Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.02.2009, Az.: 15 K 366/08
Vorlage des Vermögensverzeichnisses des Vollstreckungsschuldners auf Verlangen der Vollstreckungsbehörde und Bezeichnung des Grundes für seine Forderungen und die Beweismittel bei Verweigerung der Durchsuchung; Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Vollstreckungsbehörde bei Erlass von Vollstreckungsmaßnahmen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.02.2009
- Aktenzeichen
- 15 K 366/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 12460
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0224.15K366.08.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 13 Abs. 2 GG
- § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO
- § 284 Abs. 3 AO
- § 287 Abs. 4 S. 1 AO
Fundstellen
- DStRE 2009, 1275-1277
- EFG 2009, 992-993
- KÖSDI 2009, 16587
- Jurion-Abstract 2009, 228851 (Zusammenfassung)
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.
...
Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) erließ 2006 -im Anschluss an Betriebsprüfungen- geänderte Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume ab 1997. Daraus ergaben sich Abgabenforderungen, die ausweislich der Aufstellung der Forderungen vom 26. Februar 2007 (Bl. 35 f der Vollstreckungsakten) 278.862 EUR betrugen. Über die Rechtmäßigkeit dieser Steuerfestsetzungen besteht Streit zwischen den Beteiligten. So ist beim Niedersächsischen Finanzgericht unter dem Aktenzeichen ... eine Klage wegen Einkommensteuer 1997 bis 2001 anhängig. In dem weiteren Verfahren ... hat der Kläger die Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2005 angefochten. Die Vollziehung der strittigen Steuerbescheide ist überwiegend ausgesetzt.
Die in Vollstreckung befindlichen Abgabenforderungen des Beklagten betrugen am 12. August 2008 -zum Zeitpunkt des Ergehens der angefochtenen Einspruchsentscheidung- 30.165 EUR. Es handelt sich dabei ausschließlich um Rückstände zur Einkommensteuer 1999 sowie dazugehöriger Kirchensteuer und steuerlicher Nebenleistungen.
Das Erhebungsverfahren nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
Der Beklagte forderte den Kläger am 30. November 2006 auf, vollziehbare Rückstände zur Einkommensteuer 1997 bis 2003 in Höhe von 84.096 EUR zu zahlen, und pfändete anschließend wegen dieser Abgabenrückstände gegenüber der H. erfolglos eine Lebensversicherung.
Wegen Rückständen zur Einkommensteuer von 66.708 EUR brachte das FA gegenüber der Sparkasse S. und der X- GmbH am 22. März 2007 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aus. Am 2. April 2007 stundete es diese Abgaben bis 13. September 2007 und hob die beiden Pfändungen auf. Die Stundung wurde später bis 13. März 2008 verlängert.
Wegen Umsatzsteuerrückständen in Höhe von 15.294 EUR pfändete der Vollziehungsbeamte am 24. Januar 2008 den BMW mit dem Kennzeichen ... durch Anbringen einer Parkkralle. Nach Vorlage eines Vertrages, durch den der Kläger das Fahrzeug seiner Tochter T. sicherungsübereignet habe, hob die Finanzbehörde die Pfändung wieder auf.
Der Beklagte verlängerte am 31. März 2008 die Stundung von Abgaben in Höhe von rund 35.000 EUR bis zum 13. Juni 2008. Wegen vollstreckbarer Forderungen von 36.049 EUR brachte er am 21. Mai 2008 gegenüber der Sparkasse S. eine Kontopfändung aus, die nach Aktenlage keinen Erfolg hatte.
Am 29. Mai 2008 verweigerte der Kläger dem zur Vollstreckung von Abgaben in Höhe von 36.021 EUR erschienen Vollziehungsbeamten die Durchsuchung seines Besitztums. Als Grund seiner Weigerung gab er an, dass den Abgabenforderungen des Beklagten künftige Einkommensteuererstattungsansprüche für 2000 bis 2004 gegenüberstünden. Dem ebenfalls anwesenden Vollstreckungssachbearbeiter übergab er einen schriftlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und zinslose Stundung der Einkommensteuer 1998 und 1999.
