Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 01.07.2005, Az.: 7 A 151/03

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
01.07.2005
Aktenzeichen
7 A 151/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 42798
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2005:0701.7A151.03.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Indikation "Fixierung einer Totalprothese" im Sinne der Regelungen zur beihilferechtlichen Anerkennung der Aufwendungen für implantologische Leistungen kann auch dann gegeben sein, wenn ein geringer Restzahnbestand die Fixierung einer den gesamten Kiefer umfassenden Prothese nicht übernehmen kann.

In der Verwaltungsrechtssache

des A.

Kläger,

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Dr. Appelhagen und andere,

Theodor-Heuss-Straße 5 A, 38122 Braunschweig, - B. -

gegen

das Nieders. Landesamt für Bezüge und Versorgung,

Schloßplatz 3, 26603 Aurich, - C. -

Beklagter,

Streitgegenstand: Beihilfe

hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 7. Kammer - ohne mündliche Verhandlung am 01.Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Müller-Fritzsche als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Das beklagte Amt wird verpflichtet, dem Kläger eine Beihilfe für implantologische Leistungen und Materialkosten entsprechend den Anträgen des Klägers vom 06. Oktober 2002 und 20. Dezember 2002 zuzüglich Zinsen seit 11. März 2003 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu gewähren.

    Die Bescheide des beklagten Amtes vom 16. Oktober 2002 und vom 06. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2003 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.

    Das beklagte Amt trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

    Das beklagte Amt kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ist als Landesbeamter beihilfeberechtigt. Der Bemessungssatz für Beihilfeleistungen an ihn beträgt 70 v. H..

2

Der Oberkiefer des Klägers ist bis auf einen Zahn (Zahn 1.6) zahnlos. Für den Kläger wurden zur Befestigung einer Prothese anstelle der Zähne 1.1, 1.3, 2.2 und 2.4 vier Implantate hergestellt. Unter dem 06. Oktober 2002 beantragte der Kläger eine Beihilfe u. a. für implantologische zahnärztliche Leistungen in Höhe von 1.461,89 €, in denen Materialkosten in Höhe von 715,06 € enthalten waren. Das beklagte Amt erkannte mit Beihilfebescheid vom 16. Oktober 2002 den Betrag von 192,92 € als beihilfefähig an und bewilligte eine Beihilfe in Höhe von 135,04 €.

3

Am 20. Dezember 2002 beantragte der Kläger Beihilfe für eine zahnärztliche Leistung in Höhe von 414,11 €, die sich aus 99,47 € für konservierend/chirurgische Leistungen, 147,60 € für implantologische Leistungen und 167,00 € für Materialkosten zusammensetzte. Mit Bescheid vom 06. Januar 2003 erkannte das beklagte Amt lediglich 92,47 € für konservierend/chirurgische Leistungen an und lehnte die Beihilfe für implantologische Leistungen und darauf bezogene Materialkosten ab.

4

Die Widersprüche des Klägers wies das beklagte Amt mit Widerspruchsbescheid vom 06. Februar 2003 mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen für die Beihilfefähigkeit implantologischer Leistungen seien nicht gegeben, weil die Indikation "Fixierung einer Totalprothese" nur vorliege, wenn der Kiefer zahnlos sei.

5

Am 11. März 2003 hat der Kläger Klage erhoben. Die Indikation für die Beihilfefähigkeit implantologischer Leistungen sei gegeben. Die Implantate dienten der Fixierung einer Totalprothese. Die Totalprothese erstrecke sich auch über den noch vorhandenen Zahn. Die weitere Einschränkung, dass Aufwendungen für mehr als vier Implantate pro Kiefer ausgeschlossen seien, werde ebenfalls eingehalten. Die von dem beklagten Amt angenommene Einschränkung, dass der Kiefer vollständig zahnlos sein müsse, finde sich weder in der Beihilfevorschrift noch in der Kommentierung.

6

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

7

die Beihilfebescheide vom 16. Oktober 2002 und 06. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2003 aufzuheben, soweit Beihilfe für implantologische Leistungen und Material- und Laborkosten abgelehnt wird und die Beklagte zu verpflichten, zu den abgelehnten implantologischen Leistungen sowie Material- und Laborkosten Beihilfe in der gesetzlichen Höhe zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren.

8

Das beklagte Amt beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Die Indikation "Fixierung einer Totalprothese" sei für implantologische Leistungen nur dann erfüllt, wenn die Totalprothese zur Versorgung eines zahnlosen Kiefers erforderlich sei. Da im Falle des Klägers der Zahn 1.6 vorhanden sei, seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Dabei sei nicht von Bedeutung, ob der Zahn nur noch als Restbestand vorhanden sei und keine Funktion mehr wahrnehmen könne.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des beklagten Amtes Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage - über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO) - ist begründet.

12

Die ablehnenden Bescheide des beklagten Amtes vom 14. Oktober 2002 und 06. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2003 sind im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 114 Abs. 5 VwGO), da der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass ihm eine Beihilfe für die Aufwendungen für implantologische Leistungen gewährt wird.

13

Gemäß § 87 c Abs. 1 NBG erhalten Beamte des Landes Niedersachsen Beihilfe nach den für Beamte und Versorgungsempfänger des Bundes geltenden Vorschriften. Maßgeblich sind dabei die zur Zeit der Entstehung der geltend gemachten Aufwendungen geltenden Fassungen des Beamten- und Beihilferechts.

