Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 14.07.2005, Az.: 6 A 156/05

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.07.2005
Aktenzeichen
6 A 156/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 42808
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2005:0714.6A156.05.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine Fahrtenbuchauflage ist nicht schon deswegen unverhältnismäßig, weil zwischen dem Verkehrsverstoß und der Entscheidung der Behörde über das Fahrtenbuch ein längerer Zeitraum verstrichen ist.

  2. 2.

    Der Annahme einer unzureichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters steht nicht entgegen, dass die formularmäßige Belehrung auf dem ihm im OWi-Verfahren vorgelegten Anhörungsbogen den Hinweis enthält, der Halter sei zur Mitteilung der Personalien des verantwortlichen Fahrers nicht verpflichtet.

  3. 3.

    Eine Fahrtenbuchanordnung für die Dauer von 15 Monaten bei einer nach dem Punktsystem mit 5 Punkten bewerteten Geschwindigkeitsüberschreitung ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung des Beklagten, für seinen Pkw ein Fahrtenbuch zu führen.

2

Der Kläger ist Halter des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B.. Mit diesem Fahrzeug wurde am 14. April 2004 in Wolfsburg auf dem Berliner Ring die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h nach Abzug eines Toleranzwertes um 45 km/h überschritten. Die Ordnungswidrigkeit wurde durch ein Geschwindigkeitsmessgerät und Fotos dokumentiert.

3

Unter dem 28. April 2004 unterrichtete die Stadt Wolfsburg als Bußgeldbehörde den Kläger über den gegen ihm erhobenen Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit und gab ihm Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Wegen des weiteren Inhalts dieses Anhörungsschreibens wird auf den Verwaltungsvorgang verwiesen (Bl. 9 der Beiakte). Der Kläger machte unter dem 4. Mai 2004 auf dem ihm übersandten Anhörungsbogen Angaben zur Person und äußerte sich nicht zu dem Vorwurf. Mit Anwaltsschreiben vom 7. Mai 2004 bat der Kläger die Bußgeldbehörde darum, ihm Akteneinsicht zu gewähren; außerdem erklärte er, er werde derzeit keine Angaben zur Sache machen.

4

Die Bußgeldbehörde ließ sich von der Wohnsitzgemeinde des Klägers ein Foto des Klägers übersenden, um dieses mit dem bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigten Foto abzugleichen.

5

Darüber hinaus bat sie die Polizei Sassenburg darum, mithilfe der ihr überlassenen Ordnungswidrigkeitenakte den Fahrzeugführer zu ermitteln. Die Polizei teilte der Bußgeldbehörde unter dem 30. Juni 2004 mit, zwei Beamte hätten den Kläger am Vortag aufgesucht; auf dem Foto, das bei der Geschwindigkeitsmessung aufgenommen worden sei, sei er nach Meinung der Beamten nicht einwandfrei zu erkennen.

6

Die Bußgeldbehörde stellte das Ordnungswidrigkeitenverfahren daraufhin ein, weil der Fahrer nicht habe ermittelt werden können.

7

Mit Bescheid vom 13. Juli 2004 gab der Beklagte dem Kläger auf, für die Dauer von 15 Monaten für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen B. ein Fahrtenbuch zu führen; sofern ersatzweise ein anderes Fahrzeug für ihn zugelassen werde, gelte die Anordnung auch für dieses Fahrzeug. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, mit dem Fahrzeug des Klägers sei ein grober Verkehrsverstoß begangen worden, der die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs erforderlich mache. Mit einem weiteren Bescheid vom 13. Juli 2004 setzte der Beklagte die Verwaltungskosten auf 85,60 Euro (Verwaltungsgebühr in Höhe von 80 Euro zzgl. Portokosten) fest.