Der Vollstreckungssachbearbeiter erläuterte dem Vollstreckungsschuldner, sein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 13. April 2008 sei durch den Teilaussetzungsbescheid vom 5. Mai 2008 beschieden worden. Einen Rechtsbehelf habe er hiergegen nicht erhoben. Zur Begründung des neuerlichen Aussetzungsantrags nehme er lediglich Bezug auf den bereits beschiedenen Antrag. Die zur Entscheidung berufene Sachbearbeiterin habe demzufolge den Antrag telefonisch abgelehnt. Der Vollstreckungssachbearbeiter habe diese Entscheidung dem Kläger übermittelt.
Eine technische Stundung im Hinblick auf behauptete Gegenforderungen aus den begehrten Einkommensteueränderungsbescheiden 2000 bis 2004 komme -über die mit Bescheid vom 31. März 2008 bereits gestundeten 17.669 EUR hinaus- nicht in Betracht. Insoweit habe der Vollstreckungssachbearbeiter den Antrag abgelehnt. Die Vollziehung der durch Klage (2000 und 2001) bzw. Einspruch (2002 und 2003) angefochtenen Einkommensteuerbescheide sei in vollem Umfang ausgesetzt. Ob sich darüber hinaus wegen anrechenbarer Lohnsteuer Erstattungsansprüche in Höhe der geschuldeten Abgaben von 33.098 EUR ergeben würden, sei ungewiss. So seien die Lohnsteuerzahlungen nicht nachgewiesen und der Ansatz weiterer Besteuerungsgrundlagen sei strittig. Daher seien nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit verrechenbare Guthaben zu erwarten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll des Vollziehungsbeamten wird (Bl. 161 bis 164 der Vollstreckungsakten) und den Aktenvermerk des Vollstreckungssachbearbeiters (Bl. 175 und 174 Vollstreckungsakten) Bezug genommen.
Am 9. Juni 2008 teilte das FA dem Kläger schriftlich mit, dass eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 über den bisher bewilligten Umfang hinaus nicht in Betracht käme. Den Berechnungen des FA könne er entnehmen, dass sämtliche Einwände in vollem Umfang in die Berechung einbezogen seien. Eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer 2000 bis 2001 komme mangels rückständiger Beträge nicht in Betracht. Die Bearbeitung der Einsprüche wegen Einkommensteuer 2002 bis 2003 könne erst fortgesetzt werden, wenn feststehe, ob die ... GmbH (im Folgenden A-GmbH), deren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der Kläger gewesen sei, die dem Kläger auf den Lohnsteuerkarten bescheinigten Lohnsteuerabzugsbeträge tatsächlich abgeführt habe. Zu diesem Zwecke werde eine Lohnsteueraußenprüfung erfolgen (Bl. 180 der Vollstreckungsakten).
Am 23. Juni 2008 (Bl. 192 bis 194 der Vollstreckungsakten) teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die in Vollstreckung befindlichen Rückstände zur Einkommensteuer 1999 30.165 EUR betrügen und dass das Vollstreckungsverfahren fortgesetzt werde. Insbesondere komme eine technische Stundung der Abgaben nicht in Betracht, da nicht mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit mit verrechenbaren Erstattungsansprüchen aus zu ändernden Einkommensteuerbescheiden für 2000 bis 2004 zu rechnen sei.
Der Beklagte ordnete am 23. Juni 2008 gegenüber dem Vollstreckungsschuldner die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wegen Abgabenrückständen in Höhe von 30.165 EUR an. Er begründete seine Entscheidung damit, dass der Vollstreckungsschuldner am 29. Mai 2008 die Durchsuchung verweigert habe.
