Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 15.01.2003, Az.: 2 A 108/02
Anfechtung; Asylantrag; christlicher Glaube; Iran; politische Verfolgung; Rücknahme
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 15.01.2003
- Aktenzeichen
- 2 A 108/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48353
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 32 AsylVfG
- § 71 AsylVfG
- § 51 Abs 1 AuslG
- § 53 AuslG
- § 92 Abs 3 VwGO
- § 580 ZPO
- Art 16a Abs 1 GG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Verfahrenskosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit. Er betrieb im Jahre 2001 ein Asylerstverfahren. Die für den 04.07.2001 vorgesehene Anhörung fand nicht statt. Der Kläger war vom 25.06. bis zum 06.07.2001 im Städtischen Klinikum Braunschweig untergebracht (vgl. den Entlassungsschein Bl. 22 BA „B“). Mit Erklärung vom 19.07.2001 nahm er den Asylantrag zurück. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 30.07.2001 das Asylverfahren gemäß § 32 AsylVfG ein. Sie stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte den Kläger zur Ausreise auf. Ihm wurde die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht. Der dem Kläger gemäß § 10 AsylVfG zugestellte Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 16.10.2001 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag. Zu dessen Begründung gab er in der Anhörung am 19.12.2001 an, er habe den Asylantrag zurückgenommen, weil er vorgehabt habe, in sein Heimatland zurückzukehren. Nach der Rücknahme habe er von seiner Familie erfahren, dass sein Bruder und sein Schwager festgenommen worden seien. Von seinem Schwager wisse er den derzeitigen Aufenthaltsort nicht. Sein Bruder sitze im Gefängnis. Er werde im Iran Probleme bekommen, weil er als Fahrer für das Unternehmen M. gearbeitet habe. Der Inhaber des Unternehmens sei Christ gewesen. Dort habe auch sein Schwager gearbeitet. Er habe wöchentlich Mitarbeiter zur Kirche gefahren. Er selbst habe sich im Juli/August 2000 taufen lassen. Er habe auch an einer christlichen Feier im Januar 2001 teilgenommen. Die Feier sei von Sicherheitsbeamten gestürmt worden. Einige Personen seien festgenommen worden. Ihm sei die Flucht zu einem Cousin nach T. geglückt. Deshalb sei er ausgereist. In Deutschland gehe er jeden Tag zur Kirche.
Mit Bescheid vom 01.03.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Gleichfalls lehnte sie den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 30.07.2001 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ab. Sie forderte den Kläger zur Ausreise auf. Ihm wurde die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht.
Der Kläger hat am 12.03.2002 Klage erhoben. Er trägt vor, ihm drohe dasselbe Schicksal wie seinem Schwager. Er stamme aus einer politischen Familie, in der ab und zu jemand verhaftet oder hingerichtet werde. Weiterhin gehe er regelmäßig in die Kirche. Er eigne sich weiteres Wissen über die christliche Religion an, um es weiterzugeben. Er befinde sich in einer Vorstufe zum Missionieren. Die Rücknahme des Asylantrags fechte er an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus habe er sich in einer außergewöhnlichen Situation befunden. Er habe die Tragweite und Bedeutung der Erklärung nicht erkennen können. Es habe ihm die Einsichtsfähigkeit gefehlt. Er sei einem Irrtum unterlegen. Sein Zustand sei so kritisch gewesen, weil er im Krankenhaus sehr viel abgenommen habe. Dort habe er sich häufig übergeben müssen und auch Blut gespuckt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 01.03.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als asylberechtigt anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG bestehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Rücknahme des Asylantrages sei ordnungsgemäß erfolgt. Es habe eine Übersetzung in die persische Sprache stattgefunden. Nach der Krankenhausentlassung sei der Kläger wieder genesen. Im Übrigen nimmt sie Bezug auf die angefochtene Entscheidung.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ergeben sich aus der übersandten Erkenntnismittel-Liste Iran - Konversion vom 15.10.2002.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG. Die Beklagte hat den Asylfolgeantrag mit Bescheid vom 01.03.2002 zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat deshalb auch keinen Anspruch auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung als Asylberechtigter bzw. zur Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG bzw. zur Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG. Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sind gemäß § 71 Abs. 4 AsylVfG i.V.m. §§ 34, 36 AsylVfG rechtmäßig erfolgt.
Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Asylerstverfahren durch eine wirksame Rücknahme des Asylantrags mit der Erklärung vom 19.07.2001 (Bl. 29 BA „B“) beendet worden ist. Insofern ist bereits streitig, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt die Rücknahme eines Asylantrags in entsprechender Anwendung der §§ 119 ff. BGB angefochten werden kann. Teilweise wird - wie generell für Prozesshandlungen aus Gründen der Rechtssicherheit - die Anfechtung der Rücknahme grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. zum Meinungsstand: Hailbronner, AuslR, Kommentar, § 32, Rn. 12). Das Gericht folgt der Auffassung, dass die Anfechtung von Verfahrenshandlungen wie einer Rücknahme des Asylantrages, die zu einer Entscheidung nach § 32 AsylVfG führt, in der Regel ausgeschlossen ist. Dafür spricht neben der - wie in der vorliegenden Konstellation - verfahrensrechtlichen Bedeutung der Anfechtung der Rücknahme, die einen Vorrang der Rechtssicherheit vor der individuellen Gerechtigkeit verlangt auch, dass die Rücknahme der Asylklage gemäß § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO unanfechtbar ist. Dann kann nicht die Rücknahme des Asylantrages als anfechtbar angesehen werden (so auch Hailbronner, a.a.O., Rn. 14). Die von der Literatur und teilweise auch von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen liegen nicht vor. Der Kläger ist nicht arglistig getäuscht worden. Er hat die Rücknahme auch nicht aufgrund einer Drohung oder wegen unzulässigem Druck zurückgenommen. Das Bundesamt oder die Ausländerbehörde haben auch keine unzutreffenden Empfehlungen oder Belehrungen geäußert. Es liegen weder Wiederaufnahmegründe noch ein offensichtliches Versehen vor (vgl. zu den Ausnahmen wiederum Hailbronner, a.a.O., Rn. 15). Dass der Kläger nicht wusste, was er tat, stimmt offensichtlich nicht. Die Rücknahmeerklärung ist übersetzt worden. Auf Bl. 29 der Beiakte „B“ befindet sich die Unterschrift eines Sprachmittlers. Der Kläger wäre überdies nicht aus dem Krankenhaus entlassen worden, wenn er zu solchen Rechtshandlungen überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung hat glauben machen wollen. Richtig ist vielmehr, dass er, wie bei der Anhörung angegeben, in sein Heimatland zurückkehren wollte. Überdies ist darauf hinzuweisen, dass der gemäß § 32 AsylVfG ergangene Bescheid bestandskräftig geworden ist. Wenn sich der Kläger tatsächlich geirrt hätte, hätte er gegen den mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid vom 01.03.2002 fristgerecht Klage erheben müssen. Die Anfechtung wäre allerdings auch dann nur in dem beschriebenen Umfang zulässig gewesen (Hailbronner, a.a.O., Rn. 15).
Ein weiteres Asylverfahren ist nicht durchzuführen, weil sich nach Abschluss des Asylerstverfahrens mit der Bestandskraft des Bescheides vom 30.07.2001 am 18.08.2001 die zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nicht nachträglich zu Gunsten des Klägers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Neue Beweismittel oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO liegen nicht vor (§ 51 Abs. 1 Nr. 2, 3 VwVfG). Der Kläger hat auf Befragen in der mündlichen Verhandlung überaus unsubstantiiert und vage dargelegt, ihm drohe dasselbe Schicksal wie seinem Schwager. Es wird nicht erkennbar, warum der Schwager überhaupt verhaftet worden ist. Während nach den Angaben im Verwaltungsverfahren Schwierigkeiten wohl wegen der christlichen Religionszugehörigkeit und der Religionsausübung des Schwagers und seines Arbeitgebers bestanden, sagte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, sie seien eine politische Familie. Ab und zu werde jemand verhaftet oder hingerichtet. Dieses auch widersprüchliche Vorbringen genügt nicht, um eine nunmehr eingetretene Verfolgungsgefahr anzunehmen.
Wegen seines nach Abschluss des Asylerstverfahrens weiterhin im Bundesgebiet praktizierten christlichen Glaubens droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran keine politische Verfolgung i.S. des Art. 16a Abs. 1 GG. Eine politische Verfolgung ist nur dann beachtlich wahrscheinlich, wenn der Übertritt zum christlichen Glauben den staatlichen, halbstaatlichen oder anderen Institutionen, gegenüber denen der Staat keinen Schutz gewährt, bekannt wird oder von diesen als Bedrohung für den islamischen Staat bewertet wird. Ob eine solche Bewertung anzunehmen ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und in der Regel zu verneinen, wenn es sich um eine einfache Mitgliedschaft handelt, die weder mit missionarischer Tätigkeit noch mit Leitungsaufgaben oder anderen hervorgehobenen Funktionen verbunden ist (Nds. OVG, Urt. v. 28.10.1999 - 5 L 3180/99 , Urt. v. 30.01.2001 - 5 L 918/00 -, Urt. v. 27.03.2001 - 5 L 463/00 -). Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger nicht als Bedrohung für den islamischen Staat empfunden werden. Er trägt nämlich lediglich vor, regelmäßig in die Kirche zu gehen sowie sich weiteres Wissen über das Christentum anzueignen. Es kann dahinstehen, inwieweit seine Angaben zum Besuch von Gottesdienst und Kirche glaubhaft sind. Da er selbst angibt, noch nicht zu missionieren, scheidet eine Bedrohung im Iran mit Sicherheit aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.