Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.07.2005, Az.: 3 A 51/03

Heranziehung zu Vorausleistungen auf einen Straßenausbaubeitrag; Ausbaumaßnahmen und Erschließungsmaßnahmen; Anlegen eines Verkehrskreisels an der Stelle einer ursprünglichen Gabelung; Verlängerung einer bereits endgültig hergestellten oder einer vorhandenen Straße

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.07.2005
Aktenzeichen
3 A 51/03
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2005, 34109
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2005:0706.3A51.03.0A

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2005
durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Siebert,
die Richterin am Verwaltungsgericht Sandgaard,
den Richter am Verwaltungsgericht Malinowski sowie
die ehrenamtlichen Richter Krause und Meyer
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 17. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2003 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Vorausleistungen auf einen Straßenausbaubeitrag für den Ausbau der Fahrbahn des B. in Neetze im Bereich der südlichen Einmündung der Straße C. bis zur Nordgrenze des Bebauungsplanes Nr. 1 (Ortsausgang).

2

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks C. 7, Flurstück 6/7 der Flur 17. Das Grundstück, wie auch der Teil des B., für den vom Kläger Vorausleistungen verlangt werden, liegt im Bereich des Bebauungsplanes Nr. 1 "Am B.", der am 28. Dezember 1973 in Kraft getreten ist. Das Grundstück des Klägers grenzt im Osten an die Straße C. und im Westen an die Straße B. an.

3

Der Straßenzug D. /B. verlief vor den geplanten und mittlerweile abgeschlossenen baulichen Maßnahmen, für die die Vorauszahlung begehrt wird, in der Weise, dass der D. von der E. abzweigte und in südöstlicher Richtung weiterführte. Der D. gabelte sich dann nach ca. 500 m in zwei Straßenzüge. Einer davon trägt ebenfalls den Namen D.. Bei dem anderen handelt es sich um den B.. Dieser verläuft auf ca. 700 m innerorts und tritt am nördlichen Ortsausgang beidseitig in den Außenbereich ein.

4

In den 50er-Jahren war im B. vom D. bis zur südlichen Einmündung der Straße C. auf der nordöstlichen Seite eine einseitige Bebauung vorhanden. Der B. verlief anschließend beidseitig im Außenbereich. 1966 war die einseitige Bebauung fortgeführt bis zum nördlichen Ortsende (Nordgrenze des Flurstücks 6/12).

5

Zu diesem Zeitpunkt wies der B. folgenden Ausbauzustand auf, der so auch bereits bei In-Kraft-Treten des Baugesetzbuches am 30. Juni 1961 bestand: Er besaß eine ca. 3 m breite Fahrbahn mit einer Asphaltbefestigung auf Aufschüttungen auf Sand, zum Teil auch auf Schotter. Die Kanten waren mit Betontiefbordsteinen eingefasst. Eine Straßenbeleuchtung war nicht vorhanden. Die Oberflächenentwässerung erfolgte über das Quergefälle in der Asphaltbefestigung in den unbefestigten Seitenraum, wobei sich dem Vortrag des Klägers im Parallelverfahren 3 A 52/03 zufolge dort eine Mulde vorhanden gewesen sein soll.

6

In den 70er-Jahren wurde im B. vom D. bis zur südlichen Einmündung des C. eine Straßenbeleuchtung erstellt.

7

Vor den jetzt abgerechneten Baumaßnahmen wies der B. folgenden Ausbauzustand auf:

8

Die in der Regel auf der Länge von 700 m in 3 m Breite bituminös befestigte Fahrbahn war sehr uneben. Die Seitenräume wurden hier, bedingt durch die geringe Breite, laufend in Anspruch genommen, entsprechend mussten sie immer wieder mit Mineralgemisch ausgebessert werden. Wie eine Baugrunduntersuchung ergab, wies die vorhandene bituminöse Fahrbahnbefestigung Teerbestandteile mit zum Teil erheblichen PAK-Konzentrationen auf. In dem unbefestigten, zerfahrenen Seitenraum kam es nach Regenfällen zu erheblichen Pfützenbildungen.

9

Im Jahr 2002 begann die Beklagte mit den hier streitigen Baumaßnahmen. Im Zuge dessen ist im Bereich der Gabelung des D. ein Kreisel angelegt worden.

