Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 10.06.2010, Az.: 3 A 223/08
Baum; dingliche Surrogation; Eigentum; Enteignung; Entschädigung; Fällen; Gemeinde; Gemeinschaftsvermögen; Grunddienstbarkeit; Holz; Holznutzung; Holznutzungsrecht; Interessentenschaft; Kommune; Nutzungsrecht; Nutzvermögen; Realgemeinde; Realgemeindemitglied; Rechtsweg; Rezess; Rezessrecht; Stadt; Teilhaberecht; Weg; Zweckvermögen
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 10.06.2010
- Aktenzeichen
- 3 A 223/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47975
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 14 Abs 3 S 2 GG
- § 27 RealVerbG ND
- § 26 RealVerbG ND
- § 2 RealVerbG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Werden Holznutzungsrechte aus einem Rezess (hier: von 1864) gegenüber einer Gemeinde geltend gemacht, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
2. Das Recht eines Realgemeindemitgliedes, Bäume auf einem Realgemeindeweg durch Fällung zu nutzen, geht unter, wenn die politische Gemeinde das Eigentum am Weg erwirbt.Das gilt unabhängig davon, ob man das Holznutzungsrecht als öffentlich-rechtlich geprägtes Teilhaberecht am Gemeinschaftsvermögen der Realgemeinde ansieht oder als privatrechtliche Grunddienstbarkeit.
3. Beim Untergang besonderer Nutzungsrechte handelt es sich nicht um eine Enteignung
im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, vielmehr handelt es sich um einen Fall der gesetzlich geregelten dinglichen Surrogation: Anstelle des Nutzungsrechtes tritt eine Entschädigung.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um das Fortbestehen eines 1864 begründeten Rezessrechtes zur Holznutzung.
Die Kläger sind Eigentümer landwirtschaftlicher Höfe. Sie waren Mitglieder einer inzwischen aufgelösten Interessentenschaft (seit Inkrafttreten des Nieders. Realverbandsgesetzes 1969: Realverband).
In einem Rezess über die Spezialteilung und Verkoppelung der Feldmark Wietzetze von 1864 wurde folgendes geregelt:
Dagegen sollen alle diejenigen Wege, welche im Lichten 22 Fuß und darüber breit sind, an jeder Seite mit einer Reihe von Bäumen bepflanzt werden. …
Die Bäume sind in der Reihe 32 Fuß voneinander und 2 Fuß von der Grabenkante anzupflanzen. … Jeder Koppelbesitzer nimmt die Anpflanzungen auf den Wegen neben seinen Grundstücken auf eigene Kosten und zum eigenen Nutzen und Gewinn vor und muss dieselben binnen 5 Jahren nach der definitiven Überweisung der Koppeln beendet haben.
Die aufgeführte Regelung betraf auch das Wegeflurstück 199, welches über 9 m breit und etwa 900 m lang ist. Von den Rechtsvorgängern der Kläger wurden am Wegerand entsprechend dem Rezess Eichen gepflanzt, die jetzt 150 Jahre alt sind.
In den 1960er Jahren wurden die Grundstücke des Realverbandes verkauft. Am 3. September 1966 stellten die Mitglieder des Realverbandes dem Landwirt Hans-Heinrich Lühr eine Vollmacht aus
zur Durchführung der uneingeschränkten Übertragung von sämtlichen Nutzungsrechten und -pflichten aller Grundstücksparzellen einschließlich Wege der Realgemeinde bzw. der Interessentenschaft von Wietzetze laut Rezess von 1864 auf die politische Gemeinde Wietzetze …
Mit Beschluss des Niedersächsischen Kulturamtes vom 6. Dezember 1967 ist dann auch festgestellt worden, welche Grundstücke im Einzelnen durch notariellen Vertrag vom 21. September 1966 auf die politische Gemeinde Wietzetze übergegangen sind. Die Aufzählung enthält auch das Flurstück 199 in einer Größe von 7.230 m², welches bezeichnet ist als „Koppelweg an der Drethemer Grenze“.