Außerdem beantragte der Beklagte am 23. Juni 2008 beim Amtsgericht H. den Erlass einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss nach § 287 der Abgabenordnung (AO), den das Amtsgericht am 30. Juni 2008 erteilte. Der Beklagte führte daraufhin am 11. Dezember 2008 bei dem Kläger eine Wohnungsdurchsuchung durch. Wegen der Einzelheiten der anlässlich der Durchsuchung vorgefundenen Gegenstände wird auf die Niederschrift über eine "Pfändung von Sachen im Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners" nebst Anlagen (Bl. 296 bis 300 der Vollstreckungsakten) Bezug genommen. Ob die im Anschluss an die Durchsuchung ausgebrachten Pfändungs- und Einziehungsverfügungen erfolgreich waren, lässt sich den dem Gericht vorgelegten Vollstreckungsakten nicht entnehmen.
Bereits am 25. Juli 2008 hatte der Kläger Einspruch gegen die Anordnung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eingelegt.
Zur Begründung stellte er einen Antrag auf Aufhebung bzw. Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO. Den Vollstreckungsforderungen des Beklagten stünden Steuererstattungsansprüche in mindestens gleicher Höhe gegenüber. Es sei kurzfristig mit geänderten Einkommensteuerbescheiden für 2002 und 2003 zu rechnen. Das FA habe ausweislich des Stundungsbescheides vom 31. März 2008 aus einer Berichtigungsveranlagung für 2003 ein Guthaben von 17.669 EUR ermittelt. Daraus folge, dass auch eine Berichtigungsveranlagung für 2002 vorliegen müsse. Hieraus müsse sich ein Guthaben von etwa 20.000 EUR ergeben, da in den Einkommensteuererklärungen für 2002 und 2003 Besteuerungsgrundlagen in etwa gleicher Größenordnung erklärt worden seien. Der Einwand des FA, es sei eineinhalb Jahre, nachdem er Einspruch gegen die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 eingelegt und die Einkommensteuererklärungen 2002 und 2003 eingereicht habe, zweifelhaft geworden, ob die von der A-GmbH, bescheinigten Lohnsteuerabzugsbeträge auch tatsächlich abgeführt habe, sei unbeachtlich. Maßgebend sei allein, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer auf den Lohnsteuerkarten bescheinigt habe. Die Veranlagungen müssten daher unter Anrechnung der bescheinigten Lohnsteuerabzugsbeträge durchgeführt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 6. August 2008 (Bl. 225 und 224) Bezug genommen.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung mit Bescheid vom 11. August 2008 ab. Die nach einem erfolglosen Vorverfahren hiergegen erhobene Klage (Az. ...) hatte keinen Erfolg. Wegen der Einzelheiten wird insofern auf das Senatsurteil vom heutigen Tag Bezug genommen.
Mit Einspruchsbescheid vom 12. August 2008 wies das FA den Einspruch gegen die Anordnung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als unbegründet zurück. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der Anordnung seien erfüllt. Hieran ändere nichts der zwischenzeitlich gestellte Antrag auf Einstellung der Vollstreckung, da das FA habe diesen Antrag mit Bescheid vom 11. August 2008 abgelehnt habe. Darüber hinaus habe der Antragsteller keine Gründe vorgetragen, die es rechtfertigen würden, von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung abzusehen. Die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und deren eidesstattliche Versicherung seien geboten, um geeignete Vollstreckungsmaßnahmen zu ermitteln, zumal die Vermögensverhältnisse des Klägers unklar seien. Weniger einschneidende Vollstreckungsmaßnahmen wie die Pfändung eines Pkw's am 24. Januar 2008 und die Forderungspfändung gegenüber der Sparkasse S. vom 21. Mai 2008 hätten nicht zu einer Tilgung geführt. Daher erscheine die Anordnung nicht unverhältnismäßig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Einspruchsbescheides wird auf Blatt 233 bis 236 der Vollstreckungsakte Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger am 15. September 2008 Klage erhoben. Die Anordnung sei rechtswidrig. Ihr stehe entgegen, dass das FA nach eigenen Angaben im Stundungsbescheid vom 31. März 2008 davon Kenntnis habe, dass aufgrund von Berichtigungsveranlagungen zur Einkommensteuer 2002 und 2003 kurzfristig mit Erstattungsansprüchen zu rechnen sei, die die Vollstreckungsforderungen der Höhe nach überschreiten würden. Die Vollstreckung sei daher unbillig im Sinne des § 258 AO, so dass das FA verpflichtet sei, die Vollstreckung nach dieser Vorschrift einzustellen.
