig, hätten die Antragstellerin und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ihrer Versammlung zwar vorübergehend möglicherweise tatsächlich nutzlose Unannehmlichkeiten hingenommen, aber ihr kommunikatives Anliegen zum größten Teil verwirklichen können. Denn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlung verschaffen sich unabhängig von den Beschränkungen bereits dadurch Gehör und Aufmerksamkeit, dass sie sich der Versammlung anschließen und in ihrer Gesamtheit sichtbar sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des festgesetzten Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da bei Verfahren der vorliegenden Art durch die Entscheidung im Eilverfahren die Entscheidung in der Hauptsache faktisch vorweggenommen wird, ist es nicht gerechtfertigt, den im Hauptsacheverfahren mit dem Auffangwert anzunehmenden Streitwert für das vorläufige Rechtsschutzverfahren zu reduzieren.