Landgericht Stade
Urt. v. 05.05.2023, Az.: 105 KLs 122 Js 21778/22 (10/22)

Tötung durch Vergiftung mit einem mit GBL vermischtem Getränk; Vergewaltigung des Opfers

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
05.05.2023
Aktenzeichen
105 KLs 122 Js 21778/22 (10/22)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 56222
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGSTADE:2023:0505.105KLS122JS21778.00

Amtlicher Leitsatz

Der in einem Getränk verabreichte Wirkstoff GBL ist ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 2. Alt. StGB.

  1. 1.

    Der in einem Getränk verabreichte Wirkstoff GBL ist ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 2. Alt. StGB. Es ist nicht entscheidend, in welcher Darreichungsform das Opfer den Wirkstoff beigebracht bekommt. Maßgeblich ist die Wirkung auf das Opfer im Einzelfall.

  2. 2.

    GBL ist aufgrund seiner stofflichen Zusammensetzung geeignet, dem Opfer ernsthafte Verletzungen zuzufügen, denn der Wirkstoff ist sogar für medizinische Fachpersonen äußerst schwierig zu dosieren, die Art und der Umfang der auftretenden Wirkungen sind vielfältig und reichen von Bewusstlosigkeit bis hin zu einem tödlichen Verlauf, ohne dass diese hinreichend steuerbar wären. Bei Anwendung von GBL in einer bestimmten Dosis, abhängig vom Körpergewicht und weiteren Faktoren, verliert das Opfer jegliche Kontrolle über seinen Körper, so dass es sich gegen sexuelle Handlungen nicht wehren kann. Der so herbeigeführte Zustand dauert über Stunden an, ohne dass es ein Mittel gäbe, den Verlauf zu verändern oder zu verkürzen, weshalb die Wirkung des GBL intensiver ist als etwa das Vorzeigen eines Messers, welches für sich genommen ohne Folgen bleibt und durch den Täter (oder Dritte) jederzeit beendet werden kann.

In der Strafsache
gegen
1. D. B.,
geboren 1993,
zuletzt wohnhaft S.
Verteidiger: Rechtsanwalt J., H.
2. A. N.,
geboren 2002,
zuletzt wohnhaft R.,
Verteidiger: Rechtsanwalt R., H.
wegen Totschlags
hat das Landgericht Stade - 1. große Strafkammer als Jugendkammer - aufgrund der öffentlichen Sitzungen vom 24.03.2023 bis zum 05.05.2023, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Landgericht Paarmann
als Vorsitzender,
Richterin am Landgericht Stößel,
Richterin Bauer
als beisitzende Richterinnen,
Frau B. T.,
Herr R. D.
als Schöffen,
Staatsanwältin Sobitzkat
als Beamtin der Staatsanwaltschaft,
Justizobersekretärin Reichardt am 05.05.2023
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
am 5. Mai 2023 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Angeklagten sind des Totschlags schuldig.

Der Angeklagte B. wird zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Der Angeklagte N. wird zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Die Unterbringung des Angeklagten N. in einer Entziehungsanstalt wird mit der Maßgabe, dass 1 Jahr und 6 Monate der Jugendstrafe vorweg zu vollziehen sind, angeordnet.

Der Angeklagte B. trägt die Kosten des Verfahrens, soweit es ihn betrifft.

Hinsichtlich des Angeklagten N. wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.

Gründe

I. Feststellungen zur Person

1. Angeklagter B.

a.) Der Angeklagte B. wohnt heute in P.. Er hat einen Zwillingsbruder und einen weiteren Bruder, der ein Jahr älter ist als er. Die Kinder wuchsen in S. mit den Eltern auf. Der Familienzusammenhalt war eng. Sein Vater lebt inzwischen in L., die Mutter wohnt weiterhin in S.. Zu beiden besteht enger Kontakt. B. besuchte in P. ein Gymnasium und erwarb dort einen Schulabschluss, vergleichbar mit dem Abitur. Eine Berufsausbildung oder ein Studium schloss er nicht an. Stattdessen arbeitete er ein halbes Jahr an einer Tankstelle, dann jeweils etwa ein Jahr lang in einer Kunststofffabrik und auf einer Baustelle im Hochbau. Im Alter von 19 Jahren lernte er D. B. kennen, die ältere Schwester des Mitangeklagten N. Sie zogen zusammen und bekamen eine Tochter, die heute 7 Jahre alt ist. Im Jahr 2015 siedelte die Familie seiner Lebensgefährtin nach D. über. Seine Lebensgefährtin, die ein weiteres Kind erwartete, wollte ihrer Familie folgen. B. verließ deshalb S. Etwa ein halbes Jahr wohnte er bei der Familie seiner Lebensgefährtin in H. Nach der Geburt der jüngeren Tochter, die heute 6 Jahre alt ist, zogen sie zu viert nach S. B. übte zunächst einige Zeit lang verschiedene Tätigkeiten aus, die ihm eine Zeitarbeitsfirma vermittelte, und bezog dann bis Ende des Jahres 2021 Arbeitslosengeld II. Seitdem lebt er von der finanziellen Unterstützung seiner Familie und von Gelegenheitsjobs. Auch seine Lebensgefährtin arbeitete nicht. Er lernte Deutsch und kann sich heute auf einfachem Niveau verständigen. Im November 2022 kehrte B. mit den Töchtern nach S. zurück. B. folgte ihnen im Frühjahr 2023.

B. konsumierte in der Jugend Marihuana, seit dem Erwachsenenalter jedoch nicht mehr. Er trinkt nur zu besonderen Anlässen alkoholische Getränke, insgesamt nicht häufiger als etwa zweimal im Jahr.

Der Bundeszentralregisterauszug vom 25.04.2023 weist für den Angeklagten keine Eintragungen auf.

b.) Der Angeklagte B. wurde am 07.02.2023 vorläufig festgenommen, als er sich nach Bekanntwerden des Haftbefehls den deutschen Behörden stellte. Er befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls der Kammer vom 21.12.2022 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bremervörde.

2. Angeklagter N.

a.) Der Angeklagte N. war zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt.

Er hat vier Geschwister. Mit seiner jüngeren Schwester und zwei älteren Brüdern wuchs er in S. bei seiner Mutter und dem Stiefvater auf. Seine älteste Schwester, D. B., verbrachte die Kindheit bei der Großmutter, denn bei ihrer Geburt war die Mutter noch sehr jung und nicht in der Lage, sich um das Kind zu kümmern. Die Familie lebte beengt in einer Zweizimmerwohnung, das Geld war knapp. Der Angeklagte erlebte die Mutter als unsicher und gewalttätig. Sie war jeden Tag betrunken und schlug ihn häufig, genauso wie der Stiefvater.

Als er 11 Jahre alt war, siedelte die Familie nach D. über. Sie lebten zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft in B. und zogen nach einigen Monaten nach B., dann weiter nach H. Dem Angeklagten fiel der Umzug schwer, denn er sprach kein Deutsch und vermisste seine Freunde. Nach wenige Monaten kam seine älteste Schwester nach, sie zog mit ihrer Familie - dem Mitangeklagten B. und den Kindern - nach S.

Nach einiger Zeit gelang es ihm, sich einzuleben. Er lernte Deutsch, besuchte eine Gesamtschule und ging bis etwa zur 8. Klasse auch gern in die Schule. Dann begann er mit etwa 16 Jahren, Alkohol, Amphetamine und Marihuana zu konsumieren und fehlte immer häufiger im Unterricht. Zu dieser Zeit versuchte er auch, mit seinem leiblichen Vater Kontakt aufzunehmen. Der Vater wies ihn aber zurück und machte ihm klar, dass er kein Interesse an seinem Sohn habe. Diese Ablehnung verletzte den Angeklagten sehr. In dieser Zeit begann er täglich Alkohol, vor allem Wodka, zu trinken. Wenn er betrunken war, verhielt er sich anderen gegenüber aggressiv. Seine Aggression verstärkte sich, wenn er außerdem Kokain nahm, dann wurde ihm alles gleichgültig und er suchte Streit. So kam es auch zu einem Angriff des Angeklagten auf einen jungen Mann in einem Regionalzug, den er im August 2019 ohne äußeren Anlass mehrfach mit der Faust ins Gesicht schlug (dazu Urteil des Amtsgericht Hamburg Harburg vom 06.12.2019, s.u.). Er nahm selbst wahr, wie er sich unter Alkohol und Kokain veränderte. Zur Beruhigung rauchte er Marihuana, er nahm auch Amphetamine, weil er sich dann wieder nüchterner fühlte.

Auch zuhause war er reizbar, ließ sich nichts sagen und geriet darüber in Streit mit seiner Mutter. Sie warf ihn schließlich aus der Wohnung. Er war für kurze Zeit obdachlos und lebte auf der Straße, bei Bekannten und einige Monate bei einer polnischen Familie, auch die älteste Schwester nahm ihn für einen Monat bei sich in S. auf. Er bezog dann ein Zimmer in einer Jugendunterkunft in S.

Im Alter von 17 Jahren lernte er seine Freundin P. N. kennen, die ebenfalls aus P. stammt und in H. wohnte. Seine Freundin trinkt kaum Alkohol und konsumiert auch keine Drogen, sie sieht den Konsum des Angeklagten kritisch.

Nach der 10. Klasse verließ er die Schule ohne Abschluss. Um eine Ausbildung oder dauerhafte Arbeit kümmerte er sich nicht. Er übernahm zwar ab und zu kleinere Tätigkeiten im Trockenbau, arbeitete aber ohne Motivation und wurde zumeist nach kurzer Zeit entlassen oder erschien einfach nicht mehr. Mit N. zog er nach H. in eine eigene Wohnung und arbeitete über eine Zeitarbeitsfirma im Fensterbau. Nach etwa 4 Monaten wurde ihm gekündigt. Im Internet fand er eine andere Arbeitsstelle und das Paar entschied sich, nach K., eine Kleinstadt in B., zu ziehen, der Arbeitgeber stellte die Wohnung. Hier konsumierte der Angeklagte weniger Betäubungsmittel und Alkohol. Als N. wenige Monate später die Beschäftigung wieder gekündigt wurde, mussten sie die Wohnung räumen. Das Paar zog nach H. zu N. Mutter, was jedoch wegen der Spannungen zwischen Mutter und Sohn und der beengten Wohnverhältnisse nicht gut ging. Außerdem fing der Angeklagte an, wieder mehr Betäubungsmittel zu konsumieren. N. drohte mehrfach, ihn zu verlassen, wenn er nicht weniger trinken und konsumieren würde, woraufhin er kurzzeitig seinen Konsum verringerte; dies hielt aber jedes Mal nicht länger als ein paar Tage an. Schließlich gingen N. und N. nach H., auch hier nahm er eine Tätigkeit über eine Zeitarbeitsfirma auf, die er etwa 3 Monate lang ausübte, bis ihm erneut gekündigt wurde. Im Februar 2023 bezog er eine Wohnung mit N. im Haus von deren Tante in R., wobei er sich dort tatsächlich nicht aufhielt und die Wohnung vor allem als Meldeadresse brauchte.

Seitdem er 16 Jahre alt ist konsumiert der Angeklagte regelmäßig Rauschmittel, nämlich täglich Alkohol und Marihuana sowie regelmäßig Kokain und Amphetamine. Die Zeit in der Untersuchungshaft ist seine längste Abstinenzphase. Zuvor war er höchstens eine Woche am Stück abstinent. Er empfindet sich selbst als süchtig nach Cannabis und Alkohol. Eigene Anstrengungen, sich deswegen behandeln zu lassen, hat er noch nicht unternommen.

b.) Im Bundeszentralregisterauszug vom 31.03.2023 sind fünf Eintragungen verzeichnet.

aa.) Die Staatsanwaltschaft Stade sah 23.01.2017 in einem Verfahren wegen des Vorwurfes des Diebstahls geringwertiger Sachen gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung ab. Auch in einem weiteren Verfahren wegen des Vorwurfes des Diebstahls geringwertiger Sachen wurde am 12.04.2018 gemäß § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen.

bb.) Mit Urteil vom 28.06.2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Hamburg-Harburg unter Einbeziehung der Verurteilung des Amtsgericht Hamburg-Harburg vom 17.04.2019, Az. 660 Ds 36/19, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, Az. 4200 Js 167/19. Das Gericht wies ihn an, für die Dauer von 2 Monaten Gespräche nach der Weisung der Jugendgerichtshilfe zu führen sowie an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen. Außerdem wurde sein Roller eingezogen. Das Urteil ist seit dem 06.07.2019 rechtskräftig.

Es lautet in den Feststellungen zu seiner Person, der Tat und den Rechtsfolgenerwägungen wie folgt:

"I. Der Angeklagte A. N. wurde am 20.07.2002 in S. geboren. [...] Am 23.01.2017 sah die Staatsanwaltschaft Hamburg in einem Verfahren wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen von der Verfolgung ab nach § 45 Abs. 1 JGG. Am 12.04.2018 sah die Staatsanwaltschaft Hamburg in einem Verfahren wegen Diebstahls geringwertiger Sachen nochmals von der Verfolgung ab nach § 45 Abs. 2 JGG. Zuletzt verurteilte das Amtsgericht Hamburg-Harburg den Angeklagten am 17.04.2019 wegen Erschleichens von Leistungen zu einer 2-monatigen Gesprächsweisung, die der Angeklagte in der Folgezeit nicht erfüllt hat. Der Angeklagte hat das erste Gespräch am 14.05.2019 pünktlich wahrgenommen. Zu weiteren Terminen erschien der Angeklagte in der Folgezeit allerdings nicht.

In den dortigen Feststellungen zum Sachverhalt heißt es: "Am 07.12.2018 nutzte der Angeklagte gegen 07:16 Uhr die U-Bahn der Linie U2 zwischen Hauptbahnhof Nord und Jungfernstieg, ohne im Besitz eines gültigen Fahrscheins zu sein."

Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf dessen glaubhaften Angaben in der Hauptverhandlung sowie auf der verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 13.03.2019 und dem auszugsweise zur Verlesung gekommenen Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 17.04.2019. Zum Sachverhalt hat das Gericht auf Grundlage der umfänglich geständigen Einlassung des Angeklagten und ergänzend der Angaben des Zeugen Weise folgende Feststellungen getroffen:

Am 09.02.2019 befuhr der Angeklagte gegen 21:41 Uhr mit dem seit 01.03.2016 nicht mehr versicherten Kleinkraftradroller mit dem Kennzeichen ... und mit dem Zeugen S. auf dem Sozius-Sitz die B. Straße / N. Straße, ohne - wie er wusste - im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Der Angeklagte stand bei der Fahrt unter dem Einfluss von THC. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Strafverfolgung hinsichtlich des Vorwurfs der Trunkenheit im Verkehr gemäß § 154 a StPO beschränkt.

Der Angeklagte hat sich damit ausweislich der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen wie tenoriert schuldig gemacht. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt 16 Jahre alt und damit Jugendlicher im Sinne von § 1 Abs. 2 JGG. Zweifel an der strafrechtlichen Verantwortungsreife des Angeklagten bestehen nicht. Der Angeklagte war vielmehr auch nach dem Eindruck in der Hauptverhandlung reif und intelligent genug, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Bei der Frage, wie auf die von dem Angeklagten begangene Straftat erzieherisch angemessen zu reagieren war, war zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er sich hinsichtlich des festgestellten Sachverhalts jedenfalls im Wesentlichen geständig gezeigt hat. Die Tat liegt vor der erstmaligen gerichtlichen Verurteilung vom 17.04.2019. Der Angeklagte war aber auch zu diesem Zeitpunkt bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Angeklagte hat die ihm im Urteil vom 17.04.2019 auferlegte Gesprächsweisung nicht erfüllt, sondern lediglich einen Termin wahrgenommen und weitere Termine unentschuldigt nicht wahrgenommen. Der Angeklagte befindet sich in einer problematischen Phase zur Überzeugung des Gerichts. Seit geraumer Zeit geht der Angeklagte nicht regelmäßig zurSchule, er gibt auch in der hiesigen Hauptverhandlung nunmehr an, zahlreiche Bewerbungen geschrieben zu haben ohne insoweit eine tragfähige Perspektive vorweisen zu können. In der jetzigen Hauptverhandlung räumte der Angeklagte auch erstmalig ein, mehr oder weniger regelmäßig THC zu konsumieren. Unter Berücksichtigung der derzeitigen stabilen Lebenssituation des Angeklagten erschien es dem Gericht unter der gemäß § 31 Abs. 2 JGG gebotenen Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg-Harburg vom 17.04.2019 angezeigt, den Angeklagten weiterhin anzuweisen, für die Dauer von 2 Monaten Gespräche mit der Jugendgerichtshilfe zu führen, um sich mit den offensichtlich bei ihm bestehenden Defiziten auseinanderzusetzen und sich eine tragfähige Perspektive insbesondere in beruflicher Hinsicht zu erarbeiten. Daneben erschien es dem Gericht allerdings auch angezeigt, den Angeklagten anzuweisen, an einem Verkehrsunterricht nach Weisung der Jugendgerichtshilfe teilzunehmen, um ihm nochmals das Unrecht der von ihm begangenen Straftat angemessen vor Augen führen zu können."

Der Angeklagte erschien (wie schon im erwähnten vorhergehenden Verfahren, in dem ihm mit Urteil vom 17.04.2019 eine Gesprächsweisung erteilt worden war, der er nicht nachkam) auch zu diesen Gesprächsterminen nicht, weshalb das Amtsgericht Hamburg-Harburg mit Beschluss vom 16.10.2019 zwei Wochen Beugearrest gegen ihn verhängte, der letztlich jedoch nicht vollstreckt wurde. Schließlich erfüllte er nach weiteren Aufforderungen die Weisung, so dass die Vollstreckung ausweislich des Vermerks des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 04.02.2022 erledigt ist.

cc.) Mit Urteil vom 06.12.2019 verurteilte ihn das Amtsgerichts Hamburg-Harburg wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Az.: 4200 Js 576/19. N. wurde die Weisung erteilt, acht Arbeitsleistungen zur Wiedergutmachung zu erbringen. Das Urteil ist seit dem 14.12.2019 rechtskräftig.

Es lautet in seinen Feststellungen zu seiner Person, den Taten und den Rechtsfolgenerwägungen wie folgt:

"I. Der Angeklagte A. N. wurde am 20.07.2002 in S. geboren. Er ist polnischer Staatsangehöriger, ledig und hat keine Kinder. Der Angeklagte ist mit seinen Eltern vor etwa 3 bis 4 Jahren nach D. gekommen. Der Vater des Angeklagten ist berufstätig, die Mutter, die über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügt, arbeitet nicht. Der Angeklagte hat einen älteren Bruder, der beruflich tätig ist. Der Bruder des Angeklagten verfügt über einen Schulabschluss. Der Angeklagte selbst geht bereits seit längerer Zeit nicht mehr regelmäßig zur Schule. Auch in dieser Hauptverhandlung, ebenso wie in vorangegangenen Hauptverhandlungen, gab der Angeklagte an, arbeiten zu wollen. Bislang ist der Angeklagte allerdings keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Erstmalig gab er auch in der jetzigenHauptverhandlung an, statt einer beruflichen Tätigkeit doch die Produktionsschule besuchen zu wollen. Der Angeklagte konsumiert auch mehr oder weniger regelmäßig Marihuana und erhält Taschengeld nach Bedarf von seinen Eltern.

Der Angeklagte ist bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten: [...]

Am 17.04.2019 verurteilte das Amtsgericht Hamburg-Harburg den Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen zu einer zweimonatigen Gesprächsweisung, die der Angeklagte in der Folgezeit nicht erfüllt hat. Er erschien lediglich zu einem ersten Gespräch, weitere Termine nahm der Angeklagte in der Folgezeit nicht wahr. Daraufhin wurde der Angeklagte am 28.06.2019 unter Einbeziehung der Verurteilung vom 17.04.2019 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer zweimonatigen Gesprächsweisung verurteilt sowie zu einem Verkehrsunterricht. Der Angeklagte hat lediglich drei Termine im Rahmen der Gesprächsweisung wahrgenommen, den weiteren Kontakt zur Jugendgerichtshilfe dann allerdings abgebrochen. Den Verkehrsunterricht hat der Angeklagte auch nicht absolviert.

Mit Beschluss vom 16.10.2019 wurden daher zwei Wochen Beugearrest gegen den Angeklagten verhängt. Arrestantritt ist für den Nachmittag des letzten Hauptverhandlungstermins, dem 06.12.2019, 16:00 Uhr, vorgesehen. Der Angeklagte erschien mit gepackter Tasche in der hiesigen Hauptverhandlung.

Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf dessen glaubhaften Angaben in der Hauptverhandlung sowie auf der verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 08.10.2019.

Zum Sachverhalt hat das Gericht auf Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund der glaubhaften Angaben der Zeugen A., C. und B. folgende Feststellungen getroffen, nachdem der Angeklagte die Tatvorwürfe zurückgewiesen hatte:

1. Am 14.08.2019 in den Abendstunden befand sich der Angeklagte auf dem Bahnhof M. und stieg dort gemeinsam mit den Zeugen P., J. und A. in den Metronom Richtung H.-Hauptbahnhof ein. Gegen 23:30 Uhr erreichte der Metronom die Haltestelle H.-H., der Angeklagte versuchte vergeblich, die Wagentür zu öffnen, was ihm allerdings trotz der Hilfe des Zeugen K. nicht gelang. Die Tür blieb daherverriegelt, der Angeklagte, der zunächst bei den Zeuginnen Platz genommen hatte, setzte sich einen Vierersitz weiter neben dem Zeugen S. K. Plötzlich und unvermittelt schlug er diesen sodann mit seinen Fäusten in das Gesicht, so dass der Zeuge letzten Endes blutend zu Boden ging, wobei dessen Brille und Mobiltelefon iPhone 8 beschädigt wurden. Während die Zeuginnen J. und A. Hilfe holen wollten, entschied sich die Zeugin P., dazwischen zu gehen und dem Zeugen K. zur Hilfe zu eilen und wurde dabei auch von Schlägen des Angeklagten getroffen. Der Zeuge K. erlitt infolge des Übergriffs Nasenbluten sowie eine Schwellung an seiner rechten Schläfe und litt anschließend unter starken Kopfschmerzen, noch einen Monat später an einem Taubheitsgefühl auf der rechten Gesichtshälfte und an gelegentlichem Nasenbluten. Es entstand letzten Endes am Mobilfunktelefon ein Sachschaden und ebenso an seiner Brille in Höhe von 400,- €. Die Zeugin P. hatte noch Tage nach dem Vorfall Schmerzen und blaue Flecken im Bereich der Schulter und des Rückens und konnte ihre Schulter etwa eine Woche lang nicht richtig bewegen.

Der Angeklagte verweigerte dann kurze Zeit später, angekommen am H. Hauptbahnhof auf Gleis 14, gegenüber den herbeigerufenen Bundespolizeibeamten M., B. und T. die Angabe seiner Personalien und wurde deshalb zur Identitätsüberprüfung zum Bundespolizeirevier verbracht, wo er sich gegen das Anlegen von Fesseln durch die Zeugen M. und B. wehrte, indem er seine Arme wegzog, versuchte seinen Körper herauszudrehen und sich gegen sein Verbringen zum Bundespolizeirevier mehrfach durch Stehenbleiben und Wegdrehen seines Körpers sperrte. Nachdem die Bundespolizisten gemeinsam mit dem Angeklagten im Gewahrsamsraum der Bundespolizeiwache eingetroffen waren und der Angeklagte dort nach Waffen und gefährlichen Gegenständen durchsucht werden sollte, setzte er sich weiter durch Wegdrehen seiner Arme und Hände hiergegen zur Wehr, stieg mit einem Fuß auf die im Gewahrsamsraum befindliche Bank und drehte seinen Körper nach hinten auf die Beamten M., B. und C. Die Beamten versuchten sodann den Angeklagten an der Wand zu fixieren, wobei er weiterhin vergeblich versuchte, nach den Beamten zu treten und schleuderte schließlich auch die Bauchtasche und seine Schuhe in Richtung des Zeugen B., ohne dass insoweit allerdings ein gezielter Wurf durch das Gericht feststellbar war.

II. Ausweislich der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen hat sich der Angeklagte dann wie tenoriert schuldig gemacht. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt und damit Jugendlicher im Sinne von § 1 Abs. 2 JGG. Zweifel an der strafrechtlichen Verantwortungsreife des Angeklagten bestehen nicht. Er war vielmehr auch nach dem Eindruck in der Hauptverhandlung reif undintelligent genug, das Unrecht seiner Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Bei der Frage, wie auf die von dem Angeklagten begangenen Straftaten erzieherisch angemessen zu reagieren war, hat das Gericht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er zumindestens alkoholbedingt enthemmt gehandelt hat.

Der Angeklagte hat sich allerdings in der Hauptverhandlung wenig einsichtig gezeigt, die Tatvorwürfe vehement bestritten und auf seine Alkoholisierung verwiesen.

Zu seinen Lasten war zu berücksichtigen, dass er bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten war, wenn auch nicht unmittelbar einschlägig. Er hat die ihm hier zur Last gelegten Taten begangen, nachdem er sich zuletzt jugendrichterlich am 28.06.2019 zu verantworten hatte. Der Angeklagte weist eine negative Entwicklung auf. Auch aufgrund der unzureichenden Deutschkenntnisse seiner Eltern wird er von diesen mit erzieherischen Maßnahmen offensichtlich nicht erreicht. Der Bruder des Angeklagten lebt wohl in stabilen Verhältnissen, dieser Angeklagte hingegen geht bereits seit einiger Zeit nicht regelmäßig zur Schule und scheint zu machen was er will. Zudem konsumiert der Angeklagte offensichtlich regelmäßig Marihuana.

Da die vorliegende Tat nicht mit der Tat aus der Verurteilung vom 28.06.2019 vergleichbar erscheint, erschien es dem Gericht unzweckmäßig, die vorangegangene Verurteilung einzubeziehen, es erschien dem Gericht vielmehr angezeigt, dem Angeklagten aufzuerlegen, nunmehr 8 Arbeitsleistungen und zwar zur Schadenswiedergutmachung zugunsten des Geschädigten K., der zur Hauptverhandlung nicht erscheinen konnte, zu erbringen."

Mit Beschluss vom 14.05.2020 verhängte das Amtsgericht Hamburg-Harburg gegen ihn zwei Wochen Beugearrest, weil er die Arbeitsleistungen nicht erbracht hatte. Der Arrest wurde vollstreckt. Mit Beschluss vom 20.04.2021 hat das Amtsgericht Hamm die Vollstreckung für erledigt erklärt.

c.) Der Angeklagte N. wurde am 06.01.2023 aufgrund des Haftbefehls der Kammer vom 21.12.2022 festgenommen. Er befindet sich seitdem in Untersuchungshaft in der Jugendanstalt Hameln. Der Angeklagte besucht die Anstaltsschule. Disziplinarische Maßnahme wurden nicht gegen ihn verhängt.

II. Feststellungen zur Sache

Am Abend des 14.05.2022, einem Samstag, waren der Angeklagte D. B. und D. B., seine damalige Lebensgefährtin und die Mutter seiner Kinder, auf eine Geburtstagfeier in S. eingeladen. An diesem Wochenende übernachteten der jüngere Bruder der B., der damals neunzehnjährige Angeklagte A. N. und dessen damals 17 Jahre alte Freundin P. N. bei ihnen.

Gegen etwa 21 Uhr kamen sie alle gemeinsam bei der Party an, wo sie bis Mitternacht ausgelassen feierten. Die beiden Frauen aus der Gruppe tranken nur wenig Alkohol. Die Angeklagten konsumierten im Laufe des Abends verschiedene alkoholische Getränke in nicht mehr genau feststellbarer Menge. N. konsumierte zudem nicht mehr genau feststellbare Mengen an Kokain, nämlich ungefähr 0,5 Gramm. Alle vier bedienten sich am Buffet, wo es Fleisch, Salate und Brot gab. Die Feier war gegen 1 Uhr beendet, auch die Vierergruppe verließ die Party.

Nicht weit entfernt, in der S. in S., saß die damals 22-jährige N. S. in ihrer Wohnung vor dem Fernseher. Zusammen mit ihren beiden Brüdern, K. und D. S., und ihrer Freundin W. K., die damals 17 Jahre alt war, hatte sie in den letzten Stunden eine polnische Fernsehsendung angesehen. Die vier sprachen polnisch miteinander. Sie hatten Bier und Schnaps getrunken und gegen 20 Uhr zusammen einen Joint geraucht. Gegen 1 Uhr nachts beschlossen sie, zusammen Marihuana zu kaufen. Zu Fuß verließen sie die Wohnung und gingen aus der Innenstadt in Richtung Altländerviertel.

So trafen die beiden vierköpfigen Gruppen gegen 01:30 Uhr an der Straßenkreuzung H./ Beim S. auf Höhe des Grillrestaurants Köz aufeinander.

Die Gruppe um die Angeklagten war schlechter Stimmung. Sie hatten sich ein Taxi bestellt, in das nach einiger Diskussion jedoch andere Partygäste eingestiegen waren. Als nach einiger Wartezeit kein weiteres Taxi mehr kam, hatten sie sich schließlich gezwungenermaßen zu Fuß auf den Heimweg in die J. S. in S. gemacht. B. und B. waren in Streit geraten und machten einander gegenseitig Vorwürfe. N., der angetrunken war, hatte noch eine Schnapsflasche von der Feier mitgenommen. Seine Laune schlug um, als ihm klar wurde, dass er den ganzen Weg zu Fuß gehen muss.

Als N. auf der anderen Straßenseite die Gruppe um die S. wahrnahm, die sich auf Polnisch unterhielten, rief er ihnen auf Polnisch zu, sie sollten die Fresse halten. S. entgegnete auf Polnisch sinngemäß, er solle selber die Fresse halten, woraufhin N. ihr lauthals Beleidigungen und Beschimpfungen auf Polnisch entgegenschrie. Die Gruppe um S. hielt nicht an, sondern ging langsam auf der linken Seite der Straße Beim S. in Richtung Altländerviertel weiter. S. rief im Gehen noch "Verpisst euch".

Nach kurzer Zeit setzte sich auch die Gruppe um B. und N. in Bewegung und nahm den gleichen Weg, weil es ihr direkter Heimweg war. Zwischen den beiden Gruppen bestand ein Abstand von etwa 20 Metern. Es kam zu keinen weiteren Wortwechseln mehr.

Trotzdem nahm D. S. ein Messer zur Hand, welches er in seinem Jackenärmel versteckte, weil er sich durch das Verhalten des N. bedroht fühlte.

Die Straße führt zunächst über die S. Dort stellte B. ihren Bruder N. zur Rede. Sie war verärgert darüber, dass er die andere Gruppe beleidigt hatte und machte ihm deshalb Vorwürfe. Außerdem hatte er ihrer Meinung nach zuviel getrunken und Drogen konsumiert, was sie ohnehin missbilligte. Sie war aufgebracht darüber, dass er sich nicht besser unter Kontrolle hatte und sie mit ihm immer wieder in solche Auseinandersetzungen verwickelt wurde. N. sah nicht ein, weshalb sie ihm Vorwürfe machte. In die Auseinandersetzung vertieft, blieben sie einige Meter hinter N. und B. zurück.

Nach der S. wird die Straße Beim S. zur A., sie beschreibt eine Rechtskurve und trifft dann auf die Straße S. Links befinden sich die Einfahrten zu einem Kinocenter und zur Agentur für Arbeit, geradeaus geht es weiter in Richtung Altländer Viertel, rechts führt die Straße S. an der Schwinge entlang in Richtung Bahnhof. Zu diesem Zeitpunkt waren keine Kraftfahrzeuge und auch keine anderen Fußgänger dort unterwegs, die Straße war von Laternen erleuchtet, es war nächtlich ruhig.

B. fragte die aufgeregte B. hinter ihm, was los sei und sie antwortete, dass sie sich über ihren kleinen Bruder ärgere, weil er mit der anderen Gruppe Streit angefangen hatte. Daraufhin beschloss B., sich als der Ältere für N. Verhalten zu entschuldigen. Die Gruppe um S. überquerte vor ihm gerade schräg die Kreuzung, um auf der rechten Straßenseite der A. weiter in Richtung Altländerviertel zu gehen. Die Entfernung von der einen Straßenecke zur anderen gegenüberliegenden Ecke beträgt etwa 15 Meter. B. sah, dass die andere Gruppe über die Kreuzung ging und er lief mit schnellem Schritt hinterher, um mit ihnen zu sprechen. N. blieb an der Straßenecke stehen und wartete auf N. und B. B. erreichte S. noch bevor sie den Fußweg betrat und sprach sie an. S. blieb stehen. Ihre Freundin und die Brüder gingen zunächst langsam weiter und drehten sich erst im Abstand von einigen Metern um.

B. und S. sprachen mit ruhiger Stimme. Nach wenigen Augenblicken erhoben B. und S. die Stimme und sie gerieten in Streit.

In diesem Moment erreichten auch N. und B. die Kreuzung. Sie waren noch immer im Streitgespräch, denn N. war weiterhin der Meinung, dass S. ihn provoziert hatte. Da sah er, dass sein Schwager an der gegenüberliegenden Straßenecke der S. gegenüberstand und es laut zwischen ihnen wurde. Sie hatte kurz zuvor "Verpisst euch" und "Haltet die Fresse" zu ihnen gesagt. Er fühlte sich gekränkt. Außerdem war der ruppige Wortwechsel mit ihr der Grund, weshalb seine Schwester ihn schon wieder kritisierte, dabei lag aus seiner Sicht die Schuld für den Streit allein bei S. N. ärgerte sich, dass sie sich offenbar weiter provokant verhielt. Er ließ seine Schwester stehen und überquerte zügig die Kreuzung, um S. für ihr Verhalten zu bestrafen.

Ohne ein Wort oder einen Ausruf von sich zu geben, die Arme gesenkt neben dem Körper, ging er schnell auf sie zu. In der Hand hielt er die 0,75 Liter Schnapsflasche aus Glas.

S. stand mit dem Rücken zu N.

N. erreichte sie nach wenigen Sekunden. Sie drehte sich nicht um, weil sie ihn nicht wahrnahm. Er erkannte, dass sie ihn nicht bemerkte. Noch im Laufen holte er mit der Flasche aus. Den Flaschenboden voraus zertrümmerte er die Flasche mit einem wuchtigen Schlag auf ihrem Kopf, so dass das Glas zerbrach. N. ging davon aus, dass sie durch den plötzlichen unangekündigten Schlag auf den Hinterkopf das Gleichgewicht verlieren und auf den harten Straßenboden stürzen würde. Dabei erkannte er, dass ein solch wuchtiger Flaschenschlag tödlich enden kann. Er nahm dies aber billigend in Kauf.

S. ging von der Wucht des Schlages zu Boden und fiel auf die Knie und dann, ohne sich abzustützen, auf das Straßenpflaster. Dort blieb sie liegen.

W. K. und K. S. wichen ein paar Schritte erschrocken zurück. D. S. lief zu S. N. und B. rannten quer über die Kreuzung. Alle schrien durcheinander.

N. sah, dass S. bewegungslos auf dem Boden lag und ging davon aus, dass sie schon tödlich verletzt sein könnte, wollte aber aus Wut über ihre vorlaute Art noch weiter auf sie losgehen. D. S. warf sich gegen N., um seine Schwester vor ihm zu schützen. N. schubste D. S. von sich, griff ihn sich dann und zog ihm die Kapuze über den Kopf. Er drückte seinen Kopf nach unten. B. sah, wie sein Schwager mit D. S. kämpfte und entschloss sich, diesen zu unterstützen. B. versuchte deshalb, dem nach vorn übergebeugten D. S. ins Gesicht zu treten, um ihn zu verletzen. D. S. hob seine Hände vor das Gesicht und versuchte, die Tritte abzuwehren. Die drei Männer rangelten einige Sekunden miteinander.

Im Gerangel wurde B. durch das von D. S. im Jackenärmel versteckte Messer am rechten Oberschenkel nah an der Leiste verletzt. Der Stich erreichte den Muskel, nicht aber die darunterliegenden großen Gefäße. B. spürte den Schmerz und sah einen Blutfleck auf seiner Hose. Er erkannte, dass er verletzt war. B. Wut steigerte sich. Auch N. sah, dass sein Schwager blutete. Da konnte D. S. sich aus dem Griff der beiden Männer befreien, drehte sich um und rannte am S. entlang in Richtung Bahnhof davon. N. und B. setzten ihm einige Meter nach, gaben nach einigen Sekunden die Verfolgung aber auf, weil sie erkannten, dass sie ihn nicht mehr einholen konnten. Es machte sie wütend, dass er ihnen entkommen war und sie ihn für die Verletzung des B. nicht mehr zur Rechenschaft ziehen konnten.

Währenddessen eilten K. und K. S. zu S. Sie lag ausgestreckt am Boden und bewegte sich nicht. Als K. sie ansprach, antwortete sie nur mit einem Stöhnen und krümmte sich. K. und K. S. nahmen sie unter die Arme und schleppten sie etwa 2 oder 3 Meter über die gepflasterte Bushaltebucht. S. konnte keine eigenen Schritte mehr gehen, weil ihr die Beine versagten. Sie war wie benebelt und konnte nicht mehr sprechen. An ihrem Kopf war Blut zu sehen.

N. und B. sahen wenige Meter entfernt K. und K. S., die S. zwischen sich in den Armen hielten.

N. erkannte, dass S. noch lebte, weil sie sich noch bewegte. Er stürzte auf S. und ihre Begleiter zu und brüllte: "Ich bring euch alle um!". Seine Wut richtete sich gegen S., die aus seiner Sicht der Auslöser für den ganzen Streit gewesen war.

B. hörte seinen Ausruf. Voller Ärger über die ihm zugefügte Verletzung entschloss er sich, mit N. zusammen auf S. loszugehen und lief ihm nach.

K. sah, dass beide auf sie zu rannten. Sie schrie vor Entsetzen auf. Um sich selbst zu retten, ließ sie S. los. S. glitt aus ihren Armen und lag rücklings auf dem Pflasterstein, außerstande, sich fortzubewegen. K. und K. S. wichen aus Furcht vor den herannahenden Angeklagten einige Meter nach hinten zurück, um den Abstand zu B. und N. zu vergrößern.

Die Angeklagten stürzten sich auf S. Sie waren beide von dem Gedanken getrieben, dass S. für ihr Verhalten und für das ihres Begleiters büßen sollte, denn sie war frech ihnen gegenüber geworden und sie gehörte zu D. S., der B. gerade verletzt hatte. Deshalb wollten sie sie bestrafen.

Wenige Meter davon entfernt in Richtung Kreuzung standen noch N. und B.. Sie liefen B. und N. entgegen und versuchten zu verstehen, was überhaupt passiert war, doch N. und B. achteten nicht auf sie.

N. und B. sahen beide, dass S. auf dem Boden lag und - anders als K. und S. - nicht vor ihnen zurückgewichen war. Ihnen war bewusst, dass sie nicht in der Lage war, ihnen zu entkommen oder sich zu wehren, weil sie sich wegen des Flaschenschlags wenige Momente zuvor nicht mehr allein aufrecht halten konnte.

N. und B. traten ihr beide jeweils mindestens zweimal kräftig mit den beschuhten Füßen gegen den Kopf. N. und B. trugen feste Turnschuhe mit Hartgummisohlen. S. machte keine Anstalten sich zu schützen oder die Tritte abzuwehren und gab auch keine Geräusche von sich.

N. wusste, dass S. nur kurz zuvor wegen seines Flaschenschlags auf den Boden gestürzt war. Er erkannte, dass sie keine Schutz- oder Abwehrhandlungen machte, auch keine Worte oder Geräusche mehr von sich gab und zudem am Kopf blutete. Um sie zu bestrafen, versetzte er ihr heftige Tritte gezielt gegen den Kopf, was er insbesondere auch angesichts der vorangegangenen Einwirkung als besonders gefährlich erkannte. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, dass sie sterben würde.

B. erfasste ebenfalls, dass die S. sich nicht bewegte, insbesondere nicht mit den Händen ihren Kopf schützte oder versuchte, aufzustehen oder zumindest wegzurobben. Auch er wusste, dass sie schon durch den Flaschenschlag von N. zu Boden gegangen, dabei ungebremst auf das Pflaster gestürzt war, bereits am Kopf blutete und - wie er sah - auch N. neben ihm unbändig auf sie eintrat. Auf die Schreie seiner Lebensgefährtin, sie sollten aufhören, reagierte er nicht. Er trat gezielt gegen S. Kopf, was insbesondere auch wegen der vorherigen Einwirkung durch den Flaschenschlag besonders gefährlich war, wie ihm bewusst war. Aus Ärger darüber, dass der Verursacher seiner Verletzung fliehen konnte und um sie zu bestrafen, trat er gegen ihren Kopf. Er nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass S. sterben würde.

B. und N. schrien laut und versuchten gemeinsam mit aller Kraft, N. festzuhalten, der aber immer wieder auf S. eintrat. S. zeigte zu diesem Zeitpunkt keine Regung mehr, wie beide Angeklagten sahen. Sowohl N. als auch B. gingen zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass S. an ihren Verletzungen sterben könnte.

Ein heranfahrendes Auto war zu hören. N. und B. fürchteten, gesehen zu werden und ergriffen die Flucht. Sie rannten die rechte Seite der A. weg von der Innenstadt. B. und N. folgten ihnen. Nach einigen Metern bemerkte auch B., dass B. am Bein blutete. N. hakte ihn unter und so gingen sie weiter in Richtung J. Straße. Sie alarmierten keinen Rettungswagen, weder für B. noch für S.

S. war tödlich verletzt. Sie erlitt ein akutes Subduralhämatom mit initialer Mittellinienverlagerung als Folge des schweren Schädelhirntraumas, das durch die Gesamtheit der Gewalteinwirkungen der Angeklagten auf ihren Schädel entstanden war. Die wuchtigen Tritte gegen den Kopf, die auf den Flaschenschlag und den Sturz folgten, verschlechterten ihren Zustand und beschleunigten ihren Tod.

Wenige Minuten später erreichte M. M. die Kreuzung. Er hatte aus einigen hundert Metern Entfernung laute Schreie von mehreren Menschen gehört und war losgerannt, um zu helfen. Als er an der Kreuzung ankam, traf er auf K., die an der Bushaltestelle saß und S. Kopf auf dem Schoß hielt. K. rief M. aufgelöst zu, dass sie angegriffen worden seien und wies ihm die Richtung, in die N. und B. mit ihren Frauen weggelaufen waren. M. rannte die Straße weiter entlang und stieß nach etwa hundert Metern auf Höhe der Bahnschienen auf die Gruppe. Er rief, sie sollten stehen bleiben. N. wandte sich ihm zu und schrie sofort, er solle seine Schwester nicht anmachen, sonst werde er ihn schlagen. M. hörte, wie in diesem Moment schon mehrere Polizeibeamte auf sie zueilten und rief diesen zu, dass die Täter hier seien. Wenige Augenblicke später erreichten vier Polizeibeamte, darunter PK´in H. und PK D., die Gruppe. Nach der Sachverhaltsaufnahme wurde B. wegen seiner Verletzung zunächst in ein Krankenhaus gebracht. Sein Zustand war beim Eintreffen der Rettungskräfte stabil, er war orientiert, wach und ansprechbar. Im Krankenhaus wurde die Wunde genäht. Neben der Verabreichung von Schmerzmitteln waren keine weiteren Maßnahmen notwendig. Am nächsten Tag wurde er entlassen.

Der für S. um 01:55 Uhr von K. alarmierte Rettungswagen traf wenig später ein. S. war bewusstlos. Sie wurde noch vor Ort durch den Notarzt intubiert. Im Krankenhaus wurde sie notoperiert und ins künstliche Koma versetzt.

B. hatte um 03:30 Uhr einen Blutalkoholgehalt von 1,66 Promille. Bei N. wurde um 02:40 Uhr der Atemalkoholgehalt gemessen, dieser ergab 1,77 Promille. K. hatte um 02:40 Uhr einen Atemalkoholgehalt von 0,2 Promille. K. S. wies um 02:41 Uhr einen Atemalkoholgehhalt von 1,67 Promille auf.

Der Angeklagte B. befand sich aufgrund seines Alkoholkonsums zum Zeitpunkt der Tat in einem leichten Rauschzustand, dies führte bei ihm zu einer gewissen Kritikminderung und Enthemmung. Die Fähigkeit des Angeklagten das Unrecht der Tat einzusehen war dadurch zum Tatzeitpunkt jedoch nicht beeinträchtigt und seine Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln auch nicht erheblich vermindert. Der Angeklagte N. hatte sich durch den Konsum des Alkohols und Kokains in einen mittelgradigen Rauschzustand versetzt. Bei der Begehung der Tat war die Fähigkeit des Angeklagten N. das Unrecht der Tat einzusehen hierdurch nicht beeinträchtigt, seine Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln auch nicht aufgehoben, aber erheblich vermindert.

Noch in der Tatnacht gegen 03:30 Uhr schrieb N. über das Mobiltelefon der N. mehrere Nachrichten an K. Er wollte von ihr wissen, wer B. mit dem Messer verletzt habe und drängte sie immer vehementer, ihm den Namen desjenigen zu nennen, denn er wolle sich an ihm rächen. Dann setzte er ihr ein Ultimatum für 4 Uhr nachts. Sollte sie ihm bis dahin keinen Namen genannt haben, drohte er ihr an, mit mehreren Personen bei ihr zuhause zu erscheinen, sie würden mit Macheten und Messern bewaffnet sein. Wenn sie die Polizei riefe, würde es ihr schlecht ergehen. K. nahm die Drohung ernst, denn sie hatte gerade gesehen, was er mit ihrer Freundin gemacht hatte. Sie alarmierte aus Angst die Polizei.

S. Zustand verbesserte sich nicht mehr, so dass die Ärzte wegen des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls aufgrund der Schwellung des Gehirns und der Einklemmung lebenswichtiger Areale am 23.05.2022 schließlich ihren Tod feststellten.

III. Beweiswürdigung

1. Feststellungen zur Person

Die zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten getroffenen Feststellungen beruhen jeweils im Wesentlichen auf den Angaben der Angeklagten sowie den diesbezüglichen von den Angeklagten jeweils bestätigten Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen. Sie ergeben sich außerdem aus den Bundeszentralregisterauszügen vom 25.04.2023 für B. und vom 31.03.2023 für N. und den entsprechenden Gerichtsentscheidungen.

2. Feststellungen zur Sache

Die getroffenen Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf der Aussage der Zeugin K. Ihre Angaben zum Tathergang werden gestützt und ergänzt durch die Angaben der Zeugen K. und D. S. und D. B. sowie durch deren Chatnachrichten, die Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen und ferner durch Lichtbilder vom Tatort.

Die Einlassungen der Angeklagten konnten den Feststellungen zur Sache hingegen nicht zugrunde gelegt werden. Die Einlassungen sind jeweils bereits in sich nicht glaubhaft. Außerdem widersprechen sie einander. In wesentlichen Punkten wurden sie zudem durch die glaubhaften Angaben der anderen Beteiligten widerlegt.

a.) Einlassung des Angeklagten B.

Der Angeklagte B. gab in der Hauptverhandlung die folgende Einlassung ab:

Er erklärte, am 14.05.2022 habe er bei seinem Freund M. dessen Geburtstag gefeiert. Die Stimmung sei gut gewesen, man habe gelacht und getanzt. Er habe etwa 10 bis 13 kleine Schnäpse und viele alkoholische Mischgetränke getrunken, obwohl er normalerweise nicht trinke. Er habe sich angetrunken gefühlt. Um 1 Uhr nachts sei die Feier beendet gewesen und sie hätten zwei Taxen nach Hause bestellt. Andere Gäste hätten das erste Taxi genommen, das zweite Taxi sei nicht gekommen, weshalb sie gelaufen seien. Die anderen seien vorausgegangen, während er noch kurz gewartet habe, weil er gedacht habe, dass das Taxi doch noch komme. Er sei etwa zwei Minuten später hinterhergegangen.

Beim Imbiss Köz habe er einen Streit zwischen einer anderen Gruppe und N. gehört. Er sei dazu gekommen und habe gefragt, was los sei. Er habe gehört, wie B. sinngemäß auf Polnisch sagte: "Es reicht, alle gehen auseinander!" Dann sei die andere Gruppe weiter in Richtung A. gegangen, das sei auch ihre Richtung gewesen. Er habe B. gefragt, was geschehen sei, und sie habe geantwortet, dass N. einen Streit mit der anderen Gruppe angefangen habe.

Als er das gehört habe, sei er schnell zu dieser Gruppe gelaufen. Diese sei an einer Bushaltestelle gewesen. Er habe sich ihnen genähert und für N. entschuldigt, denn dieser sei ein bisschen betrunken gewesen. Er habe gesagt, dass sie auch P. seien und so ein Streit keinen Sinn mache und den anderen einen angenehmen Abend gewünscht. Das Mädchen mit den langen Haaren sei nett gewesen und habe gesagt, dass das nett von ihm sei.

Als er sich umgedreht habe und weggehen wollte, habe einer der Jungen gesagt, dass er gleich jemandem eine Sense reinrammen werde. Er habe sich nach ihm umgedreht und sinngemäß auf Polnisch gesagt: "Was willst du?". Alle aus dieser Gruppe seien in seiner Nähe gewesen. Er habe von dem Jungen nur die eine Hand gesehen und nicht gewusst, was in der anderen Hand sei. Der Kreis um ihn sei immer enger geworden und er habe sich bedroht gefühlt. Der Junge habe mit der einen Hand eine Bewegung gemacht und dabei auch die andere Hand gezeigt. Darin habe etwas geglänzt. Dies sei ein Messer gewesen. Dann habe er den Jungen mit dem linken Ellenbogen in den Kiefer geschlagen und der Junge sei zu Boden gefallen. Für einige Sekunden sei Stille eingetreten. Er habe gespürt, dass ihm heiß werde und sein Bein sich nass anfühle. Er habe nach unten geschaut und Blutflecken in der Nähe seines Schritts gesehen. Er könne nicht sagen, wer ihn verletzt habe, denn er habe es nicht gesehen. Er habe den Eindruck gehabt, dass es von hinten gewesen sei.

Dann habe er sich in Richtung A. entfernt. Auf der Hälfte des Weges sei N. mit den Mädchen zu ihm gekommen. Er habe zu ihnen gesagt, sie sollten aufpassen, denn jemand habe ihn mit dem Messer gerammt.

Von da an habe ihn nur interessiert, dass er viel Blut verlor. An der Kreuzung habe er sich umgedreht und eine Schlägerei gesehen, aber nicht, wer sich mit wem geprügelt habe.

Etwa beim Eingang von "Getränke Wolf" habe er versucht zu ertasten, wo er getroffen wurde. Er sei erschrocken gewesen und habe gesehen, dass er viel Blut verlor, und er habe versucht, die Blutung zu stoppen. In diesem Augenblick sei er von unbeschreiblichen Emotionen überwältigt worden. Er sei unten blutbeschmiert gewesen und habe gespürt, dass er immer schwächer werde. Er habe Schreie von B. gehört, sie habe gerufen, dass sie aufhören sollten, sich zu prügeln. In diesem Moment sei er erschrocken und mit letzten Kräften in ihre Richtung gegangen.

An der Ecke habe er gesehen, dass zwei Personen an der Haltestelle saßen. Es habe viel Lärm und viele Schreie gegeben. Eine von den Personen habe er getreten, aber dieser Tritt habe nicht stark sein könne, da er schon geschwächt gewesen sei, weil er eine Stichverletzung gehabt habe. Er habe sein rechtes Bein nicht heben können. Deshalb habe er die Person auch nicht stark treten können. Bis jetzt habe er noch Probleme mit dem rechten Bein. In diesem Augenblick sei alles auf ihn eingestürzt, Gefühle, Gedanken. Er habe keine Ahnung gehabt, dass diese Person vorher mit einer Flasche einen Schlag abbekommen habe.

Als er sich seinen Bekannten genähert habe, sei er schon sehr schwach gewesen und die anderen hätten zu weinen begonnen. N. und B. hätten ihn unter die Arme genommen und etwa 50 Meter weit weg getragen. Sie hätten gesehen, dass die Polizei komme. Aus dem Streifenwagen seien viele Polizisten gestiegen. Eine Polizistin sei zu ihm gekommen und habe gesagt, dass er schlecht aussehe und das Bewusstsein verlieren werde wegen des Blutverlustes. Sie habe gesagt, er solle sich auf den Boden legen und den Kopf auf ihren Schoß legen und er habe gespürt, dass er jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren könne. Einige Zeit später sei der Rettungswagen gekommen und habe ihn ins Krankenhaus gefahren.

Sodann sprach er der Familie S. sein Beileid aus. Er erklärte, er fühle mit ihnen und weine bis heute nachts über den Tod dieser einen Person; auch seine Familie nehme großen Anteil.

Gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen S. gab er zum Tatgeschehen an, einer der Männer habe etwas von einem "Messer" gesagt, woraufhin er sich zunächst zurückgezogen habe. Ein Messer oder einen ähnlichen Gegenstand habe er nicht gesehen. Den Mann habe er dann mit seinem Ellenbogen gegen den Kiefer geschlagen, dieser sei daraufhin zu Boden gegangen. Es sei für eine Weile Ruhe eingekehrt. Er habe einen Blutfleck auf der Hose bemerkt, dann habe N. ihm den Messerstich im Bein gezeigt. Er habe gedacht, sterben zu müssen. Nach einem Weg von etwa 30 Metern sei die Polizei gekommen und er habe sich hinlegen sollen. Fragen nach dem Geschehen um die S. wollte er gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen nicht beantworten.

b.) Einlassung des Angeklagten N.

Für den Angeklagten N. gab sein Verteidiger die folgende Erklärung ab:

Der Angeklagte könne den Ablauf der Nacht vom 14. auf den 15. Mai nicht mehr gut konstruieren. An die Auseinandersetzung habe er nur fragmentarische Erinnerung. Die Erinnerungslücken habe er im Nachhinein mit Informationen aus Gesprächen gefüllt.

Sie seien jedenfalls zur Geburtstagsfeier bei M. gewesen, er selbst, B., P. und D. Zuerst seien sie mit dem Taxi zu Rewe gefahren um dort Alkohol für die Party zu besorgen. Gegen 20:30 Uhr seien sie bei der Party angekommen. Dort habe es reichlich Alkohol gegeben. Er habe zahlreiche Mischgetränke getrunken, zum Beispiel mit Whisky, Rum und Wodka und außerdem Bier. Er sei wohl der jüngste Mann auf der Party gewesen, habe mit den Mädels getanzt und sei stark betrunken gewesen. Irgendwann seien alle Jungs draußen gewesen, es hieß, die hätten was eingekauft. Ein anderer Gast habe ihm Kokain angeboten und sie seien in den Keller gegangen, um das dort zu nehmen. Die Mädels sollten das nicht mitbekommen, denn er habe gefürchtet, sonst Ärger mit seiner Schwester zu bekommen. Zu zweit hätten sie ungefähr 1 Gramm Kokain geteilt. Das Kokain habe schnell gewirkt und er habe sich gut gefühlt. Dann sei die Stimmung gekippt. Seine Schwester habe gemerkt, dass er was genommen habe und sie habe ihn deshalb zur Rede gestellt. Es habe dann auch noch Stress zwischen B. und dem anderen Gast wegen des Kokains gegeben. Die Party sei dann vorbei gewesen und sie seien los. Zwischen B. und seiner Schwester sei auch schlechte Stimmung gewesen. Er erinnere sich noch, dass er schon in einem Taxi gesessen habe, dann aber wieder habe aussteigen müssen. Er glaube, dass er sich dann mit B. gestritten habe. Sie seien zu Fuß los. Er habe für den Weg eine Flasche mit einem Mischgetränk mitgenommen, aber ob er daraus getrunken habe, wisse er nicht mehr. B. und B. hätten sich laut gestritten.

Dann hätten sie Landsleute getroffen, die laut geredet hätten. Er habe ihnen zugeschrien, sie sollen nicht so laut sein und sie hätten irgendwas geantwortet.

Seine Schwester habe sein Verhalten nicht gut gefunden, denn sie habe nicht an sowas beteiligt werden wollen. Er habe deswegen eine Diskussion mit seiner Schwester gehabt. In seiner Erinnerung sehe er sich mit seiner Schwester auf der Brücke streiten. B. habe sich da entfernt. Später habe er erfahren, dass B. sich bei den anderen für sein Verhalten habe entschuldigen wollen. Er habe ihn nicht mehr gesehen, es sei auch dunkel gewesen.

Als er an der Abbiegung bei der Kreuzung angekommen sei, habe er mehrere Personen gesehen. Er habe gehört, wie B. geschrien habe, dass er ein Messer bekommen habe. Daraufhin sei er auf die Gruppe zugelaufen und habe, so glaube er, helfen wollen. Er könne nicht sagen, wie viele Personen da gewesen seien. Er habe Angst um B. gehabt und gedacht, dieser sei in Lebensgefahr.

Er habe mit zwei Männern gekämpft. Wie das genau gewesen sei, wisse er nicht mehr. Er habe Schläge von hinten bekommen, von wem wisse er nicht. Als er auf die Gruppe zugelaufen sei, habe er die Flasche in der Hand gehalten. Er habe mit der Flasche ausgeholt und um sich geschlagen und habe eine Person damit auch geschlagen, die sei zu Boden gegangen.

Die anderen seien weggelaufen. Er habe hinterher gewollt. Dann habe er B. gesehen, er glaube, auf dem Boden, und er habe ihn gestützt.

Er könne nicht ausschließen, dass er auf die auf dem Boden liegende Person eingewirkt habe.

Wohin er sie getreten habe, wisse er nicht. Er sei davon ausgegangen, dass es sich bei der auf dem Boden liegenden Person um einen Angreifer gehandelt habe.

Die Situation habe ihn überfordert. Er habe nicht gewusst, was er tun solle. Was B. und B. gemacht hätten, wisse er nicht. Er habe B. helfen wollen und die Wunde mit dem T-Shirt abgedrückt. Irgendwann sei die Polizei da gewesen.

Alles tue ihm leid. Ohne Drogen und Alkohol wäre das nicht derart eskaliert. Er habe Probleme mit Drogen und Alkohol und wolle daran arbeiten. Am liebsten würde er die Zeit zurückdrehen. Er wisse, dass er zum Tod von S. beigetragen habe, dies habe er aber nicht gewollt.

Gegenüber dem Sachverständigen gab er an, er habe an dem Abend viel getrunken und Kokain konsumiert. Er habe sich mit einem Partygast und mit seinem Schwager gestritten. Ansonsten sei seine Erinnerung lückenhaft, an eine körperliche Auseinandersetzung könne er sich nicht erinnern, auch vom Rest der Nacht wisse er nichts mehr.

c.) Würdigung der Einlassung des Angeklagten B.

Die Einlassung des Angeklagten B. kann den Feststellungen nicht zugrunde gelegt werden.

Seine Angaben zum Tatgeschehen sind lückenhaft und allein mit dem Schrecken über die eigene Verletzung nicht plausibel zu erklären. B. verhält sich insgesamt nicht zu einem Tatbeitrag des Mitangeklagten N., er zieht sich insoweit darauf zurück, nur eine Schlägerei in einiger Entfernung gesehen zu haben. Seine Ausführungen zum eigenen eingeräumten Tatbeitrag, einem angeblich leichten Tritt gegen eine am Boden sitzende Person, sind nicht nachvollziehbar. Denn es erschließt sich nicht, weshalb er einer - nicht näher beschriebenen - Person, die er mit einer weiteren Person an der Bushaltestelle sitzen sieht, überhaupt einen Tritt versetzt. Nach seiner Schilderung waren diese Personen an der Schlägerei nicht beteiligt, sondern saßen ruhig nebeneinander. Daneben ist schon unklar, was für eine Bewegung ein solch schwacher Tritt, bei dem das Bein kaum gehoben worden sein soll, darstellen soll. Völlig offen bleibt, mit welcher Absicht er diesen Tritt ausgeübt haben will, wenn nicht, um die Person dadurch zu verletzen.

Seine Ausführungen zu seiner körperlichen Verfassung während der Tat können sich auch nicht auf die weiteren Informationen aus den ärztlichen Unterlagen stützen und erscheinen insbesondere vor dem Hintergrund der sachverständigen Einschätzung seiner Verletzung als überzogen. Denn es waren die Muskeln am inneren Oberschenkel verletzt, nicht aber die großen Gefäße. Diese Verletzung mag für ihn durchaus schmerzhaft gewesen sein, konnte aber keine motorischen Einschränkungen oder einen Bewusstseinsverlust verursachen.

Die Kammer hat zur Art, der möglichen Ursache der Verletzung und der Auswirkungen auf die Motorik des B. die Sachverständige Dr. K., Fachärztin für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum H., hinzugezogen und gehört.

Diese erklärte, am 15. Mai 2023 den Angeklagten B. im Elbeklinikum S. untersucht zu haben, weil er als möglicher Geschädigter eines Körperverletzungsdelikts geführt worden sei. Sie habe ergänzend zur eigenen körperlichen Untersuchung Einsicht in die Krankenakte genommen und Lichtbilder der sichtbaren Verletzungen angefertigt. Diese Lichtbilder zeigen eine verschorfte, längliche Wunde von etwa 1 cm Länge.

Die Sachverständige führte aus, dass die Verletzung angesichts ihrer Beschaffenheit - etwa 1 bis 1,5 cm lang und ganz schmal - von einer Messerklinge herrühren könne. Es sei wahrscheinlich, dass der Angeklagte die Beine zum Zeitpunkt des Stichs geöffnet habe, etwa indem er sich leicht nach vorne gebeugt habe. Denn die Verletzung befinde sich in einer Körperregion, die kaum zugänglich sei, wenn der Angeklagte in aufrechter Haltung stehe. Bei der Wunde habe es sich um eine Schnitt- oder Stichwunde gehandelt, die chirurgisch versorgt, also genäht, worden sei.

Die Tiefe der Verletzung sei wegen der chirurgischen Versorgung nicht erkennbar gewesen. Es sei aber mit Sicherheit festzustellen, dass die etwa 5 cm tief liegenden Gefäße nicht getroffen worden seien. Denn ansonsten hätte sein Zustand deutlich schlechter gewesen sein müssen, die Blutung wäre weniger schnell versiegt und es hätte dann weitergehende Schäden geben müssen.

Der Zustand des Angeklagten sei unmittelbar bei der Aufnahme in den Rettungswagen bereits stabil gewesen. Schon zu diesem Zeitpunkt sei die Wunde ohne aktive Blutungszeichen gewesen, er habe einen einfachen Druckverband anstelle - wie bei ernsthafteren Stichverletzungen üblich - eines Verbands mit Abschnürung erhalten. Er habe zu keinem Zeitpunkt das Bewusstsein verloren. Er sei ansprechbar und wach gewesen. Bei der Aufnahme in den Schockraum im EKS habe die Blutgerinnung bereits eingesetzt. Die Blutung sei insofern verhältnismäßig schnell versiegt. Wieviel Blut er zuvor verloren habe, sei nicht klar feststellbar. Es könne sein, dass es zunächst - auch aufgrund der weiteren Bewegung des Beins - stark geblutet habe, dabei sei allerdings zu beachten, dass Textilien zumeist tatsächlich weniger Blut aufnähmen, als man angesichts einer blutdurchtränkten Hose etwa annehmen würde. Alle Parameter, insbesondere auch der Blutdruck und der Hämaglobinwert, hätten im Normbereich gelegen. Das Schmerzempfinden sei subjektiv; bei einer derartigen Verletzung sei es sowohl möglich, dass der Verletzte vor Schmerz aufschreie oder die Verletzung gar nicht wahrnehme. Häufig werde der Verletzte auch erst beim Anblick von Blut auf die Wunde aufmerksam. Die individuelle Empfindung werde weiter durch Alkohol und Adrenalin beeinflusst. Angesichts der Tatsituation und des getrunkenen Alkohols sei hier deshalb von einer geringeren Beeinflussung des B. auszugehen.

Zu den Auswirkungen führte sie weiter aus, dass allenfalls von einer Muskelverletzung ohne Folgeschäden auszugehen sei, die auch unmittelbar nach ihrer Beibringung zu Schmerzen, jedoch nicht zu motorischen Einschränkungen geführt haben könne. Dazu sei die Verletzung zu geringfügig. Sein allgemeiner Zustand, wie er sich aus den notärztlichen Dokumentationen ergebe, sei durchweg stabil gewesen, anderes sei angesichts der nur leichten Verletzung auch nicht zu erwarten. Es sei denkbar, dass der Blutverlust zu einem kurzen Absinken des Blutdruckes geführt habe, weshalb ihm möglicherweise schwindlig geworden sei. Es gebe aber keine medizinischen Anhaltspunkte für eine länger andauernde motorische oder psychische Beeinträchtigung oder gar für einen Zustand nahe der Ohnmacht oder der Geistesabwesenheit. Sein Zustand sei auch noch am Folgetag weiter unverändert stabil geblieben und er habe (nach der körperlichen Untersuchung durch sie) komplikationslos entlassen werden können. Es habe zu keinem Zeitpunkt eine akute oder potentielle Lebensgefahr bestanden.

Die Kammer schließt sich den Ausführungen der Sachverständigen nach eigener Würdigung an. Ihre Ausführungen sind auch im Detail nachvollziehbar und werden zudem bestätigt durch die Aussagen der übrigen Zeugen (einschließlich seiner Lebensgefährtin), von denen zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung keiner eine Beeinträchtigung im Gang und Bewegungsablauf wahrgenommen hat.

Schließlich steht die Einlassung des B. im Hinblick auf den Tathergang auch mit der Einlassung des N. in grobem Widerspruch. So gab B. etwa an, er sei wohl von einem der Männer aus der Gruppe um S. verletzt worden, er habe sich daraufhin von der Gruppe entfernt und habe dann erst in einiger Entfernung von der anderen Gruppe dem N. und den Frauen von einem Messerstich gegen ihn berichtet. N. hingegen erklärte, er habe B. in der Gruppe umringt von Menschen in Lebensgefahr geglaubt, weil er von dort seinen Schrei gehört habe, er habe ihm helfen wollen und deshalb mit zwei Männern gekämpft. Insofern widersprechen sie einander sowohl im Hinblick auf den Zeitpunkt, zu dem B. von dem Messerstich erfahren und dem N. davon berichtet hat, als auch im Hinblick auf die örtliche Situation, in der B. sich zu diesem Zeitpunkt befand. Die Aussage des B. zur Wahrnehmungsmöglichkeit vom Flaschenschlag steht außerdem im Widerspruch zu N. Angaben dazu. Denn B. meint, von einem Flaschenschlag des N. nichts mitbekommen zu haben, weil er sich entfernt habe, während der Schlag nach N. Einlassung in unmittelbarer Nähe des B. stattgefunden haben soll, um diesen zu verteidigen.

B. Angabe, wonach er laut aufgeschrien und gerufen habe, mit einem Messer gestochen worden zu sein, hat letztlich nur N. (jedoch in anderem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang) bestätigt. Niemand sonst berichtete von einem solchen Ausruf. Die Zeugin B. - von der anzunehmen ist, dass sie auf eine etwaige Gefährdung ihres Lebensgefährten besonders achten würde - hat weder einen derartigen Schrei gehört noch eine Verletzung wahrgenommen. Erst beim Davonlaufen vom Tatort hat sie demnach das Blut an B. Hosenbein bemerkt und von ihm erfahren, dass er mit einem Messer verletzt worden sei. K. und die Brüder S. haben dazu auch nichts berichtet. K. hat vielmehr ausdrücklich angegeben, sie habe von dem Einsatz eines Messers überhaupt erst nach der Tatnacht erfahren.

d.) Würdigung der Einlassung des Angeklagten N.

Bei der Einlassung des N. handelte es sich lediglich um eine von ihm bestätigte Verteidigererklärung, der bereits deshalb eine geringere Glaubhaftigkeit zukommt. Sie steht, wie oben aufgezeigt, im Widerspruch zu der Einlassung des B. Im Hinblick auf das Tatgeschehen bleibt sie vage und bezüglich des eigenen Tatbeitrags wenig detailreich und unbestimmt, wenn er von "Einwirkung" auf eine Person spricht. Damit kann eine Vielzahl von Handlungen gemeint sein. Seine Bewertung der Situation ist auch nicht an objektive Beobachtungen geknüpft. So ist unklar, aufgrund welchen Verhaltens er "die Person", welcher er einen Schlag versetzte, für einen Angreifer hielt. Seine inneren Beweggründe konnte N. nicht nachvollziehbar schildern. Insgesamt ließ er offen, mit welcher inneren Haltung er offenbar die S. schlug und trat.

e.) Tathergang

Die Feststellungen der Kammer zum Tathergang beruhen im Wesentlichen auf den glaubhaften Bekundungen der Zeugin K.

Zur Vorgeschichte erklärte sie, sie habe mit S. und deren Brüdern den Abend in S. Wohnung in der S. Innenstadt verbracht. Sie habe mit den Freunden einen Joint konsumiert, die anderen hätten Schnaps und Bier getrunken. Auf dem Weg ins Altländerviertel, wo sie Marihuana hätten kaufen wollen, seien sie auf die andere Gruppe getroffen. N. hätte auf Polnisch zu ihnen hinübergerufen, sie sollten die Fresse halten. Daraus habe sich ein verbaler Streit zwischen ihm und S. entwickelt. Sie hätte einander gegenseitig auf Polnisch beleidigt, so habe S. sinngemäß gesagt, er solle selbst die Fresse halten und sich verpissen.

Zum Kerngeschehen hat sie angegeben, B. - der große dünnere Mann - sei an der Kreuzung S./A. von hinten auf sie zugelaufen und habe S. angesprochen. Diese sei stehengeblieben und habe mit B. gesprochen, was, habe sie nicht hören können, weil sie selbst mit den Brüdern S. weitergegangen sei und in einigen Metern Entfernung an der Ecke gewartet habe. Das Gespräch sei zuerst ganz ruhig gewesen, dann hätten beide lauter gesprochen und sich wohl gestritten. B. hätte sie nur von hinten seitlich, S. von vorne links seitlich gesehen.

Da sei N. - diesen kenne sie vom Sehen aus S., er sei auch einmal bei ihr zuhause auf einer Party gewesen - aufgetaucht und quer über die Kreuzung gelaufen. Er habe nichts gesagt und sei einfach von hinten auf S. zugerannt. In der Hand habe er eine Flasche gehalten, mit der habe er ausgeholt und die Flasche von hinten gegen S. Kopf geschlagen. Die Flasche sei zerbrochen. S. sei einfach zu Boden gestürzt. Es sei alles ganz schnell gegangen. Sie selbst sei erschrocken, mit so etwas habe sie nicht gerechnet.

Nach einem Schreckmoment sei sie zu S. gelaufen, um ihr zu helfen und zu sehen, wie es ihr ginge. K. sei neben ihr gewesen. S. habe sich nicht bewegt und ihr nicht geantwortet, sondern nur leise gestöhnt. Aus ihrem Mund sei Blut gelaufen. Sie und K. hätten versucht, S. aufzurichten und von der Kreuzung wegzuziehen. Was die anderen zu dieser Zeit gemacht hätten, wisse sie nicht. N. und B. seien in diesem Moment nicht direkt bei ihnen gewesen, auch D. habe sie nicht gesehen. Die beiden Frauen aus der anderen Gruppe habe sie gar nicht wahrgenommen. Sie habe in diesen Sekunden nur auf S. geachtet. Sie und K. hätten S. untergehakt und sie ein paar Schritte - S. habe die Füße mitbewegt, sei aber nicht selbst gegangen, sondern sie hätten sie tragen müssen - in Richtung Bushaltestelle geschleift.

In diesem Moment habe sie gehört, wie N. gebrüllt habe, er werde sie alle umbringen. Als sie hochgeschaut habe, habe sie ihn auf sie drei zustürzen sehen. Sie sei erschrocken und habe Angst bekommen, dass er sie töte. Deshalb sei sie zurückgewichen. S., die in ihrem und K. S. Arm hing, habe sie dabei auf den Boden gleiten lassen. Auch K. sei einige Meter in Richtung Fußweg zurückgetreten und habe S. dann auch nicht mehr gehalten. So sei S. alleine auf dem Rücken liegen geblieben. S. habe sich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr bewegt; sie sei nicht aufgestanden oder weggerobbt, habe ihren Kopf nicht mit den Händen geschützt und sie habe auch nicht geschrien. Sie, die Zeugin, habe mitangesehen, was dann passiert sei, aber nichts tun können, nur geschrien. Sie habe einfach so große Angst gehabt.

Beide Angeklagten hätten mit den Füßen mehrfach wuchtig gegen S. Kopf getreten. Sie könne sich an N. noch bildlich erinnern. B. habe direkt daneben auch mit dem Fuß mehrfach zugetreten. Wie oft genau sie jeweils getreten hätten, könne sie nicht sagen, es sei aber jeweils mehrmals gewesen. N. habe nach ihrem Eindruck heftiger getreten.

Dann sei ein Auto gekommen und die beiden Angeklagten und die Frauen seien weggelaufen. Später habe D. ihr gesagt, dass er nach dem Flaschenschlag mit den beiden Angeklagten gekämpft und B. dabei wohl aus Versehen mit seinem Messer verletzt worden sei. Auf Nachfrage erklärte sie, sie selbst habe während des Geschehens von einem Messer nichts gehört und auch keines gesehen. Sie habe nicht gewusst, dass D. ein Messer dabeigehabt habe. Während des Geschehens habe sie nichts von einem Messer mitbekommen. Sie habe insbesondere nicht gehört, dass B. davon etwas gerufen habe. Bei B. habe sie auch keine Anzeichen für eine Verletzung wahrgenommen, insbesondere kein Blut am Bein oder ein Humpeln oder ähnliches. Mit welchem Bein er zugetreten habe, wisse sie nicht mehr. Er sei davongerannt, ohne dass ihr an seinem Gang etwas aufgefallen sei. K. und sie hätten sich um S. gekümmert. S. habe auf dem Rücken gelegen und sich nicht mehr bewegt. Sie habe sich auf den Boden gehockt und S. Kopf auf ihren Schoß gebettet. S. habe überhaupt nicht mehr reagiert. Sie, die Zeugin, habe den Arzt gerufen. Der Autofahrer habe angehalten, außerdem sei ein Bekannter, M. M., der zufällig in der Nähe gewesen sei, zu ihr gerannt gekommen und habe gefragt, was passiert sei. Dem habe sie nur die Richtung gezeigt in die die Angeklagten weggelaufen seien, er sei dann dorthin gelaufen. Zusammen mit K. habe sie bei S. gewartet, bis der Rettungswagen gekommen sei.

Gegen 4 Uhr nachts, als sie zuhause gewesen sei, habe N. ihr Nachrichten auf ihr Handy geschickt. Er habe wissen wollen, wer seinen Schwager mit einem Messer verletzt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe sie von einem Messer nichts gewusst. Er habe angedroht, zu ihr zu kommen und sie umbringen, er käme mit vielen Leuten, sie hätten Macheten dabei. Schließlich habe sie deshalb bei der Polizei angerufen. Sie habe ihm geglaubt und sich große Sorgen um ihre Mutter gemacht, mit der sie zusammenwohne.

Ihre Angaben sind aus sich heraus, aber auch in einer würdigenden Gesamtschau aller Beweismittel glaubhaft und die Kammer hat ihre Angaben daher ihren Feststellungen zugrunde gelegt. Sie werden durch mehrere weitere Zeugenaussagen und ihren Notruf im Kern gestützt. Sie stehen außerdem in Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. L. zur Todesursache.

Die Wahrnehmungsfähigkeit der Zeugin war uneingeschränkt vorhanden. Insbesondere war sie nicht beeinträchtigt durch Alkohol oder Rauschmittel, denn sie war ausweislich des bei ihr durchgeführten Atemalkoholtests mit 0,2 Promille um 02:40 Uhr kaum alkoholisiert. Der Marihuanakonsum war gering und lag mehrere Stunden zurück, so dass keine Auswirkungen auf ihre Wahrnehmungsfähigkeit bestanden. Außerdem war sie nicht unmittelbar beteiligt. Sie stand, wie es auch K. S. schilderte, während des Gesprächs zwischen S. und B. und dem dort erfolgten Flaschenschlag einige Meter entfernt von den beiden und im weiteren Verlauf während der Tritte ebenfalls einige Meter entfernt von S., N. und B. Der Tatort war ausweislich der Lichtbilder und der Angaben der Zeugen mit Straßenlaternen beleuchtet. Sie war also in der Lage, die Situation zu sehen, zu hören und sie auch intellektuell zu erfassen.

Sie hat ihre Wahrnehmungen detailliert geschildert und dabei auch Erinnerungslücken und fehlende Wahrnehmung (etwa zu der Frage, wo D. S. nach dem Flaschenschlag verblieben ist) offengelegt. Eine Belastungstendenz war nicht zu erkennen. Sie hat in sachlichem Ton die jeweiligen Handlungen der Beteiligten beschrieben. Dies gilt auch für die weiteren Bedrohungen, die N. ihr gegenüber noch in der Tatnacht aussprach. Die entsprechenden Sprachnachrichten auf polnischer Sprache gab sie inhaltlich sinngemäß wieder und betonte dabei, dass sie vor allem Angst um ihre Mutter gehabt habe. Sie erklärte, dass sie N. in diesem Moment einen Angriff auf sie auch zugetraut habe. Ihren Anruf bei der Polizei hat KHKin F. bestätigt. Sie gab auch umfassende Auskunft zum Randgeschehen und beschrieb insbesondere offen, dass auch von S. verbale Beleidigungen ausgegangen waren, auch wenn sie diese Beleidigungen im Einzelnen (ebenso wie die anderen Zeugen auch) mangels konkreter Erinnerung nicht mehr wiedergeben konnte. Außerdem räumte sie den Konsum von Betäubungsmitteln ein. Ihre Aussage enthielt nicht zuletzt auch eine (jedenfalls für sie so empfundene) Selbstbelastung, wenn sie beschreibt, dass sie die wehrlose S. alleine auf dem Boden liegen ließ und sich den beiden Angeklagten nicht entgegenstellte, als diese wieder auf sie zustürzten. Bei dieser Schilderung kamen ihr (erstmals) die Tränen, was die Kammer als Anzeichen des eigenen Schuldgefühls und des besonders starken Eindrucks wertet. Ihre Gefühle hat sie ansonsten nachvollziehbar, aber ohne besondere Hervorhebung geschildert.

Ihre Angaben zum Geschehen sind auch im Hinblick auf ihre polizeiliche Aussage, deren Inhalt die Zeugin KHKin F. als Vernehmungsbeamtin wiedergegeben hat, konstant. Insbesondere schilderte sie bereits damals, dass der Flaschenschlag durch N. völlig überraschend gekommen sei und die Tritte von B. und N. ausgeübt worden seien. Ausdrücklich gab sie an, dass sie zum Tatzeitpunkt selbst nichts von einem Messer gehört oder gesehen hatte, sondern ihr davon erst nachträglich von D. berichtet worden sei.

Die jeweiligen Tatbeiträge konnte die Zeugin zweifelsfrei zuordnen. Der Angeklagte N. ist ihr persönlich bekannt, so dass sie ihn in der Tatnacht und auch in der Hauptverhandlung wiedererkennen konnte. Er schrieb ihr im Übrigen auch gezielt die Drohnachrichten. N. hat seine Tathandlungen (Flaschenschlag, Tritte) grundlegend auch eingeräumt. Auch B. hat einen Tritt eingeräumt. Ein weiterer Mann gehörte dieser Gruppe nicht an.

Der in der Hauptverhandlung abgespielte Notruf (Notruf Schlag 2, Sonderheft Beweismittel) stützt ihre Aussage, denn dort nennt sie mit zunächst klarer Stimme ihren Standort und Namen und erläutert kurz die Notlage. Dann sagt sie, dass ihre Freundin am Boden liege und sich nicht mehr bewege, weil sie ganz schlimm gegen den Kopf getreten und geschlagen worden sei. In diesem Moment bricht ihre Stimme und sie beginnt zu weinen, im weiteren Gespräch bittet sie unter Tränen um schnelle Hilfe. Auch hieraus wird deutlich, dass die Zeugin zu diesem Zeitpunkt in der Lage war, die Situation zu erfassen. Die inhaltliche Schilderung der von ihr wahrgenommenen Verletzungsursache - Schlag und Tritte gegen den Kopf - stimmt überein mit ihren späteren Aussagen. Es erscheint fernliegend, dass sie gegenüber der Leitstelle hier falsche Angaben gemacht hat.

Ihre Angaben werden zudem gestützt durch die Aussagen der übrigen Zeugen. Dies gilt für den allgemeinen Tathergang und insbesondere für N. Flaschenschlag und die Tritte beider Angeklagten gegen S. Kopf.

Der Zeuge K. S. schilderte den Ablauf der Situation im Wesentlichen wie K. Er gab an, dass B. und S. zu zweit einander gegenüberstanden und ruhig miteinander sprachen, bis die Stimmung kippte und beide laut wurden. Dann, so gab auch S. an, sei auf einmal N. auf die zwei zugelaufen und habe der S. von hinten irgendetwas gegen den Kopf geschlagen, diese sei sofort zu Boden gestürzt. Er habe das Klirren von Glas gehört und Scherben auf dem Boden gesehen, weshalb er davon ausgehe, dass N. eine Flasche gegen ihren Kopf geschlagen habe. Er bekundete weiter, er habe sich N. entgegengestellt und sei selbst von ihm geschlagen worden, dann hätten N. und B. sich ein Stück weit entfernt. Was sein Bruder D. in dieser Zeit getan habe, könne er nicht sagen. Auch wo die Frauen aus der anderen Gruppe geblieben sein, wisse er nicht. Sie hätten aber sinngemäß auf Polnisch gerufen, N. sei "zugedröhnt", daran könne er sich erinnern. Er selbst habe versucht, die verletzte S. mit K. zusammen in Sicherheit zu bringen, da seien aber B. und N. auf sie zugestürzt. Er erinnere sich, dass B. der S. heftig mindestens zweimal gegen den Kopf getreten habe. B. habe mit Schwung kräftig gegen ihren Schädel getreten, "so wie man Fußball spielt". Er könne sich nicht erinnern, was N. gemacht habe. Auch an die Schuhe der Angeklagten könne er sich nicht mehr erinnern. Er habe unter Schock gestanden. Nach der Flucht der anderen Gruppe habe er sich mit K. um S. gekümmert, die bewusstlos gewesen sei und regungslos auf dem Boden gelegen habe. Dort hätten sie bei ihr gewartet, bis der Rettungswagen gekommen sei. Sie habe sich nicht mehr bewegt. Insgesamt habe das Geschehen vielleicht 5 Minuten gedauert. Erst im Nachhinein habe er erfahren, dass ein Messer eine Rolle gespielt haben soll und B. wohl verletzt worden sei. Bei B., so erklärte er auf Nachfrage, habe er nichts Auffälliges gesehen, insbesondere kein Blut, das habe er nur bei seiner Schwester gesehen. Als die anderen weggelaufen seien, habe B. nicht gehinkt oder dergleichen. Die Tritte von B. vorher seien kräftig gewesen.

Auch diese Aussage war glaubhaft. Schlussfolgerungen - etwa die Verwendung einer Glasflasche als Schlagwerkzeug - hat der Zeuge von Wahrnehmungen deutlich abgegrenzt. Anschaulich schilderte er, wie erschrocken er über den aus seiner Sicht unvermittelten Schlag des N. war, den er zwar herankommen sah, aber nicht als bedrohlich wahrnahm. Seine Wahrnehmungslücken im Hinblick auf das Geschehen und die Handlungen der einzelnen Beteiligten sind angesichts des dynamischen Geschehens nachvollziehbar, er hat sie auch von sich aus eingeräumt. Seine Gemütsverfassung an jenem Abend beschrieb er in wenigen Worten, ohne darauf besondere Betonung zu legen. Er hat keine Belastungstendenz gezeigt. Ein gesteigertes Interesse an der Strafverfolgung war nicht zu erkennen, so hat er wegen der durch ihn geschilderten gegen ihn verübten Schläge keinen Strafantrag gestellt. In seiner polizeilichen Aussage hat er nach der entsprechenden Angabe der KHKin F. das Kerngeschehen genauso beschrieben, so dass seine Bekundungen auch konstant sind.

Auch D. S. hat den Ablauf bis zu seiner Flucht entsprechend geschildert. Er gab an, es habe zunächst eine Pöbelei auf Polnisch zwischen N. und seiner Schwester gegeben. Welche Beschimpfungen es genau gegeben habe, wisse er nicht mehr. Sie seien dann schneller weitergegangen, um die anderen hinter sich zu lassen. Er habe dann aus der Jackentasche ein Messer geholt, weil er den Eindruck gehabt habe, dass die andere Gruppe sie verfolge. Das sei ein Taschenmesser mit einklappbarer Klinge mit einer Länge von vielleicht 10 cm gewesen. Die Klinge sei beim Ausklappen lose gewesen. Er habe das Messer mit der ausgeklappten Klinge nach vorne in seinen Jackenärmel geschoben. B. habe sie dann eingeholt und ganz ruhig angesprochen. Er habe sich für N. entschuldigt, weil dieser so aggressiv gewesen sei. Die Situation sei entspannt gewesen. Auf einmal sei N. aufgetaucht und habe ohne ein Wort seiner Schwester von hinten mit irgendetwas gegen den Kopf geschlagen. Womit er zugeschlagen habe, habe er, der Zeuge, nicht sehen können, weil es ziemlich dunkel gewesen sei. Er habe aber gesehen, wie N. mit dem Arm ausgeholt habe und dann auch das Splittern von Glas gehört, deshalb glaube er, es sei eine Glasflasche gewesen, mit der N. zugeschlagen habe. Seine Schwester sei sofort zu Boden gegangen. Sein Bruder und K. seien zu S., um ihr beim Aufstehen zu helfen, während er sich vor sie gestellt habe, um sie zu schützen. In etwa einem halben Meter Entfernung habe N. ihm gegenübergestanden, B. seitlich von ihm. N. habe ihn sofort an der Kapuze gepackt und diese nach unten gezogen, so dass er nach unten gedrückt worden sei, B. habe zugleich versucht, ihn von rechts mit dem Bein ins Gesicht zu treten. Um seinen Kopf zu schützen, habe er, der Zeuge, seine Arme über den Kopf gehalten. Das Messer habe er dabei mit der Klinge nach unten in der rechten Hand gehalten. Zu dritt hätten sie gerangelt. N. habe ihn weiter nach unten gedrückt und festgehalten und B. ihn mehrfach getreten, aber dabei nicht sein Gesicht, sondern nur seine Arme getroffen. Wahrscheinlich habe sich B. zu diesem Zeitpunkt irgendwie an der Klinge verletzt. Die lose Klinge sei nämlich eingeklappt und habe ihn dabei leicht in den Finger geschnitten. Das habe er aber erst später gemerkt. Er habe es dann geschafft, sich loszumachen und wegzurennen. B. und N. seien ihm noch kurz hinterhergelaufen. Dabei habe er nicht gemerkt, dass B. verletzt sein könnte. Er habe ihn nicht verletzen wollen. Er selbst sei schnell weggerannt und habe das Messer ins Gebüsch geworfen. Was in der Zeit seine Geschwister und K. gemacht hätten, wisse er nicht, er sei danach in ihre Wohnung zurückgekehrt. Er könne auch nichts dazu sagen, was B. und N. nach seiner Flucht gemacht hätten.

Auch seine Aussage ist glaubhaft, wofür insbesondere spricht, dass er eigenes mögliches Fehlverhalten eingeräumt hat. Auch den Umstand, dass er weggelaufen ist und den anderen nicht weiter zur Seite stand, hat er offen beschrieben. Nachvollziehbar und in Übereinstimmung mit K. S. und K. hat er angegeben, den Schlag habe N. von hinten seiner Schwester gegen den Kopf versetzt. Aus seiner Sicht sei dieser völlig unerwartet gekommen. Seine Schilderung des Gerangels mit B. und N. ist insbesondere glaubhaft vor dem Hintergrund der Ausführungen der Sachverständigen Dr. K., wonach aufgrund der schweren Zugänglichkeit der verletzten Stelle davon auszugehen sei, dass B. in gebückter Haltung das Bein nach außen gespreizt habe. Diese Position nimmt ein, wer mit dem rechten Knie einer anderen, vornübergebeugten Person ins Gesicht tritt. Genau diese Handlung hat S. bei B. beschrieben.

Die Beschaffenheit der Schuhe beider Angeklagten, jeweils feste Turnschuhe mit Hartgummisohlen, ergibt sich aus der Aussage des am Tatort eingesetzten PK D. sowie aus den Lichtbildern aus dem Einkauf im Supermarkt am Abend vor der Tat, die die Angeklagten mit festen Turnschuhen zeigen, sowie den Erläuterungen der KHKin F. zu den bei den Angeklagten jeweils sichergestellten Turnschuhen.

Das Tatgeschehen, wie K. es geschildert hat, steht zudem auch im Einklang mit den Angaben der Zeugin B.

B. hat als Schwester des Angeklagten N. im Hinblick auf das Verhalten ihres Bruders zu bestimmten Zeitpunkten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO Gebrauch gemacht. Zum Vorgeschehen erklärte sie, N. habe sich aus ihrer Sicht unpassend gegenüber der Gruppe um S. verhalten, es seien beleidigende Worte gefallen und sie habe ihn deshalb kritisiert. Er habe aber nicht einsehen wollen, dass auch er mit seiner beleidigenden Ansprache einen Fehler gemacht habe, sondern weiter nur die andere Gruppe als Provokateure betrachtet. Sie hätten deshalb auf dem Heimweg gestritten. B. habe sich bei der anderen Gruppe entschuldigen wollen für das aggressive Auftreten ihres Bruders. Er sei deshalb voraus gelaufen, hin zu der anderen Gruppe. Das habe er ihr gesagt. Sie habe nicht gehört oder gesehen, was dort passiert sei. Sie habe insbesondere nicht gehört, dass B. etwa von einem Messer gerufen habe. Auf der Kreuzung sei N. auf einmal losgelaufen und auf B. zu gerannt, weshalb habe er ihr nicht gesagt. Für sie sei dies unvermittelt und aus der Situation heraus nicht erklärlich gewesen. Sie sei ihm gefolgt, weil sie nicht gewusst habe, was los sei. N. sei hinter ihr gewesen. Sie habe gesehen, dass B. weg von der Gruppe in die andere Richtung gelaufen sei. Von einem Messer habe sie nichts gesehen oder gehört. Sie habe bei ihm auch erst später Blut am Bein gesehen und auch keine Auffälligkeiten im Gang bemerkt. Er sei ganz normal gelaufen. S. sei ihr entgegen gekommen mit erhobenem Arm, weshalb sie geglaubt habe, S. wolle sie schlagen. Sie sei stehengeblieben und habe die Augen geschlossen. Sie habe aber gesehen, dass S. ihren Bruder geschlagen habe. Zu dem Verhalten des N. wollte sie keine Angaben machen. S. sei danach zu Boden gestürzt. B. sei zu diesem Zeitpunkt anderswo gewesen, sie habe ihn erst wiedergesehen, als S. schon am Boden lag. Er habe einmal mit dem Bein gegen S. getreten, wohin, wisse sie nicht mehr. Es sei aber das verletzte Bein gewesen. In diesem Moment sei auch N. bei der am Boden liegenden S. gewesen. Sie habe ihn festhalten müssen; eine Aussage dazu, weshalb sie dies tat, wollte sie nicht machen. B., so gab sie jedoch ausdrücklich an, habe zu diesem Zeitpunkt die S. getreten. Ihn habe sie - anders als den N.- aber nicht festhalten müssen. Sie und N. hätten N. schließlich weggezogen. Da habe S. sich nicht mehr bewegt. Sie seien dann weggelaufen. B. habe gehinkt und habe dann auch nicht mehr laufen können. Er habe vor Schmerzen geschrien und sei immer blasser geworden, die Blutung habe zugenommen, so dass sie sich hinsetzen mussten. Er habe ihr die Wunde gezeigt und gesagt, dass er nicht wisse, wer zugestochen habe.

Die Lücken in ihrer Aussage können mit den Erkenntnissen aus anderen Beweismitteln gefüllt werden. Neben den übrigen Zeugenaussagen gelingt dies mit den Nachrichten, die B. im auf Polnisch geführten Whatsapp Chat mit einer "M" versendet hat. So schrieb sie am 15.05.2022 mittags auf die Frage der Chatpartnerin, wer die S. fertiggemacht habe, dass es zuerst A. (so nannte sie ihren Bruder) gewesen sei. Sie führte weiter aus, sie habe ihn festhalten müssen, denn sonst hätte er sie umgebracht.

Insgesamt erscheinen ihre Angaben durchaus glaubhaft. Ihre Ausführungen, wonach sie gesehen habe, dass S. den N. geschlagen habe, sind indes unglaubhaft. Denn im Moment des Schlages will sie ihre Augen geschlossen haben und wäre demnach nicht in der Lage gewesen, zu sehen, ob und wen S. geschlagen hat. Einen Schlag von S. gegen N., bevor dieser ihr den Flaschenschlag versetzte, beschrieb außerdem keiner der Beteiligten, insbesondere auch N. selbst nicht.

Der Flaschenschlag des No. lässt sich nach alledem belegen durch die Angaben der K. und der Brüder S. Für die Verwendung einer Glasflasche sprechen auch die asservierten Funde am Tatort, namentlich die Scherben einer Wodkaglasflasche. Auch dass S. daraufhin zu Boden stürzte, haben alle Zeugen übereinstimmend erklärt. N. hat zumindest in objektiver Hinsicht eingeräumt, mit einer Flasche eine Person geschlagen zu haben, die deshalb stürzte.

Beide Angeklagte haben zur Überzeugung der Kammer zusammen und gleichzeitig gegen den Kopf der S. getreten, als diese auf dem Boden lag. Für B. schilderten dies K. S., K. und B. Aus deren Chatnachricht ("zuerst A.") ergibt sich zudem, dass nach N. auch B. die S. angegriffen hat. B. selbst hat einen leichten Tritt eingeräumt. Die Tritte von N. beschrieb K. Dies stützt auch die Chatnachricht von B. (musste ihn festhalten, er hätte sie sonst umgebracht). N. räumte ein unbestimmtes Einwirken auf die wegen des Flaschenschlags auf dem Boden liegende Person ein.

Soweit die Zeugin N. abweichende Angaben zum Tatgeschehen gemacht hat, wird diesen nicht gefolgt. Die Aussage der N. ist insgesamt unglaubhaft. N. gab im Kern an, dass S. die Männer mit Fäusten angegriffen habe, zwar kurz zu Boden gegangen, dann aber wieder aufgestanden sei und B. und N. weiter geschlagen habe. Die auf Lichtbildern dokumentierten Verletzungen der S. könne sie nicht erklären, möglicherweise seien ihre diese von den Brüdern zugefügt worden. Zum Messer gab sie an, sie habe auf der Kreuzung ein Messer im Oberschenkel des Angeklagten B. gesehen, das dieser eigenhändig herausgezogen habe. Diese Angabe ist schon angesichts der Genese unglaubhaft. Denn sie berichtete davon erstmals in der Hauptverhandlung und erweiterte damit - wie sich aus der glaubhaften Angabe der Ermittlungsführerin KHKin F. ergibt - im Vergleich zu ihrer polizeilichen Vernehmung ihre Aussage um einen wesentlichen Punkt. Vor allem aber beschreibt sie damit ein Ereignis, das niemand - auch nicht B. selbst - geschildert hat. Letztlich will sie vom Tatgeschehen nur am Rande mitbekommen haben, dass die Angeklagten mit der anderen Gruppe gekämpft hätten. Sie habe durchgehend an N. Rücken gehangen und sich von hinten an ihn geklammert, weshalb sie nicht habe sehen können, was er mit Armen und Beinen getan habe. Ihre Aussage war damit stark davon geprägt, die Angeklagten zu entlasten, in sich offensichtlich lückenhaft, in wesentlichen Punkten (etwa dem Messer in B. Bein) nicht konstant und stimmte, wie ausgeführt, auch nicht überein mit den Angaben der übrigen Zeugen. Die Kammer misst ihrer Aussage deshalb insgesamt keinen relevanten Beweiswert zu.

Dem Hilfsbeweisantrag des Rechtsanwalts R., dem sich auch Rechtsanwalt J. angeschlossen hat, auf eine nochmalige Vernehmung der Zeugin K. war nicht nachzukommen.

Die maßgebliche Aufklärungspflicht erforderte die erneute Vernehmung nicht, denn die Zeugin wurde zu dem identischen Beweisthema bereits vernommen.

Eine nochmalige Vernehmung liefe auf eine Wiederholung der Zeugenvernehmung hinaus. Die Zeugin hat, wie dargestellt, bereits detaillierte Angaben dazu gemacht, wo und auch in welcher Position die S. sich nach der Flucht der Angeklagten, während des Hinzukommens von M. und danach bis zum Eintreffen der Polizei befand. Sie hat insbesondere in Übereinstimmung mit K. S. beschrieben, dass sie bei ihr hocken blieb und S. sich nicht mehr bewegte. Hieraus ergibt sich ausdrücklich, dass S. nach der Flucht der Angeklagten gerade nicht aufstand.

Ein anderes legt auch die Aussage des Zeugen M. nicht nahe. Dieser gab glaubhaft an, er sei mit Freunden in der Nähe Bier trinken und sei schon ziemlich angetrunken gewesen, als er plötzlich schreckliche Schreie gehört habe. Um zu helfen, sei er in Richtung Kreuzung gelaufen. Dort habe er in einigen Metern Entfernung auf dem Boden seine Bekannte K. gesehen, die bei einer anderen Frau auf dem Boden gehockt habe. Die andere Frau habe auf dem Boden gelegen und sich nicht geregt. Er habe viel Blut auf dem Boden und an der Frau gesehen und sei geschockt gewesen. K. habe ihm auf seine Nachfrage, was los sei, zugerufen, dass sie angegriffen worden seien und die Täter in Richtung Altländervierteil weggerannt seien. Er sei ohne Anzuhalten direkt weiter in diese Richtung gelaufen. Wo genau die K. und die andere Frau sich befunden hätten, wissen er heute nicht mehr mit Sicherheit, auch, weil es dunkel gewesen und er schon alkoholisiert gewesen sei. Er meine, dass sie sich am Anfang der Bushaltehaltbucht in der Nähe des Gebüschs befunden hätten. Daraus lässt sich indes keine klare Einordnung gewinnen, wo exakt sich bei Hinzukommen des M. die K. und S. befanden; stattdessen wird deutlich, dass S. am Boden lag, blutete und nicht auf ihn reagierte. Aus seiner Bekundung ergibt sich insofern kein Widerspruch zu den Aussagen der Zeugin, wonach S. sich nach den Tritten nicht mehr bewegt habe und sie mit ihr auf dem Boden hockte.

Das im Antrag in Bezug genommene Lichtbild hat ebenso keinen Anlass geboten, die Zeugin nochmals zu vernehmen. Zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung am 04.04.2023 war das Lichtbild bereits in Augenschein genommen worden, so dass ihre Angaben vor dem Hintergrund dieses Lichtbildes hinterfragt wurden. Das Bild wurde wie alle Lichtbilder durch die Polizeibeamten bei der Sachverhaltsaufnahme gefertigt. Es ist S. zu sehen, ihr Rücken ist dem Fußweg zugewendet. Sie liegt auf dem Boden in stabiler Seitenlage auf der linken Seite, das rechte Bein über das linke gelegt, ihr Knie auf dem Pflaster abgestützt. Das Gesicht ist dem Betrachter zugewendet. Drei weitere Personen sind teilweise abgebildet. Neben der Geschädigten kniet ein Mann in Sicherheitsweste, es sind neben und hinter ihr Füße mit festen Schuhen, wie Beamte sie tragen, zu erkennen. Weder K. noch K. S. sind zu sehen. Das Bild gibt offensichtlich nicht die Situation wieder, in der M. sie - kurz im Vorbeirennen - gesehen hat. Hieraus zu schlussfolgern, S. habe sich aufgerichtet und sei zu Fuß einige Schritte gegangen, entbehrt daher einer Grundlage. Nichts spricht dafür, dass entgegen den Aussagen der K. und des S. diese Lageveränderung auf eigene Schritte der S. zurückzuführen sein könnte. Dies erscheint auch nach den Angaben der Sachverständigen Dr. L. fernliegend.

Für eine nochmalige Vernehmung bestand daher kein Anlass.

f.) Kein Verteidigungswillen des Angeklagten N. zum Zeitpunkt des Flaschenschlags

Die Kammer ist überzeugt davon, dass N. der S. gegenüber aus eigenem Antrieb heraus gewalttätig geworden ist und nicht mit Verteidigungswillen handelte.

Die objektiven Tatumstände ergeben keine Anhaltspunkte für einen gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff der S. auf B. S. und B. standen allein nebeneinander. Alles, was N. hören konnte, war das Gespräch zwischen den beiden, also eine Frauenstimme und die Stimme seines Schwagers. Die Brüder S. warteten einige Meter entfernt von den beiden. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte auch kein Ausruf des B. wonach er mit dem Messer gestochen worden sei. Dies hat insbesondere auch B. so bekundet. Zu der Stichverletzung kam es vielmehr erst nach dem Flaschenschlag und dem Sturz der S. Dies ergibt sich aus den insoweit übereinstimmenden Angaben der K., des K. S. und des D. S. Demnach versetzte N. der S. zuerst den Flaschenschlag, danach kam es zum Gerangel und B. wurde dabei verletzt.

Auch nach dem subjektiven Vorstellungsbild des N. ging von S. kein Angriff auf B. aus. Aus seiner eigenen Erklärung ergibt sich ausdrücklich nur, dass er auch S. für einen "Angreifer" gehalten habe. Eine konkrete Handlung oder ein Verhalten, das ihn zu dieser Einschätzung brachte, beschrieb er nicht. Zudem will er sich anfänglich mit zwei Männern, dann erst mit S. auseinandergesetzt haben. Auch aus den Nachrichten, die er in der Nacht an K. gesendet hat, geht hervor, dass er weiterhin davon ausging, nicht die S., sondern einer der Männer aus ihrer Gruppe habe das Messer geführt und seinen Schwager angegriffen. Insofern ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welches Verhaltens er die S. zum Zeitpunkt seines Flaschenschlags als bedrohlich für B. empfunden haben sollte. Die Einordnung der S. als "Angreifer" erscheint vor diesem Hintergrund als nachträgliche Schutzbehauptung.

Vor diesem Hintergrund ist die Kammer davon überzeugt, dass N. nicht von Verteidigungswillen geleitet war, als er S. die Flasche gegen den Kopf schlug.

g.) Ursache für den Tod der S.

Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass der Tod der S. durch die Einwirkungen der beiden Angeklagten verursacht wurde. Der Flaschenschlag des Angeklagten N. war kausal, weil er dazu führte, dass S. zu Boden ging, verletzt und benommen war und sich deshalb gegen die weiteren Angriffe nicht wehren konnte. Der Schlag kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass ihr Tod entfiele. Die danach gegen ihren Kopf versetzten wuchtigen Tritte der beiden Angeklagten verschlechterten ihren Zustand weiter und beschleunigten ihren Tod. Es kann ausgeschlossen werden, dass sonstige Umstände, etwa Vorerkrankungen und Behandlungsfehler, ihren Tod (mit-)verursacht haben.

Dies ergibt sich aus den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen Dr. L., Ärztin, Universitätsklinikum E., Institut für Rechtsmedizin, Zentrum für Diagnostik, die die Kammer für die Frage der Todesursache hinzugezogen und in der Hauptverhandlung gehört hat. Sie hat ihr Gutachten auf der Grundlage der Verfahrensakten, der Behandlungsunterlagen und einer Untersuchung der S. vor Todeseintritt gefertigt.

Die Sachverständige erklärte, zunächst die Unterlagen des Krankenhauses, insbesondere zur notärztlichen Erstversorgung, ausgewertet zu haben. Hieraus ergebe sich, dass S. am 15.05.2022 um 02:58 Uhr mit der Vermutung eines schweren Schädelhirntraumas in die Notaufnahme eingeliefert worden sei. Es habe aus medizinischer Sicht eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorgelegen; schon bei der Erstuntersuchung durch den Notarzt sei der niedrigste Wert der Skala erreicht worden. So habe S. vor Ort bereits keinerlei Reaktion gezeigt und sei durch den Notarzt sofort intubiert und beatmet worden. Im Krankenhaus sei sie umgehend notoperiert worden, wobei die harte Hirnhaut und ein Teil der Schädelkalotte entfernt worden sei, man den Hirndruck gemessen und nach teilweiser Ersetzung der Hirnhaut den Schädel wieder geschlossen habe.

Durch stumpfe Gewalteinwirkung auf den Schädel sei ein großflächiges Hämatom entstanden, was zu einer Blutung und Schwellung und daraufhin zur Abklemmung wichtiger Areale des Gehirns geführt habe. Eine derartige Blutung unter der harten Hirnhaut sei wegen der Einklemmung des Gehirns und der Erhöhung des Hirndrucks zu 50-90 % tödlich. Es habe zu jedem Zeitpunkt akute Lebensgefahr bestanden. Im Anschluss an die Notoperation seien die üblichen Maßnahmen unternommen worden, die jedoch nicht zu einer Besserung des Zustands geführt hätten. Kurzfristige Zustandsveränderungen seien typisch bei einem Schädelhirntrauma, denn die Hirnschwellung sei veränderlich. Die Schwellung könne sich zeitweise entspannen und dann wieder zunehmen, was zu einer weiteren Verschlechterung führe, darum sei dieser Zustand auch so sensibel. Dies erkläre auch, weshalb die Prognose unsicher sei und die Einschätzung der Lage sich jederzeit ändern könne, wie etwa die zunächst eher als eher günstig eingeschätzte Überlebenswahrscheinlichkeit durch den behandelnden Arzt Dr. K. am 16.05.2022, dem Morgen nach der Notoperation, und die Verschlechterung wenige Tage später zeige. Am 23.05.2022 habe man schließlich unter Einhaltung der Standards den Hirntod festgestellt.

Die Sachverständige hat weiter ausgeführt, sie habe S. auf der Intensivstation am 17.05.2022 untersucht. Zu diesem Zeitpunkt habe die Geschädigte im künstlichen Koma gelegen und sei nicht ansprechbar gewesen.

An S. Körper seien EEG-Sonden, Zugänge, ein Intubationsgerät und eine Magensonde angebracht gewesen. Links lokalisierbar sei das subdurale Hämatom und eine Quetschwunde erkennbar gewesen. S. habe an der linken Seite des Schädels und neben dem linken Auge eine Wunde gehabt, an der linken Schläfe sei getrocknetes Blut sichtbar gewesen. Ihr rasierter Kopf sei von einem Baumwollverband umhüllt gewesen. Die Oberlippe habe einen blutigen, bereits genähten, Riss gezeigt, ein Frontzahn habe gefehlt. Über den Körper verteilt seien kleinere ältere blaue Flecken erkennbar gewesen, nämlich an den Armen, dem Bauch und in Leistennähe. Auffällig seien große blaue Flecken auf beiden Knien und Schürfwunden am Schienbein und den Unterschenkeln gewesen. Die Körperrückseite sei unverletzt gewesen. Auch die inneren Organe seien unverletzt gewesen, was sie später dem Sektionsbericht entnommen habe. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine Vorverletzung des Gehirns. Sie sei 1,60 Meter groß und 60 kg schwer gewesen.

Bei S. habe ein schweres Schädelhirntrauma mit einer deutlichen Hirnschwellung vorgelegen. Auch bei der Sektion und im CT seien im Gehirn Blutungen gesehen worden. Auch die Schwellung sei bei der Sektion noch vorhanden gewesen. Die Art der Verletzung erfordere eine stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Kopf. Die Kopfverletzung und die übrigen Verletzungen seien zwanglos in Einklang zu bringen mit einem Sturz zu Boden, Schlägen und Tritten gegen den Kopf. Es sei jeweils plausibel, dass S. einen Schlag mit einer Flasche gegen den Kopf erhalten habe, zu Boden gestürzt und gegen den Kopf getreten worden sei.

Schläge in das Gesicht hinterließen nicht zwingend kräftige Einblutungen und blaue Flecken; häufig komme es vor, dass die Schwellung versacke und sich etwa vom Ohr nach unten ziehe, obwohl ein Schlag auf den Hinterkopf geführt worden sei. Die zu erkennende Augenschwellung sei typisch nach Schlägen oder Tritten in das Gesicht.

Ein Sturz sei insbesondere plausibel aufgrund der Hämatome am Schienbein und am Knie. Es sei dort nur Unterhautfettgewebe verletzt gewesen, nicht aber die Muskulatur und es habe auch keine Knochenbrüche gegeben. Flächige Hämatome an den Knien könnten sowohl durch einen Sturz als auch durch Tritte verursacht worden seien. Hier sei ein ungebremster Sturz wahrscheinlich, weil die Handinnenflächen unverletzt seien, daher sei davon auszugehen, dass die Geschädigte sich nicht abgestützt habe, sondern direkt auf Knie und Ellenbogen gefallen sei. Bei Tritte seien zusätzlich Schürfwunden zu erwarten, die hier fehlten.

Der abgebrochene Vorderzahn korrespondiere mit dem blutigen Riss in der Mundschleimhaut. Zwar könne dies theoretisch auch bei der Intubation durch den Notarzt passiert sein, ein solches Vorkommnis sei aber eher ungewöhnlich und werde vermerkt, was hier nicht der Fall sei. Insofern sei davon auszugehen, dass der Riss und der Verlust des Zahnes bereits durch die Einwirkung auf den Kopf entstanden seien.

Das Subduralhämatom sei durch die Gesamtheit der Einwirkungen, also etwa einen Sturz, Tritte und Schläge gegen den Kopf als Gesamtkomplex, entstanden. Dies alles sei stumpfe Gewalteinwirkung und im Einzelnen in der Wirkung nicht unterscheidbar. Es sei nicht möglich, das Hämatom bestimmten einzelnen Einwirkungen zuzuordnen. Die Anzahl und Art der Einwirkungen könne anhand dieser Verletzung nicht konkretisiert werden. Die Einwirkungen zusammen genommen seien die Ursache für das Hämatom. Tritte nach einem Flaschenschlag hätten mit Sicherheit zu einer Verschlechterung des Zustands geführt und das Trauma verschlimmert.

Allein ein Schlag auf den Kopf mit einer Flasche habe eher nicht selbstständig zu einem so großflächigen Subduralhämatom geführt. Es sei möglich und plausibel, dass S. nach dem Flaschenschlag und dem Sturz noch nicht bewusstlos und möglicherweise auch noch ansprechbar gewesen sei. Hier sei die Geschädigte allerdings schon nach dem Flaschenschlag gestürzt und in der Folge offenbar nicht mehr orientiert gewesen, so dass davon auszugehen sei, dass die Blutung rasch entstanden sei. Es sei angesichts des weiteren Verlaufs auszuschließen, dass sie nach den darauffolgenden Tritten noch selbst habe sitzen oder gar gehen können. Nach den Angaben der den Notruf absetzenden Person habe sie zum Zeitpunkt des Anrufes auf Ansprache nicht mehr reagiert. Im Rettungswagen jedenfalls sei sie aufgrund ihres Zustands sofort intubiert worden und vollständig bewusstlos gewesen. Es habe akute Lebensgefahr bereits zum Zeitpunkt der Behandlung durch den Notarzt im Rettungswagen bestanden. Ein Blutalkoholwert sei nicht bestimmt worden. Ein hoher Wert sei aber ohnehin ohne Konsequenz geblieben, denn sie sei bewusstlos gewesen und habe in jedem Fall sofort operiert werden müssen.

Die Kammer schließt sich nach eigener Würdigung den nachvollziehbaren und anschaulichen Ausführungen der Sachverständigen an. Die Sachverständige ist Ärztin der Rechtsmedizin. Ihre Prüfungsschritte und Erwägungen hat sie ausführlich dargetan und ihre Ergebnisse einleuchtend begründet. Nachfragen beantwortete sie detailliert und unter Bezugnahme auf konkrete Umstände, die ihr aus den Krankenunterlagen bekannt waren. Ihre Ausführungen werden gestützt durch die übrigen Beweismittel, insbesondere die Angaben der Zeugin K. zu den einzelnen Tathandlungen und den Angaben der Zeugin KHKin F. zur Entwicklung des Zustandes der S.

Der Hilfsbeweisantrag des Rechtsanwalts R. auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, dem sich auch Rechtsanwalt J. angeschlossen hat, war gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO abzulehnen. Denn durch das vorstehend referierte Gutachten ist das Gegenteil der behaupteten Tatsache - eine Fehlbehandlung - bereits erwiesen.

Die durch die Kammer hinzugezogene medizinische Sachverständige Dr. L. wurde zu eben diesem Beweisthema bereits gehört. Sie war zu Angaben angesichts ihrer beruflichen Ausbildung und Erfahrung auch befähigt. Auf die entsprechende Frage des Rechtsanwalts R. gab sie in der Hauptverhandlung ausdrücklich an, dass es keinerlei Anhaltspunkte für eine Fehlbehandlung durch den Notarzt oder im Krankenhaus gebe. Der Krankheitsverlauf sei insgesamt plausibel mit dem Tatgeschehen in Einklang zu bringen. Sie erläuterte zu den durch die Verteidigung abgefragten kurzzeitigen Verbesserungen des Zustands, dass derartige Veränderungen typisch für das Verletzungsbild seien und diese gerade nicht auf eine etwaige Fehlbehandlung hinwiesen. Dies erklärte sie gerade auf den spezifisch im Hilfsbeweisantrag genannten Vorhalt. Sonstige Anhaltspunkte, die auf eine etwaige Fehlbehandlung der S. hinweisen könnten, sind nicht ersichtlich.

h.) Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten

Die Feststellungen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten B. und N. beruhen im Wesentlichen auf deren entsprechenden Angaben und auf den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen S.

aa.) Angeklagter B.

Der in den Behandlungsunterlagen des Elbe Klinikums B. dokumentierte Blutalkoholwert von 1,66 Promille hat die Kammer veranlasst, die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten B. eingehend zu prüfen.

Zu der Frage der Schuldfähigkeit hat die Kammer den psychiatrischen Sachverständigen S., Facharzt für Psychiatrie, Schwerpunkt Forensische Psychiatrie, Chefarzt in der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Psychiatrischen Klinik L., hinzugezogen und gehört. Der Sachverständige erklärte, Grundlage für das Gutachten bezüglich des Angeklagten B. sei die Verfahrensakte einschließlich der Behandlungsunterlagen des Elbe Klinikums B., die Exploration des Angeklagten am 02.03.2023, die Gesundheitsakte der Justizvollzugsanstalt Bremervörde sowie die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse.

(1.) Eingangsmerkmal

Zum Tatzeitpunkt sei von einer akuten Intoxikation mit Alkohol auszugehen (ICD10 F: 12.0), die eine Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle und dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zuzuordnen sei.

Es sei insgesamt ein "leichter Rausch" zu diagnostizieren, der gekennzeichnet sei durch Enthemmung, erhöhtes Selbstwertgefühl, Kritikminderung, vermehrte Risikobereitschaft und euphorische Auflockerung, die aber auch in Aggression umschlagen könne. Die Diagnose beruhe im Wesentlichen auf den Angaben des Angeklagten zur Konsummenge, den durch ihn geschilderten empfundenen Auswirkungen und dem objektiven Ausmaß an Beeinträchtigungen, wie sie sich aus den Zeugenaussagen und Behandlungsunterlagen ergeben. Der Blutalkoholwert von 1,66 Promille wurde, worauf der Sachverständige hinwies, erst bei der Einlieferung im Krankenhaus gegen 03:30 Uhr und zudem nicht zu Beweiszwecken erhoben, weshalb das Ergebnis nicht als klar feststehender Mittelwert zu verstehen sei, sondern möglicherweise etwa durch die Verwendung von Alkoholtupfern beeinflusst sein könne. Eine exakte Rückrechnung des Blutalkoholwerts zum Vorfallzeitpunkt sei nicht möglich, weil nicht bekannt sei, wann der Angeklagte zuletzt Alkohol getrunken habe. Der Laborwert sei mit einer näherungsweise angestellten Berechnung des Blutalkoholwertes für den Vorfallszeitpunkt anhand der angegebenen Trinkmenge und damaligen Körperkonstitution des Angeklagten (72 kg bei 1,78 Metern) durchaus in Einklang zu bringen, wenn man von einer abgeschlossenen Resorptionsphase bei einem frühen Trinkende gegen 1 Uhr mit einem Abbau von 0,2 Promille pro Stunde und einem Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille ausgehe. Der niedrigste Wert läge dann bei etwa 2,06 Promille zum Vorfallszeitpunkt. Höhere Blutalkoholwerte zum Vorfallszeitpunkt, zu denen man je nach genauer Konsummenge und Trinkende ebenso kommen könne, seien indes unplausibel. Denn sie ließen sich nicht damit vereinbaren, dass der Angeklagte sich als nicht trinkgewöhnt beschrieben habe und auch keiner der Zeugen bei ihm Ausfallerscheinungen beobachtet habe. Die durch den Angeklagten beschriebene affektive Aufladung sei mit der Situation als solcher zu erklären; alle Beteiligten seien aufgeregt gewesen. Darin sei kein Anzeichen einer Intoxikation zu sehen. Ein mehr als nur leichter Rausch sei letztlich auch vor dem Hintergrund auszuschließen, dass der Notarzt keinerlei Auffälligkeiten dokumentiert habe.

Die erlittene Stichverletzung habe bei B. zu Schmerzen und Erschrecken geführt, dies allerdings nicht in dem Umfang, dass sie einer Störung im Sinne des § 20 StGB gleichstehe. Den Ausführungen der Sachverständigen Dr. K., die dargestellt habe, dass die Beinverletzung zu nur geringen körperlichen Einschränkungen des Angeklagten B. geführt haben könne, sei auch aus psychiatrischer Sicht beizutreten. Insbesondere ergebe sich aus dem notärztlichen Protokoll, dass der Angeklagte sich vor Ort unauffällig verhalten habe. So habe er bei der Überprüfung durch den Notarzt die volle Punktzahl der sogenannten "Glasgow Coma Scale" erreicht, er sei demnach wach und orientiert gewesen, habe spontan die Augen geöffnet, auf Ansprache verbal reagiert und auf Aufforderung selbstständige und geordnete Bewegungen gemacht.

Für sonstige Störungen, insbesondere durch Drogenkonsum, gebe es keine Anhaltspunkte.

(2.) Einsichts- und Steuerungsfähigkeit

Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten B. sei unverändert erhalten geblieben. Anhaltspunkte dafür, dass er nicht in der Lage gewesen sei, Recht und Unrecht zu unterscheiden seien, lägen nicht vor.

Auch die Steuerungsfähigkeit sei nicht erheblich beeinträchtigt gewesen. Die exekutive Steuerungsfähigkeit sei voll erhalten gewesen. Für Fehlhandlungen, insbesondere im Hinblick auf die motorischen Bewegungsabläufe, gebe es keine Hinweise. Von typischen psychomotorischen Ausfallerscheinungen wie Torkeln, Lallen oder einer verzögerten Reaktion sei nach den Angaben der zum Tatzeitpunkt anwesenden Zeugen nichts bekannt. Bei der Behandlung durch den Notarzt und später im Schockraum des Elbe Klinikums B. sei er wach und orientiert gewesen, für alle Parameter bis auf die Blutalkoholwerte habe sich im Laborbefund keine Auffälligkeit ergeben. Auch die motivationale Steuerungsfähigkeit sei unbeeinflusst geblieben. Der Angeklagte sei nicht durch externe oder intrinsische Faktoren so sehr beeinflusst gewesen, dass er in seiner Entscheidungsfindung beeinträchtigt gewesen wäre. Der Angeklagte habe sich seinen eigenen Angaben zufolge selbst auch nicht als spürbar durch Alkohol beeinflusst erlebt. Auch sein Verhalten ergebe keine Hinweise darauf, dass er in seiner Steuerungsfähigkeit beeinflusst gewesen wäre. Solche Hinweise seien etwa raptusartige Verhaltensweisen, Realitätsverkennung oder inadäquate Handlungen; hieran fehle es. Im Gegenteil habe es doch einiger kognitiver Fähigkeit bedurft, wenn der Angeklagte B. N. Verhalten als unangemessen erkannt und sich sodann für ihn in ruhigen Ton habe entschuldigen können. Der Stimmungsumschwung nach dem Erkennen der Beinverletzung und das Einwirken auf S. als Reaktion darauf seien ebenso nachvollziehbar wie der spätere Rückzug. Er habe sich trotz der Alkoholisierung und der Verletzung somit situationsadäquat verhalten. Der Rauschzustand habe sich insofern nicht auf der Handlungsebene niederschlagen. Die akute Intoxikation habe zwar möglicherweise Einfluss auf die Kritikminderung genommen, aber nicht in dem Umfang, dass die Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen wäre. Auch die Beinverletzung habe weder für sich genommen noch mit der Intoxikation zusammen relevante Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit gehabt. Der Angeklagte habe seinen daraus entstandenen gefühlsbetonten Zustand beschrieben. Er habe der Verletzung hingegen keine leitende Bedeutung für sein Handeln beigemessen, eine solche sei auch bei Annahme von erheblichen Schmerzen und Erschrecken nicht zu erkennen. Insbesondere seien Schmerz und Erschrecken hier nicht geeignet, einen Zustand herbeizuführen, in dem der Angeklagte nicht mehr frei über sein Handeln entscheiden könne. Es lasse sich auch unter diesem Aspekt keine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit begründen.

(3.) Würdigung

Die Kammer hat sich nach eigenständiger Würdigung den nachvollziehbaren und umfassenden Erläuterungen des Sachverständigen angeschlossen. Entscheidend ist hier die motivationale Steuerungsfähigkeit. Dies ist die Fähigkeit, das eigene Handeln auch bei starken Wünschen und Bedürfnissen normgerecht zu kontrollieren und die Ausführung normwidriger Motivationen zu hemmen (vgl. Beschluss des BGH vom 30.09.2021, 5 StR 325/21). Diese ist voll erhalten geblieben.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass B. aufgrund seiner Alkoholisierung und seiner Verletzung - jeweils für sich und zusammen - in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen wäre. Weder die Verletzung, noch der daraus entstandene Blutverlust und / oder die Alkoholisierung wirkten sich in relevanter Art auf seine Impulskontrolle aus. Keiner der Zeugen beschrieb eine besondere, situationsunangemessene Auffälligkeit in seinem Verhalten, und zwar weder im Vorfeld noch nach der Tat. Im Gegenteil zeigte er sich im Zwiegespräch mit S. nach den insoweit übereinstimmenden Angaben aller Zeugen zunächst ruhig. B. gab glaubhaft an, während des Geschehens und danach sei B. zwar ebenso wie alle anderen aufgebracht gewesen, das Blut und die Verletzung als solche habe sie an ihm jedoch erst festgestellt, als er mit B. und N. und ihr schließlich weggelaufen sei. Er habe sich insgesamt normal verhalten. In Übereinstimmung damit geht aus den notärztlichen Dokumentationen, die die Sachverständigen Dr. K. und S. in der Hauptverhandlung jeweils erläutert haben, hervor, dass er wach, orientiert und ansprechbar war. Zwar erscheint der Wechsel in seiner Haltung S. gegenüber auffällig, wenn er zunächst das Gespräch mit ihr sucht, sie dann aber angreift. Dieser Umschwung lag aber zur Überzeugung der Kammer nicht in der (auch zuvor schon bestehenden) Alkoholisierung oder in einer schmerz- und emotionsbedingten Gemütsbewegung (die der Sachverständige nachvollziehbar nicht als handlungsbestimmenden Ausnahmezustand eingestuft hat) begründet, sondern war letztlich dem dynamischen Geschehen geschuldet. Die Tathandlung entstand aus dem Moment heraus, erscheint aber auch nach der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen, der die Kammer sich anschließt, als bewusster Akt der Bestrafung nachvollziehbar.

Insofern bestehen unter keinem Gesichtspunkt tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte B. sein Verhalten nicht vollständig hätte kontrollieren können. Eine relevante Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bestand daher nicht.

bb.) Angeklagter N.

Der Sachverständige S. erklärte, das Gutachten bezüglich des Angeklagten N. auf der Grundlage der Verfahrensakte, der Exploration des Angeklagten am 07.03.2023, den medizinischen Unterlagen der Jugendanstalt Hameln sowie den in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen zu erstatten.

(1.) Eingangsmerkmal

Er diagnostizierte zunächst ein multiples Abhängigkeitssyndrom von Alkohol und Kokain (ICD 10: F19.2), das sich insbesondere anhand des Zwangs zum Konsum, der erhöhten Toleranzdosis, der fortschreitenden Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Konsums und des anhaltenden Konsums trotz schädlicher Folgen - etwa in der Beziehung zur Mutter, dem Verlust des Arbeitsplatzes oder in den strafrechtlichen Verurteilungen - zeige. Die Hauptdroge sei Alkohol, daneben seien Kokain und Cannabis seine Suchtmittel. Die Abhängigkeit bestehe seit der frühen Jugend und sei unbehandelt. Die derzeitige Abstinenz unter den Bedingungen der Untersuchungshaft stehe der Diagnose nicht entgegen. Das Abhängigkeitssyndrom sei dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB zuzuordnen, wobei hier die Schwere angesichts der erheblichen psychosozialen Einschränkungen auch gegeben sei. Für die Frage der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sei das Abhängigkeitssyndrom jedoch nicht relevant, da die Suchterkrankung als solche nicht kausal für die Tathandlung geworden sei, sondern vielmehr die Ursache für die akute Intoxikation sei.

Zudem habe zum Zeitpunkt der Tat eine akute Mischintoxikation mit Alkohol und Kokain vorgelegen (ICD 10: F10.0 und F14.0). Die Intoxikation mit Alkohol ergebe sich aus der von dem Angeklagten angegebene Menge an alkoholischen Getränken, die mit dem gegen 02:40 Uhr gemessenen Atemalkoholwert von 1,77 Promille korreliere. Auch hier sei eine Rückrechnung unsicher, da das Trinkende und die Menge nicht bekannt seien. Letztlich sei der Wert aber ohnehin wenig aussagekräftig, da es auf den tatsächlichen Rauschzustand ankomme. Der Konsum von Kokain ergebe sich allein aus den Angaben des Angeklagten, sei jedoch mit seinem impulsiven und aggressiven Verhalten und dem Stimmungsbild in Einklang zu bringen. Die angegebene Dosis von etwa 0,5 Gramm sei plausibel. Im Übrigen ähnele die Situation in ihrer Dynamik stark dem Sachverhalt, wie er der Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg-Harburg im Jahr 2019 zugrunde gelegen habe. Auch dort habe der Angeklagte neben Alkohol auch Kokain konsumiert, so dass auch die individuelle psychopathologische Symptomatik den Kokainkonsum verifizieren könne. Die Mischintoxikation führe zu Euphorie, die leicht in Aggression umschlagen könne, Kritikminderung und Enthemmung. Typische alkoholbedingte neurologische Ausfallerscheinungen würden durch das Kokain abgeschwächt, zugleich würde die sedierende Wirkung des Alkohols durch Kokain relativiert und könne statt zu erhöhter Euphorie zu erhöhter Aggression führen. Aus der Vorverurteilung sei bekannt, dass bei N. die bestehende Aggressionsproblematik durch die Kombination von Alkohol und Kokain weiter verstärkt werde. Diese katalysierende Wirkung habe N. selbst auch zu anderen Gelegenheiten bereits bei sich beobachtet.

N. habe sich in einem deutlich stärkeren Rauschzustand als B. befunden, nämlich in einem mittleren Rauschzustand. Der mittlere Rauschzustand sei gekennzeichnet durch ein erhöhtes Geltungsbedürfnis, Unruhe, emotionales und ungeordnetes Denken, explosive Reaktionen und einen raschen Wechsel der Intention. Die Einschätzung ergebe sich aus den Angaben der Zeugen, die ihn übereinstimmend als aufgedreht, launisch, nervös und aufgebracht beschrieben. Die akute Mischintoxikation in ihrer konkreten Ausprägung stelle eine Störung im Sinne des § 20 StGB dar und sei dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zuzuordnen.

Sonstige psychische Störungen seien nicht zu diagnostizieren. Insbesondere liege keine Persönlichkeitsstörung, sondern allenfalls eine Akzentuierung und Entwicklung in Richtung Dissozialität und Kriminalität vor. Es bestünden nach der Auswertung des angewendeten standarisierten Prognoseinstrumentes (PCL-R) ausgeprägte abhängige Anteile, N. wolle also umsorgt werden. Daneben seien auch negativistische Anteile dominierend, er komme also den sozialen Anforderungen nicht nach. Weiterhin seien auch narzisstische Anteile wie ein überhöhtes Geltungsbewusstsein deutlich erkennbar. Dies habe keinen Krankheitswert, aber sei durchaus von Relevanz für die Lebens- und Beziehungsgestaltung. N. verfüge - auch in nüchternem Zustand - über ein erhöhtes Gewaltpotential und eine hohe Reizbarkeit, was sich insbesondere an den Auseinandersetzungen in der Familie und den Vorstrafen zeige.

(2.) Einsichts- und Steuerungsfähigkeit

Zum Tatzeitpunkt sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten unverändert erhalten geblieben. Insbesondere sei er in der Lage gewesen, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Anderweitige Anhaltspunkte seien nicht ersichtlich.

Es sei indes nicht auszuschließen, dass seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Zwar sei die exekutive Steuerungsfähigkeit voll erhalten gewesen. Für Fehlhandlungen - also etwa ein Fallenlassen der mitgeführten Flasche und ein Sturz in Richtung der S.- seien keine Anhaltspunkte erkennbar, solche würden auch durch den Angeklagten oder Zeugen nicht geschildert. Im Gegenteil habe der Angeklagte den Flaschenschlag und ein weiteres Einwirken auf eine am Boden liegende Person selbst beschrieben, zudem habe für den Zeitraum nach der Tat der Zeuge PK D. angeben, der Angeklagte sei zwar aufgebracht gewesen, habe aber noch aus dem Deutschen ins Polnische übersetzen können, was eine gewisse kognitive Leistungsfähigkeit erfordere. Es könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund der Mischintoxikation die motivationale Steuerungsfähigkeit, also das Vermögen, sein Handeln intellektuell zu kontrollieren und sich frei dazu zu entschließen, die Tat nicht zu begehen, eingeschränkt gewesen sei. Kennzeichnend für die Mischintoxikation mit Alkohol und Kokain sei eine erhöhte Aggressionsbereitschaft, abrupte Stimmungswechsel, explosive Reaktionen, verringertes Hemmungsvermögen und gesteigertes Geltungsbedürfnis. Diese Verhaltensweise seien insbesondere durch die Zeugen N., K. und M. an N. beschrieben worden. Auch N. selbst habe die Wirkung von Alkohol und Kokain so bereits erlebt und sich dann als besonders aggressiv empfunden. Der Sachverständige betonte, dass die motivationale Steuerungsfähigkeit auf der Handlungsebene zu prüfen sei, wobei hier Alternativverläufe je nach Bewertung der Beweislage denkbar seien. Lege man zugrunde, was die Zeugin N. ausgesagt hätte und sich auch aus den Chats der B. ergebe, nämlich, dass der Angeklagte von beiden Frauen habe festgehalten werden müssen, sei jedenfalls zu erkennen, dass er hoch aggressiv gewesen sei und seine Impulse nicht mehr hinreichend habe kontrollieren können. Im Ergebnis sei eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar.

(3.) Würdigung

Die Kammer schließt sich den gewissenhaften, in sich widerspruchsfreien, im Einzelnen nachvollziehbaren und die erhobenen Beweise zutreffend würdigenden Ausführungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen nach eigener kritischer Würdigung an und macht sich diese zu eigen.

Es kann in der Gesamtschau letztlich nicht ausgeschlossen werde, dass sein motivationales Steuerungsvermögen eingeschränkt war. Bei der Steuerungsfähigkeit geht es um die Fähigkeit, entsprechend der Unrechtseinsicht zu handeln, also um Hemmungsvermögen, Willenssteuerung und Entscheidungssteuerung (Beschluss des BGH vom 30.09.2021, 5 StR 325/21). Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung hat die Kammer neben der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung auch die Vorgeschichte, den unmittelbaren Anlass sowie die Tatausführung und sein Nachtatverhalten berücksichtigt (vgl. Beschluss des BGH vom 24.01.2017, 2 StR 459/16, Rn. 20 beck-online).

Vor dem Hintergrund des ausfälligen Verhaltens des N. vor der Tat, seiner aufgebrachten Verfassung während der Auseinandersetzung und im weiteren Verlauf der Tatnacht geht die Kammer davon aus, dass sein Hemmungsvermögen aufgrund der Mischintoxikation nicht ausschließbar erheblich beeinträchtigt war.

Seinen Angaben zum Alkohol- und Kokainkonsum kann gefolgt werden, sie werden gestützt durch die insoweit glaubhaften Aussagen seiner Schwester und seiner Freundin. Zudem passen die nach den Schilderungen der Zeugen von ihm gezeigten psychosozialen Auswirkungen nach den Ausführungen des Sachverständigen zu einer typischen Alkohol- und Kokainintoxikation.

B. hat, wie ausgeführt, als Schwester des Angeklagten N. im Hinblick auf das Verhalten ihres Bruders zu bestimmten Zeitpunkten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO Gebrauch gemacht. Zum Zustand ihres Bruders machte sie jedoch Angaben. Er trinke schon lange zu viel, so sei es auch an diesem Abend gewesen. Deshalb habe sie sich auch mit ihm gestritten, denn wenn er betrunken sei, werde er aggressiv und verhalte sich unangemessen. Darüber hinaus hat B. in ihrem Chat an "M" geschrieben, ihr Bruder habe "unnötigerweise noch Drogen genommen". Auch N. bestätigte die Angaben des Angeklagten N. zum überreichlichen Alkoholkonsum und beschrieb - insoweit noch nachvollziehbar - ihren Lebensgefährten als launisch und schnell aufbrausend. An diesem Abend sei er besoffen gewesen. Bei Verlassen der Party habe er zunächst noch euphorisch gewirkt, dann aber beim verbalen Streit mit der anderen Gruppe wütend und aufgebracht. Er sei er zwar zu ihr liebevoll gewesen, im Streit mit der Schwester aber aggressiv und ungehalten geworden. Diese Beschreibung stimmt überein mit den Schilderungen der anderen Zeugen. K. gab an, sein wildes Auftreten habe bei ihr Todesangst verursacht; auch der unbeteiligte M. schilderte N. als ihm gegenüber unmittelbar gewalttätig und explosiv. Dieser gab an, er sei hinter der Gruppe hergerannt. Als er sie erreicht habe, sei N. auf ihn zu und habe ihn sofort angebrüllt, er solle seine Schwester nicht anmachen, er werde ihn schlagen. M. gab an, er sei hinter der Gruppe hergerannt. Der Zeuge habe befürchtet, N. werde tatsächlich gleich auf ihn losgehen. N. selbst erklärte - insoweit nachvollziehbar - in seiner Einlassung, er habe sich nach dem Kokainkonsum erst gut gefühlt, sei dann aber im Kampf überfordert gewesen.

Zugleich erschien N. den eingesetzten Polizeibeamten zwar alkoholisiert und aufgebracht, wirkte jedoch ohne Weiteres in der Lage, selbstständig und ohne sich selbst oder andere zu gefährden, nach Hause zu gehen. Er wurde sogar als Übersetzer herangezogen, was nach der Schilderung des Zeugen PK D. problemlos möglich war.

Hiernach konnte im Ergebnis aber in einer Gesamtschau nicht ausgeschlossen werden, dass N. zum Zeitpunkt des Angriffs auf S. aufgrund seines Rauschzustands in seiner Impulskontrolle erheblich eingeschränkt war.

IV. Rechtliche Würdigung

Die Angeklagten haben sich damit beide des Totschlags gemäß § 212 StGB schuldig gemacht.

Die jeweiligen Tathandlungen waren kausal für den Tod der S.. Beide haben mit bedingtem Tötungsvorsatz und bezüglich der Tritte als Mittäter gemäß § 25 Abs. 2 StGB gehandelt. Keiner der Angeklagten hat ein Mordmerkmal verwirklicht, insbesondere fehlt es für N. im Hinblick auf den Flaschenschlag am Ausnutzen der - objektiv bestehenden - Heimtückelage im Sinne des § 211 Gruppe 2 StGB. Der Flaschenschlag des Angeklagten N. war nicht durch Nothilfe gemäß § 32 StGB gedeckt, denn selbst nach N. Einschätzung ging von S. keine Gefahr für B. aus. Ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB liegt für keinen der Angeklagten vor.

1. Kausalität der Tathandlungen

Sowohl der Flaschenschlag als auch die Tritte waren für S. Tod kausal. Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat.

Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben (vgl. Urteil des BGH vom 30.8.2000, 2 StR 204/00). Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (vgl. Urteil des BGH vom 10.1.2008, 3 StR 463/07). Dies ist hier nicht der Fall. Es schließt die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein weiteres Verhalten an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat. Ob es sich bei dem mitwirkenden Verhalten um ein solches des Opfers oder um deliktisches oder undeliktisches Verhalten eines Dritten oder des Täters selbst handelt, ist dabei ohne Bedeutung (BeckOK StGB/Eschelbach, 57. Edition Stand 1.5.2023, § 212 Rn. 11).

Der Schlag mit der Flasche war damit für den Tod der S. ursächlich. Denn die weiteren Tritte gegen die bewusstlose, bereits verletzte Geschädigte, knüpften an das vorausgegangene Geschehen an und wären ohne die durch den Flaschenschlag geschaffene Lage nicht möglich gewesen.

Der Umstand, dass danach noch weitere Einwirkungen auf ihren Kopf stattfanden, die zum Entstehen des tödlichen Hämatoms führten, beseitigt deshalb nicht die Ursächlichkeit des Flaschenschlages, zumal sich die Tritte zeitlich und situativ eng an den Schlag anschlossen. Dies gilt im Hinblick auf sämtliche folgenden Einwirkungen, also für die Tritte des Angeklagten B. und des Angeklagte N. ebenso wie für den Sturz der S. nach dem Flaschenschlag. Denn hätte N. sie nicht mit der Flasche niedergeschlagen, wäre sie nicht gestürzt und am Kopf verletzt worden; sie wäre dann nicht wehrlos den weiteren Tritten ausgeliefert gewesen.

Auch die Tritte, insbesondere auch die des B., sind kausal für ihren Tod geworden. Denn es genügt jede Einwirkung, die zur Verschlechterung des Zustands oder zur Beschleunigung des Todeseintritts führt (st. Rspr.; vgl. Beschluss des BGH vom 30.08.2000, 2 StR 204/00; Urteil des BGH vom 03.12.2015, 4 StR 223/15). Dies ist hier nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. L. bezüglich der Tritte gegen den bereits verletzten Kopf der Fall. Die Tritte führten jedenfalls zu einer erheblichen weiteren Verschlechterung des Zustands an dem bereits verletzten Kopf.

2. bedingter Tötungsvorsatz

Beide Angeklagten erkannten, das S. wegen der Einwirkungen sterben könnte, sie fanden sich bei der jeweiligen Tathandlung aber damit ab. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (vgl. Urteil des BGH vom 08.12.2016, 1 StR 344/16).

Der bedingte Tötungsvorsatz, der sich aus dem kognitiven und dem voluntativen Element zusammensetzt (vgl. Beschluss des BGH vom 13.10.2022, 2 StR 327/22), ergibt sich für die Angeklagten jeweils aus der gebotenen Gesamtschau der Tatumstände.

a.) Angeklagter B.

aa.) B. hat die besondere Gefährlichkeit seiner Handlung wahrgenommen und in ihrer Tragweite erkannt.

Er trat erst auf S. ein, als sie bereits am Boden lag. Dies tat er zeitgleich und direkt neben dem Angeklagten N. Diese Tathandlung ist in ihrer konkreten Ausführung - beschuhter Fuß gegen den empfindlichen Kopf, Vorverletzung des Kopfes durch einen Schlag und Sturz, keine Abwehrhandlungen des reglosen Opfers und zusammen mit einem weiteren Täter - besonders gefährlich. Diese Umstände waren B. auch bewusst. Es war für ihn in diesem Moment klar erkennbar, dass S. bereits ernsthaft verletzt war und sich nicht wehren konnte, denn sie lag unter ihnen, bewegte sich nicht und blutete schon am Kopf. Außerdem stand er direkt bei N., als dieser mit der laut herausgebrüllten Todesdrohung auf die S. und ihre Begleiter zustürzte, so dass B. wusste, was N. wollte, nämlich S. töten. Er sah auch, dass N. in Verwirklichung dieser Ankündigung heftig gegen S. Kopf trat. Alle Umstände, die die besondere Gefährlichkeit der Situation ausmachten, waren ihm also bewusst, als er selbst mit N. zu S. lief und im Zusammenwirken mit ihm auf sie eintrat.

Seine intellektuelle oder physische Fähigkeit das Geschehen zu überblicken und einzuordnen, war auch nicht beeinträchtigt. Weder seine Alkoholintoxikation noch die emotionale Aufregung und der Schmerz hatten für sich genommen oder gemeinsam eine relevante Auswirkung auf sein Vermögen, die Situation realistisch zu erfassen. Dies ergibt sich schon aus den Ausführungen der Sachverständigen S. und Dr. K., die keine Anhaltspunkte für Einschränkungen in dieser Hinsicht erkennen konnten. Auf die Ausführungen dazu wird im Übrigen auch nochmal Bezug genommen. Das Geschehen ist außerdem derart plakativ, dass sich die Lebensgefahr für S. dem Angeklagten aufdrängte und auch sein leichter Alkoholrausch und die Aufregung diese Erkenntnis nicht verschleiern konnten.

bb.) Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass B. sich mit dem naheliegenden Tod der S. abfand, als er gegen ihren Kopf trat. Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod des Opfers genügt (vgl. Urteil des BGH vom 24.04.2019, 2 StR 377/18).

Begeht der Täter eine das Leben Dritter in hohem Maße gefährdende Tat, so liegt es - vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände des Einzelfalls - nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkennt und, da er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, den Todeserfolg auch billigend in Kauf nimmt (st. Rspr.; vgl. Urteil des BGH vom 16.11.2017, 3 StR 315/17; vgl. Urteil des BGH vom 01.12.2011, 5 StR 360/11).

Der Umstand, dass die Tathandlung besonders gefährlich war und B. dies erkannte, hat insofern indizielle Bedeutung für das Vorliegen des voluntativen Elements. Hier bestehen auch in einer Gesamtschau keine derart gewichtigen Umstände, dass ein bloß fahrlässiges Handeln angenommen werden kann. Die Kammer hat dabei insbesondere die folgenden vorsatzkritischen Gesichtspunkte bewertet:

So war zunächst seine Alkoholisierung zu berücksichtigen, der allerdings nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen S. und Dr. K. kein erheblicher Einfluss auf sein Verhalten insgesamt zukam.

B. war außerdem emotional aufgewühlt, nach den Ausführungen der beiden Sachverständigen allerdings nicht in einem Maße, dass die Annahme eines affektiven Ausnahmezustands auch nur in Betracht käme.

Vorsatzkritisch wurde auch die Spontanität seiner Handlung berücksichtigt, die im Zusammenhang mit dem Verhalten des N. stand, sodass auch ein gewisser gruppendynamischer Einfluss vorlag. Schließlich hat B. sich erst zu der Tat entschlossen, nachdem N. ausrief, er werde alle umbringen und auf S. zurannte. Zwischen dieser Beobachtung und dem Entschluss, N. zu folgen und es ihm gleich zu tun, vergingen einige Augenblicke, während derer B. die Situation reflektieren konnte. In diesen Momenten stand er allein auf der Straße, ohne in ein unmittelbares Kampfgeschehen verwickelt zu sein und hatte Gelegenheit, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Insofern war seine Handlung zwar spontan im Sinne von nicht geplant. Sie war aber keine direkte Reaktion auf ein Gegenüber, weshalb dem Aspekt der Spontanität hier geringeres Gewicht zukommt. Im Hinblick auf die Gruppendynamik ist einschränkend zu beachten, dass N. für B. keine Autorität darstellte. Vielmehr war N. der kleine Bruder seiner Lebensgefährtin, B. entschuldigte sich noch für den Jüngeren. Anders als in Fällen, in denen der Täter sich dazu getrieben fühlen mag, dem Anführer einer Gruppe zu folgen und dadurch in seiner Entschlussfindung beeinflusst sein kann, ist es hier fernliegend, dass B. gegen S. Kopf trat, weil N. es auch tat.

Bedacht wurde auch, dass kein unmittelbar einsichtiger Grund für den Angriff auf S. bestand. Insbesondere hegte B. gegenüber S. zunächst keinen Groll, sondern trat ihr ruhig entgegen, um sich zu entschuldigen. In seinen Fokus geriet sie erst, als ihr Bruder D. S. ihm entkommen war. B. selbst hat in seiner Einlassung keine Erklärung dafür gegeben, weshalb er eine Person (möglicherweise S.) getreten hat. Auf der Grundlage des objektiven Tathergangs zieht die Kammer den Schluss, dass B. sie für das Verhalten ihres Bruders bestrafen wollte, worin durchaus ein Anlass zu sehen ist.

Als vorsatzkritischen Umstand wurde auch in Betracht gezogen, dass B. die Tat vor Zeugen begangen hat. Die Tritte haben sowohl die Begleiter von S. gesehen als auch seine Lebensgefährtin, so dass ihm deshalb zum einen die Strafverfolgung drohte, er sich zum anderen aber möglicherweise auch der Missbilligung durch seine Lebensgefährtin aussetzte. Allerdings wurde diesem Umstand letztlich geringes Gewicht im Hinblick auf die Frage zugemessen, mit welcher inneren Haltung er die Tritte verübte. Denn die Gefahr der Strafverfolgung und der familiären Missbilligung knüpft an die objektive Tathandlung an und hätte auch bestanden, wenn er S. nur Schmerzen hätte zufügen wollen ohne ihren Tod für naheliegend zu halten.

Anhaltspunkte, aufgrund derer B. auf S. Überleben hätte vertrauen können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat er selbst keine Lebensrettungsmaßnahmen eingeleitet, auch einen Rettungswagen hat er nicht gerufen.

Im Rahmen der gebotenen Gesamtschau wurde auch die für Tötungsdelikte möglicherweise höhere Hemmschwelle bedacht (Münchener Kommentar StGB / Schneider, 4. Auflage 2021, § 212 Rn. 14). Er ist bislang nicht wegen einer Gewalttat verurteilt worden. Allerdings spricht das Zusammenwirken mit N. nach dessen ausdrücklicher Todesdrohung letztlich dafür, dass der Angeklagte B. diese Hemmschwelle bewusst übertreten hat.

Im Ergebnis ist die Kammer nach nochmaliger Würdigung dieser Umstände angesichts der besonderen Gefährlichkeit des Handelns gegenüber dem vorverletzten Opfer in einer Gesamtschau überzeugt, dass sich der Angeklagte B. jedenfalls mit der konkret von ihm erkannten Möglichkeit des Todeseintritts abfand.

b.) Angeklagter N.

Der Angeklagte N. hat jeweils mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, als er mit der Flasche gegen S. Kopf schlug und dann mit den Füßen gegen ihren Kopf trat. Sowohl das kognitive als auch das voluntative Vorsatzelement ist jeweils gegeben.

Die Kammer hat angesichts des engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs und des dynamischen Verlaufs angenommen, dass der Flaschenschlag mit den Tritten eine natürliche Handlungseinheit bildet und als einheitliches Geschehen zu betrachten ist.

aa.) N. erkannte die objektive Gefährlichkeit des Flaschenschlags und der Tritte.

Der Flaschenschlag war objektiv eine besonders gefährliche Handlung. Nach den Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. L. ist ein Flaschenschlag objektiv lebensgefährlich, auch wenn hier die Gesamtheit die Einwirkungen zum Tode führte. Die besondere Gefährlichkeit des Flaschenschlags wurde hier durch die Art der konkreten Ausführung der Tathandlung nochmals erheblich verstärkt.

N. schlug die Glasflasche, also einen harten Gegenstand, mit Wucht gegen S. Kopf, was eine in hohem Maße gefährliche Handlung gegen die besonders empfindliche Kopfregion darstellt. Diese Gefährlichkeit wurde verstärkt, weil sie keine Abwehrmöglichkeit hatte, denn sie stand von ihm abgewendet und war auf den bevorstehenden Schlag nicht gefasst, was er erkannte. Darum war auch die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie zu Boden gehen und auf den harten Untergrund stürzen würde.

Auch die Tritte gegen S. Kopf waren von erheblicher Gefährlichkeit, denn sie richteten sich gegen die empfindliche Kopfregion, die aufgrund des vorhergehenden Flaschenschlags und des Sturzes besonders verletzlich war. Außerdem versetzte er ihr die Tritte gemeinsam mit B., der genauso wie er feste Turnschuhe trug und, wie N. sah, kräftig zutrat. N. war klar, dass sie bereits verletzt war, denn er selbst hatte sie zu Boden gebracht. Er sah, dass sie hilflos war, denn sie bewegte sich nicht, floh nicht und wehrte die Tritte nicht ab.

Diese Umstände erkannte er. Die Sichtverhältnisse waren gut, die Kreuzung war erleuchtet und es war still, sodass die tatsächlichen Gegebenheiten - S. allein im Gespräch mit B., S. bewegungslos auf dem Boden - klar zu erfassen waren. Die von ihm ausgeführten Handlungen waren simpel und für jedermann offenkundig gefährlich. N. Wahrnehmungsfähigkeit war ausweislich der schlüssigen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen S. zu den Auswirkungen der Mischintoxikation nicht derart getrübt, dass er die Wirklichkeit nicht mehr erfasst hätte. Im Streitgespräch mit seiner Schwester auf der Brücke war er verärgert und halsstarrig, wie sie beschrieb, jedoch wegen ihrer Vorwürfe nicht derart erregt, dass er die tatsächlichen Gegebenheiten nicht gesehen und begriffen hätte. Auch unmittelbar nach der Tat war er in der Lage, für die Polizeibeamten vom Deutschen ins Polnische und umgekehrt zu übersetzen, was zeigt, dass er kognitiv leistungsfähig war.

bb.) Dieses Wissen um die objektive Gefährlichkeit der Tathandlungen indiziert das Wollenselement.

N. hielt angesichts der erkannten Gefährlichkeit des Flaschenschlages und der Tritte den Tod der S. für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. Das voluntative Element ergibt sich aus dem Tatbild insgesamt. Denn N. nahm nacheinander zwei jeweils gefährliche Handlungen gegen die empfindliche Kopfregion vor. Ausdrücklich hat er angekündigt, er werde alle umbringen. Dabei handelte es sich nicht um eine leere Drohung, sondern um die Erklärung seines Vorhabens. Dies war der übereinstimmende Eindruck der Zeugen. Die Zeugen K. und S. hatten selbst Todesangst und wichen zurück, sie wagten nicht, einzugreifen. Die Zeugin K. rief nachts nach den gegen sie ausgesprochenen Todesdrohungen sogar nochmals die Polizei, denn sie traute ihm angesichts des Erlebten zu, dass er auch sie töten würde. Auch B. hatte, wie sich aus dem Chat mit "M" ergibt, den Eindruck, dass er S. töten wollte ("sonst hätte er sie umgebracht").

Die Kammer hat nicht verkannt, dass es auch bei besonders gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (Urteil des BGH vom 23.03.2022, 6 StR 343/21, Rn. 7 beck-online; Beschluss des BGH vom 30.07.2019, 2 StR 122/19, Rn 16 beck-online).

In der Gesamtschau überwiegen die vorsatzkritischen Umstände jedoch nicht.

Als gegenläufigen vorsatzkritischen Umstand hat die Kammer hier in der Gesamtwürdigung insbesondere die Mischintoxikation des Angeklagten berücksichtigt. Die akute Intoxikation des Angeklagten N. mit Alkohol und Kokain hat seine Gewaltbereitschaft bei seinem ohnehin schon großen Aggressionspotential erhöht und ihn enthemmt. Die solchermaßen geminderte Kritikfähigkeit hat sich aber nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen S. nicht auf die Vorsatzbildung durchgeschlagen. Nach der Einschätzung des Sachverständigen, die dem persönlichen Eindruck der Kammer entspricht und den auch die Jugendgerichtshilfe teilt, ist der Angeklagte auch ohne Intoxikation gewaltbereit. Er war in der Tatsituation - bedingt durch die Intoxikation - allenfalls durch seine Freundin und Schwester mit Worten schwerer zu erreichen.

Auch seine sonstige emotionale Verfassung entkräftet nicht den Schluss, dass er S. Tod angesichts der objektiven Gefährlichkeit seiner Handlungen und der entsprechenden Ankündigung gebilligt hat. N. war schlechter Stimmung, weil er zu Fuß gehen musste und verärgert, weil S. auf seine Beleidigungen ebenso unfreundlich entgegnet hatte. Hierbei ist indes auch zu berücksichtigen, dass er sich unmittelbar vor dem Loslaufen, um die S. zu schlagen, noch über einen längeren Zeitraum mit seiner Schwester unterhalten hatte. In diesem Gespräch ging es gerade auch um die verbale Streitigkeit mit der S. und N. unangemessenes Auftreten. Dabei war er nach ihrer Schilderung ohne Weiteres in der Lage, ihre ablehnende Haltung zu seinem Verhalten zu verstehen, er war auch zur Diskussion fähig. Insofern war er zwar weiter verärgert, aber nicht so außer sich, dass er durch seine Gefühle in seinem Tatentschluss beeinflusst gewesen wäre. Er sah schlicht seinen eigenen Anteil am vorhergehenden, schon beendeten verbalen Streit nicht ein und entschloss sich, die S., die jetzt auch noch gegenüber dem B. frech geworden war, für ihr vermeintlich unangemessenes Verhalten zu bestrafen.

Seine Intoxikation und die emotionale Verfassung ändern insofern nichts an der Tatsache, dass er die besondere Gefährlichkeit seines Tuns und die Massivität seiner Handlungen gegenüber der ihm körperlich deutlich unterlegenen S. sowie die Konsequenzen für diese weiterhin überschauen und bewerten konnte.

Vorsatzkritisch wurde weiter in die Betrachtung eingestellt, dass der Anlass für den Flaschenschlag - Eingriff in ein Streitgespräch zwischen S. und B.- aus Sicht eines objektiven Betrachters nichtig war. Auch in der Gesamtschau mit den Tritten als Reaktion auf B. Verletzung bleibt ein gewisses Missverhältnis zwischen Anlass und Tathandlung zu erkennen. Allerdings ergibt sich schon aus der Verurteilung im Jahr 2020 (Faustschläge ins Gesicht im Regionalzug im Jahr 2019), dass der Angeklagte ohne jeglichen nachvollziehbaren Anlass massive Gewalt gegen einen Fremden angewendet hat.

Insofern ist der subjektive Maßstab des Angeklagten für einen "ausreichenden" Anlass offensichtlich niedrig anzusetzen.

Berücksichtigt wurde weiterhin, dass er spontan gehandelt hat, was allerdings mit geringem Gewicht eingestellt wird. Denn er war selbst während des Flaschenschlages nicht in eine Auseinandersetzung verwickelt, sondern hörte lediglich aus mehreren Metern Entfernung ein Gespräch zwischen B. und S. Insofern handelt es sich bei dem Schlag nicht um eine Reaktion auf ein irgendwie auf ihn bezogenes Verhalten der S. Gleiches gilt für die Tritte, die eine Reaktion auf die Verletzung des B. darstellen. Auch hier wendete er sich aus eigenen Stücken der S. zu, die einige Meter entfernt am Boden lag und - auch aus N. Sicht - die Verletzung nicht beigebracht hatte.

Den übrigen vorsatzkritischen Umständen, namentlich die Begehung der Tat vor Zeugen und die grundsätzlich erhöhte Hemmschwelle bei Tötungsdelikten, war nach den obigen Erwägungen, die auch für N. gelten, nur wenig Gewicht beizumessen.

Auch für N. gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass S. noch überleben könnte, insbesondere hat auch er keinen Rettungswagen gerufen.

Im Ergebnis ist die Kammer nach Würdigung dieser Umstände angesichts der besonderen Gefährlichkeit des Handelns in einer Gesamtschau überzeugt, dass sich auch der Angeklagte N. jedenfalls mit der konkret von ihm erkannten Möglichkeit des Todeseintritts der S. abfand.

3. Mittäterschaft

Die Angeklagten handelten als Mittäter gemäß § 25 Abs. 2 StGB betreffend die Tritte gegen den Kopf. Dazu ist erforderlich, dass ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern will, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür sind der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (vgl. Urteil des BGH vom 06.08.2019, 3 StR 189/19).

Diese Voraussetzungen sind hier für die Tritte gegen den Kopf erfüllt.

Beide nahmen die Handlung des anderen wahr, denn sie standen nebeneinander und konnten einander sehen und hören. N. erklärte seinen Willen dabei ausdrücklich, B. folgte ihm in Kenntnis dessen. Beiden war klar, dass die eigenen Tritte genauso wie die des anderen dazu führten, die S. noch weiter zu verletzen und ihren Zustand zu verschlimmern.

Ihnen war auch bewusst, dass sie dadurch sterben könnte. Handlungsleitend war für beide die Bestrafung von S. für B. Stichverletzung, deren Verursacher ihnen entkommen war. So billigten sie die eigene Handlung genauso wie die des anderen als gewaltsame Einwirkung, die für S. den Tod herbeiführen könnte.

4. kein gegenwärtiger oder unmittelbar bevorstehender Angriff

Weder der Flaschenschlag noch die Tritte sind durch § 32 StGB gedeckt.

Zum Zeitpunkt des Flaschenschlages und während der Tritte gab es keinen gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff durch die Geschädigte. Maßgeblich ist die objektive Sachlage (vgl. Urteil des BGH vom 30.03.2023, 2 StR 263/21).

Zu dem Zeitpunkt des Flaschenschlags des N. war B. objektiv keinem Angriff ausgesetzt. Es befand sich nur S. bei ihm, die anderen aus ihrer Gruppe warteten mit Abstand zu den beiden. Von S. war keine Verletzungshandlung zu erwarten. Davon ging auch N. aus. Er hörte - allenfalls - die lauten Stimmen der beiden, ohne dass diese Diskussion in eine tätliche Auseinandersetzung übergegangen wäre. Insofern bestand auch kein Anhaltspunkt für N., zu diesem Zeitpunkt (irrig) von einem Angriff auf B. auszugehen.

Die Tritte gegen den Kopf der S. verübten die Angeklagten, nachdem B. von dem Messer verletzt worden war. Allerdings war beiden bewusst, dass S. dieses Messer nicht geführt hatte. Von ihr ging zu diesem Zeitpunkt für beide erkennbar keinerlei Gefahr aus. Denn sie lag bereits bewegungslos auf dem Boden und unternahm, anders als K. und S., keine Anstrengung zu fliehen, denn - dies war beiden bewusst - dazu war sie wegen des vorhergehenden Schlages gegen ihren Kopf nicht mehr in der Lage. Motiv für die Tritte war für beide Angeklagten vielmehr der Wunsch, sie stellvertretend für D. S. für die Beinverletzung von B. zu bestrafen und ihre Wut über die Flucht des D. S. an ihr auszulassen.

5. kein Rücktritt

Ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 StGB scheidet - ungeachtet des Umstands, dass der Erfolg später eintrat und das Delikt vollendet ist - aus.

Maßgeblich ist das subjektive Vorstellungsbild des jeweiligen Angeklagten zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung (vgl. Beschluss des BGH vom 03.02.2022, 2 StR 317/21). Geht der Täter zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass der Erfolgseintritt nunmehr möglich ist, ist der Versuch beendet; für den Fall, dass ihm der Eintritt gleichgültig ist, ist dies anzunehmen (st. Rspr. vgl. Urteil des Senats vom 16.01.2019, 2 StR 312/18; Urteil des Senats vom 07.02.2018, 2 StR 171/17). Als die Angeklagten schließlich aufhörten, S. zu treten, in Richtung Altländerviertel davonliefen und S. auf dem Boden zurückließen, war sie noch am Leben. B. und N. gingen jeweils davon aus, dass S. möglicherweise schon tot war, zumindest aber tödlich verletzt, denn sie bewegte sich nicht mehr und blutete am Kopf, was beide erkannten. Beide nahmen S. Tod zumindest billigend in Kauf. Der Versuch war also bereits beendet.

Weder B. noch N. unternahmen etwas dafür, um den aus ihrer Sicht möglicherweise noch nicht eingetretenen Tod zu verhindern, insbesondere riefen sie keinen Rettungswagen. Bemühungen, den aus ihrer Sicht möglicherweise noch ausstehenden, aber zu erwartenden Erfolgseintritt noch zu verhindern, blieben aus.

6. kein Mordmerkmal

Insbesondere das Merkmal der Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 1 StGB wurde nicht verwirklicht.

Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt (vgl. Beschluss des BGH vom 05.04.2022, 1 StR 81/22). Wesentlich ist, dass der Täter sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (vgl. Urteil des BGH vom 21.01.2021, 4 StR 337/20).

Im Hinblick auf den Flaschenschlag sind die objektiven Voraussetzungen der Heimtücke erfüllt. Denn niemand, insbesondere nicht S., rechnete damit, dass N. ihr in dieser Situation mit der Flasche gegen den Kopf schlägt. Der vorhergehende Streit war beendet. Sie war im Gespräch mit B., der allein zu ihr gekommen war. Selbst denjenigen Zeugen, die sahen, dass N. plötzlich mit der Flasche in der Hand auf sie zulief, kam ein Angriff nicht in den Sinn. Die Geschädigte selbst nahm weder optisch noch akustisch wahr, dass N. sich ihr von hinten näherte und wurde von dem Schlag völlig überrascht. Sie versah sich also keines Angriffs und konnte deshalb dem Flaschenschlag nicht ausweichen oder ihren Kopf schützen, auch den Sturz auf den Boden konnte sie nicht abfedern oder sich mit den Händen abstützen.

Aus der Beweisaufnahme ergab sich allerdings nicht mit ausreichender Sicherheit, dass N. dem Umstand, dass S. ihm den Rücken zuwandte, besondere Bedeutung zugemessen hat. Er handelte spontan. Es ist daher insgesamt eher davon auszugehen, dass er sie auch dann mit der Flasche gegen den Kopf geschlagen hätte, wenn sie sich ihm noch zugewendet hätte und den Angriff derart hätte kommen sehen. Abgesehen davon war S. körperlich deutlich unterlegen. Nach Angaben der Sachverständigen Dr. L. war sie zum Tatzeitpunkt 60 kg schwer und 1,60 Meter groß. N. war ihr schon angesichts seiner Körpergröße von 1,81 Meter körperlich deutlich überlegen. Nach Angaben des Sachverständigen S. wog der Angeklagte im Januar 2023 85 kg, die Zeugin K. schilderte ihn als kräftig gebaut. Der Täter muss die Arglosigkeit des Opfers jedoch bewusst für seinen Angriff auf dessen Leben ausnutzen (vgl. Urteil des BGH vom 18.06.2020, 4 StR 482/19). Auch wenn N. die objektiven Umstände klar erkannte, kam es ihm bei seinem Angriff nicht darauf an, ihn überraschend auszuführen, weil er sich seiner körperlichen Überlegenheit bewusst war. Insofern fehlt es hier am Ausnutzungswillen.

Im Hinblick auf die Tritte gegen S. Kopf fehlte es an der Arglosigkeit der Geschädigten, denn den Tritten ging der Flaschenschlag unmittelbar voraus. Zudem war mit dem Angriff zu rechnen, denn N. hatte gerufen, dass er sie alle umbringen werde. Dies gilt auch für den Fall, dass sie schon vor den Tritten das Bewusstsein verloren hatte, weil die Bewusstlosigkeit dann eine Folge des vorherigen Schlages war (NK-StGB / Neumann / Saliger, 5. Aufl. 2017, § 211 Rn. 55-58)

V. Strafzumessung

1. Angeklagter B.

Den Strafrahmen entnahm die Kammer aus § 212 Abs. 1 StGB, der eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren bis 15 Jahren vorsieht.

Ein minder schwerer Fall gemäß § 213 StGB lag nicht vor. Keiner der beiden Varianten kommt hier zum Tragen.

Der minder schwere Fall des § 213 Alt. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter auf der Stelle zu der Tat hingerissen ist. Es kommt darauf an, ob eine schwere Provokation einen solchen Zorn hervorgerufen hat, dass dieser noch anhält und als Gefühlsaufwallung fortwirkt, die nicht durch eine rationale Abwägung unterbrochen wird (vgl. Beschluss des BGH vom 10.02.2022, 1StR 508/21).

Als "schwere Provokation", also tatauslösendes Opferverhalten, kommen sowohl eine Misshandlung als auch eine Beleidigung in Betracht (MüKo StGB/Schneider, 4. Aufl. 2021, § 213 Rn. 25). Schon daran fehlt es hier. Handlungsleitend war für B. die Wut über die Stichverletzung. Er wurde jedoch, wie er wusste, nicht durch S. verletzt, sondern durch D. S. Zwar muss die Provokation nicht eigenhändig durch das Opfer ausgeführt worden sein. Diese Stichverletzung kann ihr jedoch nicht zugerechnet werden, denn sie war zum Zeitpunkt der Verletzung des B. am Messer des D. S. bereits orientierungslos, lag auf dem Boden und konnte das Kampfgeschehen zwischen den Angeklagten und ihrem Bruder nicht erfassen, sodass sie schon keine Kenntnis von der Tathandlung haben konnte. Dies alles war B. klar. Er selbst nahm auch nicht an, dass die Verletzung auf Weisung oder Veranlassung der S. erfolgt wäre, hierfür gab es auch keinerlei Anhaltspunkte. Abgesehen davon gab D. S. nachvollziehbar an, er selbst habe B., wenn überhaupt, dann nur versehentlich mit dem Messer getroffen und die Verletzung auch nicht bemerkt. Verbale Beleidigungen hat Sulewska zwar im Vorfeld ausgesprochen, diese aber nicht konkret an B. gerichtet; im Übrigen fühlte er sich dadurch auch nicht gekränkt, vielmehr wollte er sich zunächst bei ihr für N. beleidigendes Verhalten entschuldigen. Von späteren Beleidigungen der S. vor den Tritten berichtete keiner der Beteiligten, insbesondere auch nicht B. selbst. Solche sind auch angesichts des sehr schlechten Zustands der S. zu diesem Zeitpunkt fernliegend.

Auch die Reaktion des B. wird nicht von der Privilegierung des § 213 Alt. 1 StGB erfasst. Er war zwar alkoholisiert, wütend und hatte Schmerzen, war aber dadurch nicht derart außer Fassung, dass sein Zustand dem des § 213 Alt. 1 StGB gleichzusetzen ist. Zwar muss die Schwelle des § 21 StGB nicht erreicht sein, ein einfacher Erregungszustand genügt aber nicht.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen S., denen die Kammer nach eigener Würdigung und insbesondere unter Einbeziehung der übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. folgt, befand sich der Angeklagte B. in keinem besonderen affektiven Zustand. Dies entspricht auch der Schilderung von B., die zunächst keine Auffälligkeiten feststellen konnte, sondern vielmehr von sich aus angab, B. habe sie beruhigt, weil sie geweint habe.

Darüber hinaus waren die Tritte gegen S. keine spontane Reaktion. Es vergingen einige Augenblicke zwischen der Erkenntnis, verletzt worden zu sein, dem Versuch, den Verursacher zu verfolgen und B. Entschluss, es N. gleichzutun und statt D. S. nun S. anzugreifen.

Zudem ist ein motivationspsychologischer Zusammenhang zwischen dem provozierenden Verhalten des Opfers und der Verletzungshandlung des Täters erforderlich (vgl. Beschluss des BGH vom 19.09.2017, 1 StR 436/17). Auch daran fehlt es hier. Denn B. ging zu keinem Zeitpunkt davon aus, dass es S. war, die ihm den Messerstich versetzt hatte. Die vorhergehenden Beleidigungen waren für B. nicht kränkend und taugen als Anknüpfungspunkt wie dargestellt nicht.

Außerdem hat der Angeklagte selbst mit seinem Verhalten die Ursache für den Messerstich gesetzt, denn er hat versucht, D. S. zu treten und zu verletzen. Insofern steht auch sein Vorverhalten einer Privilegierung entgegen.

Letztlich wollte er S. für eine Verletzung bestrafen, deren Entstehen er selbst mitverschuldet hat und für die sie nichts konnte. S. wurde zum Opfer, weil sein eigentlicher Widersacher geflohen war und sie sich nicht wehren konnte, was ihm bei aller Emotionalität klar bewusst war.

Auch § 213 Alt. 2 StGB scheidet in der Gesamtbetrachtung aus. Entscheidend ist, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist. In diesem Zusammenhang können auch die Vorgeschichte der Tat und die gesamten Beziehungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung sein (BeckOK StGB, 51. Ed. 01.05.2023, § 213 Rn 23).

Zu Gunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist. Zudem spricht für ihn, dass er eingeräumt hat, vor Ort gewesen zu sein und einer Person einen Tritt versetzt zu haben. Er hat auch der Familie S. sein Beileid ausgesprochen und Reue über das eigene Verhalten erkennen lassen. Darüber hinaus erlitt er im Tatgeschehen selbst eine Verletzung, die zwar nicht gravierend war, aber doch eine Belastung darstellt, die mildernd Berücksichtigung findet. Weiter war zu berücksichtigen, dass er sich emotional in einer besonderen Situation befand - der Schmerz wegen der Stichverletzung, der Schrecken über die Blutung und die Alkoholisierung haben sich zwar weder für sich noch zusammengenommen in relevanter Weise auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt, sie wirkten aber leicht enthemmend. Gegen den Angeklagten B. spricht mit erheblichem Gewicht das Tatbild. Als er wuchtig auf S. eintrat, war sie bereits schwer verletzt und bewegungslos, sie lag am Boden und konnte sich nicht mehr wehren.

In der Gesamtabwägung überwiegen die zu Gunsten des Angeklagten B. sprechenden Faktoren nicht, zumal dem Leben als Schutzgut besonderes Gewicht zukommt und daher ein strenger Maßstab bei der Prüfung des minder schweren Falls anzulegen ist (vgl. BGH NStZ 1998, 84 [BGH 11.09.1997 - 4 StR 248/97], beck-online; Schäfer, Strafzumessung, Teil 10. Deliktsspezifische Strafzumessungsumstände Rn. 1644, 1645, beck-online). Die Anwendung der Strafzumessungsregel des § 213 StGB kommt daher vorliegend nicht in Betracht.

Für die konkrete Strafzumessung berücksichtigte die Kammer nochmals die oben aufgeführten Umstände, dabei zugunsten des Angeklagten B. insbesondere, dass er nicht vorbestraft ist.

Unter Abwägung aller Umstände, die für und gegen den Angeklagten sprechen, erkannte die Kammer auf eine Freiheitsstrafe von

6 (sechs) Jahren

als tat- und schuldangemessen.

2. Angeklagter N.

a.) Anwendung Jugendstrafrecht

Der Angeklagte war zur Tatzeit 19 Jahre alt und damit Heranwachsender im Sinne von § 1 Abs. 2 JGG i. V. m. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG.

Nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG waren auf ihn insoweit die für Jugendliche geltenden Vorschriften anzuwenden. Denn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten unter Berücksichtigung seiner Lebensumstände ergibt - auch in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Jugendgerichtshilfe und den Angaben des Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen - dass bei ihm Reifeverzögerungen vorliegen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, ihn nach seinem Entwicklungsstand noch einem Jugendlichen gleichzusetzen.

Der Angeklagte lebte zwar schon vor Erreichen der Volljährigkeit außerhalb des elterlichen Haushalts. Die verschiedenen Wohnungen hat er jedoch nicht selbst gehalten, sondern es handelte sich jeweils um Haushalte seiner Freundin oder deren Familie, in denen er nur für kurze Zeit lebte. Die Werkswohnung in B. etwa verlor er mit der Kündigung des Arbeitsplatzes. Er wechselte häufig den Wohnort, auch notgedrungen, und konnte sich keine dauerhafte Wohnsituation erschaffen. Einen Schulabschluss hat er nicht erworben, er hat auch keine Ausbildung begonnen oder in Aussicht. Eine belastbare berufliche Perspektive fehlt. Zwar hat er in unterschiedlichen Branchen im Rahmen von Zeitarbeitsverträgen gearbeitet, wurde aber jeweils nach kurzer Zeit entlassen, weil er unzuverlässig war. Eine dauerhafte oder gar unbefristete Beschäftigung hat er nie ausgeübt. Darüber hinaus konsumiert er seit seiner frühen Jugend regelmäßig und ohne Phasen der Abstinenz Alkohol, Marihuana und andere Suchtmittel, obwohl dies unmittelbar nachteilige Folgen wie Streit in der Familie oder Probleme in der Schule hatte. Auch in der Beziehung zu N. kam es wegen seines Drogen- und Alkoholkonsums zu ernsthaften Auseinandersetzungen. Diese Liebesbeziehung dauert seit über zwei Jahren an, wobei zumindest aus der Sicht der Jugendgerichtshilfe fraglich ist, inwieweit die Dynamik dieser Verbindung für den Angeklagten förderlich ist. Er ist im Übrigen schon früh strafrechtlich auffällig geworden und hat insbesondere bereits Gewaltdelikte verübt.

Insgesamt ist die Lebensführung des Angeklagten von Brüchen und Grenzüberschreitungen geprägt. Diese Umstände zeigen, dass er nur über eine mangelhafte soziale Reife verfügt, die Auseinandersetzungen mit verbindlichen gesellschaftlichen Werten und Normen bisher nicht gelungen ist und somit seine Reifeentwicklung zur Tatzeit noch nicht abgeschlossen war.

b.) Jugendstrafe

Zur Ahndung der durch den Angeklagten begangenen und in diesem Verfahren festgestellten Tat war gemäß § 17 Abs. 2 JGG sowohl wegen des Vorliegens schädlicher Neigungen als auch wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe zu verhängen.

aa.) Schädliche Neigungen

Unter Berücksichtigung der nunmehr festgestellten Taten lagen zum Tatzeitpunkt und liegen auch heute noch schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG vor.

Schädliche Neigungen als Voraussetzung für die Verhängung von Jugendstrafe liegen dann vor, wenn bei dem Täter erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel zu beobachten sind, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat angelegt waren und im Zeitpunkt des Urteils noch gegeben sind und deshalb weitere Straftaten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. Beschluss des BGH vom 04.05.2016, 3 StR 78/16).

Dies ergibt sich zunächst aus der bisherigen negativen Entwicklung seiner Arbeits- und Wohnsituation. Die jeweiligen, rasch aufeinanderfolgenden Kündigungen sind darauf zurück zu führen, dass es dem Angeklagten an Durchhaltevermögen und Verlässlichkeit mangelt.

Er ist bereits mehrfach strafrechtlich auffällig geworden und auch schon wegen eines Gewaltdelikts vorbestraft. Die Verurteilungen haben ihn auch nicht von der Begehung erneuter, noch gravierenderer, Straftaten abgehalten. Zwar hat er noch keinen längeren Freiheitsentzug als den Beugearrest erlebt. Durch die Untersuchungshaft zeigte er sich auch beeindruckt. Weniger eingriffsintensive Maßnahmen als die Verhängung der Jugendstrafe haben sich jedoch bereits in der Vergangenheit als wirkungslos erwiesen. Die Jugendgerichtshilfe wies darauf hin, dass er durch jugendrechtliche Maßnahmen nicht erreichbar war. Der Angeklagte hat weder Arbeits- noch Gesprächsweisungen befolgt. Gegen ihn musste wiederholt Beugearrest angedroht werden, dieser wurde letztlich auch vollstreckt. Hilfs- und Beratungsangeboten hat er sich erst nach vielfachen Aufforderungen und unter dem Druck von Beugearrest geöffnet.

Zwischen der Tat und der Inhaftierung haben sich seine Lebensumstände nicht stabilisiert. Der unstete Lebenswandel hielt an, die Drogenproblematik hat sich nach seiner Einlassung, die N. bestätigte, weiter verschärft. Er konsumierte in ganz erheblichem Umfang Drogen und Alkohol, obwohl ihm selbst bewusst war, dass er sich und sein Umfeld damit schädigt. Zwar hat er selbst offenbar in der Zwischenzeit erkannt, dass er Hilfe im Hinblick auf seinen Betäubungsmittelkonsum benötigt. Er konnte auch reflektieren, dass Kokain seine Gewaltbereitschaft erhöht.

Diese neue Klarheit entkräftet jedoch nicht die Befürchtung, dass er weitere Straftaten, insbesondere Gewalttaten, begehen wird. Aufgrund der weiterhin unbehandelten Drogenabhängigkeit ist davon auszugehen, dass der Angeklagte erneut Gewalttaten verüben wird. Bei dem Angeklagten besteht eine hohe persönlichkeitsspezifische Rückfallgefahr. Auch in der Vergangenheit wurde er unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen plötzlich anlasslos handgreiflich gegen einen Anderen, ohne dabei selbst in Gefahr zu sein oder um einen Dritten zu verteidigen, sondern vielmehr aus der eigenen Gewaltbereitschaft heraus. Bei der Körperverletzung im Jahr 2019 schlug er dem Geschädigten K. in der Regionalbahn ohne erkennbaren Anlass unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Diese Tat liegt zwar schon einige Zeit zurück, sie weist jedoch eine ähnliche Dynamik wie die hier zugrundeliegende Tat auf und offenbart sein hohes Gewaltpotential. In der hier zugrunde liegenden Situation zeigte sich seine anhaltende Gewaltbereitschaft nach dem Flaschenschlag und den Tritten auch an seinem Nachtatverhalten. Die nächtliche Todesdrohung gegenüber K. und die Androhung von Schlägen gegenüber M. illustrieren, dass der Angeklagte N. keinen Anlass braucht, um andere Menschen anzugreifen. Insofern richtete er auch hier seine Aggression gegen Personen, die ihm keinerlei Grund gegeben hatten, sie derart anzugehen. Es ist - auch unter Zugrundelegung der entsprechenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen - zu erwarten, dass er ohne die erforderliche Gesamterziehung in Zukunft weitere erhebliche Straftaten begeht. Die von ihm ausgehende Gefährlichkeit, die sich in der Tat verwirklichte, besteht daher fort.

Die Gesamtumstände lassen eine längere Gesamterziehung somit notwendig erscheinen, um den schädlichen Neigungen entgegenzuwirken.

bb.) Schwere der Schuld

Zur Ahndung der in diesem Verfahren festgestellten Straftaten war Jugendstrafe zudem auch gemäß § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG wegen der Schwere der Schuld zu verhängen.

Bei der Prüfung der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat im Allgemeinen keine selbstständige Bedeutung zu. Entscheidend ist, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist jedoch insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Schwere seiner Schuld gezogen werden können. Der Unrechtsgehalt der Tat, der auch in der gesetzlichen Strafandrohung zum Ausdruck kommt, darf demnach auch bei der Prüfung, ob die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld geboten ist, nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Urteil des BGH vom 18.07.2018, 2 StR 150/18).

Von diesem rechtlichen Maßstab ausgehend hat die Kammer zunächst berücksichtigt, dass die für das allgemeine Strafrecht maßgeblichen Strafandrohung für die hier festgestellte Tat Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren beträgt und das Leben schützt. Bereits dieser Umstand legt die Annahme einer Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG nahe.

Das äußere Tatbild war von einer rücksichtslosen Tatausführung geprägt. Der von ihm ausgeübte Flaschenschlag zeigt heimtückeähnliche Züge, da er ohne Ankündigung von hinten die S. überraschte. Auch die gemeinschaftlichen Tritte weisen erhebliches Unrecht auf, denn sie lag bereits verletzt am Boden und konnte sich nicht wehren. Auch das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Zeugin K. nach der Tat zeigt, dass er darüber hinaus auch Dritte ernsthaft bedroht und in ihrem Sicherheitsgefühl massiv beeinträchtigt. Daraus ergibt sich auch die dahinterstehende - den Schuldschwerevorwurf belegende - innere Einstellung des Angeklagten.

Die schuldmindernden Umstände hat die Kammer berücksichtigt. Der Angeklagte war zumindest teilweise geständig und hat sein Bedauern über den Tod der S. ausgedrückt. Er war außerdem enthemmt, weil er Alkohol und Kokain konsumiert hatte. Außerdem wirkte das Streitgespräch mit S. noch nach, auch wenn dieses von ihm angefangen worden und zum Zeitpunkt des Schlages schon wieder beendet war und eine konkrete Beleidigung der S. - abgesehen von sinngemäß "Verpisst euch!" - nicht festgestellt werden konnte. Seine Stimmung war aber noch erhitzt. Zudem handelte er nur mit bedingtem Tötungsvorsatz. Gegen ihn wurde bislang auch noch keine Jugendstrafe verhängt. Diese schuldmindernden Umstände können jedoch auch unter Hinzunahme des vertypten Milderungsgrundes des §§ 21, 49 StGB, der zu einer Strafrahmenverschiebung geführt hätte, keine andere Bewertung der Schuldschwere begründen.

Vor diesem Hintergrund läge auch in der Parallelwertung des § 213 StGB kein minder schwerer Fall vor. Keine der beiden Alternativen ist gegeben.

Für § 213 Alt. 1 StGB fehlt es schon an einer objektiven Provokationslage. Ein tatauslösendes Opferverhalten, also eine Misshandlung oder Beleidigung durch die S., fehlt. Der Flaschenschlag war zwar eine spontane Handlung, sie erfolgte aber nicht als Reaktion auf eine "schwere Provokation" im Sinne der Norm. Denn der verbale Streit zwischen ihm und S. war nach dem Auseinandergehen beider Gruppen längst beendet. Zum Zeitpunkt des Flaschenschlags war keine erneute Beleidigung gefallen, nicht gegenüber B. im Zwiegespräch und auch nicht gegenüber N., den die S. in diesem Moment nicht wahrnahm. Nach dem Flaschenschlag war S. zu keiner Äußerung mehr fähig. An dem Gerangel, bei dem B. verletzt wurde, war sie nicht beteiligt; die Verletzung war ihr, wie oben ausgeführt, auch nicht zurechenbar.

Auch N. Gemütszustand wurde nicht durch S. Verhalten ausgelöst. N. hat die Schwelle des § 21 StGB zwar übertreten, sein Zustand war aber nicht auf den vorhergehenden Streit mit der S. zurückzuführen, sondern auf seine akute Intoxikation.

Weiter fehlt es am erforderlichen motivationspsychologischen Zusammenhang zwischen dem provozierenden Verhalten des Opfers und der Verletzungshandlung des Täters, denn, wie ausgeführt, ging auch N. nicht davon aus, dass S. seinen Schwager verletzte, wie sich aus seinen Nachrichten an K. ergibt. Seine Absicht, S. stellvertretend für ein Verhalten ihres Begleiters D. S. gegenüber B. zu bestrafen, ist von der Privilegierung des § 213 Alt. 1 StGB nicht umfasst.

Zudem war auch N. an dem Kampf mit S. beteiligt und hat damit ein Vorverhalten gezeigt, was einer Privilegierung entgegensteht.

Auch ein sonstiger minder schwerer Fall im Sinne des § 213 Alt. 2 StGB liegt nach der Gesamtwürdigung der oben aufgeführten Gesichtspunkte nicht vor. Es überwiegen die belastenden Umstände, wie unter anderem die Situation beim Flaschenschlag, die objektiv die Voraussetzungen der Heimtücke erfüllt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB, der greift, weil die Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden kann.

In ihrer Gesamtheit belegen diese Umstände die Schwere der Schuld und lassen erkennen, dass die Verhängung der Jugendstrafe erzieherisch notwendig ist.

cc.) Dauer der Jugendstrafe

Gemäß §§ 18 Abs. 1 Satz 1, 105 Abs. 3 JGG war von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Jugendstrafe auszugehen. Der erhöhte Strafrahmen des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG kam hier nicht zur Anwendung, denn die besondere Schwere der Schuld war nicht festzustellen.

Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Daneben war auch die Schuldschwere zu berücksichtigen.

Bei der Prüfung der Frage, welche Dauer der Jugendstrafe zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten und zum gerechten Schuldausgleich erforderlich ist, waren die oben unter aa.) und bb.) genannten Umstände nochmals heranzuziehen. Zudem wurde berücksichtigt, dass der Angeklagte über keinerlei Schulabschluss verfügt. Die berufliche Perspektivlosigkeit des Angeklagten und seine unbehandelte Drogensucht lassen befürchten, dass er ohne die erforderliche langfristige Gesamterziehung wieder in ganz erheblichem Maße straffällig werden wird. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen und der Jugendgerichtshilfe erscheint eine längere Gesamterziehung als erforderlich. Zur Nachreifung seiner Persönlichkeit ist eine langfristige Einwirkung in engen und verlässlichen Strukturen notwendig. Nur die ausreichend lange Gesamterziehung, die neben dem Erlernen von sozialem und gewaltfreien Verhalten auch schulische und berufliche Maßnahmen umfasst und dabei die bestehende Drogensucht berücksichtigt, kann zur Nachreifung des Angeklagten und zur nachhaltigen Veränderung der Lebensumstände führen.

Bei Abwägung aller genannten Umstände erschien der Kammer die Verhängung einer Jugendstrafe von

7 (sieben) Jahren

für ausreichend, aber auch erforderlich, um auf den Angeklagten erzieherisch hinreichend einwirken zu können und einen gerechten Schuldausgleich angesichts der hier festgestellten Tat zu bewirken.

Allein unter erzieherischen Gesichtspunkten mag die Bemessung der verhängten Jugendstrafe über die Dauer von 5 Jahren zwar nicht erforderlich sein (vgl. Beschluss des BGH vom 07.10.2019, 1 StR 206/19). Der gerechte Schuldausgleich erfordert angesichts der oben dargestellten Schwere der Schuld jedoch die Verhängung einer Jugendstrafe von über 5 Jahren. Zudem befand sich der Angeklagte seit annähernd einem halben Jahr in Untersuchungshaft, während derer die Nacherziehung nur begrenzt möglich war.

Die Kammer hat bedacht, dass gemäß §§ 5 Abs. 3, 105 Abs. 1 JGG von der Verhängung der Jugendstrafe abgesehen werden kann, wenn zugleich die Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet wird. Davon hat die Kammer keinen Gebrauch gemacht. Denn aus den genannten Gründen ist die längerfristige Gesamterziehung in der Jugendanstalt notwendig, um mit dem gebotenen Druck auf den Angeklagten einzuwirken.

c.) Unterbringung in der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB

Die Unterbringung des Angeklagten N. in der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB war anzuordnen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB sind vorliegend erfüllt.

Die Kammer hat sich zur Frage einer Unterbringung sachverständig beraten lassen.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen S. besteht bei dem Angeklagten der Hang, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies ergebe sich aus dem diagnostizierten Abhängigkeitssyndrom, das die Lebensführung beeinträchtigt habe. Ausdruck dieses Hanges sei die akute Intoxikation während der Tat, die sich hier nicht ausschließbar auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt habe. Ein symptomatischer Zusammenhang sei darum zu erkennen. Es sei auch zu erwarten, dass der Angeklagte aufgrund seiner Abhängigkeit und der daraus folgenden Intoxikation in Zukunft erhebliche Straftaten begehe. So seien insbesondere Gewalttaten zu besorgen. Die Neigung zu aggressivem Verhalten sei bei dem Angeklagten deutlich ausgeprägt. Unter dem Einfluss von Alkohol- und Kokain werde der Angeklagte besonders aggressiv und richte diese Wut nach außen, er fange Streit an und werde auch übergriffig. So habe es N. selbst ihm gegenüber geschildert. Zudem werde N. unter Kokaineinfluss "alles egal", es komme also zu einer Kritikminderung, was im Zusammenspiel mit dem ohnehin erhöhten Gewaltpotential, das der Angeklagte in sich trage, körperliche Übergriffe noch wahrscheinlicher mache. Diese Gefahr könne verringert werden, wenn der Angeklagte abstinent zu leben lerne. Der Angeklagte sei gegenüber therapeutischen Maßnahmen auch aufgeschlossen. Er habe erkannt, dass sein Drogenkonsum für ihn schädlich sei. Es sei erkennbar, dass der Angeklagte durchaus fähig und bemüht sei, sich in Strukturen zu fügen. So habe er in der Zeit vor der Festnahme auch gearbeitet und sei während der Untersuchungshaft unauffällig geblieben.

Der Hang im Sinne des § 64 StGB liegt vor. Für die Annahme eines Hangs ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder sozial gefährlich erscheint (vgl. Beschluss des BGH vom 11.10.2022, 5 StR 394/22). Bei dem Angeklagten besteht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer angeschlossen hat, ein Abhängigkeitssyndrom. Daneben zeigen sowohl die Vortat aus dem Jahr 2019 als auch die gegenständliche Tat, dass der Angeklagte auch aufgrund des Rauschmittelkonsums jedenfalls sozial gefährlich ist, denn die Rauschmittel befeuern sein ohnehin vorhandenes Aggressionspotential. Aber auch in seiner Beziehungsfähigkeit ist er aufgrund des Rauschmittelkonsums eingeschränkt und damit gefährdet, wie die Auseinandersetzungen mit seiner Lebensgefährtin zu diesem Thema zeigen.

Zwischen der Tat und dem Hang bestand auch ein symptomatischer Zusammenhang. Dies setzt voraus, dass die Tat zumindest teilweise auf den Hang zurückzuführen ist. Hier ist die akute Intoxikation der Ausdruck dieses Hanges. Der Konsum von Alkohol und Kokain hat zumindest zu einer gewissen Enthemmung geführt, so dass der symptomatische Zusammenhang gegeben ist.

Es ist auch zu erwarten, dass der Angeklagte aufgrund seiner Abhängigkeit und der daraus folgenden Intoxikation in Zukunft weitere Straftaten begehen wird, nämlich insbesondere erhebliche Gewalttaten. Diese begründete Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus der umfassenden Gesamtwürdigung, die insbesondere auch die Persönlichkeit des Angeklagten, seinen Konsum, sein Vorleben und Nachtatverhalten und die Vorstrafen umfasst (vgl. Schäfer, Strafzumessung, Teil 3. Maßregeln der Besserung und Sicherung Rn. 455-457, beck-online).

Aus der Zusammenschau ergibt sich, dass von N. weitere Delikte zu erwarten sind. Ausweislich der durch den Sachverständigen angewendeten standardisierten Prognoseinstrumente VRAG, HCR-20 V2 zur Rückfallwahrscheinlichkeit gehört N. zu einer Personengruppe mit mittelhohem Risiko für schwerwiegende Gewalttaten.

Im vorliegenden Einzelfall begründen zudem im Wesentlichen die Persönlichkeit des Angeklagten und auch die Vortat im Jahr 2019 die ungünstige Kriminalprognose. Der Angeklagte wird sowohl von seiner Freundin als auch seiner Schwester als launisch, impulsiv und aufbrausend beschrieben. Konflikte in der Familie wurden mit Gewalt gelöst. Nach der Einschätzung des Sachverständigen und der Jugendgerichtshilfe aus ihren Gesprächen mit dem Angeklagten, neigt dieser dazu, auf Spannung mit Gewalt zu reagieren. Andere Konfliktlösungsstrategien hat er bislang nicht erlernt und war auch bislang nicht bereit, sich - etwa im Rahmen der Gesprächsweisung - mit diesem dysfunktionalen Verhalten auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist dem Angeklagten, dem der Sachverständige und die Jugendgerichtshilfe eine zumindest durchschnittliche Intelligenz attestieren, bewusst, dass er zu Gewaltausbrüchen neigt. Dies gilt nach seiner eignen Beobachtung erst recht, wenn er Rauschmittel konsumiert hat. Seine Vorverurteilung untermauert diese Einschätzung. Denn auch die Vortat im Jahr 2019, die in ihrer Dynamik der hier zugrundeliegenden Tat ähnelt, beging er unter dem Einfluss von Alkohol und Kokain.

Weitere vergleichbare Taten sind bei anhaltendem Konsummuster zu besorgen, weil seine Impulskontrolle nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen geschwächt ist, während die Reizbarkeit zunimmt. N. selbst hat diese Wirkung bei sich beschrieben und auch seine Schwester hielt sein aufbrausendes, aggressives Verhalten unter Alkohol- und Drogeneinfluss für typisch.

Die zu erwartenden Delikte stellen sich jeweils auch als erheblich dar, denn sie betreffen die körperliche Unversehrtheit und - wie hier - das Leben, also hohe Schutzgüter; außerdem sind keine engen Bezugspersonen betroffen, die den Zustand des Angeklagten einschätzen und sich in Sicherheit bringen können, sondern ihm Unbekannte, die auf einen Angriff nicht gefasst sind. Die akute Intoxikation ist bei der Begehung erneuter Gewalttaten ein erheblicher Faktor, denn die vom Angeklagten konkret konsumierten Rauschmittel haben gerade enthemmende und kritikmindernde Wirkung. Darum besteht auch der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und den in der Zukunft zu erwartenden Delikten.

Die angeordnete Maßregel verspricht auch hinreichende Erfolgsaussicht. Die Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 StGB setzt voraus, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es zumindest für einen erheblichen Zeitraum nicht mehr zum Rückfall kommen wird (vgl. BeckOK StGB/Ziegler, 53. Edition 01.05.2022, § 64 Rn. 12). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung ist der Abschluss der tatrichterlichen Hauptverhandlung. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist unter Einbeziehung aller relevanten Umstände auf eine Gesamtwürdigung mit besonderer Berücksichtigung der Persönlichkeit des Täters abzustellen. Notwendig, aber auch ausreichend, ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es nicht. Andererseits ist nicht ausreichend, dass ein Therapieerfolg lediglich nicht von vornherein aussichtslos ist bzw. nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, die süchtige Person zu heilen oder zumindest über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Rauschmittelkonsum zu bewahren (vgl. Beschluss des BGH 11.05.2022, 4 StR 478/21).

Für diese Prognose ist eine Abwägung der günstigen und ungünstigen Umstände vorzunehmen.

Positive Faktoren für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie sind etwa ein zuvor erfolgter Selbstentzug, eine frühere freiwillige Therapie, die zumindest vorübergehend erfolgreich war, die Bereitschaft zur Abstinenz, konkrete und realistische Zukunftsvorstellungen, eine geringe Straffälligkeit, eine nur kurze Zeit des Drogenkonsums, das Fehlen von zusätzlichen Persönlichkeitsstörungen, der erfolgreiche Abschluss von Schule und Berufsausbildung, Erfahrungen mit Erwerbstätigkeit und Integration ins Arbeitsleben sowie belastbare familiäre Bindungen und auch ein noch junges Alter.

Als ungünstige Faktoren gelten der frühe Beginn des Konsums, Polytoxikomanie, verfestigter und langjähriger Konsum, frühe Straffälligkeit insbesondere mit Gewalttaten, frühe Haftzeiten, fehlender Schulabschluss und Berufslosigkeit, berufliche Perspektivlosigkeit, mehrere vergebliche Therapie- und Entgiftungsversuche, Beikonsum von Rauschgiften während der Substitutionsbehandlung, fortbestehende Verweigerungshaltung, das völlige Fehlen ernsthafter Versuche, das Konsumverhalten grundlegend zu ändern, eine fortbestehende Aggressivität, ein fehlender sozialer Empfangsraum und weitere psychische Beeinträchtigungen (vgl. Beschluss des BGH vom 17.08.2022, 2 StR 252/22; MüKo StGB / van Gemmeren, 4. Aufl. 2020, § 64 Rn. 64-66).

Zwar liegt hier eine erhebliche Zahl von negativen Faktoren vor. So hat der Angeklagte schon in seiner frühen Jugend mit dem Konsum begonnen und ist auch von mehreren Rauschmitteln zugleich abhängig. Er ist bereits mit einer Gewalttat strafrechtlich auffällig geworden. Auch die hiesige Verurteilung betrifft ein gravierendes Gewaltdelikt. Er hat keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung.

Für einen erfolgreichen Verlauf spricht jedoch sein junges Lebensalter. Der Angeklagte hat zur Überzeugung der Kammer zudem ernsthaft seine Therapiebereitschaft erklärt, was bereits einen gewichtigen, prognosegünstigen Umstand darstellt (vgl. Beschluss des BGH vom 04.12.2019, 1 StR 433/19). Er war bislang noch nicht stationär zur Therapie untergebracht. Außerdem ist er seit der Inhaftierung abstinent. Auch sein soziales Umfeld, seine Schwester und seine Freundin, befürworten eine wesentliche Einschränkung seines Konsums. Zudem hat er mehrfach Versuche unternommen, seine Lebenslage zu festigen und dazu immer wieder Beschäftigungen angenommen. Außerdem leidet er an keinen sonstigen psychischen Erkrankungen, die die Teilnahme an den therapeutischen Maßnahmen erschweren könnten.

Bei einem Unterbringungszeitraum von zwei Jahren, wie ihn der Sachverständige für den Fall der Anordnung der Maßregel vorgeschlagen hat, bestehen daher hinreichend günstige Faktoren für einen erfolgsversprechenden Verlauf der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Jedenfalls für eine erhebliche Zeitspanne wird der Angeklagte prognostisch vor einem Rückfall bewahrt werden können. Im Zusammenspiel mit der erforderlichen längeren Gesamterziehung in der Jugendanstalt besteht die Erwartung, dass der Angeklagte lernt, dauerhaft abstinent zu leben, seine Impulse zu kontrollieren und Konflikte gewaltfrei zu lösen. Mit einem erfolgreichen Verlauf der Entziehungstherapie wird die Gefährlichkeit des Angeklagten zumindest deutlich herabgesetzt, weil sein Gewaltpotential nicht durch Rauschmittel verstärkt wird. Die vorhergehende notwendige Unterbringung in der Jugendanstalt wird mit festen Strukturen die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Angeklagte schließlich nach einer erfolgreichen Entziehungstherapie sein Leben in geordnete Bahnen bringen kann, so wie er selbst es sich auch wünscht.

Insgesamt hält die Kammer in einer Gesamtschau die Unterbringung auch angesichts des noch jungen Lebensalters des Angeklagten für notwendig, aber auch angemessen und damit auch verhältnismäßig im Sinne von § 62 StGB.

d.) Vorwegvollzug

Der angeordnete Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe vor dem Vollzug der Unterbringung in der Entziehungsanstalt ergibt sich aus § 67 Abs. 2 StGB, wobei auf der Grundlage der nachvollziehbaren Angaben des Sachverständigen eine voraussichtliche Therapiedauer von zwei Jahren anzusetzen ist.

VI. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt für B. aus §§ 465 Abs. 1 StPO und für Nowak aus §§ 74, 109 Abs. 2 JGG.

Paarmann
Stößel
Bauer