Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 07.02.2006, Az.: 6 A 1193/04
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 07.02.2006
- Aktenzeichen
- 6 A 1193/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44734
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2006:0207.6A1193.04.0A
Tatbestand
Der Kläger, ein im Ruhestand befindlicher Steueroberamtsrat a.D. (Besoldungsgruppe A 13, Ruhegehaltssatz 75 %), begehrt die Sonderzahlung 2003 in Höhe von 100 % (statt 65 %) seiner Dezemberbezüge.
Er wendet sich gegen den ihm am 14. Februar 2004 zugestellten Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 11. Februar 2004, in dem dieses Begehren mit der Begründung abgelehnt wurde, das geltende Besoldungs- und Versorgungsrecht lasse keine höhere Zahlung zu. Die Vorschriften seien verfassungsgemäß und wahrten insbesondere das Alimentationsprinzip und den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Zur Begründung seiner am 15. März 2004 - einem Montag - erhobenen Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor: § 13 Abs. 2 des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes - NBesG - sei wegen Verstoßes gegen das Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG, gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes bzw. das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig und nichtig. Folglich gelte das bundeseinheitliche Recht über jährliche Sonderzuwendungen fort. Der Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum bei der Ausformung der Alimentationspflicht durch die weitere Kürzung überschritten. Insbesondere die Rechtsposition der Versorgungsempfänger werde durch die niedersächsische Neuregelung eklatant verschlechtert. Er habe sich die Versorgungsanwartschaften erdient und Anspruch auf deren Erhaltung. Anders als aktive Beamte habe er nicht mehr die Möglichkeit, zum Ausgleich eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen.
Der Kläger beantragt,
den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 11. Februar 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die Sonderzahlung 2003 in Höhe von 100 % seiner Dezemberbezüge 2003 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und erwidert ergänzend: Die Gewährung von Sonderzahlungen (früher Sonderzuwendungen) gehöre nicht zu den nach Art. 33 Abs. 5 GG geschützten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamten-tums. Die vorgenommenen Kürzungen bewegten sich im Bereich zulässiger Ausgestaltungen versorgungsrechtlicher Regelungen, zumal der Kernbereich der Alimentationspflicht gewahrt bleibe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden durfte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren als der ihm gewährten Sonderzahlung für das Jahr 2003; der ablehnende Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2004 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Eine Anspruchsgrundlage für die begehrte weitergehende Sonderzahlung 2003 ist nicht (mehr) gegeben. Denn das bis 2002 bundeseinheitliche Sonderzuwendungsrecht - das allerdings selbst bei Weitergeltung für 2003 einen Anspruch auf Sonderzahlung in Höhe von 84,29 % (statt der hier begehrten 100 %) der maßgeblichen Dezemberbezüge vorsieht - ist durch niedersächsisches Besoldungsrecht rechtzeitig und rechtmäßig ersetzt worden. Das Gesetz über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung (SZG) ist nämlich durch Art. 18 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2003/2004 - BBVAnpG 2003/2004 - vom 10. September 2003 (BGBl. I S. 1798) mit Wirkung vom 16. September 2003 aufgehoben worden. Es findet lediglich bis zum In-Kraft-Treten bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen zur Gewährung von jährlichen Sonderzahlungen nach § 67 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) weiterhin Anwendung (Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Art. 13 Nr: 7 BBVAnpG 2003/2004 - Öffnungsklausel). Nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung besoldungs- und anderer dienstrechtlicher Vorschriften und des Ministergesetzes vom 31. Oktober 2003 (Nieders. GVBl. S. 372) liegt eine landesgesetzliche Regelung zur Gewährung von Sonderzahlungen auf Grundlage der o. g. Öffnungsklausel vor. Ein Anspruch auf Zahlung einer Sonderzahlung steht dem Kläger daher nur in Höhe der durch dieses Gesetz modifizierten Anwendung des SZG zu. Der anzuwendende Bemessungsfaktor (§ 13 Satz 1 SZG) betrug gemäß dem durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 31. Oktober 2003 eingefügten § 13 Abs. 2 des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes - NBesG - 0,65 mit der Folge, dass der Kläger nur 65 % seiner Dezemberbezüge als Sonderzahlung 2003 beanspruchen kann.