Die Interessentenschaft, die ihre Rechte und Pflichten im Rezess von 1864 geregelt hatte, wurde aufgelöst. Die Auflösung wurde wohl schon Ende der 1960er Jahre vollzogen. Da dies 1982 durch entsprechende schriftliche Einträge nicht festgestellt werden konnte, erging (erneut) eine Auflösungsverfügung des Landkreises Lüchow-Dannenberg (vom Dezember 1982, veröffentlicht im Amtsblatt für den Landkreis Lüchow-Dannenberg vom 15. Januar 1983).
Zwischen den Klägern und der Beklagten besteht Ungewissheit, wem das Recht zusteht, die rund 150 Jahre alten Bäume auf dem Wegeflurstück 199 zu nutzen, insbesondere diese zu fällen und zu veräußern.
Die Kläger haben am 13. August 2008 Klage erhoben. Sie tragen vor: Die Beklagte habe bereits damit begonnen, einen Teil der Bäume zu fällen und zu veräußern. Die Beklagte berufe sich auf ein eigenes Nutzungsrecht. Das stehe der Beklagten jedoch nicht zu. Ihr -der Kläger - Nutzungsrecht aufgrund des Rezesses bestehe weiter fort. Denn ihr Nutzungsrecht sei nicht davon abhängig, ob der Realverband als solcher mit eigener Rechtspersönlichkeit fortbestehe oder nicht. Nutzungsrechte, die durch einen Rezess begründet worden seien, gingen nach Auflösung eines Realverbandes nicht unter, sondern bestünden fort und könnten gegenüber dem Rechtsnachfolger des Wegegrundstückes geltend gemacht werden. Denn beim Recht auf Holznutzung handele es sich um eine fortbestehende Grunddienstbarkeit.
Die Kläger beantragen,
festzustellen, dass das Recht der Kläger aus § 23 Ziffer 2 des Planrezesses über die Spezialteilung und Verkoppelung der Feldmark Wietzetze vom 23.01./30.03.1864 die Anpflanzungen auf dem Wege Flurstück 199, Flur 1, Gemarkung Wietzetze selbst zu nutzen, fortbesteht,
hilfsweise den Rechtsstreit an das zuständige Zivilgericht zu verweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den Anspruch nicht für gegeben und macht Ausführungen zur Sach- und Rechtslage.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Es kann auf den Hauptantrag der Klage nicht festgestellt werden, dass das Recht aus dem Rezess von 1864, die Anpflanzungen auf dem Wegeflurstück 199 zu nutzen, fortbesteht und jetzt den Klägern zusteht. Der Hilfsantrag kann keinen Erfolg haben, weil der Zivilrechtsweg nicht gegeben ist, vielmehr der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht, da die Kläger ihren Anspruch gegen eine Gemeinde geltend machen.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Denn bei der Frage, wem das Recht auf Holznutzung aus dem Rezess von 1864 zusteht, handelt es sich - da eine Gemeinde beteiligt ist - um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die den Verwaltungsgerichten zugewiesen ist, und nicht um eine privatrechtliche Streitigkeit, die vor die ordentlichen Gerichte gehörte.
Maßgeblich für die Bestimmung des Rechtswegs ist die Natur des geltend gemachten Anspruchs. Die Kläger begehren die Feststellung, dass ihr Recht aus § 23 Ziffer 2 des Rezesses, die Anpflanzungen auf dem Wege Flurstück 199 selbst zu nutzen, fortbesteht. Dieser Anspruch gehört dem öffentlichen Recht an, weil er sich gegen eine Gemeinde richtet. Selbst wenn Ansprüche wegen der in einem Rezess geregelten Rechte an einem Weg in ihrem Ausgangspunkt als privatrechtlich zu qualifizieren sein sollten, führte das nicht zur Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten, weil die Kläger als Rechtsnachfolger der Rezessbeteiligten gegen eine Gemeinde um die Nutzung eines Wegegrundstücks streitet, was allein den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet (für den Fall der Klage von früheren Realgemeindemitgliedern gegen die Gemeinde: BGH, Beschl. v. 13.3.2008 - V ZB 113/07 -, NVwZ-RR 2008, 742).
