Landgericht Stade
Beschl. v. 18.08.2023, Az.: 202 Qs 2520 Js 18080/23 (29/23)

Rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers in einem Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
18.08.2023
Aktenzeichen
202 Qs 2520 Js 18080/23 (29/23)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 54152
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGSTADE:2023:0818.202QS2520JS18080.00

Amtlicher Leitsatz

Ein Pflichtverteidiger ist auch noch nach Abschluss des Strafverfahrens rückwirkend beizuordnen, wenn der entsprechende Antrag rechtzeitig gestellt und nicht unverzüglich beschieden wurde.

In der Strafsache
gegen
XXX M. ,
geboren am XXX. XXX in XXX,
XXX, XXX,
XXX Staatsangehöriger,
- zurzeit Justizvollzugsanstalt XXX, XXX, XXX -
Verteidiger:
Rechtsanwalt XXX, XXX, XXX
wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Stade durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht XXX, die Richterin am Landgericht XXX und den Richter am Landgericht XXX am 18. August 2023 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des vormaligen Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Stade vom 13. Juni 2023 (34 Gs 25020 Js 18080/23 (1721/23)) aufgehoben.

Dem vormaligen Beschuldigten wird Rechtsanwalt XXX, XXX, XXX, als notwendiger Verteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen des vormaligen Beschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stade (nachfolgend "Amtsgericht") vom 13. Juni 2023, mit dem dieses seinen Antrag zurückgewiesen hat, ihm seinen Wahlverteidiger als notwendigen Verteidiger beizuordnen, nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt hat.

1.

a) Der angefochtenen Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft Stade führte gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen. Ihm wurde vorgeworfen, er sei zu den Gesprächen mit Mitarbeitern der A. GmbH in G. am 21. Oktober 2020, 19. November 2020, 25. Januar 2021, 9. Februar 2021 und 14. Mai 2021 jeweils als Fahrer eines PKWs angereist, obwohl ihm zuvor die Fahrerlaubnis durch Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde versagt worden sei.

b) Der Beschwerdeführer wurde am 7. Januar 2023 in anderer Sache aufgrund eines Haftbefehls festgenommen und befindet sich voraussichtlich noch bis zum 27. Oktober 2023 in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt H. Nachdem ihm der Vorwurf in der vorliegenden Sache eröffnet worden war, legitimierte sich Herr Rechtsanwalt XXX mit Schreiben vom 21. Februar 2023 als Verteidiger zur Akte und beantragte für den Beschwerdeführer unter anderem seine Beiordnung als notwendiger Verteidiger.

c) Nach Übersendung der Ermittlungsvorgänge an die Staatsanwaltschaft Stade stellte diese das Ermittlungsverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf das bei der Staatsanwaltschaft Leipzig geführte Ermittlungsverfahren 166 Js 49290/22 ein. Eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangen.

d) Nachdem der Verteidiger an die Entscheidung über den Antrag erinnert hatte, legte die Staatsanwaltschaft Stade die Akte dem Amtsgericht vor, wobei sie unter Verweis auf §§ 141 Abs. 1, 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO beantragte, dem Antrag stattzugeben.

2.

a) Das Amtsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 13. Juni 2023 zurück, der dem Verteidiger ohne förmliche Zustellung bekanntgegeben wurde.

Eine rückwirkende Beiordnung komme in den Fällen, in denen das Ermittlungsverfahren bereits von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei, grundsätzlich nicht in Betracht. Dies habe die 3. große Strafkammer des Landgerichts Stade in ihrem Beschluss vom 20. September 2022 (302 Qs 2575 Js 16650/22 (36/22)) mit ausführlicher Begründung, die der Beschluss wiedergibt, entschieden.

b) Hiergegen hat der Verteidiger am 21. Juni 2023 für den Beschwerdeführer sofortige Beschwerde erhoben, ohne diese näher zu begründen.

c) Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2023 nicht abgeholfen und die Akten der Kammer über die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt.

Die Staatsanwaltschaft hat hierbei beantragt, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und auch in der Sache begründet. Dem vormaligen Beschuldigten ist der von ihm gewählte Rechtsanwalt als notwendiger Verteidiger trotz der bereits erfolgten Einstellung des Ermittlungsverfahrens beizuordnen.

1.

a) Nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO sind gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Dazu zählt auch die Entscheidung, dass dem Beschuldigten kein notwendiger Verteidiger bestellt wird, wie sie hier mit dem angefochtenen Beschluss ergangen ist (vgl. Kämpfer/Travers in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. (2023), § 142 RdNr. 41). Von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist die sofortige Beschwerde dann, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO stellen kann, was hier nicht in Betracht kommt, da ein notwendiger Verteidiger bislang nicht bestellt wurde.

