Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 23.01.2003, Az.: 3 A 8/01
alkoholabhängiger Nichtsesshafter; gewöhnlicher Aufenthalt; Heimbetreuungsbedürftigkeit; Nichtsesshafteneinrichtung; notwendiger Lebensunterhalt; Wohnversuch
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 23.01.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 8/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47903
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 BSHG
- § 3a BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Heimbetreuungsbedürftigkeit eines 66-Jährigen, der jahrelang im Rahmen von § 72 BSHG vollstationär untergebracht war und einen Wohnversuch in einer eigenen Wohnung eigenmächtig abgebrochen hat.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 23.05.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 12.09.2000 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen nach § 11 BSHG für die stationäre Unterbringung in der Diakonie F., Altenhilfezentrum H., in der Zeit vom 01.12.1999 bis 12.09.2000 zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Übernahme stationärer Unterbringungskosten im Altenhilfezentrum H. in F. ab 01.12.1999.
Er ist 1933 geboren, wurde 1981 arbeitslos und ist seit seiner Scheidung 1983 wohnungslos. 1987/88 machte er eine Alkoholentzugstherapie. Von August 1991 bis Februar 1993 hielt er sich in der Diakonie F. stationär auf. Vom 01.09.1993 bis 02.08.1998 lebte er stationär in den Diakonischen Heimen K. e.V. Vom 03.08.1998 bis 30.07.1999 bewohnte er allein eine Wohnung auf dem Gelände der Diakonischen Werke in G.. Seinen Lebensunterhalt bestritt er seinerzeit von seiner Altersrente. Außerdem erhielt er Wohngeld sowie sozialarbeiterische Betreuung durch eine Sozialarbeiterin des Beklagten. Am 30.07.1999 verließ er die Wohnung und lebte bis zum 03.08.1999 bei einem Bekannten in B.. Vom 03.08.1999 bis 09.09.1999 hielt er sich stationär im Q. in B. auf. Nach weiteren Kurzaufenthalten in Nichtsesshafteneinrichtungen in M. und N. wurde der Kläger am 13.09.1999 in der Diakonie F. stationär aufgenommen. Am 01.12.1999 wurde er von der Nichtsesshafteneinrichtung der Diakonie F. in das Altenhilfezentrum H. verlegt.
Im Oktober 1999 beantragte der Landkreis D. beim Beklagten die Übernahme der Betreuungskosten gemäß § 72 BSHG für den Zeitraum vom 13.09. bis 01.12.1999. Dieser Antrag wurde bestandskräftig abgelehnt, nachdem der Kläger nach Erlass eines negativen Widerspruchsbescheides am 31.03.2000 einen Rechtsmittelverzicht erklärt hatte.
Am 17.12.1999 beantragte der Kläger beim Beklagten ein Kostenanerkenntnis für die Unterbringung im Altenhilfezentrum H. ab 01.12.1999. Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 23.05.2000 lehnte der Beklagte den Antrag gemäß §§ 3, 11 BSHG ab. Zur Begründung führte er aus, gemäß § 3 Abs. 2 BSHG solle dem Wunsch eines Hilfeempfängers, Hilfe in einer Anstalt zu erhalten, nur entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich sei, weil andere Hilfen nicht möglich seien. Gemäß § 3a BSHG bestehe der Vorrang der offenen Hilfe, d.h. dass ambulante Hilfsmaßnahmen vorrangig zu prüfen gewesen wären. In Anbetracht der Ausführungen in dem Sozialbericht des Altenhilfezentrums H. vom 13.12.1999 sei davon auszugehen, dass die Problemlagen des Klägers durch ambulante Hilfsmaßnahmen, wie z.B. häusliche Pflege sowie weiterhin zu gewährende sozialarbeiterische Betreuung, zu bewältigen gewesen wären. Jedenfalls sei eine stationäre Aufnahme nicht notwendig gewesen. Darüber hinaus sei selbst bei Annahme der Notwendigkeit einer stationären Unterbringung zweifelhaft, ob dem Kläger ein so weites Wahlrecht zugestanden habe, dass er sich die Einrichtung habe aussuchen könne, in die er gerne wolle, ohne mit ihm im Sinne einer Hilfeplanung vorab Rücksprache gehalten zu haben. Es wäre in seinem Zuständigkeitsbereich möglich gewesen, zielgerecht und abgestuft auf die vorliegenden Problemlagen erheblich kostengünstiger zu reagieren.
