Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.12.2011, Az.: 5 K 180/11
Ansetzung von unentgeltlichen Wertabgaben für die nichtunternehmerische Nutzung eines am 03.05.1999 angeschafften Kfz
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.12.2011
- Aktenzeichen
- 5 K 180/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 33703
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2011:1215.5K180.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1, S. 2 UStG
- § 15 Abs. 1b UStG
Fundstellen
- BBK 2012, 487-488
- EFG 2012, 563-564
Amtlicher Leitsatz
Für die nichtunternehmerische Nutzung eines am 03.05.1999 angeschafften Kfz, bei dessen Erwerb unter Anwendung von § 15 Abs. 1b UStG a.F. nur 50% der Vorsteuern aus den Anschaffungskosten abgezogen wurden, sind gem. § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG i.V.m. § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. keine unentgeltlichen Wertabgaben anzusetzen.
Umsatzsteuer 2007 - 2009
Tatbestand
Streitig ist der Ansatz unentgeltlicher Wertabgaben gem. § 3 Abs. 9a Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die nichtunternehmerische Verwendung eines Pkw.
Die Klägerin unterhielt ... ein umsatzsteuerliches Unternehmen. Am 03.05.1999 erwarb sie ein Kfz der Marke Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen ... und ordnete es ihrem umsatzsteuerlichen Unternehmen zu. Die Vorsteuer aus den Anschaffungskosten zog sie unter Anwendung von§ 15 Abs. 1b UStG alter Fassung (a.F.) zu 50% ab. Eine Korrektur der Vorsteuer nach § 15a UStG führte sie zu keinem Zeitpunkt durch.
In den Streitjahren 2007 - 2009 unterwarf sie die private Verwendung des Mercedes unter Berufung auf § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. i.V.m. § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG nicht der Umsatzsteuer. Aus den laufenden Kfz-Kosten zog sie nur 50% der Vorsteuern ab.
Durch Umsatzsteuerbescheide vom 01.04.2010 (für 2007 und 2008) und vom 11.11.2010 (für 2009) setzte der Beklagte die Umsatzsteuer der Streitjahre unter Ansatz einer Umsatzsteuer von 233,32 EUR für 2007, von 251,56 EUR für 2008 und 305,52 EUR auf unentgeltliche Wertabgaben nach § 3 Abs. 9a UStG für die private Verwendung des betrieblichen Pkw's fest. Als unentgeltliche Wertabgabe zu 19% erfasste er dabei 80% der in den Gewinn- und Verlustrechnungen ausgewiesenen Umsatzserlöse "Eigenverbrauch Kfz ohne Umsatzsteuer" in Höhe von 1.228 EUR in 2007, 1.324 EUR in 2008 und 1.608 EUR in 2009.
Die Einsprüche hiergegen wies der Beklagte durch Einspruchsbescheid vom 27.04.2011 als unbegründet zurück.
Mit Urteil vom 29.04.2004 habe der EuGH in der Rechtssache C-17/01 entschieden, dass § 15 Abs. 1b UStG a.F. für den Zeitraum vom 01.04.1999 bis zum 04.03.2000 einer unionsrechtlichen Grundlage entbehre.
Für nach dem 31.03.1999 und vor dem 05.03.2000 angeschaffte Fahrzeuge habe der Unternehmer daher unter Berufung auf die für ihn günstigere Regelung des Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG den Vorsteuerabzug aus den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den laufenden Kfz-Betriebskosten in voller Höhe vornehmen können. Im Gegenzug hätte die nichtunternehmerische Verwendung gemäߧ 3 Abs. 9a UStG als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterlegen. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG hätten insoweit nicht vorgelegen.
Die Klägerin habe ihr Wahlrecht bei Anschaffung des Kfz durch Inanspruchnahme des halben Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1b UStG ausgeübt.
In den Streitjahren 2007 - 2009 habe sie den Vorsteuerabzug aus den laufenden Kfz-Betriebskosten uneingeschränkt in Anspruch genommen. Die private Mitbenutzung des Fahrzeugs unterliege daher in den Streitjahren der Wertabgabenbesteuerung nach § 3 Abs. 9a UStG.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Am 22.08.2011 hat der Beklagte für 2007 - 2009 geänderte Bescheide erlassen, in denen er die Vorsteuerbeträge antragsgemäß um 113,66 EUR in 2007, um 125,02 EUR in 2008 und um 191,42 EUR in 2009 (diese Beträge entsprechen 50% der Vorsteuern aus den laufenden Kfz-Kosten) erhöht hat.