Rezesse haben ihre große Bedeutung im 19. Jahrhundert gehabt. Sie gingen einher mit der Auflösung der markgenossenschaftlichen Argrarverfassung. Die Markgenossenschaft als echte Realgemeinde war ursprünglich zugleich der erste Gemeindeverband der ländlichen Bevölkerung, in welchem nur die Grundbesitzer berechtigt waren. Die Markgenossenschaft war Träger der Allmende, des von den Mitgliedern gemeinsam genutzten Landes. Hauptbestandteile der Allmende waren Wald und Weideland. Im Laufe der Zeit traten neben die Vollhöfe kleinere Güter, dazu kamen Tagelöhner mit wenig oder keinem Grundbesitz in der nutzbaren Mark, Handwerker, Dienstleute, Kirchen- und Schulbeamte. So entstand neben der alten Markgenossenschaft der Grundbesitzer die politische Gemeinde, die mit der Erledigung allgemeiner Verwaltungsaufgaben zunehmend betraut wurde. Für das Gebiet des noch existenten Königreichs Hannover, zu dem damals auch das Fürstentum Lüneburg gehörte, wurde schließlich 1852 das erste Landgemeindegesetz erlassen, das 1859 erneuert wurde. Die Schlacht bei Langensalza war damals nämlich noch nicht geschlagen, als sich im Juni 1866 Preußen und das Königreich Hannover gegenüberstanden und infolge der Schlacht das Königreich Hannover annektiert und zur preußischen Provinz Hannover gemacht wurde. Im 19. Jahrhundert wurden von den Realgemeinden die meisten Allmenden aufgeteilt, gleichzeitig wurde eine Flurbereinigung durchgeführt. Die Gemeinheitsteilung und die Verkoppelung fand in einem Rezess den formellen Abschluss.
Bis zum Inkrafttreten des Nieders. Realverbandsgesetzes vom 4. Nov. 1969 ist rechtlich allerdings zwischen den echten Realgemeinden und den sog. Interessentenschaften zu unterscheiden gewesen. Für die echten Realgemeinden wurde durch das Gesetz betreffend die Verfassung der Realgemeinden in der Provinz Hannover vom 5. Juni 1888 eine gesetzliche Grundlage erlassen, wonach sich die Realgemeinden eine eigene Verfassung geben konnten durch sogenanntes Statut. Die Interessentenschaften sind durch die Gemeinheitsteilungen des 19. Jahrhunderts im Wege von „Flurbereinigungen“ entstanden. Rechtsgrundlagen für die Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen waren Gemeinheitsteilungsordnungen. Die erste Gemeinheitsteilungsordnung im heute niedersächsischen Bereich wurde für das Fürstentum Lüneburg erlassen, und zwar am 25. Juni 1802. Später gab es dann das Hannoversche Gesetz vom 30. Juni 1842 betreffend das Verfahren in Gemeinheitsteilungs- und Verkoppelungssachen. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ergingen dann Gemeinheitsteilungsordnungen für andere Fürstentümer. Die Preußische Gemeinheitsteilungsordnung wurde - lange vor Langensalza - im Juli 1821 erlassen. Später wurde für diese Interessentenschaften am 2. April 1887 ein Gesetz geschaffen (Gesetz, betreffend die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten). Dieses Gesetz - im Folgenden: Ges 1887 - betrifft Auseinandersetzungsverfahren für so genannte Zweckgrundstücke wie Wege, Triften, Gräben, Trankstätten, Lehm-, Sand-, Kalk- und Mergelgruben, Kalk- oder andere Steinbrüche u. ä.. Für die Zeit nach Inkrafttreten des Nieders. Realverbandsgesetzes ist die Unterscheidung nicht mehr von ausschlaggebendem Einfluss, da beide Zusammenschlüsse einheitlich dem Realverbandsgesetz unterfallen (vgl. § 1 Nr. 1 und 2 RealVerbG).