14

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sind aus Anlass einer Krankheit beihilfefähig die Aufwendungen für eine vom Zahnarzt vorgenommene Leistung. Voraussetzung und Umfang der Beihilfefähigkeit richten sich nach Satz 2 der Vorschrift für zahnärztliche und kieferorthopädische Leistungen nach der Anlage 2. Dabei sind nach Anlage 2 Nr. 4 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV die Aufwendungen für implantologische Leistungen einschließlich aller damit verbundenen zahnärztlichen Leistungen nur dann beihilfefähig, wenn eine der folgenden Indikationen vorliegt:

15

a) Einzelzahnlücke, wenn beide benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind,

16

b) Freiendlücke, wenn mindestens die Zähne acht bis sieben fehlen,

17

c) Fixierung einer Totalprothese.

18

Vorliegend kommt vor allem die Indikation c) in Betracht. Entgegen der Auffassung des beklagten Amtes ist das Vorliegen der Indikation "Fixierung einer Totalprothese" nicht deshalb ausgeschlossen, weil bei dem Kläger in dem sonst zahnlosen (Ober-)Kiefer noch ein einziger Zahn (Zahn 1.6) vorhanden war. Nach Sinn und Zweck der Regelung ist es geboten, die Indikation auch dann als gegeben anzusehen, wenn in dem Ober- oder Unterkiefer zwar noch ein Zahn vorhanden ist, dieser aber aufgrund seines Erhaltungszustandes - wie bei dem Kläger - für die Fixierung einer Prothese nicht in Betracht kommt. Zwar ist es zutreffend, dass es sich bei Totalprothesen um den Ersatz der natürlichen Zähne, bei völligem Verlust der Zähne in einem Kiefer oder in beiden Kiefern handelt (vgl. Lehmann/Hellwig, Einführung in die restaurative Zahnheilkunde, 7. Aufl., S. 230; www.zahn-online.de/zahninfo/prothetik IV.shtml: stichwort "totalprothese"). Eine solche, allein an dem Wortlaut haftende Auslegung würde jedoch dem Sinn und Zweck der Vorschriften nicht gerecht werden und scheidet auch aus systematischen Gründen aus. Denn der Begriff "Totalprothese" muss ersichtlich von dem Begriff "Teilprothese" abgegrenzt werden. Unter letzteren versteht man Prothesen, die an der vorhandenen Restbezahnung verankert sind (vgl. www.medicine-worldwide.de/krankheiten/zahnerkrankungen/zahnersatz.html: stichwort "teilprothesen"). Demgemäß wäre die Versorgung des Klägers weder als Totalprothese noch als Teilprothese anzusehen: Eine Totalprothese schiede aus, weil der Kiefer nicht zahnlos ist. Um eine Teilprothese würde es sich nicht handeln, weil der noch vorhandene Zahn nicht als Anker für die Prothese dient. Die Abgrenzung muss deshalb danach vorgenommen werden, ob die prothetische Situation des Klägers mehr der einer Totalprothese oder der einer Teilprothese entspricht. Ersteres ist hier der Fall. Dabei ist von erheblicher Bedeutung, dass die Problematik bei Totalprothesen in deren Befestigung zu sehen ist, da es bei der Totalprothese nicht mehr möglich ist, vorhandene Zähne zum Prothesenhalt heranzuziehen (vgl. www.medicine-worldwide.de, a.a.O.). Dieser Situation sollte beihilferechtlich ersichtlich dadurch Rechnung getragen werden, dass die Kosten für Implantate als beihilfefähig anerkannt werden, wenn sie die Fixierung der Prothese übernehmen. Dies rechtfertigt es, die Indikation "Fixierung einer Totalprothese" auch dann als gegeben anzusehen, wenn ein geringer Restzahnbestand die Fixierung einer den gesamten Kiefer umfassenden Prothese nicht übernehmen kann (vgl. auch Topka/Möhle, Komm. zum Beihilferecht Niedersachsens und des Bundes, Stand: März 2005, § 6, Anm. 3.8.10.1 und 3.8.11.3, Beispiel 4).

19

Im Falle des Klägers ist auch die Höchstzahl der anzuerkennenden Implantate nicht überschritten. Nach der Anlage 2 Nr. 5 Satz 2 zu § 6 BhV sind mit besonderer Begründung im Falle der Fixierung von Totalprothesen bis zu vier Implantate pro Kiefer beihilfefähig. Nach dem vorgelegten Befundbericht des Arztes für Oralchirurgie und Implantologie Dr. Axel Strukmeier vom 13. August 2003 bestand bei dem Kläger die minimale implantologische Vorbereitung im Oberkiefer in der Einbringung von vier Implantaten um eine dauerhafte und erfolgversprechende Prothesenabstützung gewährleisten zu können.

20

Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, die hier entsprechende Anwendung finden: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts tritt im öffentlichen Recht die Rechtshängigkeit einer Geldschuld im Sinne des § 291 Satz 1 BGB nicht nur bei Klagen auf die Verurteilung zur Zahlung einer bezifferten Geldleistung ein, sondern auch bei Klagen, die - wie vorliegend - auf die Verpflichtung zum Erlass eines die Zahlung einer bestimmten Geldsumme unmittelbar auslösenden Verwaltungsakts gerichtet sind ( BVerwG, Urt. v. 28.06.1995 - 11 C 22/94 -, BVerwGE 99, 53/55; vgl. zum Beihilferecht auch OVG NW, Urt. v. 31.01.1995 - 1 A 3395/91 -, zitiert nach juris).

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

22

Der Anspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

23

Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§ 124a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.