Dagegen hat der Kläger am 21.06.2000 Widerspruch erhoben und Folgendes geltend gemacht: Er habe sich bei seinem Aufenthalt in der Wohnung in G. in massiven persönlichen Schwierigkeiten befunden. Das Wohnumfeld (14 Wohnparteien/sozialer Brennpunkt) habe sich nachteilig auf seine persönliche Situation ausgewirkt. Er habe schon längerfristig ausziehen wollen, es aber nie geschafft. Die soziale Betreuung habe sich in der ganzen Zeit auf ca. drei bis vier Besuche beschränkt. Er habe Bescheid sagen sollen, wenn etwas vorliege. Genau dies sei ihm aufgrund seiner beschriebenen sozialen Problemsituation nicht möglich gewesen. Da er nicht in der Lage gewesen sei, weitere Hilfe für sich eigenständig zu organisieren, habe dies zu massivem Alkoholkonsum geführt. Nachdem er massiv alkoholisiert und besinnungslos in seiner Wohnung aufgefunden worden war und seine Betreuerin nicht zu erreichen gewesen sei, habe er die Wohnung in einer Kurzschlusshandlung überstürzt verlassen. Die gesamte Situation sei für ihn bedrohlich und beängstigend gewesen und habe letztlich zum Scheitern seines Wohnversuches geführt. Für ihn sei nur der Ausweg geblieben, im Rahmen einer stationären Betreuung wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen und seine Alkoholprobleme ernsthaft zu lösen, was ihm im Rahmen einer ambulanten Betreuung in keinster Weise gelungen wäre. Im Altenhilfezentrum H. habe er die für ihn geeignete Wohnform im stationären Rahmen gefunden. Er lebe in einem Wohnhaus mit vier Plätzen im Rahmen einer Hausgemeinschaft und trinke seit seiner Aufnahme keinen Alkohol mehr. Die kleinen individuellen Wohneinheiten sowie diverse Serviceangebote seien besonders gut geeignet, ein erneutes Abrutschen in die Verwahrlosung oder den Alkoholkonsum zu verhindern. Die regelmäßige hausärztliche Versorgung und die pflegerische Kompetenz vor Ort gäben ihm zusätzlich Sicherheit, da er aufgrund seiner Alkoholkrankheit zu Krampfanfällen und wegen seiner chronischen Bronchitis zu asthmatischen Anfällen neige. Unter dem 30.06.2000 stellte der damalige Hausarzt des Klägers dessen Heimpflegebedürftigkeit bei diagnostizierter Alkoholkrankheit, cerebralem Krampfleiden, chronischer Bronchitis und depressivem Syndrom fest.
Mit Bescheid vom 12.09.2000 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend führte er aus, die sozialarbeiterische Unterstützung sei dem Kläger in der Wohnung in G. von Anfang an gewährt und auch von ihm eingefordert worden. Gerade zu dem Zeitpunkt, in der in seinem Wohnumfeld große Unzufriedenheit geherrscht habe, habe es zahlreiche Kontakte der verschiedensten Art zwischen dem Kläger und der zuständigen Sozialarbeiterin seines Sozialamtes gegeben. Weiterhin seien auch soziale Kontakte zu Außenstehenden geknüpft worden. Jedenfalls sei eine stationäre Aufnahme nicht notwendig gewesen. Letztlich sei darauf abzustellen, wie sich die objektiven Umstände dargestellt hätten und nicht darauf, was der Kläger bei Aufnahme persönlich, d.h. subjektiv, als Aufnahmegrund angegeben habe. Der Kläger habe ohne eine vorherige Rücksprache eine Einrichtung seiner Wahl aufgesucht und ihn so vor vollendete Tatsachen gestellt. Ihm seien daher keinerlei zielgerichtete und wirksame Maßnahmen zur Behebung der eventuell vorliegenden Problemlagen möglich gewesen. Die dargestellte Wohnsituation im Altenhilfezentrum H. hätte auch in seinem Bereich herbeigeführt werden können.