Rezesse einer Interessentenschaft haben sowohl öffentlich-rechtlichen Charakter als auch privatrechtlichen Charakter. Ein Rezess ist ein Rechtsgebilde eigener Art. Er hat Elemente eines Vertrages, einer Planfeststellung und eines Ortsgesetzes. So ist etwa anerkannt gewesen, dass die Regelungen in Rezessen über den Bau und die Unterhaltung von Wegen nicht privatrechtlichen Charakter haben, sondern den Charakter von lokalem öffentlichen Wegerecht, mithin als objektives lokales öffentliches Recht anzusehen sind (PrOVGE 14, 242, 246). Allerdings ist einzuräumen, dass nicht jede Regelung in einem Rezess öffentlich-rechtliche Eigenschaft hat (PrOVG in PrVwBl. 1904, Seite 331, 332). Auch privatrechtliche Verhältnisse konnten in einem Rezess geregelt werden (vgl. Kluckhuhn, Das Recht der Wirtschaftswege und sonstigen landwirtschaftlichen Zweckgrundstücke, 1904, Seite 81 ff.). Ob ein Rezess lokales öffentliches Recht schaffte oder nur private Rechtsbeziehungen regelte, ist deshalb niemals eine Frage, die den Rezess als Ganzes betrifft, sondern stets eine Frage der einzelnen Regelung im Rezess. Das lässt sich ohne Weiters schon aus der Gemeinheitsteilungsordnung für das Fürstentum Lüneburg von 1802 herleiten. Diese wurde erlassen von Georg III., „von Gottes Gnaden König des vereinigten Reichs Großbritannien und Irland, Beschützer des Glaubens, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, des heiligen Römischen Reichs Erz-Schatzmeister und Churfürst etc. etc.“. In den allgemeinen Ausführungen in der Präambel weist der König darauf hin, dass er „aus Landesväterlich wohlwollenden Gesinnungen gegen Unsere getreuen Unterthanen“ diese durch die Anwendung der Gemeinheitsteilungsordnung zu „einer gründlichen Beförderung ihres Wohlstandes“ ermuntern wolle. In den §§ 9 ff. der Ordnung werden Regelungen über die Rechtswege getroffen, insbesondere was vor die ordentlichen Gerichte gehört und was vor die (öffentlich-rechtlichen) Behörden (dem heutigen Rechtsverständnisse nach: was den Behörden nachfolgend zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte führt). In § 14 der Ordnung wird hervorgehoben, dass es nicht vor die ordentlichen Gerichte (sondern vor die Behörden) gehöre, wenn nach Durchführung der Teilung „noch Irrungen, Streitigkeiten oder Beschwerden entstehen sollten, welche in eben der geschehenen Auseinandersetzung ihre Quelle hätten“.
Selbst wenn man - nicht eingedenk und abweichend von der historischen Mahnung des Gottesgnadenkönigs - die rechtlichen Beziehungen der Eigentümer der aus dem Rezess hervorgegangenen Grundstücke im Hinblick auf Zweckgrundstücke oder Nutzgrundstücke in ihrem Ausgangspunkt als privatrechtlicher Natur ansehen wollte (so RGZ 47, 314, 318; 79, 46, 51), ist über Ansprüche auf Nutzung dieser Grundstücke von den Verwaltungsgerichten jedenfalls dann zu entscheiden, wenn und soweit die Ansprüche von einer Gemeinde geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2008 - V ZB 113/07 -, a.a.O.).
2. Die Klage ist unbegründet. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Recht aus dem Rezess von 1864, die Anpflanzungen auf dem Wegeflurstück 199 zu nutzen, fortbesteht und jetzt den Klägern zusteht. Das Holznutzungsrecht der Kläger besteht nicht mehr. Es ist mit der Übertragung des Wegegrundstückes auf die politische Gemeinde und Auflösung des Realverbandes untergegangen.
Da das Verwaltungsgericht als Gericht des zulässigen Rechtsweges gem. § 17 Abs. 2 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, müssen der Fortbestand oder der Untergang des Holznutzungsrechtes als öffentliches Recht und der Fortbestand oder Untergang des Holznutzungsrecht als privates Recht gleichermaßen geprüft werden. Die Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass der Untergang des Rechtes festzustellen ist, und zwar unabhängig davon, ob man das Holznutzungsrecht als öffentlich-rechtlich geprägtes Teilhaberecht am Gemeinschaftsvermögen der Interessentenschaft ansieht oder als privatrechtliche Grunddienstbarkeit.
Das Recht zur Holzgewinnung kann als öffentlich-rechtliches Nutzungsrecht, als Teilhaberecht am Verbandsvermögen der Interessentenschaft angesehen werden, als öffentlich-rechtliche Festschreibung eines „Sondernutzungsrechtes“ an dem jeweiligen Weg, also von Recht, das über den normalen Allgemeingebrauch des Weges - Begehen und Befahren zur Ortsveränderung - hinausgeht. Wenn den Koppeleigentümern - und nur ihnen - das Recht zur Holzgewinnung eingeräumt worden ist, ist das - aus heutiger Sicht - der typische Fall der Einräumung eines individuellen wegerechtlichen Sondernutzungsrechts.