Der Kläger beantragt,
die Anordnung des Beklagten vom 23. Juni 2008, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und dessen Richtigkeit eidesstattlich zu versichern, in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 12. August 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung seines Klagabweisungsantrages nimmt der Beklagte Bezug auf den Einspruchsbescheid.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Anordnung des Beklagten vom 23. Juni 2008 zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 12. August 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Der Beklagte hat seine Anordnung allein darauf gestützt, dass der Kläger am 29. Mai 2008 die Durchsuchung seines Besitztums verweigerte.
Nach § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO hat der Vollstreckungsschuldner der Vollstreckungsbehörde auf Verlangen ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und für seine Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen, wenn der Vollstreckungsschuldner die Durchsuchung (§ 287 AO) verweigert hat. Nach § 284 Abs. 3 AO hat der Vollstreckungsschuldner zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er die von ihm verlangten Angaben über seine Vermögensverhältnisse nach bestem Wissen und Gewissen richtig und unvollständig gemacht hat. Die Anordnung eines hierzu bestimmten Termins kann mit der Anordnung eines Termins zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach § 284 Abs. 1 AO verbunden werden (vgl. BFH Beschlüsse vom 7. Dezember 2000 VII B 206/00, BFH/NV 2001, 577; und vom 12. Dezember 2001 VII B 318/00, BFH/NV 2002, 617).
Die Anordnungsbefugnis nach § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO für den Fall verweigerter Durchsuchung wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung zwangsvollstreckungs-rechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I 1997, 3039) mit Wirkung ab 1. Januar 1999 in die AO eingefügt. Dabei sah der Gesetzesentwurf zunächst nur die Einführung einer entsprechenden Erweitung der Anordnungsbefugnis in § 807 Abs.1 Zivilprozessordnung (ZPO), der Parallelenorm für das Vollstreckungsverfahren nach der ZPO, vor. Eine entsprechende Erweiterung des § 284 Abs. 1 AO fand erst aufgrund einer Stellungsnahme der Bundesregierung Eingang in das Gesetzgebungsverfahren (vgl. Bundestagsdrucksache 13/341 S. 59).
Der Senat hat Zweifel daran, ob § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz (GG) genügt, wonach die Durchsuchung einer Wohnung grundsätzlich der Anordnung eines Richters bedarf. Fraglich ist dabei insbesondere, ob die Wahrnehmung eines verfassungsrechtlich garantierten Rechtes, nämlich die Verweigerung einer Durchsuchung ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss, ohne weitere Voraussetzungen die Anordnung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, eines wegen der nachfolgenden Eintragung in das Schuldnerverzeichnis besonders intensiven vollstreckungsrechtlichen Eingriffs, ermöglichen darf.
Zweifelhaft erscheint dem Senat auch, ob die im Gesetzgebungsverfahren angestellten Überlegungen zur Rechtfertigung des Eingriffs im Hinblick auf die Beschleunigung des mitunter langwierigen und vom Schuldner bisweilen verzögerten Vollstreckungsverfahrens nach der ZPO ohne weiteres auf das Vollstreckungsverfahren nach der AO übertragen werden können. So kann die Finanzverwaltung im Gegensatz zu privaten Gläubigern die Vollstreckung mit ihren eigenen Vollziehungsbeamten unter Einsatz eigener Vollstreckungstitel betreiben und ihr stehen dabei weitreichende Informationen auch aus den Steuerakten zur Verfügung.