Mit seiner am 02.01.2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend führt er aus, unter die Hilfe zum Lebensunterhalt könne auch die Aufnahme in Altenheimen fallen, soweit die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe zur Pflege nach §§ 68 BSHG nicht vorlägen. Diese Voraussetzungen lägen in seinem Fall nicht vor, so dass einem Anspruch auf Unterbringung in einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung nur entsprochen werden solle, wenn dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich sei, weil andere Hilfen nicht ausreichen. Grundsätzlich gehe § 3 BSHG davon aus, dass den Wünschen des Hilfeempfängers in Bezug auf die Gestaltung der Hilfe entsprochen werden solle, soweit diese angemessen seien. Seine Unterbringung in der Einrichtung H. sei sowohl angemessen als auch unter Berücksichtigung des Einzelfalles erforderlich. Unter Besonderheiten des Einzelfalles seien insbesondere die Beurteilung des Umfeldes sowie die Möglichkeiten familiärer und nachbarschaftlicher Hilfe mit einzubeziehen. Es könne keine Rolle spielen, ob der Unterbringungsort im Zuständigkeitsbereich des Sozialamtes liege, welches für die Kostenübernahme zuständig sei oder aber außerhalb dieses Bereiches, wenn die tatsächlichen Kosten für die Heimunterbringung dem einen im örtlichen Bereich des zuständigen Sozialamtes liegenden Heimes entsprächen. Der Beklagte habe keinerlei Ausführungen dazu gemacht, dass insoweit durch die Unterbringung in F. unverhältnismäßige Mehrkosten entstanden seien. Darüber hinaus seien objektive Gesichtspunkte für die Aufnahme in einer stationären Einrichtung gegeben. Zum Zeitpunkt der Aufnahme im Dezember 1999 sei er objektiv auch mit Hilfe sozialtherapeutischer Betreuung nicht in der Lage gewesen, sein Leben allein in einer ambulanten Einrichtung menschenwürdig zu gestalten. Er habe die Wohnung in G. aufgrund massiver Probleme mit verschiedensten Mitbewohnern und des darauf begründeten erheblichen Alkoholkonsums verlassen, um eine gänzliche Verwahrlosung zu verhindern. Auch die sog. soziale Betreuung habe die Situation nicht entschärfen können, da diese sich nur auf ganz gelegentliche Besuche beschränkte und nicht erreichbar gewesen sei, wenn es konkrete Probleme gegeben habe. Er habe sich danach in verschiedensten Einrichtungen aufgehalten und es habe sich in dieser Zeit herausgestellt, dass es für ihn keine andere Möglichkeit gegeben habe, als sich im Rahmen einer stationären Rundumbetreuung mit strengen Regeln und Anleitung in den persönlichen Dingen des täglichen Lebens unter Belegung mit einem strikten Alkoholverbot wieder zu stabilisieren. Diese Unterbringungsform sei auch aufgrund seiner durch die Alkoholerkrankung ausgelösten Krankheiten notwendig gewesen. Aufgrund seines hohen Lebensalters sei nicht zu erwarten gewesen, dass sich die Situation durch eine kurzfristige Unterbringung in einem Krankenhaus verändern würde. Insbesondere wegen der starken Alkoholabhängigkeit bestehe auch bei Abstinenz immer wieder die Gefahr eines Rückfalls, wenn die sonstigen äußeren Bedingungen dem nicht entgegenwirkten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 23.05.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 12.09.2000 aufzuheben und ihm Leistungen nach § 11 BSHG für die stationäre Unterbringung in der Diakonie F., Altenhilfezentrum H., in der Zeit vom 01.12.1999 bis 12.09.2000 zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt ergänzend aus, dass die seinerzeit aufgetretenen Problemlagen des Klägers durch die sozialarbeiterische Hilfe gelöst worden seien. Es habe sich insgesamt aus seiner Sicht ein positiver Verlauf ergeben. In Anbetracht der weiter bestehenden Hilfemöglichkeiten sei der Hilfeabbruch durch den Kläger ohne eine entsprechende Information der Hilfeanbieter völlig unverständlich gewesen. Die vom Kläger angeführte Alkoholproblematik begründe für sich allein keine Heimbetreuungsnotwendigkeit und hätte mit hiesigen Hilfeangeboten gelöst werden können. Das eingeholte ärztliche Gutachten sei nicht überzeugend.