Demgegenüber könnte das Nutzungsrecht an den Bäumen auch als eine privatrechtliche Grunddienstbarkeit (§ 1018 BGB) verstanden werden, die unabhängig von einer Eintragung ins Grund buch entstanden ist und auch nach Anlegung des Grundbuchs ohne Eintragung fortbestanden hat. Das Landgericht Lüneburg hat in einem Urteil vom 12. September 1979 (2 O 228/79) entschieden über einen 1855 niedergelegten Rezess der Realgemeinde Gistenbeck, in welchem - ähnlich wie vorliegend - geregelt war, dass "jeder Koppelbesitzer... die Bäume neben seinen Grundstücken auf eigene Kosten und zum eigenen Nutzen und Gewinn ..." zu pflanzen hatte. Geklagt hatte ein Landwirt gegen die Gemeinde auf Zahlung des Veräußerungserlöses aus verkauftem Holzeinschlag. Die Klage hatte Erfolg, und dem Urteil des Landgerichtes lässt sich entnehmen: Zwischen den Beteiligten des Verfahrens vor dem Landgericht „herrscht(e) kein Streit, dass es sich bei dem in § 10 des Rezesses aus dem Jahre 1855 begründeten Nutzungsrecht an den Bäumen um eine Grunddienstbarkeit (§ 1018 BGB) handelt“. Die Frage des Untergangs des Rechtes nach den Vorschriften des Realverbandsgesetzes oder früherer Rechtsvorschriften hat das Landgericht nicht erörtert, lediglich den Untergang durch gutgläubigen Erwerb bei Eigentumsübergang geprüft und verneint.
Bei der Feststellung, dass das Holznutzungsrecht der Interessenten mit der Übertragung des Wegegrundstückes auf die politische Gemeinde untergegangen ist, sind nicht die Vorschriften des Nieders. Realverbandsgesetzes - RealVerbG - heranzuziehen. Denn das RealVerbG ist erst am 4. November 1969 erlassen worden. Die Interessentenschaft hat aber bereits vorher die ihr gehörenden Grundstücke an die Gemeinde Wietzetze verkauft, und bereits vor dem 4. November 1969 ist auch das Eigentum an dem Weg mit den Bäumen übergegangen. Mit Beschluss des Niedersächsischen Kulturamtes vom 6. Dezember 1967 ist nämlich festgestellt worden, welche Grundstücke im Einzelnen auf die politische Gemeinde Wietzetze übergegangen sind, und die Aufzählung enthält auch das Flurstück 199 in einer Größe von 7.230 m², welches bezeichnet ist als „Koppelweg an der Drethemer Grenze“.
Bis zum Inkrafttreten des Nieders. Realverbandsgesetzes hat noch das Gesetz vom 2. April 1887 Geltung gehabt (s. § 60 Abs. 2 Nr. 1 RealVerbG). Der Untergang des Holznutzungsrechtes, das den Interessenten und ihren Rechtsnachfolgern aufgrund des Rezesses zugestanden hat, Mitte der 1960er Jahre durch Eigentumsübertragung des Wegegrundstückes ist deshalb nach dem Gesetz betreffend die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten - im Folgenden: Ges 1887 - zu entscheiden.
Nach dem Ges 1887 stand es einer Interessentenschaft frei, auch Zweckgrundstücke zu veräußern, sie etwa auf die politische Gemeinde zu übertragen. Aus §§ 4 und 8 Ges 1887 und der Begründung des Gesetzes sind Nutzungsrechte am Zweckvermögen - also an Grundstücken, an denen einzelne Mitglieder besondere Nutzungsrechte hatten - mit Verkauf und Eigentumsübergang untergegangen, und den Berechtigten hat ggf. nur noch eine Entschädigung zugestanden.
Zunächst ist nach § 4 Ges 1887 der bestellte Vertreter der Interessentenschaft befugt gewesen, „über die Substanz des durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Vermögens zu verfügen“.