Da der Beschluss nicht förmlich zugestellt wurde, konnte die Frist für die sofortige Beschwerde nicht in Gang gesetzt werden (§ 311 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 35 Abs. 2 S. 1 StPO), sodass das Rechtsmittel als frist- und auch formgerecht erhoben zu behandeln ist.

b) In der Rechtsprechung wird zum Teil vertreten, dass die sofortige Beschwerde mangels Beschwer und damit fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei, wenn das Beschwerdeziel in der Bestellung eines notwendigen Verteidigers liegt, nachdem das Ermittlungsverfahren bereits eingestellt wurde (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2021 - 1 Ws 12/21, juris (RdNr. 9); Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 23. September 2020 - 1 Ws 120/20, juris (RdNr. 6); Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 16. September 2020 - 2 Ws 112/20, juris (RdNr. 15), Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. März 2022 - 1 Ws 28/22 (S), juris (RdNr. 5 - 7) und Kammgericht Berlin, Beschluss vom 28. März 2022 - 2 Ws 57/22, juris (RdNr. 3 - 4)). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle, welches in seinem - nicht veröffentlichten - Beschluss vom 4. Oktober 2021 (3 Ws 286/21) entschieden hat, dass nach Abschluss des Verfahrens kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Beiordnung oder deren Änderung besteht.

Dieser Auffassung tritt die Kammer nicht bei und folgt vielmehr der Ansicht des Landgerichts Hamburg, wie sie in dem Beschluss vom 5. April 2022 (612 Qs 6/22 - BeckRS 2022, 23286) zum Ausdruck gekommen ist. Danach kann ein Beschwerdeführer in den Fällen, in denen das Verfahren eingestellt wurde, bevor über seinen Antrag auf Bestellung eines notwendigen Verteidigers entschieden wurde, eine Beschwer geltend machen, wenn der Antrag rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens angebracht wurde und über diesen allein aus Gründen, die in der Sphäre der Justiz liegen, zuvor nicht entschieden, womit das Gebot aus § 141 Abs. 1 S. 1 StPO, wonach ein Pflichtverteidiger auf Antrag des Beschuldigten unverzüglich bestellt wird, keine Beachtung gefunden hat.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs konnte nach der bis zum 12. Dezember 2019 geltenden Rechtslage ein notwendiger Verteidiger nicht bestellt werden, wenn dies erst nach Abschluss des Verfahrens beantragt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2009 - 1 StR 344/08 = NStZ-RR 2009, 348). Die Beiordnung erfolge im Strafprozess nicht im Kosteninteresse des Beschuldigten, sondern diene allein dem Zweck, die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden Verfahren zu gewährleisten. Dies entsprach auch der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung zur damaligen Rechtslage (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. Juli 2012 - 2 Ws 196/12, BeckRS 2012, 20314, sowie die weiteren in dem Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 5. April 2022 aufgeführten Rechtsprechungsnachweise). Dabei sollte eine rückwirkende Bestellung eines notwendigen Verteidigers auch dann ausgeschlossen sein, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt war, aber eine Entscheidung vor Abschluss des Verfahrens nicht ergangen war (vgl. nur OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - 1 Ws 343/14, BeckRS 2015, 2332).

bb) Auf die neue, also ab Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BT-Drucks. 19/13829) am 13. Dezember 2019 gültige Rechtslage ist diese Ansicht mit dem vorgenannten Argument zum Teil übertragen worden (vgl. nur Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. September 2020 - 2 Ws 112/20 = StraFo 2020, 486). Eine Rückwirkung sei auf etwas Unmögliches gerichtet und könne eine notwendige Verteidigung des Beschuldigten in der Vergangenheit nicht gewährleisten. Eine Beiordnung erfolge insbesondere nicht im Kosteninteresse eines Beschuldigten oder um dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 9. März 2020 - 1 Ws 19/20, 1 Ws 20/20 = NStZ 2020, 625 (626)).

cc) Nach einer vordringenden Ansicht kommt eine rückwirkende Bestellung eines notwendigen Verteidigers jedenfalls dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung eines notwendigen Verteidigers zum Zeitpunkt eines rechtzeitig hierauf gerichteten Antrages gegeben waren und die Bestellung allein aufgrund justizinterner Gründe unterblieben ist. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung habe der Gesetzgeber die Intention verbunden, nicht nur eine ordnungsgemäße Verteidigung zu gewährleisten, sondern gerade auch mittellose Beschuldigte von den Kosten ihrer Verteidigung freizustellen. Diese von der Richtlinie beabsichtigte Unterstützung und Absicherung der Verfahrensbeteiligten werde jedoch unterlaufen, wenn eine Pflichtverteidigerbestellung nur deswegen versagt werden könnte, weil die Entscheidung hierüber verzögert getroffen würde. Hierdurch würde dem Beschuldigten ferner die vom Gesetz gewährte Überprüfungsmöglichkeit der Beiordnungsversagung entzogen (vgl. nur OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2020 - Ws 962/20, juris, sowie die weiteren Rechtsprechungsnachweise, die das Landgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 5. April 2022 aufführt).