8

Mit Schreiben vom 11. August 2004, das am darauf folgenden Tag bei dem Beklagten einging, erhob der Kläger gegen beide Bescheide Widerspruch. Zur Begründung machte er geltend, aus der Nichtbeantwortung der Fragen im Anhörungsbogen könne nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass er es abgelehnt habe, an der Täterfeststellung mitzuwirken. Es sei erforderlich gewesen, ihm den vollständigen Aktenauszug innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Zuwiderhandlung zu übersenden, um das Erinnerungsvermögen anzustoßen. Die Fahrtenbuchauflage sei außerdem im Hinblick auf die angeordnete Dauer unverhältnismäßig. Gegen ihn sei zuvor noch keine derartige Maßnahme angeordnet worden. Zum Schutz der Allgemeinheit sei es nicht erforderlich, eine solche Fahrtenbuchauflage zu verfügen. Die angeordnete Maßnahme habe Strafcharakter und widerspreche damit dem Zweck des Gesetzes.

9

Mit Bescheid vom 14. Februar 2005, der dem Kläger am 17. Februar 2005 zuging, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte dazu aus, das Verhalten des Klägers im Ordnungswidrigkeitenverfahren habe gezeigt, dass er zur Mitwirkung nicht bereit gewesen sei; die angeordnete Dauer der Fahrtenbuchauflage sei angesichts des erheblichen Geschwindigkeitsverstoßes angemessen.

10

Am 16. März 2005 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht zusätzlich im Wesentlichen Folgendes geltend: Auf dem ihm im Bußgeldverfahren übersandten Anhörungsbogen habe sich nur eine schlechte Kopie des Fahrerfotos befunden. Der Beklagte hätte ihm das Originalfoto übersenden müssen. Außerdem wäre es seiner Ansicht nach zumutbar gewesen, ihn im Bußgeldverfahren als Zeugen anzuhören. Selbst wenn eine unzureichende Mitwirkung vorläge, sei sie ihm jedenfalls nicht subjektiv vorwerfbar. Die Belehrung im Anhörungsschreiben sei widersprüchlich, weil es dort heiße, der Halter sei zur Angabe der Personalien der verantwortlichen Person nicht verpflichtet. Die gleichwohl verfügte Fahrtenbuchauflage verstoße daher gegen Treu und Glauben. Das Gesetz sei so zu verstehen, dass eine Fahrtenbuchanordnung nur dann erfolgen dürfe, wenn dem Halter zumindest der Vorwurf fahrlässig unterlassener Mitwirkung gemacht werden könne. Dass die 14-Tage-Frist nicht eingehalten sei und das Anhörungsschreiben irreführende Angaben enthalte, sei auch bei der Bemessung der Fahrtenbuchauflage zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Schließlich sei zu beachten, dass selbst bei einer Verurteilung wegen einer Verkehrsstraftat nach § 315c Abs. 2 StGB unter Umständen von einem Fahrverbot abgesehen werden könne, wenn seit der Tat ein Jahr vergangen und der Kraftfahrer in der Zwischenzeit beanstandungsfrei gefahren sei; dieser Gedanke müsse erst Recht für eine Fahrtenbuchauflage gelten.

11

Der Kläger beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 13. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 14. Februar 2005 aufzuheben und die Zuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, und tritt den Ausführungen des Klägers entgegen.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger damit nicht in seinen Rechten.

15

Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Kläger als Halter des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B. angeordnete Fahrtenbuchauflage ist die Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

16

Die Feststellung der Person, die bei dem Verkehrsverstoß am 14. April 2004 das Fahrzeug gefahren hat, ist der Stadt Wolfsburg als zuständiger Ordnungsbehörde nicht möglich gewesen. Nicht möglich i. S. des § 31a StVZO ist die Fahrerfeststellung dann gewesen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen ist, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Angemessen sind die Maßnahmen, die die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei können sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987, Buchholz, aaO., Nr. 18 m.w.N.; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 17.02.1999 - 12 L 669/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00 - ; Beschl. vom 04.12.2003, DAR 2004, 607). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Bußgeldbehörde hier die angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers getroffen. Der Kläger hat an der Feststellung, wer das Fahrzeug am Tag des Vorfalls gefahren hat, nicht hinreichend mitgewirkt.