Weder die Kürzung der jährlichen Sonderzahlung 2003 im niedersächsischen Besoldungsrecht noch das zugrunde liegende BBVAnpG 2003/2004, aus dessen Art. 13 Nr. 7 sich die bundesrechtliche Öffnungsklausel des § 67 BBesG ergibt, begegnen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das vom Kläger nicht näher angegriffene BBVAnpG 2003/2004 ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 6. September 2005 - 5 A 60/05 - juris; Meier, Die Sonderzahlungsgesetze in Bund und Ländern; ZBR 2005, 408, 410 ff, 412). Auch die im niedersächsischen Besoldungsrecht vorgesehene Kürzung der jährlichen Sonderzahlung 2003 (auf 65 % gegenüber 86,31 % im Jahre 2002) verstößt weder gegen das Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG, noch gegen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz bzw. das Rückwirkungsverbot oder den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 30. März 1977 - 2 BVR 1039, 1045/75 - BVerfGE 44, 249, 263) und der Verwaltungsgerichte (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1977 - VI C 24.75 -, Buchholz § 90 LBG Baden-Württemberg 237.0 Nr. 1; Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 1 DB 30.83 -; VGH BW, Urteil vom 5. Mai 1980 - IV 3095/78 - DÖD 1981, 91; VG Berlin, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - 7 A 386.03 - ZBR 2004, 180; VG Düsseldorf, Urteil vom 11. März 2005 - 26 K 3098/04 - juris; VG Magdeburg, Urteil vom 6.September 2005 - 5 A 60/05 -juris) gehört die Gewährung einer Sonderzuwendung nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i.S.v. Art. 33 Abs. 5 GG. Regelungen, die nicht der Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG unterworfen sind, stehen zur freien Disposition des Normengebers im Rahmen der allgemeinen grundgesetzlichen Bindungen. Folglich sind deutlich geringere Anforderungen an die Rechtfertigung von Leistungsveränderungen oder -kürzungen zu stellen, als dies bei Besoldungsbestandteilen der Fall ist, die zur Kernalimentation gehören. Im Übrigen ist es dem Gesetzgeber selbst im letztgenannten Bereich nicht verwehrt, die Struktur der beamtenrechtlichen Besoldung und die Zahlungsmodalitäten innerhalb des verfassungsrechtlich garantierten Alimentationsprinzips für die Zukunft zu ändern; in diesem Rahmen ist er auch befugt, die Besoldung zu kürzen, solange sie nicht an der unteren Grenze einer amtsangemessenen Alimentation liegt. Denn es gibt keinen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf Erhaltung des erlangten Besitzstandes im Bezug auf einmal erreichtes Einkommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1999 -2 BvR 544/97 - NVwZ 1999, 1328, 1329). Hiervon ausgehend rechtfertigt - selbst unter Berücksichtigung sonstiger Einschnitte - das gewichtige öffentliche Interesse, angesichts hoher Defizite in den öffentlichen Haushalten Haushaltsmittel (auch) bei der Beamtenbesoldung und -versorgung einzusparen und eine noch größere Belastung der nächsten Generationen zu verhindern, die vorgenommenen Kürzungen (so auch VG Berlin, Beschluss vom 16. Dezember 2003, a.a.O.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. März 2005 a.a.O., allerdings erst für 2004; VG Magdeburg, Urteil vom 6. September 2005 a.a.O.; Meier, a.a.O. 412).
