Landgericht Stade
Beschl. v. 04.05.2023, Az.: 302 Qs 2550 Js 53673/22 (15/23)

Beiordnung vorläufige Einstellung

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
04.05.2023
Aktenzeichen
302 Qs 2550 Js 53673/22 (15/23)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 21097
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Stade - 13.03.2023 - AZ: 34 Gs 2550 Js 53673/22 (631/23)

Amtlicher Leitsatz

Die vorläufige Einstellung des Verfahrens gem. § 154 f StPO steht der Beiordnung eines Verteidigers nicht entgegen.

In der Strafsache
gegen
S. S.,
geboren am 19. April 1995 in B.,
derzeit aufhältig Justizvollzugsanstalt O.
Staatsangehörigkeit: deutsch,
Betreuer: S. D.
- gesetzl. Vertreter -
Verteidigerin:
Rechtsanwältin Z.wegen Betruges hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Stade durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht H. sowie die Richter am Landgericht L. und B. am 25. April 2023 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Stade vom 13. März 2023 (Aktenzeichen: 34 Gs 2550 Js 53673/22 (631/23)) auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren zu tragen hat, aufgehoben.

Dem Beschuldigten wird Rechtsanwältin S. als notwendige Verteidigerin nach § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die amtsgerichtliche Entscheidung, mit der sein Antrag auf Beiordnung seiner Verteidigerin als Pflichtverteidigerin abgelehnt wurde.

Aufgrund einer Anzeige der Zeugin U. ermittelte die Polizei in S. seit dem 21. November 2022 gegen den Beschwerdeführer wegen Betruges. Der Anzeige liegt zugrunde, dass die Anzeigeerstatterin über ein Onlineportal Fußballtickets von dem Beschuldigten zu erwerben versuchte und zu diesem Zweck ein Betrag in Höhe von 100,00 € auf ein Konto des Beschuldigten überwies. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde bekannt, dass gegen den unter Betreuung stehenden Beschwerdeführer diverse Strafverfahren wegen ähnlicher Sachverhalte bei verschiedenen Staatsanwaltschaften und Gerichten anhängig sind. Ferner wurde im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen bekannt, dass der Beschwerdeführer seinerzeit unbekannten Aufenthalts war. Aus diesem Grund stellte die Staatsanwaltschaft in Stade das Verfahren gegen den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 2. Dezember 2022 nach § 154 f StPO ein und schrieb den Beschwerdeführer zur Fahndung aus.

Unter dem 23. Februar 2023 legitimierte sich sodann seine jetzige Verteidigerin unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht zur Akte und beantragte Akteneinsicht. Dem Schreiben lag unter anderem eine Kopie des Betreuerausweises des dem Beschwerdeführer durch das Amtsgericht N. bestellen Betreuers bei, dessen Aufgabenkreis unter anderem Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten umfasst. Ferner ergab sich aus diesem Schreiben, dass sich der Beschwerdeführer mittlerweile in der JVA O. befindet. Die beantragte Akteneinsicht wurde zunächst nicht veranlasst, ohne dass sich hierfür in der Akte eine Begründung findet. Die Staatsanwaltschaft erforderte lediglich mit Verfügung vom 27. Februar 2023 bei der JVA eine Strafzeitübersicht. Selbige ging am 3. März 2023 bei der Staatsanwaltschaft ein, welche mit Verfügung vom selben Tage bei der Staatsanwaltschaft in A. die Abschrift der Anklage zum Verfahren mit dem Aktenzeichen 310 Js 16466/21 erforderte.

Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 7. März 2023, welcher am 8. März 2023 bei der Staatsanwaltschaft einging, beantragte der Beschwerdeführer ihm seine Verteidigerin bereits im Ermittlungsverfahren als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Zur Begründung führte er aus, dass vorliegend ein Fall der notwendigen Verteidigung wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie seiner ersichtlichen Unfähigkeit sich selbst zu verteidigen vorliege. Ferner beantragte die Verteidigerin abermals Akteneinsicht.

Die Staatsanwaltschaft legte die Akten daraufhin mit Verfügung vom 9. März 2023 dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Stade vor und beantragte den Antrag auf Verteidigerbestellung zurückzuweisen, da die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Weder sei die Sach- und Rechtslage derart schwierig, noch wiege die Schuld des Angeklagten so schwer, dass die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt geboten erscheine. Auch der Umstand, dass der Beschuldigte unter Betreuung stehe rechtfertige vorliegend keine Verteidigerbestellung, weil jedenfalls kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden sei.