17

An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters fehlt es bereits dann, wenn dieser keine weiteren Angaben zu dem Personenkreis macht, der das Tatfahrzeug benutzt (Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 04.12.2003, DAR 2004, 607 [OVG Niedersachsen 04.12.2003 - 12 LA 442/03] und vom 08.11.2004, DAR 2005, 231). So ist es hier gewesen.

18

Der Kläger hat auf dem ihm übersandten Anhörungsbogen zum Verkehrsverstoß keine Angaben zum Fahrzeugführer gemacht. Darüber hinaus hat er mit Anwaltsschreiben vom 7. Mai 2004 mitgeteilt, er werde "derzeit" keine Angaben zur Sache machen. Auch im weiteren Verlauf des Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat er keine darüber hinausreichenden Erklärungen abgegeben. Die Bußgeldbehörde hat gleichwohl anhand eines Fotoabgleichs versucht festzustellen, ob der Kläger selbst das Tatfahrzeug bei dem Verkehrsverstoß geführt hat; sie ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass eine dahin gehende Feststellung nach den vorliegenden Fotos nicht mit der erforderlichen Sicherheit möglich ist. Weitere Maßnahmen der Bußgeldbehörde zur Ermittlung des Fahrzeugführers sind bei dieser Sachlage jedenfalls nicht erforderlich gewesen.

19

Auch wenn der Kläger das Fahrzeug tatsächlich nicht selbst gefahren haben und ihm der Fahrzeugführer tatsächlich nicht bekannt gewesen sein sollte, hätte er jedenfalls von sich aus alle möglicherweise weiterführenden Hinweise zu dem in Betracht kommenden Personenkreis geben müssen: Er hätte den Kreis der das Fahrzeug benutzenden Personen eingrenzen und diese konkret benennen müssen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.1995 - 11 B 30.95 -; VG Braunschweig, Urt. vom 10.08.2000 - 6 A 296/99 -; Urt. vom 16.08.2004 - 6 A 477/03 -). Einer ausdrücklichen Frage der Ermittlungsbehörden nach dem in Betracht kommenden Personenkreis bedurfte es nicht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 04.12.2003, DAR 2004, 607 [OVG Niedersachsen 04.12.2003 - 12 LA 442/03]). Dementsprechend ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Bußgeldbehörde den Kläger nicht förmlich als Zeugen angehört hat.

20

Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf die seiner Ansicht nach mangelnde Qualität des ihm von der Bußgeldbehörde übersandten Fahrerfotos berufen. Angaben zum Kreis der Fahrzeugnutzer sind dem Fahrzeughalter jedenfalls in aller Regel unabhängig von dem ihm vorgelegten und anlässlich des Verkehrsverstoßes gefertigten Foto möglich. Darüber hinaus hat der Kläger zu keiner Zeit während des Bußgeldverfahrens geltend gemacht, er sehe sich aufgrund des mangelhaften Fotos zu weiteren Angaben nicht in der Lage. Die Bußgeldbehörde hatte daher keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu weitergehenden Angaben bereit sein würde. Mit Schreiben vom 7. Mai 2004 hatte er es im Übrigen ohne weitere Begründung abgelehnt, sich zur Sache zu äußern.