Wegen der weitergehenden Kritik an der Vorschrift nimmt der Senat auf die Kommentierung von Müller-Eiselt in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO, § 284 Rn. 32 - 39, 199. Lieferung aus 2008, Bezug (a.A. Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss vom 20. Januar 2009, 1 K 1416/08, in [...]).
Müller-Eiselt (a.a.O.), Kruse (in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, § 284 Rz. 4), Dumke (in Schwarz, Kommentar zur AO, § 284 Rn. 5a) und Geist (in Beermann/Gosch, Kommentar zur AO, § 284 Rn. 12) halten für die Anwendung des § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO wegen verfassungsrechtlicher Bedenken eine vorherige richterliche Durchsuchungsanordnung im Sinne des § 287 Abs. 4 Satz 1 AO für erforderlich.
Im Streitfall kann es dahin stehen, ob § 284 Abs.1 Nr. 3 AO verfassungsgemäß ist. Denn die angefochtene Anordnung war bereits deshalb aufzuheben, weil der Beklagte jedenfalls von seinem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
So hat die Vollstreckungsbehörde bei Erlass von (grundsätzlich in ihr Ermessen gestellten) Vollstreckungsmaßnahmen - wie der angefochtenen Anordnung - den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten (vgl. u.a. Entscheidungen des BFH vom 24. September 1991 VII R 34/90, BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57, und vom 11. Dezember 1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet und bei der Auslegung und Anwendung der Normen des einfachen Rechts stets zu beachten (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 9.November 1976 2 BvL 1/76, BVerfGE 43, 101, 106). Der Grundsatz besagt, dass das eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich sein muss, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Das Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn nicht ein anderes, gleich wirksames, aber weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte gewählt werden können (vgl. Beschluss des BVerfG vom 16.März 1971 1 BvR 52, 665, 754/66, BVerfGE 30, 292, 316; vgl. auch BFH Beschluss vom 13.August 1985 VII R 28/82, BFHE 144, 316).
Gemessen daran, hätte das FA sein Ermessen im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nach Auffassung des erkennenden Senates nur dahingehend pflichtgemäß ausüben können, dass es sich zuvor unter Verwendung des zeitgleich mit der Anordnung beantragten und am 30. Juni 2008 erteilten Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen einer Durchsuchung davon überzeugt hätte, dass eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen endgültig keinen Erfolg hat oder voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Dieses Vorgehen der Finanzbehörde hätte weniger einschneidende Wirkung für den Vollstreckungsschuldner zur Folge gehabt. Es hätte dem gesetzlichen Zweck des § 284 AO Rechnung getragen, dass sich nämlich die Finanzbehörde regelmäßig vor Erlass einer Anordnung zur Vorlage des Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unter Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel davon überzeugt, dass vollstreckbares bewegliches Vermögen zur Beitreibung sämtlicher Vollstreckungsrückstände nicht zur Verfügung steht. Dabei darf nicht außer Acht bleiben, dass sich der Kläger bei der Weigerung der Durchsuchung seiner Wohnräume am 29. Mai 2008 ohne Durchsuchungsbeschluss auf sein in Art. 13 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantiertes Recht berufen hat und dass eine Durchsuchung unter Verwendung des am 30. Juni 2009 ergangenen Durchsuchungsbeschlusses weder den Fortgang des Verfahrens nach § 284 AO unnötig verzögert hätte, noch hierdurch erhebliche zusätzliche sächliche und personelle Mittel von der Vollstreckungsbehörde hatten aufgewandt werden müssen.
Dadurch dass der Beklagte am 12. August 2008 den Einspruch ohne vorherige Durchsuchung unter Verwendung des bereits seit dem 30. Juni 2008 vorliegenden Durchsuchungsbeschluss ablehnte, hat der Beklagte von seinem Ermessen in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Die angefochtene Anordnung in der Fassung des Einspruchsbescheides war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.