10

Die Fahrbahn des B. wurde auf 5,50 m verbreitert mit Ausnahme eines 200 m langen Abschnitts von dem Kreisel bis zur Einmündung der Straße F.. Da dort die vorhandene Straßengrundstücksbreite nur bei 7,50 bis 8 m liegt, wurde wegen der beengten Verhältnisse hier die Fahrbahn nur in 5 m Breite hergestellt. Im Bereich der in der Straße befindlichen Bushaltestelle wurde die Fahrbahn wegen des noch engeren Bestandes auf ca. 30 m Länge auf 4,50 m angelegt. Im Bereich vom Kreisel bis zur Einmündung der Straße F. musste aus höhen- und entwässerungstechnischen Gründen die vorhandene Fahrbahn komplett ausgebaut und erneuert werden. Die Entwässerung erfolgt in diesem Abschnitt über einen dreireihigen Wasserlauf aus Betonsteinen, der am Beginn und Ende jeweils in eine extrabreite Versickerungsmulde mit einer Rigolenleitung als Notüberlauf mündet. Im Übrigen wurde die Fahrbahn seitlich verbreitert und dabei die vorhandene bituminöse Befestigung als Unterbau genutzt. Die Straßenentwässerung erfolgt dort wie bisher in die unbefestigten Straßenseitenräume, die im Zuge des Ausbaus zur Sicherheit flach ausgemuldet wurden (Versickerungsmulden). Vom Kreisel bis zu südlichen Einmündung des C. wurde auf ca. 380 m ein durch Hochbord abgesetzter 2 m breiter Gehweg hergestellt. Die Straßenbefestigung wurde in den Verbreiterungsbereichen gem. RStO 86, Bauklasse V/IV mit einer 4 cm bituminierten Deckschicht und einer 8 cm dicken bituminösen Tragschicht über die gesamte Breite hergestellt, darüber hinaus mit einer 20 cm Schottertragschicht und einer 28 cm dicken Frostschutzschicht in den Verbreiterungsbereichen. Der kombinierte Gehweg wurde ausgeführt mit 8 cm Pflaster auf 3 cm Pflastersand und einer 25 cm dicken Frostschutzschicht. Im Bereich vom Kreisel bis zur südlichen Einmündung des C. wurden die z.T. abgängigen alten Lampen mit alten 125 Watt HOL-Leuchtmitteln gegen neuere Lampen mit 55 Watt-Leuchtmitteln ausgetauscht.

11

Mit Bescheid vom 17. Juli 2002 zog die Beklagte den Kläger zu einer Vorausleistung in Höhe von 3.829,27 EUR heran. Der Vorausleistungsbetrag war auf Grundlage einer einheitlichen Abrechnung von Maßnahmen im D. und im B. ermittelt worden. Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein mit der Begründung, sein Grundstück werde nicht vom B. erschlossen und sei auch nicht in irgendeiner Form von diesem erreichbar. Der B. sei im abgerechneten Bereich auch nicht wesentlich verändert worden. So gebe es dort weder einen Bürgersteig, einen Radweg noch eine Straßenbeleuchtung.

12

Der Rat der Gemeinde Neetze beschloss am 9. Dezember 2002, u.a. die Baumaßnahmen im B. von dem Verkehrskreisel bis zur ersten Einmündung der Straße C. einerseits sowie von der ersten Einmündung der Straße C. bis Ortsausgang andererseits. Für den Abschnitt der Straße B. zwischen der ersten Einmündung des C. und dem Ortsausgang beschloss der Rat darüber hinaus für die Teileinrichtung Fahrbahn die Abrechnung im Wege der Kostenspaltung.

13

Die Beklagte ermittelte für die baulichen Maßnahmen an der Fahrbahn im abgerechneten Abschnitt einen voraussichtlichen Aufwand in Höhe von 76.701,96 EUR, einen umlagefähigen Aufwand (abzüglich eines 70%igen Gemeindeanteils) von 23.019,59 EUR. Sie errechnete für den Abschnitt eine Gesamtbeitragsfläche von 11.617 m2 und damit einen Beitragssatz mit 1,97984 EUR/m2. Die Beklagte stufte den B. dabei als Durchgangsstraße ein.