In § 5 Abs. 1 Ges 1887 heißt es:
Ist zufolge einer Verfügung über die Substanz eine Geldentschädigung festgestellt, so hat die Auseinandersetzungsbehörde nicht bloß die im Interesse der eingetragenen Gläubiger und sonstigen Realberechtigten erforderliche Verwendung, sondern auch die Verteilung der Geldentschädigung zu regulieren.
§ 8 Ges 1887 ergänzt in seinen Absätzen 1 und 2:
Hat ein gemeinschaftliches Grundstück kein besonderes Blatt im Grundbuche und ist das Anteilsrecht auf den Grundbuchblättern der beteiligten Grundstücke nicht vermerkt, so erfolgt im Falle der Auflassung die Anlegung eines Grundbuchblattes für den Erwerber, ohne dass es eines Vermerkes auf den Blättern der beteiligten Grundstücke bedarf.
Die Auflassung kann erst erfolgen, wenn von der Auseinandersetzungsbehörde bescheinigt ist, dass die Veräußerung oder der Tausch für die Realinteressenten unschädlich, oder dass die Verwendung der Geldentschädigung (§ 5) erfolgt ist.
In der Begründung des Gesetzes (teilweise abgedruckt bei Kluckhuhn, a.a.O., Seite 234 f) wird ausgeführt:
.. so tritt im Falle einer durch eine Veräußerung gemeinschaftlichen Vermögens herbeigeführten gänzlichen oder teilweisen Aufhebung der Pertinenzqualität das Äquivalent an die Stelle des Zubehörs. Besteht dasselbe in einer Kapitalentschädigung, so finden auf dieselbe hinsichtlich ihrer Verwendung in die Hauptsache die gesetzlichen Vorschriften über Verwendung von Abfindungskapitalien … naturgemäß Anwendung.
Aus alledem folgt, dass die Interessentenschaft über Zweckgrundstücke verfügen konnte. Veräußerte eine Interessentenschaft ein bisher ungebuchtes Grundstück, durfte die Blattanlegung nach § 8 Abs. 1 Ges 1887 sogleich für den Erwerber erfolgen, die Voreintragung auf den Veräußerer war nicht erforderlich, § 39 GBO war nicht anzuwenden (Böhringer, Neue Justiz 2000, 120, 123; Figge in RdL 1960 Seite 85, 87).
Nach § 8 Abs. 2 Ges 1887 konnte die Auflassung (und Eigentumseintragung der politischen Gemeinde) aber erst erfolgen, wenn bescheinigt worden war, dass die Veräußerung für die Realinteressenten unschädlich war oder dass die Verwendung der Geldentschädigung erfolgt war. Diese Vorschrift sollte sicherstellen, dass Nachteile für nutzungsberechtigte Interessenten ausgeglichen werden und der Erwerber ein lastenfreies Grundstück erwirbt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die gemeinschaftlichen Zweckgrundstücke rechtlich und wirtschaftlich ein Bestandteil der zu ihnen berechtigten nutzbaren (Haupt-)Grundstücke waren: Das Anteilsrecht eines Mitglieds einer Interessentenschaft an den gemeinschaftlichen Zweckgrundstücken war bis zum Inkrafttreten des Nieders. Realverbandsgesetzes von 1969 rechtlich wie wirtschaftlich grundsätzlich untrennbar mit dem Grundstückseigentum - dem Hof - verbunden. Im Falle des Verkaufs eines Hofes ging auch das Anteilsrecht an der Interessentenschaft auf den Käufer mit über. Ebenso wie das Anteilsrecht an den gemeinschaftlichen Zweckgrundstücken untrennbar war von dem einzelnen nutzbaren Hof, so war auch die sich aus dem Rezess ergebende Pflicht, die gemeinschaftlichen Wirtschaftseinrichtungen mit zu unterhalten, untrennbar mit dem Hof und seinen Wirtschaftsflächen verbunden (hierzu im Einzelnen Urt. der Kammer v. 23. April 2002 - 3 A 2/01 -). Wird nun im Falle einer Veräußerung - „Verfügung über die Substanz“ i.S.d. §§ 4 und 5 Ges 1887 - die Zusammengehörigkeit zwischen Zweckgrundstück und Hauptgrundstücken ausnahmsweise gelöst, so bedurfte es gem. § 8 Abs. 2 Ges 1887 einer besonderen Prüfung und Bescheinigung, „dass die Veräußerung oder der Tausch für die Realinteressenten unschädlich“ war. Denn die Trennung eines Zweckgrundstückes vom Hauptgrundstück - der Hofstelle - oder allen Hauptgrundstücken - allen Höfen der Interessentenschaft - konnte erhebliche Konsequenzen haben. Trennt man das Anteilsrecht an den gemeinschaftlichen Wegen von den Hofgrundstücken und den zum Hof gehörenden Ackerflächen, so kann man Hof- und Ackergrundstücke ohne Zuwegung erhalten. Trennt man das Anteilsrecht am Grabennetz, das die notwendige Entwässerung verschafft, von den nebenliegenden Grundstücken, hat man Grundstücke, welche überflüssiges Wasser nicht in die Entwässerungsgräben leiten dürfen und daher versumpfen müssten, demgegenüber steht ein Entwässerungsgraben ohne einen angrenzenden Ackerbesitz. Inhaltslos wäre auch ein Recht, aus der gemeinschaftlichen Mergelgrube Mergel zur Verbesserung der Felder zu entnehmen, ohne solche zu haben, umgekehrt würden Felder geschaffen, die nicht mit Mergel verbessert werden könnten und deshalb ertragsärmer werden würden. Um die sich aus diesen und ähnlichen Verhältnissen ergebenden Bedürfnisse und Rechte der Interessenten zu wahren, war eben durch § 8 Abs. 2 Ges 1887 eine besondere Hürde geschaffen worden. Diese Vorschrift war nicht nur im wohlverstandenen Interesse der Mitglieder der Interessentenschaft sinnvoll, sondern lag auch im Interesse des Eigentumserwerbers. Nur so konnte sichergestellt sein, dass er ein Grundstück frei von Schulden und Lasten erwirbt, das nicht mehr mit Nutzungsrechten der Mitglieder der Interessentenschaft belastet war (vgl. Kluckhuhn, a.a.O., Seite 258). Denn durch den Verkauf und den Eigentumsübergang - das geht aus der Begründung zum Ges 1887 eindeutig hervor - werden die Rechtsbeziehungen zwischen Hauptgrundstücken und Zweckgrundstück aufgelöst („Aufhebung der Pertinenzqualität“).
Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage nach dem Ges 1887 nicht von dem nachfolgenden Realverbandsgesetz, das die Beteiligten in den Vordergrund ihrer Rechtsbetrachtungen gestellt haben.
So regelt § 27 Abs. 2 RealVerbG:
Werden Grundstücke des Nutzvermögens veräußert, an denen einzelnen Mitgliedern besondere Nutzungsrechte zustehen, so ist den Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu gewähren.
Soweit Wege wirtschaftlich verwendet werden, werden sie (insoweit) zu Nutzvermögen; Rechte Einzelner an Wegegrundstücken stellen sich damit aus der Sicht der Nutzungsberechtigten als Nutzvermögen dar (vgl. Thomas/Tesmer, Niedersächsisches Realverbandsgesetz, Kommentar, 7. Auflage 2008, § 2 Anm. 3.3). Veräußerung und Eigentumsübergang von Nutzvermögen an natürliche oder juristische Personen außerhalb der Interessentenschaft - auch das Recht auf Holznutzung als „Nutzvermögen“ Einzelner - wirkt dem Berechtigten gegenüber wie eine Entziehung dieses Rechtes (vgl. Thomas/Tesmer, a.a.O., § 27 Anm. 5). Für den Untergang des Nutzungsrechtes ist es im Übrigen unerheblich, ob das Nutzungsrecht - auch ein Holznutzungsrecht - ein öffentlich-rechtliches Teilhaberecht am Gemeinschaftsvermögen ist oder eine privatrechtliche Grunddienstbarkeit. § 27 Abs. 2 RealVerbG ist eine „übergeordnete Vorschrift“, die beide Rechtsgebiete - öffentliches Recht und privates Recht gleichermaßen - umfasst. Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift erlauben keine Differenzierung in dem Sinne, dass etwa nur öffentliche Nutzungsrechte untergehen sollten, private Nutzungsrechte hingegen bestehen bleiben sollten. Auch für die umgekehrte Konstellation ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte. Werden Grundstücke des Nutzvermögens veräußert, an denen einzelnen Mitgliedern besondere Nutzungsrechte zustehen, so ist den Betroffenen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 27 Abs. 2 RealVerbG - genauso sieht es § 5 Abs. 1 Ges 1887 vor - eine angemessene Entschädigung zu gewähren. Das Recht auf Nutzung als solches geht sowohl nach dem Realverbandsgesetz als auch nach dem Ges 1887 unter. Was den Berechtigten bleibt, ist allein ein sich aus § 27 Abs. 2 RealVerbG / § 5 Ges 1887 ergebender Anspruch auf eine angemessene Entschädigung.