21

Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die unzureichende Mitwirkung sei ihm wegen widersprüchlicher Angaben im Anhörungsschreiben der Bußgeldbehörde nicht vorwerfbar. Das Schreiben enthält keine Angaben, auf deren Grundlage es als Verstoß gegen Treu und Glauben und damit als rechtswidrig anzusehen wäre, den Kläger wegen seines Verhaltens im Bußgeldverfahren zum Führen eines Fahrtenbuchs zu verpflichten. Zutreffend weist der Kläger zwar darauf hin, dass es in dem Schreiben heißt, der Halter sei nicht dazu verpflichtet, die Personalien der verantwortlichen Person mitzuteilen. Zu einem schutzwürdigen Vertrauen darauf, dass bei einem Verzicht auf Angaben zum Fahrzeugführer auch eine Fahrtenbuchauflage unterbleiben würde, konnte dieser Hinweis aber nicht führen. Der Hinweis bezog sich eindeutig nur auf die für das Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderlichen Angaben. Dies wird durch die weiteren Ausführungen in der formularmäßigen Belehrung des Anhörungsschreibens klargestellt. Dort heißt es ausdrücklich, falls nicht festgestellt werden könne, wer das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat, könne dem Halter des Kfz gem. § 31a StVZO auferlegt werden, ein Fahrtenbuch zu führen. Diese Angaben verdeutlichen hinreichend und in Übereinstimmung mit der Rechtslage, dass die Verweigerung von Angaben - zu der der Fahrzeughalter im Ordnungswidrigkeitenverfahren berechtigt ist - in einem gesonderten Verfahren zur Überprüfung einer Fahrtenbuchauflage negative rechtliche Folgen für den Fahrzeughalter haben kann. Unabhängig davon befreit das Schreiben den Halter an keiner Stelle von der (für die Fahrtenbuchauflage relevanten) Pflicht, jedenfalls den Kreis der Fahrzeugnutzer einzugrenzen. Im konkreten Fall kommt hinzu, dass der Kläger bereits im Bußgeldverfahren anwaltlich vertreten worden ist und sich über die rechtlichen Folgen seines Verhaltens daher jederzeit fachkundig unterrichten lassen konnte.

22

Nach den vorliegenden Unterlagen ist zwar davon auszugehen, dass die Bußgeldbehörde dem Kläger den Anhörungsbogen zu einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht binnen zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß vom 14. April 2004 zugeleitet hat. Dies steht der Fahrtenbuchauflage jedoch nicht entgegen. Zwar kann grundsätzlich von einem hinreichenden Ermittlungsaufwand der Bußgeldbehörde nur dann ausgegangen werden, wenn der Halter unverzüglich (vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls regelmäßig innerhalb von zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß) von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis gesetzt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine verzögerte Anhörung steht der Fahrtenbuchauflage jedoch nicht entgegen, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die Erfolglosigkeit der Täterermittlung nicht ursächlich gewesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. vom 25.06.1987, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 17; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Beschl. vom 14.05.1997 - 3 B 28/97 -). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der Fahrzeughalter nicht bereits im Ordnungswidrigkeitenverfahren auf eine fehlende Erinnerung an den Fahrzeugführer beruft (Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 08.11.2004, DAR 2005, 231 [OVG Niedersachsen 08.11.2004 - 12 LA 72/04]). So ist es hier gewesen.

23

Der Kläger hat im Bußgeldverfahren keine Angaben zum Fahrzeugführer gemacht und sich während dieses Verfahrens zu keiner Zeit auf ein fehlendes Erinnerungsvermögen berufen. Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass auch ein früherer Hinweis auf die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit nicht zur Fahrerfeststellung geführt hätte.

24

Die Fahrtenbuchanordnung lässt auch keine Ermessensfehler erkennen (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).

25

Sie verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

26

In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass bereits eine einmalige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung darstellt, dass eine Androhung nicht ausreicht, sondern die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage geboten ist; dies gilt selbst dann, wenn durch die Geschwindigkeitsübertretung, die eine der hauptsächlichen Unfallursachen ist, eine konkrete Gefährdung nicht eingetreten ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, BVerwGE 98, 227 = NZV 1995, 460 [BVerwG 17.05.1995 - 11 C 12/94] m.w.N.; Beschl. v. 12.07.1995, NJW 1995, 3402; Beschl. vom 09.09.1999, NZV 2000, 386; Niedersächsisches OVG, Urt. vom 08.05.1995 - 12 L 7501/94 -; Beschl. vom 20.04.1998 - 12 L 1886/98 -; Beschl. vom 27.06.2000 - 12 L 2377/00 -; VG Braunschweig, Urt. vom 10.10.2000 - 6 A 322/99 - und 19.12.2003 - 6 A 738/02 -).