Die Kammer hat Beweis durch Einholung eines Gutachtens des den Kläger 1999 in F. behandelnden Arztes zu dessen Heimbetreuungsbedürftigkeit am 01.12.1999 und Vernehmung der Zeuginnen B. und H. eingeholt. Insoweit wird auf das Gutachten des Dr. J. vom 14.03.2002 (Bl. 46 GA) und das Protokoll der Beweisaufnahme vom 28.11.2002 (Bl. 135 ff. der GA) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung in der Diakonie F., Altenhilfezentrum H., in der Zeit vom 01.12.1999 bis 12.09.2000 (Erlass des Widerspruchsbescheides) gegenüber dem Beklagten zu.
Gemäß § 11 Abs. 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Der notwendige Lebensunterhalt umfasst besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG). Dazu kann auch die Unterbringung und Versorgung in einem Altersheim gehören, soweit nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege gemäß § 68 BSHG – wie im vorliegenden Fall – vorliegen.
Der Beklagte ist die für einen solchen Anspruch des Klägers gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zuständige Behörde. Nach dieser Vorschrift ist für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Der Kläger hat sich vor der Unterbringung im Altenhilfezentrum H. am 01.12.1999 seit dem 13.09.1999 in der Nichtsesshafteneinrichtung der Diakonie F. bzw. vom 03.08.1999 bis 09.09.1999 in der Nichtsesshafteneinrichtung Q. in B. aufgehalten. Da es sich insoweit um Einrichtungen der in § 97 Abs. 2 BSHG genannten Art handelte, konnte dort gemäß § 109 BSHG kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werden.
Der Kläger hatte auch in der Zeit vom 10. bis 13.09.1999 keinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Beklagten begründet. Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I wird ein gewöhnlicher Aufenthalt dort begründet, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Es liegen weder subjektive noch objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger in der am 10. und 11.09.1999 besuchten Nichtsesshafteneinrichtung in M. oder der vom 11. bis 13.09.1999 aufgesuchten Übernachtungsstelle in N. nicht nur vorübergehend verweilen wollte. Dementsprechend ist für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgeblich, dass der Kläger in der Zeit vom 03.08.1998 bis 30.07.1999 in einer eigenen Wohnung in G. gelebt hat und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte. Dies ist vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden.
Bei dem Kläger waren im Zeitpunkt der Aufnahme im Altenhilfezentrum H. am 01.12.1999 auch die Voraussetzungen für eine stationäre Unterbringung, insbesondere eine Heimbetreuungsbedürftigkeit, gegeben. § 3 Abs. 2 BSHG bestimmt, dass Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, entsprochen werden soll, soweit sie angemessen sind. Wünschen des Hilfeempfängers, die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung zu erhalten, soll jedoch nur entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls erforderlich ist, weil andere Hilfen nicht möglich sind oder nicht ausreichen und wenn mit der Anstalt, dem Heim oder der gleichartigen Einrichtung Vereinbarungen nach Abschn. 7 bestehen. Der Träger der Sozialhilfe braucht Wünschen nicht zu entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Grundsätzlich ist gemäß § 3 a BSHG die erforderliche Hilfe soweit wie möglich außerhalb von Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen zu gewähren.