Der Untergang des Nutzungsrechtes nach dem RealVerbG oder dem Ges 1887 verstößt nicht gegen die jetzt in Art. 14 GG festgeschriebene Eigentumsgarantie. Nach Art. 14 Abs. 3 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig, sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Allerdings handelt es sich beim Untergang besonderer Nutzungsrechte aufgrund der genannten Gesetze nicht um eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, vielmehr handelt es sich um einen Fall der gesetzlich geregelten dinglichen Surrogation: Anstelle des Nutzungsrechtes tritt eine Entschädigung (vgl. hierzu Thomas/Tesmer, a.a.O., § 27 Anm. 5). Nichts anderes gilt im Hinblick auf das Gesetz von 1887, nach dessen Begründung (s.o.) im Falle der Aufhebung der Rechtsbeziehungen zwischen Hauptgrundstück und Zweckgrundstück („Aufhebung der Pertinenzqualität“) die Entschädigung als „Äquivalent an die Stelle des Zubehörs“ tritt.
Sind die Holznutzungsrechte der Kläger als Rechtsnachfolger der Interessentenschaft mit der Veräußerung und Eigentumsumschreibung des Zweckgrundstückes auf die politische Gemeinde untergegangen und haben keinen Fortbestand mehr, hätten die Kläger einen Entschädigungsanspruch gem. § 5 Abs. 1 Ges 1887 / § 27 Abs. 2 RealVerbG gehabt. Nur ist ein solcher Anspruch auf eine angemessene Entschädigung von den Koppelbesitzern seit Übertragung des Wegegrundstückes in den 1960er Jahren niemals förmlich geltend gemacht worden. Auch jetzt in diesem Verwaltungsrechtsstreit geht es ihnen nicht um eine Entschädigung des wirtschaftlichen Wertes des Nutzungsrechtes, sondern um das Nutzungsrecht selbst. Es spricht im Übrigen alles dafür, dass das Recht auf Entschädigung jetzt verjährt ist, spätestens mit Auflösung des Realverbandes und dem damit verbundenen Wegfall des Anspruchsgegners untergegangen. Die Zuerkennung einer Entschädigung aufgrund des Gesetzes von 1887 kann jetzt nicht mehr - mehr als 40 Jahre nach dem Verlust am Wegegrundstück - ernsthaft erwogen werden.
Abgesehen davon heißt es in dem Beschluss des Nieders. Kulturamtes vom 6. Dezember 1967:
Gemäß § 8 des Gesetzes vom 2.4.1887 wird hiermit bescheinigt, dass die Substanzverfügung den dinglichen Rechten an den anderen Grundstücken der Interessenten unschädlich ist.
Eine solche Unschädlichkeitsbescheinigung wird im Regelfall nur erteilt, wenn für den Untergang des Nutzungsrechtes eine Entschädigung gezahlt worden ist oder die Nutzungsrechte nach „Aufhebung der Pertinenzqualität“ nicht mehr länger bestehen bleiben sollen - Untergang des Nutzungsrechtes ohne Entschädigung.
Der Vollständigkeit halber und um den Fall rechtlich abzurunden sei darauf hingewiesen, dass die Interessentenschaft nicht erst durch förmlichen Akt in den 1980er Jahren aufgelöst worden ist, sondern bereits in den 1960er Jahren ohne einen solchen förmlichen Akt. Denn überträgt eine Interessentenschaft mit den ihr gehörenden Gemeinschaftsanlagen (Wege, Gräben usw.) wie hier die gesamte Substanz auf die politische Gemeinde, so hat die Interessentenschaft auch ohne förmlichen Auflösungsbeschluss ihr Ende erreicht (KG in JW 1938, 1588; Böhringer, a.a.O., 123; Figge a.a.O., 88).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.