Vertrauensschutzgesichtspunkte sprechen ebenso wenig gegen die Verfassungsmäßigkeit der Kürzung der Sonderzahlung 2003 im niedersächsischen Besoldungsrecht. Die maßgeblichen Vorschriften greifen nicht nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände nachteilig ändernd ein. Vielmehr knüpfen sie allenfalls an vor dem In-Kraft-Treten der o.g. Änderungsvorschriften verwirklichte Gegebenheiten an und stellen sich als sog. unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung dar, die vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich für zulässig erachtet wird (vgl. VG Berlin, a.a.O.; VG Düsseldorf, a.a.O.; VG Magdeburg a.a.O.). Folglich kann der Gesetzgeber aus sachlichen Gründen und ohne Verstoß gegen rechtstaatliche Vertrauensschutzgebote Änderungen an der bisherigen Rechtslage vornehmen (vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2003 - 9 CN 2.02 - NVwZ-RR 2003, 522). Hiervon ausgehend ist das Vertrauen des Klägers in die ungekürzte Zahlung einer Sonderzahlung für das Jahr 2003 nicht so schutzwürdig, dass es die o. g. Interessen der Allgemeinheit überwiegen würde. Denn er konnte nicht ohne weiteres auf den unveränderten Fortbestand der gesetzlichen Regelungen zu den Sonderzahlungen (bzw. Sonderzuwendungen) vertrauen. Die wechselnde Entwicklung der Sonderzuwendung beim Bund und in den alten Bundesländern von 1968 (damals 40 % der monatlichen Bezüge) über 1973 (damals 100 % der monatlichen Bezüge) ist zur Absenkung der Sonderzuwendung durch das sog. "Einfrieren" auf dem Niveau 1993 (vgl. Meyer, a.a.O. 409 f) macht deutlich, dass es sich hier um einen Besoldungsbestandteil handelt, bei dem mit Änderungen gerechnet werden musste. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der rechtspolitischen Diskussion über die Schaffung einer Öffnungsklausel im Besoldungsrecht, die absehbare Kürzungen der Sonderzahlungen in den Bundesländern mit prekärer Haushaltslage einschloss. Die Beamten konnten daher durchaus mit weiteren Kürzungen rechnen (so auch VG Magdeburg a.a.O.; a.A. VG Düsseldorf für Sonderzuwendung 2003, das allerdings verkürzt auf die Vertrauenslage im Jahr 2003 abstellt und den Umfang tatsächlich betätigten Vertrauens hinsichtlich der erst im Dezember anstehenden Auszahlung der Sonderzahlung überbewertet). Dem damit nur eingeschränkt schutzwürdigen Vertrauen des Klägers steht das überwiegende öffentliche Interesse entgegen, gravierend defizitäre öffentliche Haushalte zu sanieren und eine noch größere Belastung der nächsten Generationen zu verhindern. Der Umstand, dass der Kläger anders als aktive Beamte kaum noch Möglichkeiten besitzt, durch Eigenvorsorge künftige Kürzungen auszugleichen, rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.
Der Kläger vermag sich auch nicht mit Erfolg auf eine Ungleichbehandlung zwischen ihm und den Beamten anderer Länder sowie Beamten des Bundes bzw. zwischen ihm und den Angestellten zu berufen. Nach ständiger Rechtsprechung hat der staatliche Gesetzgeber bei Regelungen des Besoldungs- und Versorgungsrechts einen weiten Gestaltungsspielraum mit der Folge, dass es nicht den Gerichten zukommt, zu entscheiden, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste oder vernünftigste Regelung getroffen hat. Eine Verletzung des Gleichheitsgebotes aus Art. 3 Abs. 1 GG liegt bereits deshalb nicht vor, weil zum einen die verschiedenen Beamtengesetze des Bundes und der Länder und auch das Bundesangestelltenrecht unterschiedliche Rechtsmaterien darstellen, die hinsichtlich einzelner Gewährungen unterschiedliche Regelungen enthalten dürfen; zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht unterschiedliche Besoldungshöhen in unterschiedlichen Bundesländern für rechtmäßig erachtet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 - NVwZ 2003, 1364). Der große Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers lässt im Übrigen auch eine (soziale) Staffelung der Höhe der Sonderzahlung nach Laufbahnen zu, weil ein keineswegs willkürlicher Ansatzpunkt im abgestuften System der Beamtenbesoldung als Ausgangspunkt für eine soziale Gewichtung gewählt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.