dd) Aus Sicht der Kammer ist der letztgenannten Ansicht zu folgen, sofern der Beschuldigte einen Antrag auf Bestellung eines notwendigen Verteidigers rechtzeitig angebracht hatte, in diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Beiordnung eines notwendigen Verteidigers auch gegeben waren und die Entscheidung vor Verfahrensabschluss aus Gründen, die allein die Justiz zu verantworten hat, unterblieben ist.

Hierfür und zugleich gegen die Annahme, dass eine Beiordnung eines Verteidigers nach Abschluss des Verfahrens auch nach der Neufassung der §§ 140, 141 StPO generell nicht in Betracht kommen könne, sprechen die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (nachfolgend "Richtlinie"), die bei der Auslegung der §§ 140, 141 StPO heranzuziehen sind. Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, es sicherzustellen, dass Verdächtige und beschuldigte Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Artikel 3 der Richtlinie definiert, dass im Sinne der Richtlinie der Ausdruck "Prozesskostenhilfe" die Bereitstellung finanzieller Mittel durch einen Mitgliedstaat für die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand bezeichnet, sodass das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand wahrgenommen werden kann. Die Vorgabe, dass finanzielle Mittel bereitzustellen sind, zeigt, dass die Richtlinie auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes und damit zugleich die Freistellung des Beschuldigten von diesen Kosten als Regelungsziel vor Augen hatte, um den Zugang zu dem Rechtsrat und der Vertretung durch rechtskundige, berufsmäßig mit der rechtlichen Interessenwahrnehmung befasste Personen zu ermöglich (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 5. April 2022 - 612 Qs 6/22, a.a.O.). Faktisch würde dies aber unterlaufen, wenn in den Fällen, in denen der Beschuldigte nach den Regelungen des Mitgliedsstaates berechtigterweise einen Rechtsbeistand hinzuziehen könnte, ihm dies allein deshalb versagt wird, weil die Entscheidung erst nach Einstellung des Verfahrens ergeht und die Versagung allein hierauf gestützt wird (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 5. April 2022 -612 Qs 6/22, a.a.O. m. w. N.).

Die gegen die nachträgliche Bestellung eines notwendigen Verteidigers erhobenen Einwände, die Richtlinie sehe nicht ausdrücklich vor, dass der Beschuldigte in jedweder Phase des Verfahrens von den Kosten der Verteidigung freizustellen sei, enthalte ebenso keine Vorgabe, dass eine Beiordnung auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens erfolgen könne, und der nationale Gesetzgeber habe insgesamt auch keinen Systemwandel beim Recht der notwendigen Verteidigung vollziehen wollen (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 16. September 2020 - 2 Ws 112/20, BeckRS 2020, 27077 (RdNr. 16)), überzeugen aus Sicht der Kammer nicht. Zwar hat die Richtlinie die Mitgliedstaaten in Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie ermächtigt, eine Bedürftigkeitsprüfung, eine Prüfung der materiellen Kriterien oder beides vornehmen, um festzustellen, ob Prozesskostenhilfe nach Absatz 1 zu bewilligen ist. Artikel 4 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie gibt dabei vor, dass, wenn ein Mitgliedstaat eine Prüfung der materiellen Kriterien vornimmt, er der Schwere der Straftat, der Komplexität des Falles und der Schwere der zu erwartenden Strafe Rechnung trägt, damit festgestellt werden kann, ob die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Artikel 4 Abs. 3 S. 2 der Richtlinie benennt aber zwei Fallgruppen, in denen die materiellen Kriterien in jedem Fall als erfüllt gelten, nämlich dann, wenn ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person in jeder Phase des Verfahrens im Anwendungsbereich dieser Richtlinie einem zuständigen Gericht oder einem zuständigen Richter zur Entscheidung über eine Haft vorgeführt wird (Artikel 4 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 der Richtlinie) und dann, wenn sich der Beschuldigte in Haft befindet (Artikel 4 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 der Richtlinie). Auch wenn die Mitgliedsstaaten aufgrund der Richtlinie nicht dazu gehalten waren, ihre nationalstaatlichen Regelungen zu modifizieren, sofern diese, wie dies in der Strafprozessordnung der Fall ist, eine Prüfung der Bestellung eines Pflichtverteidigers anhand materieller Kriterien vorsieht, kann dies jedenfalls bei den benannten Fallgruppen nicht gegen die nachträgliche Bestellung angeführt werden, da die materiellen Kriterien hier erfüllt gelten, ohne dass die Richtlinie eine Ausnahme hiervon vorsieht.