Nach Erlass der Änderungsbescheide wendet sich die Klägerin noch gegen die Umsatzbesteuerung unentgeltlicher Wertabgaben wegen privater Mitbenutzung des dem umsatzsteuerlichen Unternehmen zugeordneten Kfz. Sie habe nur 50% der Vorsteuern aus den Anschaffungskosten (und bis einschließlich 2006 auch aus den laufenden Betriebskosten) abgezogen. Die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgaben habe daher zu unterbleiben. Insofern beziehe sie sich auf § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung der Umsatzsteuerbescheide 2007 bis 2009 in der Fassung vom 22.08.2011 die Umsatzsteuer 2007 um 233,32 EUR, die Umsatzsteuer 2008 um 251,56 EUR und die Umsatzsteuer 2009 um 305,52 EUR herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bezieht sich zur Begründung seines Antrages auf den Einspruchbescheid.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist begründet. Die Umsatzsteuerbescheide 2007 - 2009 in der Fassung vom 22.08.2011 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Zu Unrecht hat der Beklagte in den Streitjahren unentgeltliche Wertabgaben für die private Mitbenutzung des dem umsatzsteuerlichen Unternehmen zugeordneten Kfz angesetzt. Die private Verwendung des Fahrzeugs ist in den Streitjahren nicht steuerbar.
Nach § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG wird einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb seines Unternehmens liegen. Dies gilt allerdings gem.§ 3 Abs. 9a Satz 2 UStG in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung u.a. nicht bei der Verwendung eines Fahrzeugs, bei dessen Anschaffung Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1b UStG nur zu 50% abziehbar waren. Nach § 15 Abs. 1 b UStG in der bei Anschaffung des PKW geltenden Fassung waren nur 50% der Vorsteuerbeträge abziehbar, die auf die Anschaffung oder Herstellung sowie den Betrieb von Pkw entfallen, die auch für den privaten Bedarf des Unternehmers oder für andere unternehmensfremde Zwecke verwendet werden. Der Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe für die nichtunternehmerische Nutzung solcher Fahrzeuge bedurfte es - zur Kompensation des vollen Vorsteuerabzuges - nicht.
Zwar ist § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz -StÄndG- 2003) vom 15.12.2003 (BGBl. I 2003, 2645; BStBl. I 2003, 710) mit Wirkung vom 01.01.2004 aufgehoben worden. Aber nach der Übergangsregelung des § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG sind § 3 Abs. 9a Satz 2, § 15 Abs. 1b, § 15a Abs. 3 Nr. 2 und § 15a Abs. 4 Satz 2 UStG in der jeweils bis 31.12.2003 geltenden Fassung auf Fahrzeuge anzuwenden, die nach dem 31.03.1999 und vor dem 01.01.2004 angeschafft oder hergestellt worden sind und für die der halbe Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1b UStG in Anspruch genommen wurde.
Danach findet § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung nach Auffassung des Senates in allen Fällen weiter Anwendung, in denen Fahrzeuge - wie der streitbefangene Pkw der Klägerin - nach dem 31.03.1999 und vor dem 01.01.2004 angeschafft worden sind und für die der halbe Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1b UStG in Anspruch genommen wurde. Der Wortlaut der Übergangsregelung des § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG ist insoweit eindeutig (ebenso Nieskens in Rau/Dürrwächter UStG § 27 Stand 10/2010 Rn. 30 und UStR 2004, 105, 120; Gilz in DStR 2004, 624; Zugmaier in Inf 2004, 222; FG München 9. Juni 2005 14 K 5374/04, EFG 2005, EFG 2005, 1570 [FG München 09.06.2005 - 14 K 5374/04]; vgl. auch BFH-Urteil vom 19.04.2007 V R 48/05, BFHE 217, 83, BStBl II 2007,801 unter II 1 d).
Ein anderes Verständnis der Vorschrift folgt auch nicht aus der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 27 Abs. 5 UStG (BR-Drucksache 630/03). Dort heißt es u.a.:
"Durch den Wegfall des § 15 Abs. 1b UStG wird in den Fällen, in denen der nach § 15a Abs. 1 UStG maßgebliche Verwendungszeitraum noch nicht abgelaufen ist, eine Berichtigung ausgelöst. Im Gegenzug ist die private Nutzung nach§ 3 Abs. 9a UStG der Besteuerung zu unterwerfen."