27

Auch im Hinblick auf die angeordnete Dauer der Fahrtenbuchauflage sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Um die Fahrzeugbenutzung wirksam überwachen und den Fahrzeughalter künftig im Falle eines Verkehrsverstoßes zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers anhalten zu können, ist eine gewisse, nicht zu geringe Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Bei der Bemessung der Frist sind das Gewicht des festgestellten Verkehrsverstoßes und das Verhalten des Fahrzeughalters im Zusammenhang mit den Bemühungen der Bußgeldstelle zur Tataufklärung zu berücksichtigen (VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 28.05.2002, DAR 2003, 90 [VGH Baden-Württemberg 28.05.2002 - 10 S 1408/01]; VG Braunschweig, Urt. vom 16.08.2004 - 6 A 477/03 -). Für die Beurteilung der Schwere des Verkehrsverstoßes darf sich die Behörde an dem in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung geregelten Punktsystem und den darin zum Ausdruck gekommenen Wertungen orientieren. Danach ist die angeordnete Dauer rechtlich nicht zu beanstanden.

28

Die hier festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung um 45 km/h innerorts hätte bei Ermittlung des Fahrzeugführers zur Eintragung von fünf Punkten in das Verkehrszentralregister geführt (vgl. Nr. 4.3 der Anlage 13 zur Fahrerlaubnisverordnung). Wegen der erheblich erhöhten Gefährlichkeit eines Geschwindigkeitsverstoßes dieser Größenordnung übersteigt eine Fahrtenbuchauflage, die sich auf die Dauer von 15 Monaten erstreckt, nicht das Maß der gebotenen effektiven Kontrolle. Die Entscheidung des Beklagten hält sich im Rahmen der in der Rechtsprechung der Kammer als angemessen bestätigten Anordnungen bei Geschwindigkeitsverstößen (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 02.04.2003 - 6 A 602/02 - und vom 30.06.2004 - 6 A 493/03 -: Fahrtenbuch für die Dauer von 12 Monaten bei einer mit drei Punkten belegten Geschwindigkeitsüberschreitung). Das Gericht kann offen lassen, ob der Beklagte bei der zeitlichen Bemessung der Fahrtenbuchauflage im konkreten Fall hinter dem Maß zurückgeblieben ist, das er sonst bei einem mit fünf Punkten bewerteten Verkehrsverstoß vorsieht, und seine Entscheidung daher dem von ihm regelmäßig zu Grunde gelegten System widerspricht (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 10.06.2005 - 6 A 202/05 -: 15 Monate bei Verkehrsverstoß mit drei Punkten). Durch eine verkürzte Fahrtenbuchanordnung wäre der Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt. Das Verhalten des Fahrzeughalters im Zusammenhang mit den Bemühungen der Bußgeldstelle zur Tataufklärung musste den Beklagten nicht dazu veranlassen, die Dauer der Fahrtenbuchauflage zu reduzieren. Der Kläger hat seinerzeit keinerlei Angaben zum Fahrzeugführer gemacht und damit aus den dargelegten Gründen nicht hinreichend an der Fahrerfeststellung mitgewirkt.

29

Mit der angeordneten Dauer von 15 Monaten widerspricht die Fahrtenbuchauflage entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht dem Zweck des Gesetzes. Sie soll - wie die Regelung in § 31a StVZO dies vorsieht - effektiv sicherstellen, dass bei künftigen Verkehrsverstößen die Feststellung des Fahrers anders als in dem Anlassfall ohne Schwierigkeiten möglich ist; sie richtet sich an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt (zum Zweck der Fahrtenbuchauflage vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 12.05.2004 - 6 A 398/04 -).