Daneben spricht auch das von dem Landgericht Hamburg angeführte Unverzüglichkeitsgebot, welches bei der Neufassung der Regelungen über die Bestellungen eines notwendigen Verteidigers in § 141 Abs. 1 StPO Eingang gefunden hat, für die Zubilligung einer Beschwer, wenn der Antrag nach Einstellung des Verfahrens allein mit diesem Argument abschlägig beschieden wurde. Die Bedeutung dieses Gebots zeigt sich in seiner prozessualen Ergänzung in § 142 Abs. 1 S. 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft den Antrag mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen hat, sofern sie nicht in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit nach Absatz 4 verfährt und selbst über die Bestellung entscheidet. Die Berechtigung des Beschuldigten, die Entscheidung über die Bestellung nach § 142 Abs. 7 StPO mit der sofortigen Beschwerde anzufechten, liefe in den Fällen ins Leere, wenn der Antrag aufgrund justizinterner Umstände erst beschieden wird, wenn das Verfahren bereits eingestellt wurde und dem Beschuldigten die Beschwerdeberechtigung mit diesem Argument versagt bliebe. Der Beschuldigte bliebe dann mit den Kosten des Verteidigers belastet, was bei zeitnaher Entscheidung nicht der Fall gewesen wäre, sofern die materiellen Voraussetzungen für die Beiordnung eines notwendigen Verteidigers gegeben waren.

Auch dies spricht für die Zuerkennung einer Beschwer, sodass im Ergebnis von einer Beschwerdeberechtigung auszugehen ist.

2.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Das Amtsgericht hat den Beiordnungsantrag zu Unrecht abgelehnt, da die Voraussetzungen zur Bestellung eines notwendigen Verteidigers zum maßgeblichen Bewertungszeitpunkt vorlagen.

a) Es lagen die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zum Zeitpunkt des Antrages des vormaligen Beschuldigten vor, da er sich in anderer Sache in Strafhaft befand. Sofern Haft oder Unterbringung vollstreckt werden, ist die Verteidigung in sämtlichen gegen den Beschuldigten geführten Strafverfahren notwendig (vgl. Willnow in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl. (2023), § 140 RdNr. 13).

b) Dem vormaligen Beschuldigten ist aufgrund seines Antrags nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer bereits einen Wahlverteidiger hat, da in dem für den vormaligen Beschuldigten gestellten Antrag zugleich die Erklärung des Verteidigers lag, das Wahlmandat für den Fall der Bestellung niederzulegen (vgl. Willnow, a.a.O., § 141 RdNr. 4).

c) Die Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung ist nicht unverzüglich im Sinne der §§ 141 Abs. 1 Satz 1, 142 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO ergangen, weshalb eine rückwirkende Bestellung möglich ist.

Unverzüglich im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO bedeutet, dass die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort, aber so bald wie möglich ohne schuldhaftes Zögern, mithin ohne sachlich nicht begründete Verzögerung erfolgen muss (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. (2023), § 141 RdNr. 7). Vorliegend erfolgte die Entscheidung über die Bestellung nicht unverzüglich. Der vormalige Beschuldigte beantragte über seinen Verteidiger mit dem am 21. Februar 2023 an die Polizeiinspektion Z. gerichteten Schreiben, mithin so, wie es § 142 Abs. 1 StPO vorsieht, die Beiordnung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger. Diesen Antrag leitete die Staatsanwaltschaft bei Eingang der Akten nicht an das Amtsgericht weiter, sondern verfügte sogleich die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO. Eine Entscheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers erging erst am 13. Juni 2023, nachdem der Verteidiger unter dem 6. Juni 2023 hieran erinnert hatte, weshalb im Ergebnis über den Antrag nicht unverzüglich entschieden wurde. Dies ist allein auf die Verfahrensabläufe innerhalb der Justiz zurückzuführen und vom vormaligen Beschuldigten nicht zu verantworten.

d) Die Ausnahmeregelung nach § 141 Abs. 2 S. 3 StPO, wonach in den Fällen des § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, greift hier nicht. Die Pflichtverteidigerbestellung war nicht von Amts nach den genannten Bestimmungen, sondern aufgrund des Antrages des vormaligen Beschuldigten veranlasst.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.