14

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2003 gab die Beklagte dem Widerspruch des Klägers insoweit statt, als eine höhere Vorausleistung als 3.054,90 EUR festgesetzt worden war. Der Neuberechnung lag die zwischenzeitliche Abschnittsbildung zu Grunde. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Fahrbahn sei verbessert worden. Sie sei verbreitert worden und habe einen frostsicheren Unterbau mit Tragschicht und Deckschicht erhalten. Der zwischen dem Grundstück des Klägers und der Straße bestehende Höhenunterschied sei ohne Weiteres zu überwinden.

15

Am 28. März 2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor: Er habe keinen Vorteil von der Ausbaumaßnahme. Er könne den B., an den sein Grundstück angrenze, nicht in Anspruch nehmen. Zu dieser Straße bestehe ein Niveauunterschied von 1,20 m bis 1,30 m. Einen direkten Zugang bzw. gangbaren Weg gebe es nicht. Um auf den B. zu gelangen, müsse er durch eine Hecke hindurch eine Böschung herunter gelangen, was nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen sei. Der B. sei an der Stelle, an der er an seinem Grundstück vorbei führe, nicht wesentlich verändert worden. Es gebe dort weder einen Gehweg, einen Radweg noch eine Straßenbeleuchtung. Einen Vorteil habe er von dem Ausbau somit nicht erlangt. Eine Abwägung zwischen den Grundstücken, die die Straße direkt in Anspruch nehmen könnten und solchen, die nicht direkt zu erreichen seien, habe nicht stattgefunden. Es seien ihm, dem Kläger, auch Grundstücke bekannt, die in dem Abrechnungsgebiet lägen und am Ausbau der Straße nicht beteiligt werden sollten.

16

Der Kläger hat am 15. Dezember 2003 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz gestellt (3 B 108/03), dem die erkennende Kammer mit Beschluss vom 6. Februar 2004 stattgegeben hat mit der Begründung, bei summarischer Prüfung sei davon auszugehen, dass das klägerische Grundstück wegen der am B. befindlichen Böschung nicht betreten werden könne. Nach dem Beschluss im Eilverfahren sind Treppenstufen an der Böschung angelegt worden, auf Grund derer das Grundstück des Klägers nunmehr fußläufig erreichbar ist.

17

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2003 aufzuheben.

18

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

19

Die Veranlagung des Klägers sei rechtmäßig erfolgt. Von dem Grundstück des Klägers bestehe auch eine rechtliche und tatsächlich gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten der Verfahren 3 A 52/03 und 3 A 58/03 verwiesen.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist zulässig und begründet.

22

Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

23

I.

Die Erhebung von Vorausleistungen für die Maßnahmen im B. ist rechtswidrig, unabhängig davon, ob die Baumaßnahmen als Ausbau- oder Erschließungsmaßnahmen anzusehen sind.

24

1.

a)

Sollte es sich bei den Maßnahmen um Ausbaumaßnahmen nach § 6 Abs. 1 NKAG handeln, ist als öffentliche Einrichtung im Sinne des Straßenausbaubeitragsrechts der B. von dem neu gebauten Kreisel bis zum nördlichen Ortsausgang (Nordgrenze des Bebauungsplanes Nr. 1) anzusehen. Das Anlegen des Verkehrskreisels an der Stelle der ursprünglichen Gabelung D. /B. hat nach der maßgeblichen natürlichen Betrachtungsweise zur Folge, dass einerseits die Teillänge des D. zwischen der E. und dem Verkehrskreisel und andererseits der B. zwischen dem Kreisel und dem nördlichen Ortsausgang (Nordgrenze des Bebauungsplanes Nr. 1) selbstständige öffentliche Einrichtungen darstellen.

25

b)

Sollte das Erschließungsbeitragsrecht anzuwenden sein, ist auf Grund vorstehender Erwägungen der B. vom Kreisel bis zur Nordgrenze des Bebauungsplanes Nr. 1 als einheitliche Erschließungsanlage anzusehen.

26

Eine Teilung dieser einheitlichen Anlage ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Verlängerung einer bereits endgültig hergestellten oder einer vorhandenen Straße i.S. v. § 242 Abs. 1 BauGB stets eine selbstständige Erschließungsanlage ist. Der Bereich vom Kreisel bis zur südlichen Einmündung des C. ist nicht als sog. vorhandene Straße i.S.v. § 242 Abs. 1 BauGB zu qualifizieren, demzufolge der Bereich von der südlichen Einmündung des C. bis zum Ortsausgang mit der Fortsetzung der einseitigen Bebauung im Zeitraum bis 1966 eine weitere selbstständige Erschließungsanlage darstellen würde.