Soweit die Finanzverwaltung ausweislich des BMF-Schreibens vom 27.08.2004 IV B 7 - S 7300 - 70/04 (BStBl. I 2004, 864) auf der Grundlage der Gesetzesbegründung die Auffassung vertritt, dass Fahrzeuge, die nach dem 31.03.1999 und vor dem 01.01.2004 angeschafft worden sind und für die der halbe Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1b UStG in Anspruch genommen wurde, ab 01.01.2004 nach § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG eine unentgeltliche Wertabgabe als Ausgleich für die nichtunternehmerische Nutzung des Fahrzeugs der Besteuerung unterliege (im Ergebnis ebenso Sächsisches FG, Beschluss vom 28.02.2011 3 V 1195/10, in [...]) teilt der Senat diese Auffassung nicht. Der Wortlaut des § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG, der die Weitergeltung des § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG in den Altfällen vorsieht, ist insoweit eindeutig.
Etwas anderes würde nach Auffassung des Senates nur für den - vorliegend nicht gegebenen - Fall gelten, dass die Beschränkung des Vorsteuerabzuges durch § 15 Abs. 1b UStG bei Anschaffung gem. § 15a UStG für einzelnen Jahre des Verwendungszeitraums rückgängig gemacht worden wäre. In einem solche Fall wäre einer unentgeltlichen Wertabgabe gem. § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG entgegen § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG gerechtfertigt (so auch der BFH in seinem Urteil vom 19.04.2007 V R 48/05, BFHE 217, 83, BStBl II 2007, 801, für den Fall, dass der Steuerpflichtige den gem. § 15 Abs. 1b UStG beschränkten Vorsteuerabzug für ein 2000 angeschafftes Fahrzeug im Jahr 2003 gem. § 15a UStG teilweise nachholt).
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ist eine Besteuerung der nichtunternehmerischen Nutzung des am 03.05.1999 erworbenen Kfz gegenüber der Klägerin gem. § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG durch § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG a.F. i.V.m. § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG ausgeschlossen, da die Klägerin unter Anwendung von § 15 Abs. 1b UStG a.F. nur 50% Vorsteuer aus den Anschaffungskosten des Fahrzeugs abgezogen, sich nicht auf die für sie günstigere günstigere Regelung des Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG berufen und im Jahr 2003 auch nicht mit Billigung der Verwaltung eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG durchgeführt hat.
Soweit der Klägerin in den Streitjahren unter Anwendung des § 27 Abs. 5 Satz 2 UStG ein Vorsteuerabzug aus den laufenden Kfz-Betriebskosten zusteht, wäre es zwar nach Sinn und Zweck des§ 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG gerechtfertigt, eine unentgeltlichen Wertabgabe unter Einbeziehung der zum Vorsteuerabzug zugelassenen Betriebskosten in die Bemessungsgrundlage - entsprechend der in Ziff. 6.3 des BMF-Schreibens vom 27.08.2004 IV B 7 - S 7300 - 70/04 (BStBl. I 2004, 864) - zu besteuern. Dem Ansatz einer solchen unentgeltlichen Wertabgabe steht aber der ausdrückliche Wortlaut§ 27 Abs. 5 Satz 2 UStG, der eine unbeschränkte Fortgeltung des § 3 Abs. 9a Satz 2 UStG in Altfällen vorsieht, sowie der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung entgegen.
II.
Die neu festzusetzende Umsatzsteuer für 2007 bis 2009 berechnet sich wie folgt:
...
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision war nicht zuzulassen; die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Denn Rechtsfragen, die --wie vorliegend die Anwendung der Übergangsregelung des § 27 Abs. 5 Satz 1 UStG auf Fahrzeuge, die nach dem 31.03.1999 und vor dem 01.01.2004 angeschafft oder hergestellt worden sind und für die der halbe Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1b UStG in Anspruch genommen wurde-- ausgelaufenes oder auslaufendes Recht betreffen, kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu. Ein Abweichen von dieser Regel wäre nur ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn die aufgeworfenen Rechtsfragen sich noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen könnten (vgl. BFH-Beschlüsse vom09.05.2007 IX B 7/07, BFH/NV 2007, 1473; vom 04.11.2008 IX B 146/08, BFH/NV 2009, 129). Diese Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht gegeben.