Das Amtsgericht fasste daraufhin unter dem 13. März 2023 den angegriffenen Beschluss. Zur Begründung stellte es im Wesentlichen darauf ab, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Ermittlungsverfahren bereits durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei, eine rückwirkende Bestellung eines Verteidigers nicht in Betracht komme.

Dieser Beschluss wurde der Verteidigerin des Beschwerdeführers am 14. März 2023 zugestellt. Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 15. März 2023, welche am selben Tag beim Amtsgericht einging, legte der Beschwerdeführer hingegen Beschwerde ein.

II.

Das zulässige Rechtsmittel des Beschwerdeführers hat in der Sache Erfolg. Der amtsgerichtliche Beschluss vom 13. März 2023 ist daher aufzuheben und dem Beschwerdeführer Frau Rechtsanwältin Z. als (Pflicht-)Verteidigerin beizuordnen.

Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ist zulässig, insbesondere gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaft und fristgemäß innerhalb einer Woche nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 311 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO eingelegt.

Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO aus den folgenden Gründen vor:

Nach der Bestimmung des § 140 Abs. 2 StPO in der Fassung des am 13. Dezember 2019 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (BGBl. I, S. 2128) liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung unter anderem dann vor, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Die Mitwirkung eines Verteidigers ist immer dann erforderlich, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte aus in seiner Person liegenden Gründen (geistige Fähigkeiten, Gesundheitszustand, sonstige Umstände; BVerfG StV 2021, 213 (216 f.); KG BeckRS 2016, 04227; StV 1985, 448; OLG Hamburg NStZ 1984, 281; OLG Hamm NJW 2003, 3286; LG Nürnberg-Fürth StraFo 2022, 103; LG Flensburg BeckRS 2013, 10662; LG Limburg NStZ-RR 2013, 87) nicht in der Lage sein wird, alle Möglichkeiten einer sachgemäßen Verteidigung zu nutzen (BeckOK StPO/Krawczyk, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 140 Rn. 39).

Insbesondere bei einem unter Betreuung mit dem "Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden" stehenden Angeklagten ist regelmäßig von einer Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit auszugehen, so dass ein Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen ist (KG Beschl. v. 20.12.2021 - 161 Ss 153/21, BeckRS 2021, 43952 Rn. 4, beck-online).

In Ansehung der vorgenannten Maßstäbe, war dem Beschuldigten, dem ausweislich des vorgelegten Betreuerausweises ein Betreuer unter anderem für die Bereiche Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt worden ist, eine Pflichtverteidigerin zu bestellen. Daran vermag auch der nicht angeordnete Einwilligungsvorbehalt, bei dem es sich in erster Linie um ein die Vermögensinteressen des Betroffenen schützendes Instrument handelt, nichts zu ändern.

Gegen die Bestellung der Pflichtverteidigerin spricht vorliegend auch nicht der Umstand, dass das Verfahren momentan nach § 154f StPO eingestellt ist. Zwar ist das Amtsgericht dem Grunde nach zutreffend davon ausgegangen, dass eine (nachträgliche) Beiordnung im Falle der bereits erfolgten Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht kommt. Indes war vorliegend in Ansehung der besonderen Umstände des Einzelfalls anders zu entscheiden. Denn im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Beschwerdeführer waren die Voraussetzungen einer Einstellung des Verfahrens nach § 154f StPO bereits wieder entfallen, weil der Staatsanwaltschaft der Aufenthalt des Beschwerdeführers bekannt geworden war. Warum insoweit die Ermittlungen nicht wieder aufgenommen worden und ggf. durch eine anderweitige Einstellung wieder abgeschlossen worden sind, ist der Akte nicht zu entnehmen. Jedenfalls kann dieser Umstand vorliegend nicht zu Lasten des Beschwerdeführers wirken, zumal eine Einstellung nach § 154f im Gegensatz zu anderen Einstellungen gerade nicht auf eine abschließende Erledigung des Verfahrens gerichtet ist, was sich bereits an der durch die Staatsanwaltschaft veranlasste Ausschreibung des Beschwerdeführers zur Aufenthaltsermittlung zeigt. Mithin liegt gerade kein Fall einer abschließenden Verfahrenserledigung vor, in der keine Rechtsverteidigung mehr stattfinden kann (vgl. vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2021 - 1 Ws 12/21 -, Rn. 9, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 23. September 2020 - 1 Ws 120/20 -, Rn. 6, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 16. September 2020 - 2 Ws 112/20 -, Rn. 15, juris). Vielmehr wird dem Verfahren nunmehr Fortgang zu geben sein, sodass auch die Frage der weiteren Verteidigung des Beschwerdeführers wieder relevant werden wird.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO