Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 02.05.2018, Az.: 11 A 7726/17

Gruppenverfolgung; inländische Fluchtalternative; Pakistan; Religion; Schiiten; Terminsverlegung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
02.05.2018
Aktenzeichen
11 A 7726/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74314
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Terminsverlegung im Asylprozess wegen Verhinderung eines anwaltlich vertretenen Klägers kommt nur in Betracht, wenn die persönliche Anwesenheit des Klägers aus besonderen Gründen erforderlich erscheint.
2. Schiiten droht in Pakistan keine Gruppenverfolgung.
3. Erwerbsfähigen Männern stehen in Pakistan in den größeren Städten inländische Fluchtalternativen zur Verfügung.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der 1989 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens, verließ Pakistan am 29. Juli 2015, reiste im September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. Januar 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Nachdem das Bundesamt sein Verfahren wegen Nichtbetreibens eingestellt hatte, nahm es das Verfahren auf Antrag des Klägers vom 8. Juni 2017 (§ 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG) wieder auf.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 10. Juli 2017 gab der Kläger im Wesentlichen Folgendes an: Er habe mit seiner Familie in einem Dorf bei E. gelebt und habe als Bauarbeiter gearbeitet. Ende 2014 habe er seinen letzten Arbeitstag als Bauarbeiter gehabt, danach habe er noch bis zum vorletzten Tag vor seiner Ausreise als Landwirt gearbeitet. Er habe sein Heimatland aufgrund seiner schiitischen Religionszugehörigkeit verlassen. In seinem Dorf habe es öfters religiöse Veranstaltungen gegeben. Es habe Leute gegeben, die nicht über diese Veranstaltungen erfreut gewesen seien. Am 14. April 2010 hätten Gegner der Schiiten drei Häuser in seinem Dorf angezündet. Danach hätten sie selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen, da sie sich nicht mehr auf die Polizei hätten verlassen können. Er habe sich als Sicherheitsmann für seinen Verein engagiert. Mitglieder dieses Vereins seien bedroht worden. Auch er sei zwei- bis dreimal auf der Straße angehalten und wegen seines schiitischen Glaubens geschlagen worden. Unter anderem hätten 2 bis 3 Unbekannte ihn im Januar oder Februar 2015 auf dem Weg zum Stall angehalten, ihn nach seiner Religionszugehörigkeit gefragt und ihn dann geschlagen, weil er Schiit sei. Er habe sich in den Jahren 2009 und 2010 auch in Islamabad, in Lahore und in Karachi aufgehalten. Doch überall sei die Lage in Pakistan gleich. Überall seien Gegner seiner Religion und er habe gehört, dass Schiiten geschlagen würden und es Bombenanschläge gegen sie geben würde. Deshalb sei er in sein Dorf zurückgekehrt. Auch sei er im Jahr 2010 zweimal unschuldig auf dem Polizeirevier gewesen. Einmal sei ihm vorgeworfen worden, dass er eine Pistole besitzen würde, und das andere Mal, dass er auf jemanden geschossen habe. Beim dem zweiten Vorwurf habe er für drei Monate ins Gefängnis gehen müssen. Auch habe man in den Jahren 2002 und 2004 Anzeigen bei der Polizei gegen Familienmitglieder von ihm erstattet. Die Gegner hätten die Polizei bestochen, so dass seine Angehörigen nicht einmal hätten aussagen können. Daher habe die Familie im Jahr 2002 für sechs Monate das Dorf verlassen. Sein Vater sei in den Jahren 2002 und 2004 für 2 bis 3 Jahre ins Gefängnis gegangen. Bei einer Rückkehr fürchte er – der Kläger –, aufgrund seines Glaubens umgebracht zu werden.

Mit Bescheid vom 10. August 2017, zugestellt am 14. August 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Es forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise auf, drohte ihm im Falle der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Pakistan an und befristete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Der Kläger hat gegen diesen Bescheid am 28. August 2017 Klage erhoben und wiederholt und vertieft zur Klagebegründung sein Vorbringen aus der persönlichen Anhörung. Er macht weiter geltend, dass Schiiten in Pakistan einer Gruppenverfolgung ausgesetzt seien.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. Januar 2018 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen, der die Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. März 2018 abgewiesen hat. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22. März 2018 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Diese hat am 2. Mai 2018 stattgefunden, ohne dass Vertreter der Beteiligten erschienen sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte zuvor mit einem am 1. Mai 2018 um 18:30 Uhr per Fax übersandten Schriftsatz die Verlegung des Termins wegen einer Erkrankung des Klägers beantragt. Das Gericht hat dem Prozessbevollmächtigten mit einem am 2. Mai 2018 um 8:26 Uhr per Fax übersandten Schriftsatz mitgeteilt, mangels Notwendigkeit der Anwesenheit des Klägers in der Verhandlung keinen Anlass für eine Terminsverlegung zu sehen, und hat den Terminsverlegungsantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss abgelehnt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen,

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf ihren Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann über die Klage trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil sie mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO) und keine erheblichen Gründe für eine Terminsaufhebung, Terminsverlegung oder Vertagung der mündlichen Verhandlung dargelegt worden oder sonst ersichtlich gewesen sind.

Das Gericht war auch in Anbetracht des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht gehalten, dem am Vortag der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Terminsverlegung stattzugeben. Eine Terminsverlegung setzt nach § 173 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO voraus, dass hierfür erhebliche Gründe vorliegen. Solche Gründe waren vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die persönliche Anhörung des Klägers notwendig oder sein Prozessbevollmächtigter an einer Vertretung im Termin gehindert war.

Wird ein Beteiligter – wie hier – durch einen Rechtsanwalt vertreten, ist seine Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht erforderlich, weil seine Rechte in dem erforderlichen Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können. Dies gilt auch für Klageverfahren im Bereich des Asylrechts. Denn auch im Asylprozess ist ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung oder Vertagung nicht bereits dann – quasi automatisch – anzunehmen, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter wegen Krankheit oder aus anderen persönlichen Gründen verhindert ist, selbst an der Verhandlung teilzunehmen. Vielmehr ist jeweils nach den Umständen des Falles zu prüfen, ob der Verfahrensbeteiligte ohne Terminsverlegung bzw. Vertagung in seinen Möglichkeiten beschränkt würde, sich in dem der Sache nach gebotenen Umfang zu äußern. Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt (BVerwG, Beschlüsse vom 4. Februar 2002 – 1 B 313/01 –, juris Rn. 5, und vom 4. August 1998 – 7 B 127/98 –, juris Rn. 2; Bayerischer VGH, Beschluss vom 25. November 2015 – 15 ZB 15.30229 –, juris Rn. 3-4). Eine Terminsverlegung kommt daher allenfalls in Betracht, wenn die persönliche Anwesenheit des anwaltlich vertretenen Klägers aus besonderen Gründen erforderlich erscheint, insbesondere wenn es entscheidungserheblich auf die Glaubhaftigkeit des Klägervortrages ankommt (vgl. Bayerischer VGH, Beschlüsse vom 12. Dezember 2017 – 11 ZB 17.31689 –, juris Rn. 4, vom 15. November 2006 – 1 ZB 06.30992 –, juris Rn. 4, und vom 25. August 2006 – 1 ZB 06.30747 –, juris Rn. 3 m.w.N.).

In Anwendung dieser Maßstäbe lagen erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung nicht vor. Eine Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist nicht geltend gemacht worden. Ein persönliches Erscheinen des Klägers zum Verhandlungstermin war nicht angeordnet worden. Eine Notwendigkeit für die Anwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist nicht ersichtlich gewesen und ist von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auch nicht substantiiert und nachvollziehbar dargelegt worden. Die Begründung des Terminsverlegungsantrags, dass der Kläger „auf seine persönliche Anhörung durch das Gericht besteht“, reicht dafür nicht aus. Einen generellen Anspruch auf eine persönliche Anhörung anwaltlich vertretener Kläger sieht die Prozessordnung auch im Asylrechtsstreit nicht vor (BVerwG, Beschluss vom 8. August 2007 – 10 B 74/07 –, juris Rn. 8 m.w.N.). Das Gericht hat noch vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Anwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung und damit auch keinen Anlass für eine Terminsverlegung zu sehen. Dennoch sind im Folgenden keine besonderen Umstände vorgetragen worden, die es geboten hätten, die Verhandlung nur in Anwesenheit des Klägers durchzuführen. Der Kläger hat nicht angegeben, was er im Falle seiner Anwesenheit im Verhandlungstermin über sein bisheriges Vorbringen hinaus noch hätte vortragen wollen. Auch unter Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstoffes ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass in der mündlichen Verhandlung entscheidungserhebliche tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte noch hätten vorgetragen werden können. Dies gilt vorliegend insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Gericht seine Einschätzung der Sach- und Rechtslage bereits im Gerichtsbescheid vom 2. März 2018 umfassend dargelegt hat, der Kläger dies aber nicht zum Anlass genommen hat, weiter vorzutragen. Dass der Prozessbevollmächtigte der mündlichen Verhandlung aus eigener Entscheidung ferngeblieben ist und sich damit der Möglichkeit begeben hat, ggf. Weiteres für den Kläger vorzutragen, ist dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO zuzurechnen. Auf die Glaubhaftigkeit des Klägervortrages kam es überdies, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, nicht an, so dass eine persönliche Anhörung aus Sicht des Gerichts nicht erforderlich erschien.

Die zulässige Klage ist mit dem Haupt- und den Hilfsanträgen unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 10. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG oder des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung (vgl. auch Art. 1 GFK, Art. 2 RL 2011/95/EU) liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris Rn. 19). Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung und begründet eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung nach der Qualifikationsrichtlinie kann eine Vorverfolgung dabei – anders als für das Asylrecht nach Art. 16a GG – nicht mehr wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52/07 –, juris Rn. 29). Für das Eingreifen der Beweiserleichterung muss ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden bestehen. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung – bei gleichbleibender Ausgangssituation – aus tatsächlichen Gründen naheliegt. Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 31). Außerdem kann die Vermutung widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, juris Rn. 21-22; Nds. OVG, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 –, juris Rn. 34; OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A –, juris Rn. 21-24). Ob stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit der Vorverfolgung bzw. des Schadenseintritts entkräften, obliegt der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23).

Der bei der Gefahrenprognose maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris Rn. 32). Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14/89 –, juris Rn. 13).

Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es dabei Sache des Schutzbegehrenden, die Gründe für seine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Hierzu gehört, dass der Schutzbegehrende zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405/89 –, juris Rn. 8). Der Kläger muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Heimatland zurückzukehren (BVerwG, Urteil vom 22. März 1983 – 9 C 68/81 –, juris Rn. 5).

Nach der Erkenntnislage ist zunächst entgegen der Auffassung des Klägers nicht davon auszugehen, dass in Pakistan Personen schiitisch-muslimischen Glaubens eine sogenannte Gruppenverfolgung allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit droht (so auch VG Osnabrück, Urteil vom 7. November 2017 – 5 A 1468/16; VG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2017 – 2 A 137/17; VG Regensburg, Urteil vom 25. Juli 2016 – RN 3 K 16.30810; VG Köln, Urteil vom 3. Juli 2015 – 23 K 581/14.A –, juris Rn. 17-40; VG München, Urteil vom 12. Juni 2015 – M 23 K 13.30964 –, juris Rn. 27-33; VG Ansbach, Urteil vom 7. August 2014 – AN 11 K 14.30589 –, juris Rn. 34-37; VG Augsburg, Urteil vom 22. August 2013 – Au 6 K 13.30182 –, juris Rn. 20). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 – 10 C 11/08 –, juris Rn. 13 ff.). Schiiten in Pakistan droht nach den im Verfahren von der Kammer zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt zu sein.

Die Gesamtbevölkerung Pakistans wird nach den vorliegenden Erkenntnissen auf rund 185 bis 201 Millionen Einwohner geschätzt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2014, S. 28: 185 Mio.; All-Party Parliamentary Group for International Freedom of Religion or Belief, Freedom of Religion or Belief in Pakistan and the UK, Februar 2016, S. 27: 191 Mio.; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14. Mai 2012, S. 3: 187 Mio.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report 2016, 15. August 2017, S. 3: 201,2 Mio.; UK Home Office, Pakistan: Background information, including actors of protection, and internal relocation, 26. Juni 2017, S. 8: 201,99 Mio.). Dabei macht die schiitische Minderheit nach den weitgehend übereinstimmenden Erkenntnismitteln circa 15 % bis 20 % der Gesamtbevölkerung aus (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 30. Mai 2016, S. 13, 16, und vom 20. Oktober 2017, S. 13, 15; vgl. auch All-Party Parliamentary Group for International Freedom of Religion or Belief, Freedom of Religion or Belief in Pakistan and the UK, Februar 2016, S. 27: 15-20 % der Gesamtbevölkerung; EASO, Country of Origin Information Report, Pakistan Security Situation, August 2017, S. 17: 25 % der Gesamtbevölkerung; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 54): 15 % bis 25 % der Gesamtbevölkerung; UK Home Office, Country Information and Guidance – Pakistan: Shia Muslims, Februar 2015, S. 7: 5 % bis 20 % der Gesamtbevölkerung; UK Home Office, Pakistan: Background information, including actors of protection, and internal relocation, 26. Juni 2017, S. 8; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report 2016, 15. August 2017, S. 3; ACCORD, Religiös motivierte Gewalt seit September 2011, 16. Januar 2013: 95 % der Gesamtbevölkerung sind Muslime, davon sind 25 % Schiiten).

Die Religionsausübung der schiitischen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Das Verhältnis zwischen der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit ist jedoch nicht konfliktfrei. Auch infolge zunehmender radikaler Strömungen in der Gesellschaft besteht ein wachsender Druck auf schiitische Gemeinden. Zahlreiche Anschläge in den vergangenen Jahren belegen, dass es für die schiitische Minderheit in Pakistan eine ernst zu nehmende latente terroristische Bedrohungslage gibt.

Des Weiteren wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der schiitischen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird. Religiöse Minderheiten sind dabei im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich überproportional betroffen. Unter den Fällen gegen Muslime nimmt der Anteil der schiitischen Minderheit zu. In den meisten Fällen wird auf Druck von Extremisten im erstinstanzlichen Urteil die Todesstrafe verhängt; Berufungsgerichte heben solche Urteile aber oft wieder auf. So wurde bislang kein Todesurteil in einem Blasphemiefall vollstreckt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20. Oktober 2017, S. 12-15; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report 2016, vom 15. August 2017, S. 8 ff.; EASO, Pakistan Länderüberblick, August 2015, S. 87-89; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan 2013 vom Juni 2013, S. 48-50; UK Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 9. August 2013, S. 123 ff. Nr. 19.29 ff.; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 10-18, 54-59).

Die Anzahl der Strafverfahren wegen Blasphemie ist nach den vorliegenden Erkenntnissen allerdings seit 2015 erheblich zurückgegangen. 2012 wurden noch 113 Personen, darunter 79 Schiiten, wegen Blasphemie angeklagt, im Jahr 2013 41 Menschen, darunter 9 Muslime (ausgenommen Ahmadis), im Jahr 2014 waren es 105 Personen, darunter 82 Muslime (ausgenommen Ahmadis) (EASO, Pakistan Länderüberblick, August 2015, S. 88; Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2014, S. 6, 14, und vom 23. Juli 2015, S. 7, 13). 2015 wurden dagegen lediglich 22 Personen, davon 15 Muslime (ausgenommen Ahmadis), wegen Blasphemie festgenommen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. Mai 2016, S. 6). 2016 wurden 15 Personen wegen Blasphemie festgenommen, darunter 10 Muslime; 2 Muslime wurden im Jahr 2016 zum Tode verurteilt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20. Oktober 2017, S. 13).

Im Hinblick auf die Anzahl betroffener Personen sind die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, allerdings eher die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite. Nach den vorliegenden Erkenntnissen gab es in den vergangenen Jahren in Pakistan zahlreiche Opfer religiös motivierter bzw. intra-konfessioneller Auseinandersetzungen. Nach einem Bericht von ACCORD (Religiös motivierte Gewalt seit September 2011, 16. Januar 2013) gehören zu den Zielen religiös motivierter Angriffe schiitische Pilgerzüge, Moscheen, Versammlungshallen, Fahrzeuge, Gebetsführer sowie religiöse Aktivisten. Die Zahl der Anschläge gegen gewöhnliche Schiiten sei in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Von Januar bis September 2012 seien mindestens 320 Schiiten durch gezielte Anschläge getötet worden. Im ganzen Jahr 2012 seien es dann 375 Tote gewesen. Es sei zu einem Anstieg der religiös motivierten Gewalt in einem bislang nicht bekannten Ausmaß gekommen. Besonders für das Jahr 2013 ist von hohen Opferzahlen berichtet worden. Nach dem Auswärtigen Amt gab es im Jahr 2013 bei religiös motivierten Anschlägen 658 Todesopfer, darunter rund 400 Schiiten, und 1.195 Verletzte (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2014, S. 5-6). Das South Asia Terrorism Portal (SATP) zählte in Pakistan im Jahr 2013 mehr schiitische Todesopfer als für die Jahre 2001 bis 2012 insgesamt. Es erfasste 81 Vorfälle mit 504 Todesopfern und 965 Verletzten (UK Home Office, Country Information and Guidance – Pakistan: Shia Muslims, Februar 2015, S. 8). Andere Quellen berichten im Jahr 2013 von 400 bis zu 700 getöteten Schiiten (ACCORD, Lage der Schiiten – Schwerpunkt aktuelle Sicherheitslage und mögliche Diskriminierungen, vom 9. Januar 2015). 2014 starben bei religiös motivierten Anschlägen 253 Menschen, 297 Personen wurden verletzt, zumeist bei Anschlägen auf religiöse Stätten und Prozessionen. Die schiitische Minderheit, insbesondere die Hazara in Belutschistan, war mit 210 Todesfällen am stärksten betroffen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. Juli 2015, S. 6, 16). Im Jahr 2015 starben bei religiös motivierten Anschlägen 272 Menschen, 283 Personen wurden verletzt, zumeist bei Anschlägen auf religiöse Stätten und Prozessionen. Dabei kamen 207 Schiiten, einschließlich Angehörigen der Gemeinschaft der Hazara in Belutschistan, ums Leben (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. Mai 2016, S. 6). Im Jahr 2016 sollen 110 Menschen, nach anderen Quellen 241 Menschen bei religiös motivierten Gewalttaten getötet worden sein (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20. Oktober 2017, S. 6, 15). Nach Auskunft des UNHCR (Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 54-59) sehen militante extremistische sunnitische Gruppierungen die Schiiten als Ungläubige an und verübten Gewalttaten gegen diese. Die konfessionelle Gewalt gegen Schiiten habe sich seit 2012 Berichten zufolge erhöht. Zwischen 2012 und 2015 seien 1.270 Schiiten bei sektiererischen Angriffen getötet worden, im Vergleich zu 714 Opfern zwischen 2008 und 2011. Zwischen Januar und November 2016 seien 24 Schiiten durch sektiererische Gewalttaten getötet worden. Die Gewalttaten fänden in allen Landesteilen statt. Die Sicherheitskräfte seien Berichten zufolge nicht in der Lage oder nicht willens, die Schiiten, zu schützen.

Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes setzt die Polizei allerdings zu besonderen Feiertagen der Glaubensgemeinschaften große Kontingente ein, um Übergriffe zu verhindern; radikale Prediger erhalten mitunter Redeverbot. Seit Verabschiedung des Nationalen Anti-Terror-Aktionsplans am 24. Dezember 2014 geht die Regierung verstärkt gegen die illegale Nutzung von Moschee-Lautsprechern für aufwieglerische Botschaften sowie gegen Hassprediger vor und hat in erheblichem Umfang Material beschlagnahmt, das zu interreligiöser Intoleranz und Hass aufruft sowie religiös motivierte Gewaltanwendung verherrlicht. Die Präsenz der Vertreter radikalislamischer Richtungen in TV-Politik-Talkshows ist seit Anfang 2015 merklich zurückgegangen. Besonderes Angriffsziel waren in den vergangenen Jahren die schiitischen Hazara-Gemeinden in Belutschistan, die aufgrund ihrer zentralasiatischen Abstammung leicht zu identifizieren und nicht zuletzt auch deshalb in besonderem Maße von der Welle gegen Schiiten gerichteter Gewalt betroffen gewesen sind (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2014, vom 23. Juli 2015, vom 30. Mai 2016 und vom 20. Oktober 2017).

Bei Würdigung und Bewertung dieser Erkenntnismittel im Wege einer Gesamtschau der maßgeblichen Kriterien ist das Gericht bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe der Überzeugung, dass Schiiten allein aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit, also ohne hinzukommende persönliche Gefährdungsmerkmale, in Pakistan keiner hieran anknüpfenden landesweiten gruppengerichteten religiösen oder politischen Verfolgung ausgesetzt sind. Eine religiöse oder politische Verfolgung von Schiiten durch die derzeitige pakistanische Regierung – in Gestalt eines staatlichen Verfolgungsprogramms – ist nach der Auskunftslage nicht ersichtlich.

Doch auch die berichteten Übergriffe durch radikale, terroristische Organisationen der mehrheitlichen Sunniten erreichen von der Anzahl der Rechtsverletzungen im Verhältnis zur Gesamtzahl dieser Gruppe nicht die Schwelle, ab der eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche erhebliche Verfolgungsdichte anzunehmen wäre. Zwar ist die schiitische Bevölkerungsminderheit in erheblichem Umfang Terroraktionen durch sunnitische Extremisten ausgesetzt. Nach den zuvor zitierten Auskünften kann trotz der Vielzahl religiös motivierter Anschläge und der vereinzelten menschenrechtlich fragwürdigen Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen die Blasphemie-Gesetzgebung in Pakistan jedoch nicht festgestellt werden, dass auch für jeden Schiiten in Pakistan eine aktuelle Gefahr eigener und persönlicher Betroffenheit besteht. Dies ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Größe der Bevölkerungsgruppe zur Anzahl der von Anschlägen betroffenen Personen.

Selbst wenn man bei einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 –, juris Rn. 33, und Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 –, juris Rn. 23) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen die festgestellten Opferzahlen bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige der schiitischen Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass durch die nicht unerhebliche Anzahl von Anschlägen, insbesondere gegen Moscheen und religiöse Veranstaltungen, insgesamt ein Klima der Sorge, Angst und Bedrohung entsteht. Unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Kriterien, wonach für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit bestehen muss, ist gleichwohl eine zur Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte zu verneinen. Angesichts des zuvor ermittelten Verhältnisses von Bevölkerungsgruppe und Übergriffen liegt – jedenfalls derzeit – nicht für jedes Gruppenmitglied im flüchtlingsrechtlichen Sinn eine aktuelle und hinreichend konkrete Gefahr, Opfer eines Anschlages zu werden, vor.

Der Kläger hat auch eine begründete Furcht vor Verfolgung aus individuellen Gründen nicht dargelegt. Weder die seine Familienmitglieder betreffenden Strafverfahren aus den Jahren 2002 und 2004 noch die gegen drei schiitische Häuser gerichtete Brandstiftung im April 2010 betrafen den Kläger persönlich. Im Übrigen waren diese Vorfälle, ebenso wie die angeblichen strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Kläger im Jahr 2010, nicht fluchtauslösend, so dass es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 2 BvR 2141/06 –, juris Rn. 20) fehlt. Auch die vom Kläger behaupteten Übergriffe auf seine Person, die er in der Folgezeit in seinem Heimatort „zwei- bis dreimal“ erlitten haben soll, können schon mangels Darlegung eines zielgerichteten Vorgehens bestimmter Personen gegen ihn keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung bei Rückkehr nach Pakistan begründen. Der Vortrag des Klägers lässt in keiner Weise erkennen, dass er von bestimmten Verfolgungsakteuren persönlich verfolgt worden wäre. Damit existiert keine Grundlage für die Vermutung, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan erneut von einer solchen Verfolgung bedroht wäre; ein innerer Zusammenhang zwischen der geltend gemachten früher erlittenen Verfolgung und der befürchteten künftigen Verfolgung ist nicht erkennbar. Hinsichtlich seiner Befürchtungen bei einer Rückkehr ins Heimatland verweist der Kläger im Wesentlichen lediglich auf die allgemein schlechte Lage der Schiiten in Pakistan, die ihm ein Leben nicht nur in seinem Heimatort, sondern auch in Islamabad, in Lahore und in Karachi unmöglich gemacht habe. Wie bereits ausgeführt, kann jedoch eine Gruppenverfolgung von Schiiten nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht angenommen werden, so dass ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände auch eine beachtliche Verfolgungsgefahr für den Kläger allein aufgrund seiner Religionszugehörigkeit nicht festgestellt werden kann.

Außerdem muss sich der Kläger, selbst wenn man von einer zielgerichteten persönlichen Verfolgung in seinem Heimatort ausginge, auf inländische Fluchtalternativen (§ 3e AsylG) in Pakistan verweisen lassen. Die Größe des Landes und seine Vielfalt eröffnen interne Ausweichmöglichkeiten. Insbesondere besteht die Möglichkeit, in den Schutz der größeren Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Personen handelt, die bereits überregional bekannt geworden sind. Dies wird auch von Vertretern unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als Ausweichmöglichkeit gesehen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Pakistan, 22. März 2017, aktualisiert am 7. Dezember 2017, S. 114-116; UK Home Office, Pakistan: Background information, including actors of protection, and internal relocation, 26. Juni 2017, S. 6; UK Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Background Information, including actors of protection and internal relocation, 6. Oktober 2014, S. 8-10). In den Städten, vor allem den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan, leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Land. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben. Selbst bei Polizeikontrollen ist ein Entdecktwerden von mit Haftbefehl gesuchten Personen höchst unwahrscheinlich (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20. Oktober 2017, S. 20; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Mai 2017 an das VG Gießen, Frage 3). Es ist nicht ansatzweise vorgetragen oder ersichtlich, dass die nicht näher bezeichneten angeblichen Verfolger den Einfluss, die finanziellen Mittel und insbesondere auch den Willen hätten, den Kläger landesweit aufzuspüren. Inwiefern die vermeintlichen Verfolger im Falle einer Rückkehr auf den Kläger überhaupt aufmerksam werden sollten, erschließt sich dem Gericht nicht, zumal in Pakistan kein funktionierendes Meldewesen existiert (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15. Januar 2014 an das VG Leipzig; Nr. 3, und vom 2. Mai 2017 an das VG Gießen, Frage 3). Infolgedessen ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3e AsylG finden kann (vgl. auch BVwG (Österreich), Urteil vom 26. Januar 2015 – L512 1428544-1, S. 32-33, 51-53; VG Stade, Urteil vom 29. November 2017 – 6 A 1153/16, S. 5-6; VG Osnabrück, Urteil vom 7. November 2017 – 5 A 1468/16, S. 17-18; VG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2017 – 2 A 137/17, S. 12-13; VG Oldenburg, Urteil vom 26. Juni 2017 – 5 A 3565/17, S. 6-7; VG Göttingen, Urteil vom 7. Februar 2017 – 2 A 304/15 –, juris Rn. 27-30; VG Braunschweig, Urteil vom 1. Februar 2017 – 5 A 109/15, S. 6-9; VG Augsburg, Urteil vom 1. August 2016 – Au 3 K 16.30589 –, juris Rn. 36-39 m.w.N.; VG München, Urteil vom 12. Juni 2015 – M 23 K 13.31345 –, juris Rn. 24 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 29. April 2014 – 14 K 7578/13.A –, juris Rn. 45-50 m.w.N.). Dass der Kläger allein aufgrund seiner schiitischen Glaubenszugehörigkeit in allen Landesteilen mit Verfolgung zu rechnen hätte, ist – wie bereits ausgeführt – nicht ersichtlich.

Die Inanspruchnahme internen Schutzes ist dem Kläger auch zumutbar. In den Großstädten und in anderen Landesteilen kann der Kläger als junger erwerbsfähiger lediger Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Selbst ungelernten Menschen ist es in der Regel möglich, sich durch Gelegenheitsjobs oder kleine Geschäfte ihren Lebensunterhalt zu sichern (vgl. Auskunft von Dr. Wagner an VG Karlsruhe vom 9. November 2011, S. 5; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan 2013 vom Juni 2013, S. 76; BVwG (Österreich), Urteil vom 26. Januar 2015 – L512 1428544-1, S. 52-53; VG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2017 – 2 A 137/17, S. 13 m.w.N.; VG Göttingen, Urteil vom 7. Februar 2017 – 2 A 304/15 –, juris Rn. 30 m.w.N.). Dass der Kläger nicht in der Lage sein könnte, sich eine Lebensgrundlage zu erwirtschaften, ist daher nicht ersichtlich, zumal er auch schon vor seiner Ausreise als Bauarbeiter und Landwirt berufstätig war und außerdem auch Unterstützung durch seine weiterhin in Pakistan lebenden Verwandten erhalten kann.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Er hat nicht dargelegt, dass ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan ernsthafte Schäden im Sinne von § 4 AsylG drohen. Auch insofern müsste sich der Kläger auf den internen Schutz in Pakistan nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3e AsylG verweisen lassen.

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach Pakistan gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist (§ 60 Abs. 5 AufenthG), liegen nicht vor. Dem Kläger droht auch keine konkrete individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte.

Auch die gemäß §§ 36 Abs. 1, 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig.

Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Bescheides verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.