Die dem Wunsch des Klägers entsprechende stationäre Aufnahme im Altenhilfezentrum F. war im vorliegenden Fall angemessen und nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 15.12.2000 - 12 O 4307/00 -). Nach Ansicht der Kammer befand sich der Kläger nach dem Akteninhalt und dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei der Unterbringung in dem Altenhilfezentrum H. in einer persönlichen Situation, in der eine ambulante Beratung und persönliche Betreuung nicht ausgereicht hätten, seine damals bestehenden Probleme zu überwinden. Dabei ist zum einen darauf abzustellen, dass der Kläger seinerzeit bereits 66 Jahre alt war und die akute Gefahr bestand, in Anbetracht seiner bereits 1983 beginnenden Vorgeschichte, die durch mindestens von 1991 bis 1998 dauernde stationäre Unterbringung geprägt war, in sein altes Lebensmuster als alkoholabhängiger Nichtsesshafter zurückzufallen. Dafür spricht die Lebensweise und das Verhalten des Klägers bis zu seinem plötzlichen Auszug aus der eigenen Wohnung in G. am 30.07.1999, wie es sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme darstellt.
Die Zeugin B., die den Kläger ungefähr von 1995 bis 1998 während seines Aufenthaltes in einer Außenwohngruppe der Diakonischen Heime K. als Sozialarbeiterin betreut hat, hat detaillierte und glaubhafte Angaben zu seinem Verhalten in diesem Zeitraum gemacht. So hat sie dargestellt, dass der Kläger, der im Zeitpunkt ihrer Betreuung sein Alkoholproblem überwunden hatte, sehr selbständig, ordentlich, aber auch sehr angepasst gewesen sei. Er habe seine Dinge im Wesentlichen selbst geregelt und sie habe als seine Ansprechpartnerin insbesondere für die Zukunftsplanung gedient. Gleichzeitig hat sie dargestellt, dass auftretende Probleme im Hinblick auf die Zukunft und auch z.B. im familiären Bereich zu einer wesentlichen Veränderung des Klägers geführt haben. Er sei in dieser Situation sehr verunsichert gewesen und habe selbst geäußert, eventuell in eine stationäre Betreuung zurückgehen zu müssen, wenn es nicht mehr anders gehe. Diese Situation habe sich dann wieder gebessert und der Kläger habe neuen Mut gefasst. In dieser Situation habe der Umzug in die eigene Wohnung "Z.“ stattgefunden. Da diese Wohnungen auf dem Gelände der Diakonischen Heime gelegen seien und damit ein enger räumlicher Kontakt auch zu den dortigen Bewohnern bestanden habe, den der Kläger zuvor habe eigentlich vermeiden wollen, habe sie den Umzug in diese Wohnung mit Skepsis betrachtet. Im weiteren Verlauf sei es dann wohl auch wieder zu Problemen gekommen. Jedenfalls sei sie, obwohl sie für den Kläger direkt nicht mehr betreuerisch tätig gewesen sei, nach seinem Umzug irgendwann zu den Wohnungen "Z.“ gerufen worden. Bei dieser Gelegenheit habe sie gesehen, dass die sonst sehr ordentliche Wohnung des Klägers verwahrlost ausgesehen habe. Sie habe daraufhin befürchtet, dass der Kläger rückfällig geworden sei und ihr ungutes Gefühl auch bei einem Telefonat mit der nunmehr zuständigen Sozialarbeiterin, der Zeugin H., geäußert. Dieser Eindruck der Zeugin B. wird durch die Angaben der Zeugin H. bestätigt. Diese hat den Kläger, ebenso wie die Zeugin B., zu Beginn ihrer Betreuung im Sommer 1998 als nett und ordentlich beschrieben. Er habe, wie bereits in der Vergangenheit, alles für sich selbst regeln wollen, weshalb vereinbart worden sei, dass er sich bei ihr melde, wenn er Probleme habe. Sie hat dargestellt, dass der Kläger sie am 9. Oktober 1998 angerufen und berichtet habe, dass er wegen eines Alkoholrückfalls zusammengebrochen und deshalb im Krankenhaus gewesen sei. Auch nach seiner Entlassung werde er von einem Neurologen weiter behandelt. Noch im gleichen Monat habe ihr der Kläger wiederum telefonisch über massive Probleme mit seiner Hausgemeinschaft berichtet, wobei dies u.a. damit zusammengehangen habe, dass der Kläger nicht an Trinkgelagen im Hause habe teilnehmen wollen. Zwar habe sich die Situation wieder beruhigt, so dass der Kläger von einem zunächst beabsichtigten Auszug Abstand genommen habe. Jedoch habe sie seit Dezember 1998 das Gefühl gehabt, dass der Kläger auf ihre Anrufe nicht mehr richtig reagierte und sie als Ansprechpartnerin nicht mehr akzeptierte. Im Januar 1999 habe ihr Frau B. dann telefonisch berichtet, dass der Kläger wohl wieder rückfällig geworden sei. Da der Kläger sich entsprechend der Absprache nicht mehr gemeldet habe und ein Vertrauensverhältnis für sie zweifelhaft gewesen sei, sei es nach dem 11.01.1999 zu keinerlei Kontakt mehr zu ihm gekommen.