30

Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf Gerichtsentscheidungen berufen, wonach für den Fall einer Verurteilung nach § 316c Abs. 2 StGB und einer seither über einen längeren Zeitraum beanstandungsfreien Fahrpraxis davon abgesehen werden kann, gegen den Täter ein Fahrverbot auszusprechen. Diese Konstellation unterscheidet sich wesentlich von der rechtlichen Ausgangssituation bei der Fahrtenbuchauflage nach § 31a StVZO. Beim Fahrverbot nach § 44 StGB handelt es sich um eine sog. Nebenstrafe, die den Straftäter als Warnungs- und Besinnungsstrafe mit vorwiegend spezialpräventiver Zielrichtung vor dem Rückfall warnen soll und daher nur dann auszusprechen ist, wenn der Strafzweck allein durch die Hauptstrafe nicht erreicht werden kann (vgl. LG München I, Urt. vom 11.02.2004, NZV 2005, 56 m. w. N.). Die Fahrtenbuchauflage dagegen ist keine Sanktion, sondern eine Maßnahme der Gefahrenabwehr: Sie soll helfen zu gewährleisten, dass die Behörden den Fahrzeugführer in Zukunft (für die Dauer der Anordnung) im Hinblick auf die im Ordnungswidrigkeitenverfahren geltende kurze Verjährungsfrist rechtzeitig ermitteln können. Eine Fahrtenbuchauflage ist daher schon dann erforderlich, wenn nach den Erfahrungen in dem Anlassfall nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Fahrzeughalter in einer vergleichbaren Konstellation erneut nicht angeben wird oder nicht angeben kann, wer das Fahrzeug gefahren hat. Die Erforderlichkeit der Anordnung entfällt daher nicht allein deswegen, weil zwischen der Verkehrszuwiderhandlung und dem Zeitpunkt der Behördenentscheidung ein längerer Zeitraum verstrichen ist: Aus der Tatsache, dass es seit dem Anlassfall über einen längeren Zeitraum zu keinem weiteren vergleichbaren Vorfall gekommen ist, kann nicht ohne weiteres sicher geschlossen werden, dass der Halter sich zukünftig in einer vergleichbaren Konstellation anders als im Anlassfall verhalten und der Fahrer daher voraussichtlich rechtzeitig zu ermitteln sein wird. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch unter Berücksichtigung der Einlassungen des Klägers im Bußgeldverfahren für den vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Er hat keinerlei Angaben zum Fahrer und zum Kreis der Fahrzeugnutzer gemacht, obwohl es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass er zu solchen Angaben tatsächlich nicht in der Lage gewesen ist. Hinzu kommt, dass der Beklagte die Fahrtenbuchauflage bereits etwa drei Monate nach dem Verkehrsverstoß verfügt hatte und auch bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids noch kein Jahr vergangen war. Schon für sich gesehen genügt diese Zeitspanne nicht, um im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr tragfähig ausschließen zu können, dass bei der Aufklärung künftiger Verkehrsverstöße mit dem Fahrzeug des Klägers erneut Schwierigkeiten entstehen werden.

31

Frei von Ermessensfehlern ist die Fahrtenbuchanordnung auch, soweit sie sich auf ein Ersatzfahrzeug für das Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen GF-CU 922 erstreckt. Die Anordnung eines Fahrtenbuchs für ein Ersatzfahrzeug, die ihre Rechtsgrundlage in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO findet, ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in aller Regel vereinbar. Nur so kann angesichts der mitunter beträchtlichen Verfahrensdauer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sichergestellt werden, dass die Regelungen in § 31a StVZO nicht leer laufen und der Halter sich nicht durch den Verkauf des von der Fahrtenbuchanordnung unmittelbar erfassten Fahrzeugs der bestehenden Verpflichtung entzieht. Anhaltspunkte, die für den vorliegenden Fall eine Ausnahme rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.

32

Gegen die Gebührenfestsetzung, gegen die auch der Kläger keine gesonderten Einwände erhoben hat, bestehen keine rechtlichen Bedenken (vgl. dazu VG Braunschweig, Urt. vom 02.04.2003 - 6 A 83/02 -; Urt. vom 21.01.2004 - 6 A 57/03 -).

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus der Anwendung der §§ 167 VwGO, 711 und 708 Nr. 11 ZPO.

34

Der Antrag des Klägers, die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, ist abzulehnen. Dieser Antrag ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Gericht hat dem Kläger die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang auferlegt, sodass ihm gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung der Verfahrenskosten nicht zusteht und eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ohne Bedeutung wäre (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 21.04.2004 -6 A 57/03 - m. w. N.).

35

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 3 GKG (400 Euro je Monat der getroffenen Fahrtenbuchanordnung - vgl. den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327, II Nr. 46.13 - zzgl. Höhe des festgesetzten Kostenbetrages).

36

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 VwGO sind nicht ersichtlich.