27

Der B. war im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Bundesbaugesetzes im Jahr 1961 noch keine vorhandene Straße i.S.v. § 242 Abs. 1 BauGB, denn er war noch nicht insgesamt hergestellt (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 2 Rn. 31). Im Jahr 1961 war der B. bis zur heute südlichen Einmündung des C. eine einseitig anbaubare Straße. Zu diesem Zeitpunkt war zwar eine Fahrbahn vorhanden. Die Straße war jedoch nicht insgesamt hergestellt, weil es jedenfalls an der Beleuchtung, einer Mindestanforderung für das Vorliegen einer vorhandenen Straße, fehlte (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O, § 2 Rn 35). Insoweit kann offen bleiben, ob gleichermaßen eine primitive Straßenentwässerung vorhanden war.

28

Weil der B. 1961 bis zur südlichen Einmündung des C. noch nicht insgesamt in allen Teileinrichtungen hergestellt und damit keine vorhandene Straße war, stellte seit 1966 wegen der bis zu diesem Zeitpunkt fortgesetzten einseitigen Bebauung der gesamte B. in seiner heutigen Ausdehnung vom Verkehrskreisel bis zum nördlichen Ortsende die hier zu betrachtende Erschließungsanlage dar.

29

Die Straße hat auch im Bereich von der südlichen Einmündung des C. bis zum Ortsausgang Erschließungsfunktion. Ob eine Verkehrsanlage zum Anbau bestimmt ist, ist bei öffentlichen Erschließungsanlagen nicht abhängig von einer (subjektiven) Absicht einer Gemeinde, sondern (objektiv) davon, ob an ihr tatsächlich gebaut werden kann und rechtlich gebaut werden darf. Maßgebend ist, ob die jeweilige Verkehrsanlage den angrenzenden Grundstücken das verschafft, was für ihre Bebaubarkeit bebauungsrechtlich erforderlich ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 5 Rn 5). Der B. vermittelt auch den Grundstücken zwischen der südlichen Einmündung des C. und dem Ortsausgang die Bebaubarkeit. Diese Grundstücke sind im Bebauungsplan Nr. 1 als Baugrundstücke ausgewiesen, der B. darin als Erschließungsstraße festgesetzt. Eine Erschließungskonzeption, wonach eine Erschließung ausschließlich vom C. aus vorgesehen ist, ist nicht erkennbar. Eine Erschließungsfunktion des B. im nördlichen Bereich ist auch nicht zu verneinen, weil die Grundstücke - auch - vom C. erschlossen werden. Ob ein Grundstück im Falle eines Angrenzens an zwei Anbaustraßen durch die gerade abzurechnende Anlage erschlossen wird, beurteilt sich danach, ob das Grundstück - eine durch eine andere Anbaustraße vermittelte Bebaubarkeit hinweggedacht - mit Blick auf die wegemäßige Erschließung allein dieser Straße wegen bebaubar ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 17 Rn 89). Die Straße C. hinweggedacht, wären die Grundstücke bis zum nördlichen Ortsausgang als bebaubar anzusehen.

30

2.

Für den B. als einheitliche öffentliche Einrichtung/Erschließungsanlage ist eine wirksame Abschnittsbildung an der südlichen Einmündung der Straße C. nicht erfolgt; sie ist unzulässig.

31

a)

Die Unzulässigkeit der Abschnittsbildung folgt daraus, dass eine endgültige Herstellung/ein Ausbau aller Teileinrichtungen auf ganzer Länge des Abschnitts von der südlichen Einmündung des C. bis zum Ortsausgang nicht beabsichtigt ist. Die Abschnittsbildung stellt ein im Interesse der Finanzsituation der Gemeinden zugelassenes Vorfinanzierungsinstitut dar. Deshalb haben sich Ermessenserwägungen grundsätzlich auf diese Vorfinanzierungsfunktion zu beschränken, d.h. hat sich die Gemeinde bei ihrer Entscheidung über eine Abschnittsbildung in erster Linie an ihrer Haushaltslage zu orientieren, (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand: September 2004, § 8 Rn 116; ders. Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 14 Rn 32). Es ist davon auszugehen, dass die Gemeinde Neetze den Abschnittsbildungsbeschluss nicht deswegen gefasst hat, um den B. jeweils abschnittsweise mit sämtlichen Teileinrichtungen erstellen zu können und insoweit nur für die im Abschnitt vorgenommenen Baumaßnahmen in Vorleistung treten zu müssen, sondern auf Grund des von ihr gewollten unterschiedlichen Ausbauzustandes des B.. Dies widerspricht der Funktion der Abschnittsbildung als Vorfinanzierungsinstitut, die voraussetzt, dass die öffentliche Einrichtung/Erschließungsanlage auf ihrer gesamten Länge gleichartig angelegt werden soll, jedoch aus Kostengründen abschnittsweise erfolgen kann, damit die Gemeinde nicht die Gesamtanlage vorzufinanzieren hat. Die Abschnittsbildung wäre allein dann nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinde Neetze in irgendeiner Weise beabsichtigen würde, auch den Bereich von der südlichen Einmündung des C. bis zum Ortsende mit weiteren Teileinrichtungen wie Entwässerung, Beleuchtung und Gehweg zu versehen. Dabei ist nicht zu fordern, dass der tatsächliche Ausbau in absehbarer Zeit erfolgen soll, er muss jedoch überhaupt konkret irgendwann beabsichtigt sein, um eine dauerhafte erhebliche ungleiche Belastung der Anlieger auszuschließen. Die Vertreter der Gemeinde Neetze und der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung am 23. November 2004 jedoch erklärt, der weitere Ausbau sei nicht konkret beabsichtigt, er sei nicht auszuschließen bzw. beim Ausbau der in Rede stehenden Abschnitte nicht thematisiert worden. Demzufolge ist davon auszugehen, dass in keiner Weise absehbar ist, dass die Gemeinde Neetze diese Teilstrecke jemals ausbauen wird.

32

b)

Weil die Abschnittsbildung schon aus vorstehenden Erwägungen rechtswidrig ist, kann dahinstehen, ob sie auch wegen eines Verstoßes gegen das Willkürverbot unzulässig ist. So ein Verstoß gegen das Willkürverbot ist anzunehmen, wenn auf Grund der im Zeitpunkt der entsprechenden gemeindlichen Entscheidung ermittelbaren Daten zu erwarten ist, dass - bei im Wesentlichen gleicher Vorteilssituation der einzelnen Gründstücke - die berücksichtigungsfähigen Kosten für den Ausbau eines Abschnitts je Quadratmeter Straßenfläche um mehr als 1/3 höher liegen werden als die des anderen Abschnittes; im Straßenbaubeitragsrecht ist - wie im Erschließungsbeitragsrecht - eine Abrechnung im Wege der Abschnittsbildung nicht möglich, wenn die Kosten dieses Abschnitts - berechnet pro Quadratmeter umgebauter Straßenfläche - um mehr als 1/3 höher ausfallen als dies beim Ausbau des übrigen Abschnitts bzw. der übrigen Abschnitte der Straße zu erwarten ist. Berücksichtigungsfähig sind in diesem Zusammenhang ausschließlich Kosten, die auf einer andersartigen und wegen dieser Andersartigkeit aufwändigeren Ausstattung eines Abschnitts im Verhältnis zu der eines anderen Abschnittes beruhen. Ausstattungsbedingt in diesem Sinne sind Kosten, die auf eine unterschiedliche Ausstattung mit (abspaltbaren) Teileinrichtungen wie beispielsweise Parkstreifen, Gehwegen usw. auf eine breitere Fahrbahn etwa im Einmündungsbereich oder einen Wendehammer zurückzuführen sind. Ferner ist zu denken an Kosten, die nur für einen Abschnitt entstehen, z.B. weil nur hier ein felsiger Untergrund zu bearbeiten, Gebäude abzureißen bzw. nur hier überhaupt oder besonders hohe Grunderwerbskosten zu entrichten sind (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, a.a.O, § 8 Rdnr. 112).

33

Im vorliegenden Fall ist der Abschnitt vom Kreisel bis zur südlichen Einmündung des C. s wesentlich aufwändiger gestaltet als der Abschnitt von der südlichen Einmündung des C. bis zum nördlichen Ortsende. So fallen beim erstgenannten Abschnitt in jedem Fall Kosten des neu angelegten Gehweges, der Entwässerung und der Erneuerung der Straßenbeleuchtung an (ggf. auch anteilige Kosten des Kreisels, sofern dieser nicht als selbstständige Anlage anzusehen sein sollte). Demgegenüber fallen in dem Abschnitt von der südlichen Einmündung des C. bis zum nördlichen Ortsende nur die Kosten der Teileinrichtung Fahrbahn an. Es spricht daher einiges dafür, dass die Kosten für den Ausbau des B. im Abschnitt vom Kreisel bis südliche Einmündung des C. je Quadratmeter Straßenfläche um mehr als 1/3 höher liegen werden als die des Abschnitts von der südlichen Einmündung des C. bis zum nördlichen Ortsende.

34

3.

a)

Stellt sich die Abschnittsbildung als rechtswidrig und damit unwirksam dar, so kann eine Vorausleistung in vorliegendem Fall auch nicht unter Einbeziehung der angefallenen Kosten unter Berücksichtigung sämtlicher Anlieger des B. als öffentlicher Einrichtung/Erschließungsanlage erfolgen. Denn es ist nicht beabsichtigt, sämtliche Teileinrichtungen auf gesamter Länge der Straße herzustellen. Zwar ist für das Erheben einer Vorausleistung grundsätzlich nur erforderlich, dass mit den Baumaßnahmen begonnen wurde, doch setzt die Vorausleistung als Vorfinanzierungsinstitut voraus, dass - wenn auch über einen längeren Zeitraum - die Teileinrichtungen auf gesamter Länge der Anlage ausgebaut werden sollen. Eine Vorausleistung ist begrifflich eine Leistung, die vor Entstehen der endgültigen (sachlichen) Beitragspflicht "auf die künftige Beitragsschuld" erbracht wird. Sie stellt eine zeitlich vorgezogene "Beitragsleistung" dar und ruht - wie der Beitrag selbst - als öffentliche Last auf dem Grundstück, (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand: März 2005, § 8 Rn. 124). Auf Grund des Wesens der Vorausleistung -eine Leistung, die auf die künftige Beitragsschuld gezahlt wird - ist zwingende Voraussetzung für ihre rechtmäßig Anforderung, dass eine endgültige Beitragspflicht überhaupt entstehen kann. Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn es ist in keiner Weise beabsichtigt, die Teileinrichtungen Entwässerung, Beleuchtung und Gehweg von der südlichen Einmündung des C. bis zur Nordgrenze des Bebauungsplanes Nr. 1 zu erstellen.

35

b)

Vom Erstellen der Teileinrichtungen auf voller Länge der Straße kann auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden.

36

Im Ausbaubeitragsrecht ist ein Ausbau auf gesamter Länge der Straße bzw. Teileinrichtung oder eines gebildeten Abschnitts im Einzelfall nicht geboten, wenn die durchgehende Anlegung einer Teileinrichtung aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen erscheint oder wenn für die durchgehende Anlegung einer Teileinrichtung auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Bedürfnis besteht. Zur letztgenannten Fallgruppe gehören auch die Fälle, in denen die Verwirklichung eines Beitragstatbestandes nur in einem Teilbereich einer Straße notwendig ist, eine Abschnittsbildung aber nicht in Betracht kommt. In den Fällen ist die Beitragspflicht der auf einer Teilstrecke durchgeführten beitragsfähigen Maßnahme anzuerkennen, sofern die Ausbaustrecke innerhalb der öffentlichen Einrichtung einen nicht nur untergeordneten Teilbereich erfasst und die Gemeinde sowohl die Notwendigkeit eines nur teilweisen Ausbaus als auch Umfang und Beendigung der Baumaßnahme deutlich macht (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 7.9.1999 - 9 L 393/99 -). Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf den B. im Bereich von der südlichen Einmündung des C. bis zum Ortsende nicht vor, soweit dort eine Straßenentwässerung, eine Straßenbeleuchtung und ein einseitiger Gehweg nicht vorhanden sind. Das Anlegen dieser Teileinrichtungen ist auf Grund äußerer Gegebenheiten in der Straße nicht unmöglich. Es ist auch nicht anzunehmen, dass für die Teileinrichtungen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Bedürfnis besteht angesichts dessen, dass es sich bei den anliegenden Grundstücken um Baugrundstücke handelt.

37

Im Erschließungsbeitragsrecht ist es erforderlich, dass flächenmäßige Teileinrichtungen in ihrer gesamten Länge satzungsgemäß hergestellt werden. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn ein Bebauungsplan dies festsetzt oder durch die Festsetzung eines beengten Querschnitts vorzeichnet und die betreffende Teileinrichtung dadurch nicht ihre Funktion verliert (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O, § 19 Rn 3). Die Voraussetzungen einer Ausnahme liegen hier nicht vor.

38

4.

Angesichts dessen, das nicht beabsichtigt ist, sämtliche Straßenteileinrichtungen auf voller Länge herzustellen, kann eine Vorausleistung auch nicht für die bereits endgültig hergestellte Fahrbahn erhoben werden. Die Erhebung einer Vorausleistung setzt voraus, dass die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage mit allen vorgesehenen Teilanlagen innerhalb von etwa vier Jahren durchgeführt wird. Dies gilt auch, wenn der Ermittlung des Vorausleistungsbetrags ausschließlich der Aufwand für bereits endgültig hergestellte Teilanlagen zu Grunde gelegt wird. Eine Kombination des Vorfinanzierungsinstituts "Vorausleistung" mit dem Vorfinanzierungsinstitut "Kostenspaltung" ist demnach in diesen Fällen nicht zulässig (BVerwG, Urt. v. 19. 3,1982 - 8 C 34.81-, BVerwGE 92, 233 [BVerwG 05.04.1993 - 4 NB 3/91] zu Erschließungsbeiträgen). Zwar findet sich in § 6 Abs. 7 NKAG eine § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB vergleichbare Frist für den Abschluss von Ausbaumaßnahmen nicht, die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts haben jedoch jedenfalls dann gleichermaßen zu gelten, wenn ein Ausbau sämtlicher Teilanlagen auf der Gesamtlänge der öffentlichen Einrichtung überhaupt nicht geplant ist.

39

5.

Eine - endgültige - Abrechnung der insgesamt entstandenen Fahrbahnkosten auf Grund eines Kostenspaltungsbeschlusses unter Berücksichtigung aller Anlieger des B. kommt unabhängig davon, ob Erschließungs- oder Ausbaubeitragsrecht anzuwenden ist, zur Zeit nicht in Betracht, weil ein Kostenspaltungsbeschluss, der die Fahrbahn auf ihrer gesamten Länge vom Kreisel bis zum nördlichen Ortsausgang betrifft, nicht gefasst worden ist. Nach dem Beschluss des Rates der Gemeinde Neetze vom 9. Dezember 2002 wird die Kostenspaltung ausdrücklich nur für den Abschnitt von der südlichen Einmündung des C. bis zum nördlichen Ortsausgang ausgesprochen. Insoweit kann offen bleiben, ob der Vorausleistungsbescheid ggf. überhaupt in einen endgültigen (Teil-)beitragsbescheid umgedeutet werden könnte.

40

II.

Ob in dem Fall, dass die Gemeinde Neetze einen Kostenspaltungsbeschluss fasst, der die Fahrbahn auf ihrer gesamten Länge betrifft, Erschließungs- oder Ausbaubeiträge zu erheben sind, kann die Kammer auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen noch nicht abschließend beurteilen. Es ist noch nicht hinreichend geklärt, ob die Fahrbahn des B. jemals den Herstellungsmerkmalen einer Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde Neetze entsprochen hat. Nach der ersten Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde Neetze, die 1982 in Kraft getreten ist und die insoweit im Wesentlichen inhaltsgleich mit der letzten Erschließungsbeitragssatzung von 1994 ist, ist die Fahrbahn hergestellt, wenn sie einen Unterbau und eine Decke aus Asphalt, Teer, Beton oder einem ähnlichen Material neuzeitlicher Bauweise aufweist (§ 10 Abs. 1 Satz 2 a) EBS 1982). Ob der vormalige Unterbau 1982 diesen Anforderungen genügt hat - insbesondere in Bezug auf den Unterbau, wofür sprechen könnte, dass die alte Fahrbahn, soweit sie lediglich verbreitert wurde, als Unterbau weiter verwendet worden ist - und die 3-3,20 breite Fahrbahn ausreichend breit angelegt war, um den anfallenden Verkehr zu bewältigen, wird von der Beklagten noch weiter aufzuklären sein.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.054,90 EUR festgesetzt.

Sandgaard
Malinowski
Sandgaard