In Anbetracht der oben geschilderten Feststellungen unter Berücksichtigung des Lebenslaufs und des Charakters des Klägers, soweit die Zeuginnen ihn beschrieben haben, ist nach Ansicht der Kammer davon auszugehen, dass der Kläger am 30.07.1999 die Wohnung "Z.“ in einer Art Kurzschlussreaktion verlassen hat. Die Situation stellte sich insgesamt so dar, dass der Kläger nach dem Umzug in die eigene Wohnung zunächst guter Dinge und zu diesem Zeitpunkt überzeugt war, es allein zu schaffen. Diese Situation hat sich jedoch innerhalb kurzer Zeit geändert, da der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt seit Jahren „trocken“ war, bereits am 09.10.1998 einen derartigen Alkoholrückfall erlitten hat, dass er mehrere Tage im Krankenhaus behandelt werden musste und auch eine weitergehende Behandlung erforderlich wurde. Hinzu kamen, ggf. waren diese auch bereits Auslöser für den ersten Alkoholrückfall, massive Probleme mit der Hausgemeinschaft. Die Zeugin H. hat insoweit geschildert, dass der Kläger damit überhaupt nicht zurecht gekommen sei und z.B. jegliche Teilnahme an einer Hausversammlung zur Klärung der Probleme abgelehnt habe. Dies erscheint insoweit nachvollziehbar, als die Probleme zumindest zum Teil daraus resultierten, dass der Kläger an im Haus stattfindenden Trinkgelagen nicht habe teilnehmen wollen und sein direktes räumliches und persönliches Umfeld seine Alkoholproblematik wiederaufleben ließ. Trotz dieser Probleme haben keine direkten Kontakte in Bezug auf die Alkoholproblematik zu der betreuenden Sozialarbeiterin mehr stattgefunden.
Da der Kläger zunächst seit Januar 1999 auf sich allein gestellt war bzw. er auf Frau H. hätte zugehen müssen, um Hilfe für seine wieder eingetretene Alkoholproblematik zu bekommen, ist für die Kammer nachvollziehbar, dass sich die Situation in einer Weise entwickelt hat, die zu einem panikartigen Auszug aus der Wohnung am 30.07.1999 und einem zunächst völlig perspektiv- und antriebslosen Besuch unterschiedlicher Nichtsesshafteneinrichtungen geführt hat. Dabei ist insbesondere der von der Zeugin B. glaubhaft geschilderte Charakter des Klägers zu berücksichtigen, der die Anforderung von Hilfe wegen seiner alten Alkoholproblematik als Niederlage empfunden hätte, die ein großes persönliches Problem für den Kläger gewesen wäre. Für diesen Verlauf spricht auch, dass der Kläger zwar nach den Angaben der Zeugin B. bei einem positiven Verlauf der Dinge durchaus in der Lage war, alles selbst zu regeln; ihn jedoch andererseits unvorhergesehene Ereignisse oder Ungewissheiten in Bezug auf die Zukunftsplanung derart beunruhigten, dass dies zu einer deutlichen Verhaltens- und Wesensänderung geführt hatte. Insgesamt ist die Kammer daher davon überzeugt, dass der Kläger nach dem erlittenen Alkoholrückfall und in Anbetracht von Problemen in seinem unmittelbaren Umfeld nicht mehr in der Lage war - wie es mit der Sozialarbeiterin des Beklagten abgesprochen war -, weitere Hilfe für sich eigenständig zu organisieren. Es ist auch nachvollziehbar, dass diese über Monate dauernde Situation für ihn immer bedrohlicher und beängstigender wurde, dass das Verlassen der Wohnung in einer Kurzschlusshandlung sich als zwangsläufige Folge der Gesamtsituation darstellt. Für diese psychische Situation des Klägers zu diesem Zeitpunkt spricht auch, dass er zunächst unterschiedliche Nichtsesshafteneinrichtungen für wenige Tage aufgesucht hat. In dieser vom Kläger als persönliche Niederlage empfundenen Situation ist nachvollziehbar, dass er sich an eine ihm bekannte Einrichtung, die Nichtsesshafteneinrichtung in F. wandte und dort im Rahmen einer geschützten Atmosphäre die sich bietenden Möglichkeiten in Erwägung zog. Vor diesem Hintergrund hält die Kammer die stationäre Unterbringung des Klägers zu diesem Zeitpunkt für angemessen und erforderlich. Für die Erforderlichkeit der stationären Unterbringung spricht darüber hinaus das eingeholte Gutachten des den Kläger in F. behandelnden Hausarztes. Dieser hat ausgeführt, dass der Kläger auf die regelmäßige Einnahme von Antiepileptika und Medikamenten des Herzens und zur Behandlung seiner Atemwegserkrankung angewiesen war und er aufgrund seiner komplexen Gesundheits- und Persönlichkeitsstörung (jedenfalls seinerzeit) einer geregelten Versorgung in gesundheits- und sozialfürsorgerischer Hinsicht in stationärer Weise bedurfte (vgl. Gutachten des Dr. J. vom 14.03.2000, Bl. 46 der Gerichtsakte). Dieses Gutachten ist insbesondere vor dem Hintergrund zu betrachten, dass der Kläger in der Zeit, in der er ohne Alkoholprobleme gelebt hat, zwar durchaus in der Lage war, auch insoweit für sich selbst zu sorgen. Diese Situation hat sich jedoch durch den Alkoholrückfall und die damit verbundene geänderte psychische Situation des Klägers wesentlich verändert.
Nach Ansicht der Kammer stellt sich die Situation im vorliegenden Fall auch völlig anders als in dem von ihr entschiedenen Fall zum Aktenzeichen 3 A 3219/98 dar, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BSHG verneint worden war. Denn der dortige Kläger hat sich vor seinem Umzug in eine eigene Wohnung nur relativ kurz zur stationären Betreuung in den Diakonischen Heimen K. aufgehalten. Darüber hinaus hat dieser während des einjährigen Wohnens in der eigenen Wohnung keinerlei sichtbare Probleme gehabt und vor seinem plötzlichen Auszug die ihm zustehenden finanziellen Mittel abgeholt und in der Folgezeit falsche Angaben gegenüber Behörden gemacht. Insoweit ist die Situation des Klägers im vorliegenden Verfahren, bei dem ein langsamer, aber kontinuierlicher Rückfall in die massiven Probleme seiner Vergangenheit erkennbar ist, nicht vergleichbar.
Da für die Kammer nicht ersichtlich ist, dass sich die Situation des Klägers im Zeitraum zwischen dem Auszug aus der Wohnung am 30.07.1999 und dem im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Beginn der stationären Unterbringung im Altenhilfezentrum am 01.12.1999 geändert hätte, war die Übernahme in die stationäre Unterbringung im Altenhilfezentrum angemessen und erforderlich.
Die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung im Altenhilfezentrum F. scheitert auch nicht daran, dass dies mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden war (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG). Insoweit hat der Beklagte nicht substantiiert dargelegt, dass eine vergleichbare stationäre Unterbringung des Klägers in seinem Zuständigkeitsbereich kostengünstiger möglich gewesen wäre.
Nach alledem ist der Bescheid vom 23.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2000 aufzuheben und der Beklagte zur Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung des Klägers in der Diakonie F., Altenhilfezentrum H. für die Zeit vom 01.12.1999 bis 12.09.2000 (Erlass des Widerspruchsbescheides) zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.